Jena, den 17. Januar 1797
Ich mache eben Feierabend mit meinem Geschäft und sage Ihnen noch einen guten Abend, eh ich die Feder weglege. Ihr letzter Besuch, so kurz er auch war, hat eine gewisse Stagnation bei mir gehoben, und meinen Muth erhöht. Sie haben mich durch Ihre Beschreibungen wieder in die Welt geführt, von der ich mich ganz abgetrennt fühlte.
Besonders aber freut mich Ihre lebhafte Neigung zu einer fortgesetzten poetischen Thätigkeit. Ein neueres schöneres Leben thut sich dadurch vor Ihnen auf, es wird sich auch mir nicht nur in dem Werke, es wird sich mir auch durch die Stimmung, in die es Sie versetzt, mittheilen und mich erquicken. Ich wünschte besonders jetzt die Chronologie Ihrer Werke zu wissen; es sollte mich wundern, wenn sich an den Entwicklungen Ihres Wesens nicht ein gewisser nothwendiger Gang der Natur im Menschen überhaupt nachweisen ließe. Sie müssen eine gewisse, nicht sehr kurze, Epoche gehabt haben, die ich Ihre analytische Periode nennen möchte, wo Sie durch die Theilung und Trennung zu einem Ganzen strebten, wo Ihre Natur gleichsam mit sich selbst zerfallen war und sich durch Kunst und Wissenschaft wieder herzustellen suchte.
Jetzt däucht mir kehren Sie, ausgebildet und reif, zu Ihrer Jugend zurück, und werden die Frucht mit der Blüthe verbinden. Diese zweite Jugend ist die Jugend der Götter und unsterblich wie diese.
Ihre kleine und große Idylle und noch neuerlich Ihre Elegie zeigen dieses, so wie die alten Elegien und Epigramme. Ich möchte aber von den frühern Werken, vom Meister selber die Geschichte wissen. Es ist keine verlorne Arbeit, dasjenige aufzuschreiben, was Sie davon wissen. Man kann Sie ohne das nicht ganz kennen lernen. Thun Sie es also ja, und legen auch bei mir eine Copie davon nieder.
Fällt Ihnen etwas von der Lenzischen Verlassenschaft in die Hände, so erinnern Sie sich meiner. Wir müssen alles, was wir finden, für die Horen zusammen raffen. Bei Ihrem veränderten Plan für die Zukunft, können Sie vielleicht auch die italiänischen Papiere den Horen zu gut kommen lassen.
An den Cellini bitte ich auch zu denken, daß ich ihn etwa in drei Wochen habe.
Freund Reichardts Abfertigung bitte auch nicht ganz zu vergessen.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 268 | S 270 | B 270
Jena, den 11. Januar 1797
Eben bekomme ich Ihren lieben Brief, der mich mit der Nachricht von Ihrer Zurückkunft herzlich erfreut. Diese Zeit Ihrer Abwesenheit von Jena währt mir unbeschreiblich lange; wie wohl es mir gar nicht an Umgang fehlte, so hat es mir doch gerade an der nöthigsten Stärkung bei meinem Geschäft gemangelt. Kommen Sie ja so bald Sie können. Ich zwar habe nicht viel gesammelt was ich mittheilen könnte, desto begieriger aber und bedürftiger werde ich alles aufnehmen, was ich von Ihnen hören kann.
Wir sind alle so wohl, wie wir zu seyn pflegen; unthätig bin ich gar nicht gewesen, wiewohl in diesen drückenden düstern Wintertagen alles später reift, und die rechte Gestalt sich schwerer findet. Indessen ich sehe doch in’s Helle und mein Stoff unterwirft sich mir immer mehr. Die erste Bedingung eines glücklichen Fortgangs meiner Arbeit ist eine leichtere Luft und Bewegung; ich bin daher entschlossen, mit den ersten Regungen des Frühjahrs den Ort zu verändern und mir, wo möglich in Weimar, ein Gartenhaus, wo heizbare Zimmer sind, auszusuchen. Das ist mir jetzt ein dringendes Bedürfniß, und kann ich diesen Zweck zugleich mit einer größern und leichtern Communication mit Ihnen vereinigen, so sind vor der Hand meine Wünsche erfüllt. Ich denke wohl, daß es gehen wird.
Die Reichardtische Sache habe ich mir diese Zeit über aus dem Sinne geschlagen, weil ich mich darin mit Freuden in Ihren Rath ergeben will. Sie überfiel mich in einer zu engen Zimmerluft, und alles was zu mir kommt muß noch dazu beitragen, mir diese Widrigkeiten noch lastender zu machen.
Aber Wieland wird nun auch gegen die Xenien auftreten, wie Sie aus dem ersten Stück des Mercur ersehen werden. Es wäre doch unangenehm, wenn er uns zwänge, auch mit ihm anzubinden, und es frägt sich, ob man nicht wohl thäte, ihm die Folgen zu bedenken zu geben.
Ihre Aufträge sollen besorgt werden. Ich lege hier das 12te Horenstück bei, die übrigen Exemplare kommen übermorgen.
Wir umarmen Sie alle herzlich.
Sch.
H 267 | S 268 | B 269
Weimar, den 11. Januar 1797
Nach einer vierzehntägigen Abwesenheit bin ich glücklich wieder zurückgekommen, von meiner Reise sehr wohl zufrieden, auf der mir manches Angenehme und nichts Unangenehmes begegnet ist. Ich habe viel davon zu erzählen und werde, sobald ich nur wieder hier ein wenig Ordnung gemacht, wenn es auch nur auf einen Tag ist, zu Ihnen hinüber kommen. Leider kann ich nicht sogleich, so sehr ich auch wünschte Herrn Oberbergrath Humboldt noch zu sprechen. Grüßen Sie beide Brüder auf’s beste und schönste und sagen Sie daß ich sogleich Anstalt machen werde die verzeichneten Bücher Herrn Gentsch zu verschaffen.
Ich verlange sehr Sie wieder zu sehen, denn ich bin bald in dem Zustande, daß ich für lauter Materie nicht mehr schreiben kann, bis wir uns wiedergesehen und recht ausgeschwätzt haben.
Poetisches hat mir die Reise nichts eingetragen, als daß ich den Schluß meines epischen Gedichts vollkommen schematisirt habe. Schreiben Sie mir was Ihnen indessen die Muse gegönnt hat. Grüßen Sie Ihre liebe Frau und sagen mir wie die Kleinen sich befinden.
Mit dem Buche das mir Rath Schlegel mitbrachte, geht es mir wunderlich. Nothwendig muß es einer der damals gegenwärtigen Freunde eingesteckt haben, denn ich habe es nicht wieder gesehen und deßhalb auch vergessen; ich will sogleich herumschicken um zu erfahren wo es steckt. Wenn Sie Schlegeln sehen, so sagen Sie ihm daß ich ihm ein Compliment von einer recht schönen Frau zu bringen habe, die sich sehr lebhaft für ihn zu interessiren schien.
G.
H 266 | S 267 | B 268
Leipzig, den 1. Januar 1797
Ehe ich von hier weggehe muß ich noch ein Lebenszeichen von mir geben, und kürzlich meine Geschichte melden. Nachdem wir am 28sten December uns durch die Windweben auf dem Ettersberge durchgewürgt hatten und auf Buttelstädt gekommen waren, fanden wir recht leidliche Bahn und übernachteten in Rippach. Am 29sten früh um 11 Uhr waren wir in Leipzig und haben der Zeit eine Menge Menschen gesehen, waren meist Mittag und Abends zu Tische geladen und ich entwich mit Noth der einen Hälfte dieser Wohlthat. Einige recht interessante Menschen haben sich unter der Menge gefunden, alte Freunde und Bekannte habe ich auch wieder gesehen, so wie einige vorzügliche Kunstwerke, die mir die Augen wieder ausgewaschen haben.
Nun ist noch heute ein saurer Neujahrstag zu überstehen, indem früh Morgens ein Cabinet besehen wird, Mittags ein großes Gastmahl genossen, Abends das Concert besucht wird, und ein langes Abendessen darauf gleichfalls unvermeidlich ist. Wenn wir nun so um 1 Uhr nach Hause kommen, steht uns, nach einem kurzen Schlaf, die Reise nach Dessau bevor, die wegen des eingefallenen starken Thauwetters einigermaßen bedenklich ist; doch wird auch das glücklich vorübergehen.
So sehr ich mich freue nach dieser Zerstreuung bald zu Ihnen in die Jenaische Einsamkeit zurückzukehren, so lieb ist mir’s, daß ich einmal wieder so eine große Menschenmasse sehe, zu der ich eigentlich gar kein Verhältniß habe. Ich konnte über die Wirkung der belletristischen, positiven und polemischen Schriften manche gute Bemerkung machen, und das versprochene Gegenmanifest wird nicht um desto schlimmer werden.
Leben Sie recht wohl. Da wir schon morgen nach Dessau gehen, so scheint es daß die Reise überhaupt nicht gar zu lange dauern wird.
Sagen Sie Herrn von Humboldt daß ich Doctor Fischern gesehen habe, und daß er mir recht wohl gefallen hat. Die Kürze der Tage und das äußerst böse Thauwetter hindern mich übrigens meinen Aufenthalt so gut zu nutzen wie ich wohl wünschte; doch findet man zufällig manches was man sonst vergebens sucht. Leben Sie nochmals wohl, vergnügt und fleißig.
G.
H 265 | S 266 | B 267
[Weimar, den 27. Dezember 1796]
Durch Zufall ist die erste Seite leer geblieben.
Ihr Paket erhalte ich zu einer Zeit, da ich so äußerst zerstreut bin, daß ich weder die Sache, wie sie verdient, überdenken, noch darüber etwas beschließen kann. Lassen Sie mich also nur vorläufig eine ohngefähre Meinung sagen und übereilen Sie nichts. Der Gegner hat sich zu seiner Replik alle Zeit genommen, lassen Sie uns ja, da uns kein Termin zwingt, den Vorteil der reifsten Überlegung nicht leidenschaftlich aus der Hand geben. Sie ist um desto nötiger als die Sache prosaisch verhandelt werden soll, und das erste Wort ist von der größten Bedeutung. Meo voto müßte unsere Prosa so ästhetisch als möglich sein, ein rednerischer, juristischer, sophistischer Spaß, der durch seine Freiheit und Übersicht der Sache wieder an die Xenien selbst erinnerte. Ihr Aufsatz scheint mir zu ernsthaft und zu gutmüthig. Sie steigen freiwillig auf den Kampfplatz, der dem Gegner bequem ist, Sie kontestieren litem und lassen sich ein, ohne von den Exzeptionen Gebrauch zu machen, die so schön bei der Hand liegen. Flüchtig betrachtet sehe ich die Sache so an:
Ein ungenannter Herausgeber von zwei Journalen greift einen genannten Herausgeber von einem Journal und einem Almanach deshalb an, daß er in eigenen Gedichten verläumdet und als Mensch angegriffen worden sei.
Nach meiner Meinung muß man ihn bei dieser Gelegenheit aus seinem bequemen Halbincognito heraustreiben und zuerst von ihm verlangen, daß er sich auf seinen Journalen nenne, damit man doch auch seinen Gegner kennen lerne; zweitens, daß er die Gedichte wieder abdrucken lasse, die er auf sich zieht, damit man wisse wovon die Rede sei und worüber gestritten wird. Diese beiden Präliminarfragen müssen erst erörtert sein, ehe man sich einläßt, sie inkommodieren den Gegner aufs äußerste und er mag sich benehmen, wie er will, so hat man Gelegenheit, ihn zu persiflieren, die Sache wird lustig, die Zeit wird gewonnen, es erscheinen gelegentlich noch mehrere Gegner denen man immer beiher etwas abgeben kann, das Publikum wird gleichgültig, und wir sind in jedem Sinne im Vortheil.
Ich finde auf der Reise gewiß so viel Humor und Zeit um einen solchen Aufsatz zu versuchen, da wir Freunde haben die sich für uns interessieren so lassen Sie uns nicht unberathen zu Werke gehen. Seitdem ich Ihnen jene Bemerkungen über die Elegie danke, habe ich manches erfahren und gedacht, und ich wünsche Ihnen bei der gegenwärtigen
[Rest des Briefes fehlt; nicht bei H, zitiert nach S.]
H – | S 265 | B 266
Jena, den 25. Dezember 1796
Das heutige Paket ist schon vorgestern dem Botenmädchen zugestellt worden, und heute erhalte ich es zurück, weil sie des Wassers wegen nicht fort konnte. Dieser Aufschub ist mir doppelt unangenehm, wie Sie aus dem Inhalt abnehmen werden.
Reichardt hat sich nun geregt, und gerade so wie ich erwartete hatte; er will es bloß mit mir zu thun haben und Sie zwingen, sein Freund zu scheinen. Da er sich auf dieses Trennungssystem ganz verläßt, so scheint’s mir nöthig, ihn gerade durch die unzertrennlichste Vereinigung zu Boden zu schlagen. Ignoriren darf ich seinen insolenten Angriff nicht, wie Sie selber sehen werden; die Replique muß schnell und entscheidend seyn. Ich sende Ihnen hier das Concept, ob es Ihnen so recht ist. Sowohl Ihre Abreise als die Nothwendigkeit, bald mit der Gegenwantwort aufzutreten, macht die Resolution dringend; daher bitte ich Sie um recht baldige Antwort. Wollen Sie selbst noch etwas thun, so wird es mir desto lieber seyn, und ihm desto sicherer den Mund stopfen.
Wegen der Besuche in Leipzig schreibt Ihnen Humboldt selbst.
Ihr längeres Ausbleiben ist mir sehr unangenehm: möchte es nur Ihre jetzige schöne Thätigkeit nicht zu lang unterbrechen!
Boie wird durch Ihr Geschenk sich in reichem Maße geehrt und belohnt finden.
Knebel war bei mir und hat mir auch die Schottländer gebracht, die ganz gute Leute scheinen. Knebel erzählte mir auch viel von den optischen Unterhaltungen mit Ihnen; es freut mich, daß Ihre Mittheilung gegen ihn die Sache mehr in Bewegung brachte. Seine Idee, daß Sie das Ganze in einige Hauptmassen ordnen möchten, scheint mir nicht übel; man würde so schneller zu bestimmten Resultaten geführt, da man bei einer künstlicheren Technik des Werks die Befriedigung erst am Ende findet. Auf Ihre Vorrede bin ich jetzt sehr begierig und hoffe sie noch vor Ihrer Abreise zu erhalten.
Leben Sie recht wohl. Alles grüßt herzlich und wünscht Ihnen viel Unterhaltung auf dieser Reise.
Sch.
H 264 | S 264 | B 265
Weimar, den 21. Dezember 1796
Das Werk der Frau von Stael ist angekommen und soll wieder zurückkehren, sobald die Neugierde der Freunde befriedigt ist. Sie werden Knebeln bei sich sehen und ihn ganz munter finden; er hilft mir, auf eine sehr freundschaftliche Weise, gegenwärtig an meinem optischen Wesen fort. Ich zeichne jetzt die Tafeln dazu, und sehe daran, da sich alles verengt, eine mehrere Reise. Einen flüchtigen Entwurf zur Vorrede habe ich gemacht; ich communicire ihn nächstens, um zu hören ob die Art, wie ich’s genommen habe, Ihren Beifall hat.
Boie’s Brief kommt zurück; es ist mir sehr angenehm, daß er mir den Cellini abtritt; ich will ihm etwa ein gutes Exemplar meines Romans dagegen geben und einen freundlichen Brief dazu schreiben.
Es freut mich sehr, daß die Elegie bei Körner gut gewirkt hat. Im ganzen bin ich aber überzeugt, daß Ihre Bemerkung richtig ist, daß sie nämlich öffentlich noch zu früh käme; ich bin auch privatim sehr sparsam damit umgegangen.
Den dritten Feiertag gehe ich mit dem Herzog nach Leipzig. Sagen Sie es außer Humboldt niemand und fragen Sie diesen Freund, ob er mir außer Professor Ludwig und Magister Fischer noch jemand zu sehen empfiehlt? Da wir wahrscheinlich auch auf Dessau gehen, so kommen wir unter zwölf bis vierzehn Tagen nicht zurück; wünschten Sie also vor meiner Abreise noch etwas von mir, so haben Sie die Güte mir es bald zu sagen.
Da mein armes Subject auf dieser Tour, besonders physisch, manches zu leiden haben wird, so hoffe ich, durch mancherlei neue Objecte bereichert zu werden.
Meine Fisch- und Wurmanatomie hat mir in diesen Tagen auch wieder einige sehr fruchtbare Ideen erregt.
Leben Sie recht wohl und thätig ins neue Jahr hinein, und fahren Sie fort in dem dramatischen Felde Platz zu gewinnen. Wenn nur nicht auch der Januar hingeht ohne daß wir uns sehen. Leben Sie indessen recht wohl.
Schlegels werden wahrscheinlich von einem großen, völlig literarischen Gastmahl erzählen, dem sie beigewohnt haben.
G.
H 263 | S 263 | B 264
Jena, den 18. Dezember 1796
Boie hat geantwortet, ich lege seinen Brief bei; da er für das Original des Cellini nichts scheint annehmen zu wollen, so werden Sie sich wohl selbst auf irgend eine Art mit ihm erklären müssen.
Mad. Stael habe ich noch nicht zu Ende lesen können, da ich in den wenigen Stunden, wo ich an solch ein Buch kommen kann, allemal gestört worden. Um aber die andern Freunde nicht warten zu lassen, sende ich’s Ihnen morgen mit dem Botenmädchen. Sie theilen mir die Schrift dann wohl wieder mit, wenn sie die Tour gemacht hat.
Körnern und seine Familie hat Ihre Elegie sehr lebhaft interessirt. Sie wissen nicht genug davon zu erzählen, und Ihrem epischen Gedichte sehen sie mit unbeschreiblicher Sehnsucht entgegen.
Leben Sie recht wohl. Ich schreibe in der Eile.
Sch.
H 262 | S 262 | B 263
Weimar, den 17. Dezember 1796
Daß es mit Wallenstein so geht, wie Sie schreiben, ist in der Regel, und ich habe desto mehr Hoffnung darauf, da er sich nun selbst zu produciren anfängt, und ich freue mich den ersten Act nach dem neuen Jahre anzutreffen. Eher werde ich aber auch nicht kommen, da mir noch eine Reise bevorsteht, von der ich das weitere melde, sobald sie gewiß ist.
Die Optica gehen vorwärts, ob ich sie gleich jetzt mehr als Geschäft, denn als Liebhaberei treibe; doch sind die Acten dergestalt instruirt, daß es nicht schwer wird daraus zu referiren. Knebel nimmt Antheil daran, welches mir von großem Vortheil ist, damit ich nicht allein mir selbst sondern auch andern schreibe. Übrigens ist und bleibt es vorzüglich eine Übung des Geistes, eine Beruhigung der Leidenschaften und ein Ersatz für die Leidenschaften, wie uns Frau von Stael umständlich dargethan hat.
Schicken Sie mir doch dieses Buch bald zurück; jedermann verlangt darnach. Im Merkur ist schon Gebrauch davon gemacht. Diderot können Sie länger behalten; es ist ein herrliches Buch und spricht fast noch mehr an Dichter, als an den bildenden Künstler, ob es gleich auch diesem oft mit gewaltiger Fackel vorleuchtet.
Leben Sie wohl, grüßen Sie alles; unsere Eisbahn ist sehr lustig. Jakobi ist bei mir; er hat sich recht wacker ausgebildet. Nächstens mehr.
G.
H 260 | S 261 | B 262
[Jena, den 16. December 1796]
Der December geht nach und nach vorbei und Sie kommen nicht. Ich fürchte bald, daß wir einander vor dem sieben und neunzigsten Jahr nicht wieder sehen werden. Mich freut übrigens zu hören, daß Sie die Optica ernstlich vorgenommen; denn mir däucht, man kann diesen Triumph über die Widersacher nicht frühe genug beschleunigen. Für mich selbst ist es mir angenehm, durch Ihre Ausführung in dieser Materie klar zu werden.
Meine Arbeit rückt mit lebhaftem Schritt weiter. Es ist mir nicht möglich gewesen, so lange wie ich anfangs wollte, die Vorbereitung und den Plan von der Ausführung zu trennen. Sobald die festen Punkte einmal gegeben waren, und ich überhaupt nur einen sichern Blick durch das Ganze bekommen, habe ich mich gehen lassen, und so wurden, ohne daß ich es eigentlich zur Absicht hatte, viele Scenen im ersten Act gleich ausgeführt. Meine Anschauung wird mit jedem Tage lebendiger und eins bringt das andere herbei.
Gegen den Dreikönigs-Tag, denke ich, soll der erste Act, der auch bei weitem der längste wird, so weit fertig seyn, daß Sie ihn lesen können. Denn ehe ich mich weiter hinein wage, möchte ich gerne wissen, ob es der gute Geist ist, der mich leitet. Ein böser ist es nicht, das weiß ich wohl gewiß, aber es giebt so viele Stufen zwischen beiden.
Ich bin, nach reifer Überlegung, bei der lieben Prosa geblieben, die diesem Stoff auch viel mehr zusagt.
Hier die noch restirenden Horenstücke; das bezeichnete bitte an Herrn v. Knebel abgeben zu lassen.
Leben Sie auf’s beste wohl. Bei uns ist alles ziemlich gesund.
Sch.
H 261 | S 260 | B 261
Jena, den 14. Dezember 1796
Ich habe gestern und heute so emsig am Wallenstein gearbeitet, daß ich den gestrigen Botentag ganz aus der Acht ließ und mich auch heute nur im letzten Augenblick an die Post erinnerte.
Meinen besten Dank für Ihre freundschaftliche Verwendung in der bewußten Sache, die mich recht froh für die Zukunft macht. Ich lebe sehr gern mit meiner Schwägerin, und mein Schwager bringt durch seine mir heterogene Art zu seyn, die doch wieder ein Ganzes für sich ist, eine interessante Verschiedenheit in meinen Zirkel.
Auch für die Terpsichore danke schönstens.
Seien Sie herzlich von uns allen gegrüßt.
Sch.
H 259 | S 259 | B 260
Weimar, den 14. Dezember 1796
Nur zwei Worte für heute, da meine Optica mir den ganzen Morgen weggenommen haben. Mein Vortrag reinigt sich immer mehr und das Ganze simplicirt sich unglaublich, wie es natürlich ist, da eigentlich Elementarerscheinungen abgehandelt werden.
Den sonntägigen Brief habe ich erhalten und Gebrauch davon gemacht; ich vermuthe daß er die Sache entscheiden wird, wozu ich zum voraus Glück wünsche. Leben Sie recht wohl. Hier sende ich noch Titelkupfer; mag die flinke Terpsichore zum Verdruß ihrer Widersacher noch weiter in die Welt hinein springen.
G.
H 258 | S 258 | B 259
Jena, den 12. Dezember 1796
Hier kommt das eilfte Horenstück. Mit dem Botenmädchen sende ich morgen den Rest. Ich bitte Sie nun, von dem Titelkupfer des Almanachs noch so geschwind als möglich hundert und fünfzig Abdrücke mache zu lassen, wozu ich Papier sende. Gar sehr wünschte ich, daß ich Freitag früh entweder alles oder doch die Hälfte davon erhalten könnte.
Leider habe ich durch Schlaflosigkeit und fatales Befinden wieder etliche schöne Tage für meine Geschäfte verloren.
Dafür bin ich gestern über Dierot gerathen, der mich recht entzückt und meine innersten Gedanken bewegt hat. Fast jedes Dictum ist ein Lichtfunken, der die Geheimnisse der Kunst beleuchtet, und seine Bemerkungen sind so sehr aus dem Höchsten und aus dem Innersten der Kunst, daß sie auch alles was nur damit verwandt ist beherrschen, und eben sowohl Fingerzeige für den Dichter als für den Maler sind. Gehört die Schrift nicht Ihnen selbst zu, daß ich sie länger behalten und wieder bekommen kann, so werde ich sie mir verschreiben.
Da ich zufällig an den Diderot zuerst gerathen, so bin ich noch nicht weiter an der Stael’schen Schrift; beide Werke sind mir aber jetzt ein rechtes Geistesbedürfniß, weil meine eigene Arbeit, in der ich ganz lebe und leben muß, meinen Kreis so sehr beschränkt.
Hier etwas von dem Neuesten über die Xenien. Ich werde, wenn der Streit vorbei ist, Cotta vermögen, alles was gegen die Xenien geschrieben worden, auf Zeitungspapier gesammelt drucken zu lassen, daß es in der Geschichte des deutschen Geschmacks ad Acta kann gelegt werden.
Auf die neue Auflage sind jetzt so viele Bestellungen gemacht, daß sie bezahlt ist. Selbst hier herum, wo so viel Exemplare zerstreut worden, werden noch nachgekauft.
Agnes von Lilien macht allgemeines Glück und mein ehemaliger Schwager Beilwitz nebst seiner Frau haben es mit einem ganz erstaunlichen Interesse und Bewunderung zusammen gelesen, welche sie herzlich verdrießen wird, wenn sie das Wahre erfahren sollten.
Leben Sie recht wohl; alle Freunde grüßen und umarmen Sie aufs herzlichste.
Sch.
N. S.
Stellen Sie sich vor, daß Cotta die erste Kupferplatte, die Sie über Frankfurt an ihn geschickt, den 4. December noch nicht gehabt, und vielleicht auch jetzt noch nicht hat. Die zweite später abgegangene ist bei ihm angelangt.
H 176 | S 257 | B 258
Jena, den 10. Dezember 1796
Es sollte mich recht freuen, meinen Schwager in Weimar angestellt zu wissen, besonders seiner eigenen Ausbildung wegen. Er hat Kopf und hat Charakter und das einzige, woran es ihm bis jetzt noch fehlte, war ein bildender Einfluß von außen und eine feste Bestimmung für seine Fähigkeit. Beides findet er in Weimar, und Sie selbst werden, wenn Sie ihn näher kennen, nicht ungern auf ihn wirken.
In Stuttgart fehlte es ihm seit dem Tod des Herzogs Karl, der viel auf ihn gehalten, an einer bestimmten und würdigen Beschäftigung, da er nur eine leere Hofstelle bekleidet und doch Kraft und Willen zu etwas Besserm in sich fühlt. Wenn ihm in Weimar nur der Punkt gezeigt wird, worauf er seine Fähigkeit richten soll, so wird er es mit Ernst tun und gewiß nichts Gemeines leisten. Er leibt unsern Herzog persönlich und wird sich darum doppelte Mühe geben, seine Achtung zu verdienen. Es ist nicht unbedeutend zu erwähnen, daß er sich für die Welt und für die Kunst zugleich gebildet hat, also à deux mains zu gebrauchen ist; für die Kunst ist er freilich noch lange nicht ausgebildet, aber er hat gewiß einen guten Grund darin gelegt.
Für seinen übrigen Charakter stehe ich, wie man überhaupt für jemand stehen kann. Ich habe ziemlich lange und in einer gewissen Suite mit ihm gelebt und bin, je länger ich ihn kenne, immer zufriedener mit ihm gewesen, denn er ist wirklich mehr als er scheint. Seine Bescheidenheit und gründliche Rechtschaffenheit wird ihn dem Herzog gewiß empfehlen.
Leben Sie wohl für heute. Diderots Schrift wird uns manchen Stoff zum Gespräch geben, wie ich merke; einiges was ich zufällig aufgeschlagen, ist doch trefflich.
Sch.
[Nicht bei H, zitiert nach S.]
H – | S 256 | B 257
Weimar, den 10. Dezember 1796
Für das übersendete Exemplar zweiter Ausgabe danke ich schönstens; sie nimmt sich recht gut aus und wird wahrscheinlich nicht liegen bleiben.
Daß Sie sich der Elegie erfreuen, thut mir sehr wohl; ich vermuthe daß einige Gesellen bald nachfolgen werden. Was das Drucken betrifft, darüber bleibt Ihnen das Urtheil ganz anheim gestellt; ich bin auch zufrieden daß sie noch ruht. Ich werde sie indeß in der Handschrift Freunden und Wohlwollenden mittheilen; denn ich habe aus der Erfahrung, daß man zwar bei entstandenem Streit und Gährung seine Feinde nicht bekehren kann, aber seine Freunde zu stärken Ursache hat.
Man hat mir wissen lassen daß nächstens etwas für den Almanach erscheinen werde, in welcher Form und in welchem Gehalt ist mir unbekannt. Überhaupt, merke ich, wird es schon Buchhändlerspeculation pro oder contra etwas drucken zu lassen. Das wird eine schöne Sammlung geben! Von dem edlen Hamburger, dessen Exercitium ich hier zurückschicke, wird es künftig heißen:
Auch erscheint ein Herr F* rhetorisch, grimmig, ironisch,
Seltsam geberdet er sich, plattdeutsch, im Zeitungsformat.
Eine schnelle Übersetzung des Stael’schen Werks ist zu vermuthen, und ich weiß nicht ob man daher einen Auszug wagen soll. Nutzt doch am Ende jeder eine solche Erscheinung auf seine Weise. Vielleicht nähme man nur wenig heraus, wodurch man dem Publico und jenem Verleger den Dienst thäte, daß jedermann schnell darauf aufmerksam würde.
Die Art, wie Voß sich beim Almanach benimmt, gefällt mir sehr wohl; auf seine Ankunft freue ich mich recht sehr.
Auf meinen gestrigen Brief erwarte ich eine baldige Antwort. Diderots Werk wird Sie gewiß unterhalten. Leben Sie recht wohl, grüßen alles, und erhalten mir Ihre so wohl gegründete Freundschaft und Ihre so schön gefühlte Liebe, und seyn Sie das gleiche von mir überzeugt.
G.
H 256 | S 255 | B 256
Jena, den 9. Dezember 1796
Dank Ihnen für das vorgestern Übersendete. Die Elegie macht einen eigenen tiefen rührenden Eindruck, der keines Lesers Herz, wenn er eins hat, verfehlen kann. Ihre nahe Beziehung auf eine bestimmte Existenz gibt ihr noch einen Nachdruck mehr, und die hohe schöne Ruhe mischt sich darin so schön mit der leidenschaftlichen Farbe des Augenblicks. Es ist mir eine neue trostreiche Erfahrung, wie der poetische Geist alles Gemeine der Wirklichkeit so schnell und so glücklich unter sich bringt, und durch einen einzigen Schwung, den er sich selbst gibt, aus diesen Banden heraus ist, so daß die gemeinen Seelen ihm nur mit hoffnungsloser Verzweiflung nachsehen können.
Das Einzige gebe ich Ihnen zu bedenken, ob der gegenwärtige Moment zur Bekanntmachung des Gedichts auch ganz günstig ist? In den nächsten zwei, drei Monaten fürchte ich, kann bei dem Publicum noch keine Stimmung erwartet werden, gerecht gegen die Xenien zu seyn. Die vermeintliche Beleidigung ist noch zu frisch; wir scheinen im Tort zu seyn, und diese Gesinnung der Leser wird sie verhärten. Es kann aber nicht fehlen, daß unsere Gegner, durch die Heftigkeit und Plumpheit der Gegenwehr, sich noch mehr in Nachtheil setzen, und die Bessergesinnten gegen sich aufbringen. Alsdann denke ich würde die Elegie den Triumph erst vollkommen machen.
Wie wenig man seinen Köcher gegen uns noch erschöpft habe, werden Sie aus beiliegendem Zeitungsblatt, das der Hamburgischen neuen Zeitung angehängt und mir von Hamburg überschickt worden ist, abermals ersehen. Die Verfahrungsart in dieser Repartie wäre nicht unklug ausgedacht, wenn sie nicht so ungeschickt wäre ausgeführt worden. Ob vielleicht Reichardt – oder Baggesen? – dahinter steckt?
Was Sie in Ihrem letzten Brief über die nähern und entfernteren Vortheile solcher Zänkereien mit den Zeitgenossen sagen, mag wohl wahr seyn; aber die Ruhe muß man freilich und die Aufmunterung von außen dabei missen können. Bei Ihnen übrigens ist dies blos ein inneres, aber gewiß kein äußeres Bedürfniß. Ihre so einzige, isolirt dastehende und energische Individualität fordert gleichsam diese Übung; sonst aber wüßte ich wahrlich niemand, der seine Existenz in der Nachwelt weniger zu assecuriren brauchte.
Die Staelische Schrift habe ich erst heute zur Hand nehmen können; sie hat mich aber auch gleich durch einige treffliche Ideen angezogen. Ob für die Horen etwas damit zu machen seyn wird, zweifle ich wieder, weil ich vor einigen Tagen eine Übersetzung davon, die durch die Verfasserin selbst soll veranlaßt worden seyn, als ganz nah erscheinend habe ankündigen hören.
Hier lege ich auch ein Exemplar der neuen Ausgabe des Almanachs bei, nebst einem Brieflein von Voß.
Möge die Muse mit ihren schönsten Gaben bei Ihnen seyn und ihrem herrlichen Freund seine Jugend recht lange bewahren! Ich bin noch immer in der Elegie; jedem, der nur irgend eine Affinität zu Ihnen hat, wird Ihre Existenz, Ihr Individuum darin so nahe gebracht.
Ich umarme Sie von ganzem Herzen.
Sch.
H 255 | S 254 | B 255
Weimar, den 9. Dezember 1796
Der Wunsch Ihres Schwagers der anfangs abgelehnt worden war, kommt wieder und zwar durch den Herzog von Weimar zur Sprache. Die Erklärung, daß Wollzogen mit einer mäßigen Besoldung und dem letzten Platz in der Kammer zufrieden seyn wolle, macht die Gewährung eher möglich, da man ihm überhaupt nicht abgeneigt ist.
Da nun die Sache wieder an mich kommt, so finde ich in allen Rücksichten Ursache sie zu begünstigen; ich habe unter andern den Auftrag mich bei Ihnen näher um seinen moralischen Charakter zu erkundigen. Nun muß ich aber gestehen, es ist mit dem, was man moralischen Charakter nennt, eine eigene Sache; wer kann sagen wie sich jemand in einem neuen Verhältniß benehmen werde? Mir ist hierin genug daß Sie mit ihm in einem guten Verhältnisse stehen und daß Sie seine Nähe wünschen, beides beweist mir daß Sie Gutes von ihm denken und daß Sie glauben, daß man, indem man ihn anstellt, gut mit ihm fahren werde. Indessen haben Sie die Güte mir etwas über ihn zu schreiben, das ihn und sein Wesen näher bezeichnet und das ich vorlegen kann; lassen Sie aber in jedem Sinne ein Geheimniß bleiben, daß hierüber etwas unter uns verhandelt worden ist. Leben Sie recht wohl, es sollte mich sehr freuen, wenn auch Ihnen durch diese Annäherung eines Verwandten ein neues Gute zuwüchse.
G.
Man schreibt Catharina sei endlich auch vom Throne ins Grab gestiegen. [Nicht bei H.]
H 254 | S 253 | B 254
Weimar, den 7. Dezember 1796
Das Werk der Madame Stael liegt hiebei; es wird Sie gewiß erfreuen. Den Gedanken es für die Horen zu nutzen habe ich auch schon gehabt; es ließe sich vielleicht machen, daß man aus dem ganzen die eminentesten Stellen aushübe und sie in einer Folge hinstellte. Lesen Sie deshalb das Werk mit dem Bleistift in der Hand und streichen an, und bitten Sie Herrn von Humboldt um ein gleiches, dadurch erhält meine Wahl eine schnellere Bestimmung; sobald ich es zurück erhalte, kann ich anfangen. Eine Sendung Cellini ist fertig, wenn Sie derselben bedürfen.
Sie finden auch wieder eine Elegie, der ich Ihren Beifall wünsche. Indem ich darin mein neues Gedicht ankündige, gedenke ich damit auch ein neues Buch Elegien anzufangen. Die zweite wird wahrscheinlich die Sehnsucht ein drittesmal über die Alpen zu gehen enthalten, und so werde ich weiter, entweder zu Hause, oder auf der Reise fortfahren.
Mit dieser, wünschte ich, eröffneten Sie das neue Jahr der Horen, damit die Menschen durchaus sehen, daß man auf alle Weise fest steht und auf alle Fälle gerüstet ist.
Den Dyk’schen Ausfall habe ich, da ich die Deutschen so lange kenne, nicht besonders gefunden; wir haben dergleichen noch mehr zu erwarten. Der Deutsche sieht nur Stoff, und glaubt wenn er gegen ein Gedicht Stoff zurückgäbe, so hätte er sich gleichgestellt; über das Sylbenmaß hinaus erstreckt sich ihr Begriff von Form nicht.
Wenn ich aber aufrichtig sein soll, so ist das Betragen des Volks ganz nach meinem Wunsche; denn es ist eine nicht genug gekannte und geübte Politik, daß jeder, der auf einigen Nachruhm Anspruch macht, seine Zeitgenossen zwingen soll, alles was sie gegen ihn in petto haben, von sich zu geben. Den Eindruck davon vertilgt er durch Gegenwart, Leben und Wirken jederzeit wieder. Was half’s manchen bescheidnen, verdienstvollen und klugen Mann, den ich überlebt habe, daß er durch unglaubliche Nachgiebigkeit, Unthätigkeit, Schmeichelei,Rücken und Zurechtlegen, einen leidlichen Ruf zeitlebens erhielt? Gleich nach dem Tode sitzt der Advocat des Teufels neben dem Leichnam, und der Engel, der ihm Widerpart halten soll, macht gewöhnlich eine klägliche Gebärde.
Ich hoffe daß die Xenien auf eine ganze Weile wirken und den bösen Geist gegen uns in Thätigkeit erhalten sollen; wir wollen indessen unsere positiven Arbeiten fortsetzen und ihm die Qual der Negation überlassen. Nicht eher als bis sie wieder ganz ruhig sind und sicher zu seyn glauben, müssen wir, wenn der Humor frisch bleibt, sie noch einmal recht aus dem Fundament ärgern.
Lassen Sie mir so lange als möglich die Ehre als Verfasser der Agnes zu gelten. Es ist recht Schade, daß wir nicht in dunklern Zeiten leben; denn da würde die Nachwelt eine schöne Bibliothek unter meinem Namen aufzustellen haben. Neulich versicherte mich jemand, er habe eine ansehnliche Wette verloren, weil er mich hartnäckig für den Verfasser des Herrn Starke gehalten.
Auch mir geht ein Tag nach dem andern, zwar nicht unbeschäftigt, doch leider beinahe unbenutzt herum. Ich muß Anstalt machen meine Schlafstelle zu verändern, damit ich morgens vor Tage einige Stunden im Bette dictiren kann. Möchten Sie doch auch eine Art und Weise finden, die Zeit, die nur eigentlich höher organisirten Naturen kostbar ist, besser zu nutzen. Leben Sie recht wohl und grüßen alles, was Sie umgibt.
G.
H 253 | S 252 | B 253
Jena, den 6. Dezember 1796
Ich habe einige Tage wieder durch schlechtes Schlafen beinahe ganz verloren und mich dadurch in meiner Arbeit, die sonst ganz gut vorrückt, sehr unangenehm unterbrochen gesehn. Freilich reizt eine solche Beschäftigung, wie meine gegenwärtige, die empfindliche, kränkliche Natur stärker, eben weil sie den ganzen Menschen mehr und anhaltender bewegt.
Vorgestern hatte ich eine halbe Hoffnung, Sie vielleicht hier zu sehen. Die neue Verzögerung thut mir sehr leid. Wenn Sie alsdann nur auch länger bleiben können.
Das schmutzige Product gegen uns, dessen Verfasser M. Dyk in Leipzig sein soll, ist mir schon vor einigen Tagen in die Hand gekommen. Ich hoffte es sollte Ihnen unbekannt bleiben. Die Empfindlichkeit gewisser Leute kann freilich keinen noblern Ausbruch nehmen; aber es ist doch bloß in Deutschland möglich, daß böser Wille und Rohheit darauf rechnen dürfen, durch eine solche Behandlung geachteter Namen nicht alle Leser zu verscherzen. Man sollte doch da, wo keine Scham ist, auf eine Furcht rechnen können, die diese Sünder im Zügel hielte; aber die Polizei ist so schlecht bestellt, wie der Geschmack
Das unangenehme an der Sache ist dieses, daß die wohlweisen Herren Moderatisten, so wenig sie auch ein solches Product in Schutz nehmen können, doch triumphiren und sagen werden, daß unser Angriff darauf geführt habe, und daß das Scandal durch uns gegeben sey.
Sonst sind übrigens diese Distichen die glänzendste Rechtfertigung der unsern, und wer es jetzt noch nicht merkt, daß die Xenien ein poetisches Product sind, dem ist nicht zu helfen. Reinlicher konnte die Grobheit und die Beleidigung von dem Geist und dem Humor nicht abdistillirt werden als hier geschehen ist, und die ganze Dyk’sche Partei sieht sich nun in dem Nachtheil, daß sie gerade in dem einzigen, was sie uns allenfalls hätte vorwerfen können, unendlich weiter gegangen ist. Ich bin doch begierig, ob sich nicht von selbst einige Stimmen auch für die Xenien erheben werden; denn wir können freilich auf so etwas nichts erwiedern.
Die Schrift der Mad. Stael erwarte ich mit Begierde. den Horen würde es eine vortheilhafte Veränderung geben, wenn wir das pikanteste und gehaltreichste daraus nähmen.
Mit der Agnes von Lilien werden wir, scheint es, viel Glück machen; denn alle Stimmen, die ich hier darüber hören konnte, haben sich dafür erklärt. Sollten Sie es aber denken, daß unsre großen hiesigen Kritiker, die Schlegels, nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß das Product von Ihnen sey? Ja die Madame Schlegel meinte, daß Sie noch keinen so reinen und vollkommenen weiblichen Charakter erschaffen hätten, und sie gesteht, daß ihr Begriff von Ihnen sich durch dieses Product noch mehr erweitert habe. Einige scheinen ganz anders davon erbaut zu seyn, als von dem vierten Bande des Meister. Ich habe mich bis jetzt noch nicht entschließen können, diese selige Illusion zu zerstören.
Leben Sie recht wohl, und lassen Sie sich weder durch dieses unerwartete Geschenk noch durch jene Insolenz in Ihrer Ruhe stören. Was ist, ist doch und was werden soll, wird nicht ausbleiben.
Herzlich grüßen wir Sie alle.
Sch.
H 252 | S 251 | B 252
Weimar, den 5. Dezember 1796
Eine sehr schöne Eisbahn bei dem herrlichen Wetter hat mich abgehalten Ihnen diese Tage zu schreiben und ich sage Ihnen noch am Abend eines sehr heitern Tages einige Worte.
Das Werk der Frau von Stael, wovon Ihnen Herr von Humboldt wird gesagt haben, kommt in einigen Tagen. Es ist äußerst interessant zu sehen wie eine so höchst passionirte Natur, durch das grimmige Läuterfeuer einer solchen Revolution, an der sie so viel Antheil nehmen mußte, durchgeht und, ich möchte sagen, nur das geistreichmenschliche an ihr übrig bleibt. Vielleicht ließ1) sich eine Art von Auszug der höchsten Sprüche in einer Folge machen und für die Horen gebrauchen, vielleicht nähme man nur ein einzeln Capitel, aber bald; denn zu Ostern ist die Übersetzung gewiß da. Hierüber überlasse ich Ihnen das Urtheil.
Ob ich gleich vermuthe, daß der böse Wille unserer Gäste auch Exemplare nach Jena geschafft haben wird, so schick’ ich doch hier das meinige. Es ist lustig zu sehn, was diese Menschenart eigentlich geärgert hat, was sie glauben, daß einen ärgert, wie schal, leer und gemein sie eine fremde Existenz ansehen, wie sie ihre Pfeile gegen das Außenwerk der Erscheinung richten, wie wenig sie auch nur ahnen, in welcher unzugänglichen Burg der Mensch wohnt, dem es nur immer Ernst um sich und um die Sachen ist.
So manche Umstände und Verhältnisse fesseln mich noch hier, da ich jetzt nicht zu Ihnen kommen möchte, ohne wenigstens einige Tage bei Ihnen zu bleiben. Das Theater kommt kaum durch einige gute Stücke und Repräsentationen in den Gang, wobei eine neue Einrichtung bei der Regie meine Gegenwart erfordert.
Auch erwarte ich den jungen Jacobi in diesen Tagen und werde also noch eine Zeit lang Ihrer persönlichen Aufmunterung entbehren müssen.
Übrigens geht alles seinen Gang, und ich habe in manchen Capiteln meiner Studien gute Hoffnung. Grüßen Sie Humboldts recht vielmals und sagen mir bald ein Wort wie Sie sich befinden und wie Ihre Arbeit gelingt.
G.
H 251 | S 250 | B 251