Weimar, den 31. Januar 1798
Geschäfte und Zerstreuungen bringen immer wieder neue Geburten ihrer Art hervor, so daß ich mich fast entschließen möchte nur auf Einen oder ein paar Tage zu Ihnen hinüber zu kommen, weil ich noch keine ruhige Zeitfolge vor mir sehe.
Gestern haben wir eine neue Oper gehört; Cimarosa zeigt sich in dieser Composition als einen vollendeten Meister; der Text ist nach Italiänischer Manier, und ich habe dabei die Bemerkung gemacht, wie es möglich wird daß das Alberne, ja das Absurde sich mit der höchsten ästhetischen Herrlichkeit der Musik so glücklich verbindet. Es geschieht dieses allein durch den Humor; denn dieser, selbst ohne poetisch zu seyn, ist eine Art von Poesie und erhebt uns seiner Natur nach über den Gegenstand. Dafür hat der Deutsche so selten Sinn, weil ihn seine Philisterhaftigkeit jede Albernheit nur ästimiren läßt, die einen Schein von Empfindung oder Menschenverstand vor sich trägt.
Hier schicke ich eine eigne Erscheinung, eine Ankündigung daß ein letzter Abkömmling der alten Nürnberger Meistersänger eine Auswahl seiner Gedichte herausgeben will. Ich kenne schon manches von ihm und habe leider versäumt ihn in Nürnberg selbst zu sehen. Er hat Sachen gemacht von Humor und Natürlichkeit, die leicht in’s reinere Deutsche zu übersetzen wären und deren sich niemand schämen dürfte. Wir erhalten das Buch durch Knebeln, wenn es herauskommt.
Dieser Freund ist nun wieder in Ilmenau angelangt, seine Schöne wird in wenigen Tagen abreisen, um ihm das Joch der Ehe auf den alten steifen Nacken zu legen. Da ich ihm herzlich gut bin, so wünsche ich ihm zu diesem Unterfangen das möglichste Glück.
Von allem Übrigen bald auf ein oder die andere Weise mündlich. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.
G.
Könnten Sie nicht gelegentlich erfahren, ob Justizrath Boie die sechs Bände meiner neuen Schriften erhalten hat, die ich ihm mit Dank für Cellini schon am 6. Juni gesendet habe? Bis jetzt vernahm ich noch nichts von ihm.
H 420 | S 416 | B 416
Jena, den 30. Januar 1798
Für die schönen Neuigkeiten und Curiositäten, die Ihr letzter Brief enthielt, danken wir Ihnen sehr. Sie haben uns an dem ganzen stattlichen Aufzug Theil nehmen lassen, ohne daß uns das Gedränge und der Staub incommodirt hätte.
Die Schrift von Darwin würde wohl in Deutschland wenig Glück machen. Die Deutschen wollen Empfindungen, und je platter diese sind, desto allgemeiner willkommen; aber diese Spielerei der Phantasie mit Begriffen, dieses Reich der Allegorie, die kalte Intellectualität und in Verse gebrachte Gelehrsamkeit kann nur die Engländer in ihrer jetzigen Frostigkeit und Gleichgültigkeit anziehen. Diese Schrift zeigt indeß, welche Function man der Poesie, bei einer großen und respectabeln Volksklasse, anzuweisen pflegt, und gibt den Philistern einen neuen glänzenden Triumph über ihre poetischen Widersacher.
Ich glaube übrigens nicht, daß der Stoff unzulässig und für die Poesie ganz ungeschickt ist. Diese verunglückte Geburt schreibe ich ganz auf Rechnung des Dichters. Wenn man gleich anfangs auf alles sogenannte Unterrichten Verzicht thäte, und bloß die Natur in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, Bewegung und Zusammenwirkung der Phantasie nahe zu bringen suchte, alle natürlichen Erzeugungen mit einer gewissen Liebe und Achtung aufführte, jedem seine selbstständige Existenz respectirte und so weiter, so müßte ein lebhaftes Interesse erregt werden können. Aber aus dem Küchenzettel, den Sie von dem Buche geben, muß ich schließen daß der Verfasser, gerade umgekehrt, das poetische Interesse bloß in der Zuthat, nicht in der Sache selbst zu erwecken gesucht, und daß es mithin das contradictorische Gegentheil eines guten Gedichts ist.
Den Trumpf, womit Sie selbst die Xenien stechen wollen, kann ich wirklich nicht errathen, und um auch nur möglicherweise darauf verfallen zu können, müßte ich wenigstens wissen, ob darin, so wie in den Xenien, einzelne Personen herumgenommen werden sollen, oder ob der Krieg dem Ganzen gilt. In letzteren Fall würde es schwer seyn, eine lebhaftere Bewegung hervorzubringen, als die Xenien erregt haben.
Ihren Bedingungen will ich mich recht gern unterwerfen; nur einen Antheil an der Arbeit selbst würde ich vor Ende Julius, wo der Wallenstein hoffentlich fertig seyn wird, nicht übernehmen können. Ich vermuthe aber aus Ihrem Briefe selbst, daß es keine gemeinschaftliche Unternehmung seyn wird und daß Sie also allein auch alle Kosten der Ausführung haben werden.
Böttiger’s Aufsatz und Herrn von Einsiedel’s Erzählungen würden wir beide zum letzten Horenstücke willkommen seyn; nur müßte ich beide binnen drei Wochen erhalten, und könnte mir Einsiedel gleich jetzt etwas senden, so wäre im vorletzten Horenstück auch noch Platz.
Ihr Gedanke, eine Monatsschrift jahrweise herauszugeben, ist so übel nicht, nur würde der Verleger seine Rechnung nicht dabei finden, weil man nicht gern auf einmal so viel Geld bezahlt. Wie bei den Horen wäre aber die Hauptschwierigkeit immer, wo man die Aufsätze hernehmen sollte; denn es ist merkwürdig daß wir es nicht einmal durch den Reiz eines ungewöhnlich großen Honorars haben dahin bringen können, gewisse Bäche in unser Journal zu leiten, die in andern Journalen um das halbe Geld so ergiebig fließen.
Es thut mir leid, daß Ihre Hieherkunft noch nicht ganz zu bestimmen ist. Vielleicht bringt mir Ihr morgender Brief die Nachricht mit.
Meine Frau grüßt Sie bestens. Leben Sie recht wohl.
Sch.
Dieser Tage hat sich wieder ein neuer Poet angemeldet, der mir gar nicht übel scheint, es müßte mich denn ein gewisser Widerschein Ihres Geistes bestechen, denn dieser scheint viel auf ihn gewirkt zu haben. Ich lege das Gedicht bei, sagen Sie mir doch Ihre Meinung darüber.
H 419 | S 415 | B 415
Weimar, 26./27. Januar
Da ich nicht weiß wie es morgen früh mit mir aussehen wird, so will ich heut Abend ein Blättchen in Vorrath dictiren.
Aus beiliegenden Stanzen werden Sie sich ein Traumbild von dem Aufzuge formiren können, der heute Abend statt haben soll. Sechs schöne Freundinnen belieben sich auf’s beste zu putzen und wir haben, um ja keine Allegorie mehr in Marmor, und wo möglich auch nicht einmal gemalt zu sehen, die bedeutendsten Symbole mit Pappe, Gold- und anderm Papier, Zindel und Lahn, und was alles noch von Stoffen dieser Art zu finden ist, auf das klärste dargestellt.
Der Imagination Ihrer lieben Frau wird es einigermaßen nachhelfen wenn ich nachstehendes Personal hersetze.
Der Friede, Fräulein von Wolfskeel.
Die Eintracht, Frau von Egloffstein und Fräulein von Seckendorf.
Der Überfluß, Frau von Werther.
Die Kunst, Fräulein von Beust.
Der Ackerbau, Fräulein von Seebach.
Hierzu kommen noch sechs Kinder die auch nicht wenig Attribute schleppen müssen, und so hoffen wir mit der größten Pfuscherei, in dem gedankenleersten Raum, die zerstreuten Menschen zu einer Art von Nachdenken zu nöthigen.
Auf dieses Vorspiel paßt die Nachricht vollkommen die ich Ihnen von dem berühmten englischen Gedichte Darwins, der botanische Garten, zu geben gedenke. Ich wünschte nur daß ich Ihnen diese englische Modeschrift, wie sie hier in groß 4°, in Saffian gebunden, vor mir liegt, auch vor Augen stellen könnte. Sie wiegt 5½ Pfund accurat, wie ich mich gestern selbst überzeugt habe. Da nun unsere Taschenbücher ohngefähr eben so viel Loth an Gewicht haben, so möchten wir uns auch von dieser Seite zu den Engländern wie 1 zu 32 verhalten, wenn wir nicht allenfalls durch zwei und dreißig Taschenbücher einen solchen englischen Moderiesen aufzuwiegen im Stande wären. Es ist auf geglättetes Papier prächtig gedruckt, mit wahnsinnig allegorischen Kupfern, von Füeßli, verziert und außerdem noch mit botanischen, antiquarischen Tags- und Liebhaberdarstellungen hie und da geschmückt, hat Einleitungen, Anzeigen des Inhalts, Noten unter dem Text, Noten hinter dem Text, in welchen Naturlehre, Chemie, Naturgeschichte, Erdbeschreibung, Botanik, Fabrik- und Handelswesen, besonders aber Todter und Lebender berühmte Namen auf das beste producirt sind, so daß, von Ebbe und Fluth bis zur sympathetischen Dinte, alles wohl eingesehen und begriffen werden kann.
Bei allen diesen Sonderbarkeiten scheint mir aber doch das sonderbarste: daß in diesem botanischen Werke alles, nur keine Vegetation, zu finden ist. Wenigstens ist dieß von dem ersten Theil desselben beinah buchstäblich wahr. Hier haben Sie den Inhalt des zweiten Gesangs:
Anrede an die Gnomen. Die Erde wird durch einen Vulcan aus der Sonne geworfen; ihre Atmosphäre und Ocean, ihre Reise durch den Thierkreis. Abwechslung Tages und der Nacht, so wie der Jahrszeiten. Uranfängliche glückliche Eilande, Paradies oder goldnes Alter. Venus steigt aus der See. Die ersten großen Erdbeben, feste Länder steigen aus der See; der Mond wird von einem Vulcan ausgeworfen, hat keine Atmosphäre, und ist frostig; die tägliche Bewegung der Erde wird aufgehalten, ihre Axe neigt sich mehr, sie dreht sich mit dem Monde um einen neuen Mittelpunct. Entstehung des Kalksteins durch wässerige Auflösung, Kalkspath, weißer Marmor, antike Statue des Hercules der von seinen Arbeiten ruht, Antinous, Apoll von Belvedere, Venus Medicis, Lady Elisabeth Foster und Lady Melbourn von Herrn Damer. Von Morästen. Woher das Salz der Erde komme? Salzminen bei Krakau. Hervorbringung des Eisens. Herrn Michels Verbesserung künstlicher Magneten. Gebrauch des Stahls bei’m Ackerbau, Schifffahrt und Krieg. Ursprung der Säuren. Woher die Kieselsteine, der Seesand, Gyps, Asbest, Fluß, Onyx, Achat, Mocka, Opal, Saphhir, Rubin, Diamant. Jupiter und Europa. Neue unterirdische Feuer durch Gährung. Der Thon wird hervorgebracht. Porzellanmanufaktur in China, Italien, England, Herrn Wedgwoods Werke zu Etruria, in Staffordshire. Kamee, einen Mohrensclaven in Ketten vorstellend. Die Figuren auf der Portland- oder Barberinivase werden erklärt. Kohlen, Schwefelkies. Naphtha, Obsidian und Ambra. Doctor Franklin’s Erfindung dem Gewitter seine Blitze zu nehmen. Freiheit Amerika’s, Irlands, Frankreichs. Alte unterirdische Centralfeuer. Hervorbringung des Zinns, Kupfer, Zink, Blei, Mercurius, Platina, Gold und Silber. Zerstörung von Mexico. Sclaverei von Afrika, Untergang der Heere des Kambyses, Gnomen wie Sterne an einer Himmelsmaschine. Einbrüchen der See wird Einhalt gethan, Felsen werden bebaut. Die Materie circulirt, die Düngung ist den Pflanzen was der Milchsaft den Thieren. Pflanzen steigen aus der Erde. St. Peter wird aus dem Kerker erlös’t. Wanderungen der Materie. Tod und Auferstehung des Adonis. Entfernung der Gnomen.
Hier haben Sie also das Schema eines Gedichtes! So muß ein Lehrgedicht aussehen, das nicht allein lehren, sondern auch unterrichten sol. Nun können Sie sich denken was für Beschreibungen, für Allegorien, für Gleichnisse in dem Werke herumspuken, und wie das ganze Material auch nicht mit einer Spur von poetischem Gefühl zusammen gebunden ist. Die Verse sind, wie mir scheint, nicht übel und mache Stellen haben eine rhetorische Tournüre, die dem Sylbenmaße angehört. Genug das Detail erinnert einen an so viel englische Dichter die im Didaktischen und Beschreibenden gearbeitet haben. Was mag die englische zerstreute Welt sich nicht an einzelnen Stellen vergnügen, wenn ihr so eine Menge theoretisches Zeug, von dem sie schon so lange summen hörte, nun wieder im bekannten Sylbenmaße vorgesungen wird! Ich habe das Buch erst seit gestern Abend im Hause und finde es wirklich unter meiner Erwartung, denn ich bin Darwin im Grunde günstig. Zwar schon seine Zoonomie — —
So weit war ich gestern gekommen als man mich abrief um Chorführer zu seyn. Es ging alles ganz gut, nur daß auch diesmal, wie bei ähnlichen Fällen, zuletzt der Raum fehlte, sich gehörig zu produciren. Die Frauenzimmer hatten sich recht schön geputzt und die zwölf, theils großen, theils kleinen Figuren, in einem Halbkreise, würden durch ihre verschiedenen Gruppen, auf dem Theater, wo man sie ganz übersehen hätte, eine guten Effect gemacht haben. So ward aber in dem engen Raum alles zusammen gedrängt, und weil jeder recht gut sehen wollte, sah fast niemand. Indessen waren sie doch auch nachher noch einzeln hübsch geputzt, und gefielen sich und andern.
Daß Sie unsere Freundinnen wollen einschlafen lassen war mir nicht ganz unerwartet. Was sagen Sie aber zu dem Gedanken daß man Monatschriften nur auf ein Jahr herausgeben sollte? Man sammelte z. B. 98 und gäbe 99 zwölf Stück, und so fort, wenn man im Gange wäre, vielleicht immer mit einer Pause. Man müßte sich zum Gesetz große Mannigfaltigkeit machen, interessante nicht zu lange Aufsätze, in dem Einen Jahre gewiß alles ganz, und seine Sache so machen daß es am Ende noch als ein ganzes Werk verkauft werden könnte. – Soll ich Böttiger’s Aufsatz noch für Sie besprechen?
Einsiedel hat ein paar Mährchen geschrieben, die artig seyn sollen, ich wollte sie auch zu erhalten suchen.
Für den Almanach habe ich einen Einfall der noch toller ist als die Xenien; was sagen Sie zu dieser anmaßlich scheinenden Versicherung? Ich communicire ihn aber nicht anders als unter gewissen Bedingungen, indem ich mir Redaction dieses abermaligen Anhangs vorbehalte, Ihnen aber zuletzt wie billig die Wahl frei steht ob Sie ihn aufnehmen wollen oder nicht. Ehe man eine Sylbe davon zu drucken anfängt, muß das Ganze, wie ein andres Werk entschieden seyn. Sie werden wenn Sie in der Welt recht herumrathen es zwar schwerlich auffinden, doch vielleicht entdecken sie etwas Ähnliches zum Gebrauch künftiger Zeiten.
Leben Sie recht wohl; das schöne Wetter möchte ich nun gar zu gern in Ihrer Nachbarschaft zubringen. Ich warte nur auf einen Brief von Stuttgart, ob nicht Thouret, den wir zur Decoration des Schlosses verschrieben haben, bald kommen wird.
Lassen Sie uns denn also, wenn es auch in Europa noch etwas bunter zugehen sollte, gerne in diesem Welttheile verweilen.
G.
H 418 | S 414 | B 414
Jena, den 26. Januar 1798
Eben habe ich das Todesurtheil der drei Göttinnen Eunomia, Dike und Irene förmlich unterschrieben. Weihen Sie diesen edeln Todten eine fromme christliche Thräne, die Condolenz aber wird verbeten.
Cotta hatte schon voriges Jahr nur eben die Kosten wieder, und wollte sie auch noch dieses Jahr so vegetiren lassen, aber ich sah wirklich keine entfernte Möglichkeit sie zu continuiren, weil es uns ganz und gar an Mitarbeitern fehlt auf die man sich verlassen kann, und ich, ohne eigentlichen reellen Geldgewinn, ewige Sorge und kleinliche Geschäfte bei dieser Redaction hatte, wovon ich mich durch einen entschlossenen Schritt befreien mußte.
Wir werden, wie sich’s von selbst versteht, bei’m Aufhören keinen Eclat machen, und da sich die Erscheinung des zwölften Stücks 1797 ohnehin bis in den März verzögert, so werden sie von selbst selig einschlafen. Sonst hätten wir auch in dieses zwölfte Stück einen tollen politisch-religiösen Aufsatz können setzen lassen, der ein Verbot der Horen veranlaßt hätte, und wenn Sie mir einen solchen wissen, so ist noch Platz dafür.
Mit meiner Gesundheit geht es zwar seit gestern wieder besser, aber die Stimmung zur Arbeit hat sich noch nicht wieder eingefunden. Unterdessen habe ich mir mit Niebuhr’s und Volney’s Reise nach Syrien und Ägypten die Zeit vertrieben, und ich rathe wirklich jedem der bei den jetzigen schlechten politischen Aspecten den Muth verliert, eine solche Lectüre; denn erst so sieht man, welche Wohlthat es bei alle dem ist, in Europa geboren zu seyn. Es ist doch wirklich unbegreiflich daß die belebende Kraft im Menschen nur in einem so kleinen Theil der Welt wirksam ist, und jene ungeheuren Völkermassen für die menschliche Perfectibilität ganz und gar nicht zählen. Besonders merkwürdig ist es mir, daß es jenen Nationen und überhaupt allen Nicht-Europäern auf der Erde nicht sowohl an moralischen als an ästhetischen Anlagen gänzlich fehlt. Der Realism, so wie auch der Idealism, zeigt sich bei ihnen, aber beide Anlagen fließen niemals in eine menschlich schöne Form zusammen. Ich hielte es wirklich für absolut unmöglich den Stoff zu einem epischen oder tragischen Gedichte in diesen Völkermassen zu finden, oder einen solchen dahin zu verlegen.
Leben Sie wohl für heute. Meine Frau grüßt Sie bestens.
Sch.
H 417 | S 413 | B 413
Weimar, den 24. Januar 1798
Schon heute könnte ich ein besseres Schema einer künftigen Geschichte der Farbenlehre überschicken und es soll von Zeit zu Zeit noch besser werden. Wenn man die Reihe von geistigen Begebenheiten, woraus doch eigentlich die Geschichte der Wissenschaften besteht, so vor Augen sieht, so lacht man nicht mehr über den Einfall eine Geschichte a priori zu schreiben: denn es entwickelt sich wirklich alles aus den vor- und rückschreitenden Eigenschaften des menschlichen Geistes, aus der strebenden und sich selbst wieder retardirenden Natur.
Eines einzelnen Umstands muß ich erwähnen. Sie erinnern sich des Versuches mit einem gläsernen Cubus, wodurch ich so deutlich zeigte, daß die senkrechten Strahlen eben so gut verändert und das Bild aus dem Grund in die Höhe gehoben wird. Snellius, der die erste Entdeckung des Gesetzes der Brechung machte, erinnerte schon eben das; allein Huygens, der jene Entdeckung eigentlich bekannt machte, geht gleich über das Phänomen hinaus, weil er es bei seiner mathematischen, übrigens ganz richtigen Behandlung der Sache nicht brauchen kann, und seit der Zeit will niemand nichts davon wissen. Der perpendiculare Strahl wird freilich nicht gebrochen und die Berechnung kann nicht angestellt werden wie bei den gebrochenen Strahlen, weil man keine Vergleichung der Winkel und ihrer Sinus anstellen kann; aber ein Phänomen das nicht berechnet werden kann bleibt deßwegen doch ein Phänomen; und sonderbar ist es daß man in diesem Falle grade das Grundphänomen (denn dafür halte ich’s), woraus alle die übrigen sich herleiten, bei Seite bringt.
Erst seit ich mir fest vorgenommen habe außer Ihnen und Meyern mit niemanden mehr über die Sache zu conferiren, seit der Zeit habe ich erst Freude und Muth; denn die so oft vereitelte Hoffnung und Theilnahme und Mitarbeit anderer setzt einen immer um einige Zeit zurück. Nun kann ich, wie es Zeit, Umstände und Neigung erlauben, immer sachte fortarbeiten.
Möge das schöne Wetter und die Höhe des Barometers etwas zu Ihrem bessern Befinden mit beitragen; ich sehne mich recht aus dieser Masken- und Theaterwelt zu Ihnen hinüber. An Böttiger will ich das bringen oder bringen lassen; er läßt sich seit einiger Zeit nicht sehen, seitdem er mir eine Art von tückischem Streich gespielt hat. Meyer ist fleißig und grüßt schönstens.
G.
H 416 | S 412 | B 412
Jena, den 23. Januar 1798
Ich bin meines Halsübels doch nicht so leicht los geworden, wie ich’s in meinem letzten Brief glaubte versichern zu können. Noch heute plagt es mich, und da das Übel gerade den Kopf einnimmt, so macht es mich ungeduldiger als sonst meine Krämpfe thun. Es ist mir in diesem Zeitpunct doppelt lästig, da ich gerade im besten Zuge war, und vor Ihrer Ankunft noch eine gute Station zurückzulegen dachte.
Das kleine Schema zu einer Geschichte der Optik enthält viele bedeutende Grundzüge einer allgemeinen Geschichte der Wissenschaft und des menschlichen Denkens, und wenn Sie sie ausführen sollten, so müßten sich viele philosophische Bemerkungen machen lassen. Der deutsche Geist würde aber nicht zu seinem Vortheil dabei erscheinen, wenn nicht die Entwicklung anticipirt wird. Es ist doch eigen daß sich die Lebhaftigkeit der Franzosen so bald einschüchtern und ermüden ließ. Man möchte sagen daß es doch mehr die Passion als Liebe zur Sache war, was den Widerspruch der Franzosen nährte; sonst würden sie der Autorität nicht nachgegeben haben. Den Deutschen hält die Autorität und ein dogmatischer Irrthum lange nieder, aber endlich pflegt doch bei ihm seine natürliche Objectivität und sein Ernst an der Sache zu siegen, und gewöhnlich ist er es doch, der für die Wissenschaft erntet.
Es ist gar keine Frage, daß Sie das Mögliche für Ihr Geschäft thun und eine so weit schon geführte Sache zu einem gewünschten Ende bringen müssen, denn daß Sie endlich durchdringen werden, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft. Ich glaube aber Sie thun wohl, wenn Sie jetzt, nachdem Sie vergebens auf einen Begleiter und Mitforscher gewartet haben, sich auch nach keinem mehr umsehen und Ihr Geschäft still für sich selbst vollenden, um alsdann mit dem Fertigen, so weit es auf Ihrem Wege sich bringen läßt, auf einmal hervorzutreten. Das erst Entstehende imponirt, scheint es, den Deutschen nicht, es reizt sie vielmehr und macht sie eigensinnig, wenn man ihre Dogmata bloß erschüttert ohne sie ganz und gar umzureißen. Ein völlig fertiges Ganzes, und ein methodisch ernstlicher Angriff hingegen überwältigt den Eigensinn und bringt die natürliche und angeborne Sachliebe des Deutschen auf die Seite des Gegners. So denke ich mir die Sache, und wenn Sie in drei, vier Jahren Ihre ausführliche und methodische Darlegung vor das Publicum bringen, so wird man gewiß Folgen davon sehen. Unterdessen verläuft sich auch in etwas diese chemische Sündfluth und ein neues Interesse gewinnt Platz.
Böttiger höre ich wollte über den Vandalism der Franzosen, bei Gelegenheit der so schlecht transportirten Kunstwerke, einen Aufsatz schreiben. Ich wünschte er thäte es und sammelte alle dahin einschlagenden Züge von Rohheit und Leichtsinnigkeit. Ermuntern Sie ihn doch und verschaffen mir alsdann den Aufsatz für die Horen.
Leben Sie recht wohl. Heute über acht Tagen hoffe ich Sie hier zu sehen.
Sch.
H 415 | S 411 | B 411
Weimar, den 20. Januar 1798
Für die Prüfung meiner Aufsätze nach den Kategorien danke ich zum schönsten; ich werde sie bei meiner Arbeit immer vor Augen haben. Ich finde selbst an der Stimmung womit ich diese Gegenstände bearbeite, daß ich bald zur edlen Freiheit des Denkens darüber gelangen werde. Ich schematisire unablässig, gehe meine Collectaneen, durch und suche, aus dem Wust von Unnöthigem und Falschem die Phänomene in ihrer sichersten Bestimmung und die reinsten Resultate heraus. Wie froh will ich seyn wenn der ganze Wust verbrannt ist und das Brauchbare davon auf wenig Blättern steht. Die Arbeit war unsäglich, die doch nun schon acht Jahre dauert, da ich kein Organ zur Behandlung der Sache mitbrachte, sondern mir es immer in und zu der Erfahrung bilden mußte. Da wir nun einmal so weit sind, so wollen wir uns die letzte Arbeit nicht verdrießen lassen; stehen Sie mir von der theoretischen Seite bei und so wird es gewiß geschwinder gehen.
Ich lege einen flüchtigen Entwurf zur Geschichte der Farbenlehre bei. Sie werden dabei auch schöne Bemerkungen über den Gang des menschlichen Geistes machen können; er dreht sich in einem gewissen Kreise herum, bis er ihn ausgelaufen hat. Die ganze Geschichte, wie Sie sehen werden, dreht sich um die gemeine, das Phänomen bloß aussprechende Empirie, und um den nach Ursachen haschenden Rationalism herum, wenig Versuche einer reinen Zusammenstellung der Phänomene finden sich. Also schreibt uns die Geschichte auch schon selbst vor was wir zu thun haben. Es wird sich bei der Ausführung etwas recht Interessantes machen lassen. Stehen Sie mir bei weiterm Fortschreiten bei.
Die öftern Rückfälle Ihrer Gesundheit betrüben mich sehr sowohl um des Leidens als des Verlustes willen. Die milde Witterung verspricht uns für die nächste Zeit noch nichts Gutes.
Cotta ist zu beneiden; er fühlt sich gewiß glücklich daß so ein herrliches Blatt durch ihn in die Welt geht, wobei der goldne Beifall doppelt willkommen ist. Ich habe es in Weimar sehr in Gang bringen helfen.
Die Gotter’sche Oper geben wir vorerst noch nicht.
Meinen Aufsatz über Laokoon will ich gelegentlich nochmals durchsehen und dann wollen wir überlegen was zu thun sey. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau und haben Sie nochmals Dank für Ihren langen fördernden Brief.
G.
H 415 | S 411 | B 411
Jena, den 19. Januar 1798
Es wird Ihnen interessant und belehrend seyn, wenn Sie Ihre Gedanken, die in jenem ältern und in Ihrem neuesten Aufsatz aufgestellt sind, nach den Kategorien durchgehen. Ihr Urtheil wird ganz bestätigt werden, und es wird Ihnen zugleich ein neues Vertrauen zu dem regulativen Gebrauch der Philosophie in Erfahrungssachen erwachsen. Ich will mich hier nur bei einigen Anwendungen aufhalten, und zwar gleich in Beziehung auf Ihren neuesten Aufsatz.
Die Vorstellung der Erfahrung unter den dreierlei Phänomenen ist vollkommen erschöpfend, wenn Sie sie nach den Kategorien prüfen.
a.
Der gemeine Empirism, der nicht über das empirische Phänomen hinausgeht, hat (der Quantität nach) immer nur Einen Fall, ein einziges Element der Erfahrung und mithin keine Erfahrung; der Qualität nach asserirt er immer nur eine bestimmte Existenz, ohne zu unterscheiden, von ihr auszuschließen, ihr entgegen zu setzen, mit Einem Wort, zu vergleichen; der Relation nach ist er in Gefahr das Zufällige als das Substanielle aufzunehmen; der Modalität nach bleibt er bloß auf eine bestimmte Wirklichkeit eingeschränkt, ohne das Mögliche zu ahnen, oder seine Erkenntniß bis gar zu einer Nothwendigkeit zu führen. Nach meinem Begriff ist der gemeine Empirism nie einem Irrthum ausgesetzt, denn der Irrthum entsteht erst in der Wissenschaft. Was er bemerkt, bemerkt er wirklich, und weil er nicht den Kitzel fühlt, aus seinen Wahrnehmungen Gesetze für das Object zu machen, so können seine Wahrnehmungen ohne irgend eine Gefahr immer einzeln und accidentell seyn.
b.
Erst mit dem Rationalism entsteht das wissenschaftliche Phänomen und der Irrthum. In diesem Felde nämlich fangen die Denkkräfte ihr Spiel an, und die Willkür tritt ein, mit der Freiheit dieser Kräfte, die sich so gern dem Objecte substituiren.
Der Quantität nach verbindet der Rationalism immer mehrere Fälle, und so lang er sich bescheidet, die Pluralität nicht für Totalität auszugeben, d. h. objective Gesetze zu machen, so ist er unschädlich, ja nützlich, da er der Weg zur Wahrheit ist, welche nur dadurch gefunden wird, daß man von dem Einzelnen sich loszumachen weiß. In seinem Mißbrauch hingegen wird er verderblich für die Wissenschaft, weil er, wie Sie in Ihrem Aufsatz sehr einleuchtend sagen, die ungeheure Verbindungsgewalt des menschlichen Geistes auf Kosten einer gewissen republikanischen Freiheit der Facten geltend machen will, kurz weil er in die bloße Pluralität schon seine Einheit legen will, und also eine Totalität giebt die keine ist.
Der Qualität nach setzt der Rationalism, wie billig ist, die Phänomene einander entgegen; er unterscheidet und vergleicht; welches gleichfalls (so wie der Rationalism überhaupt) löblich und gut und der einzige Weg zur Wissenschaft ist. Aber jener Despotism der Denkkräfte zeigt sich auch hier sogleich durch Einseitigkeit, durch Härte der Unterscheidung, so wie oben durch Willkür der Verbindung. Er kommt in Gefahr dasjenige strenge zu sondern, was in der Natur verbunden ist, wie er oben verband was die Natur scheidet. Er macht Eintheilungen, wo keine sind u. s. w.
Der Relation nach ist es das ewige Bestreben des Rationalism nach der Causalität der Erscheinungen zu fragen, und alles qua Ursach und Wirkung zu verbinden: wiederum sehr löblich und nöthig zur Wissenschaft, aber durch Einseitigkeit gleichfalls höchst verderblich. Ich beziehe mich hier auf Ihren Aufsatz selbst, der vorzüglich diesen Mißbrauch, den die Causalbestimmung der Phänomene veranlaßt, rügt. Der Rationalism scheint hier vorzüglich dadurch zu fehlen, daß er dürftigerweise bloß die Länge und nicht die Breite der Natur in Anschlag bringt.
Der Modalität nach verläßt der Rationalism die Wirklichkeit ohne die Nothwendigkeit zu erreichen. Die Möglichkeit ist sein ungeheures Feld, daher das gränzenlose Hypothesiren. Auch diese Function des Verstandes ist nach meinem Urtheil nothwendig und conditio sine qua non aller Wissenschaft, denn nur durch das Mögliche gibt es, nach meinem Bedünken, von dem Wirklichen einen Durchgang zu dem Nothwendigen. Daher wehre ich mich, so sehr ich kann, für die Freiheit und Befugniß der theoretischen Kräfte im Felde der Physik.
c.
Zu dem reinen Phänomen, welches nach meinem Urtheil eins ist mit dem objectiven Naturgesetz, kann nur der rationelle Empirism hindurchdringen. Aber, um es noch einmal zu wiederholen, der rationelle Empirism selbst kann nie unmittelbar von dem Empirism anfangen, sondern der Rationalism wird allemal erst dazwischen liegen. Die dritte Kategorie entsteht jederzeit aus der Verknüpfung der ersten mit der zweiten, und so finden wir auch, daß nur die vollkommene Wirksamkeit der freien Denkkräfte mit der reinsten und ausgebreitetsten Wirksamkeit der sinnlichen Wahrnehmungsvermögen zu einer wissenschaftlichen Erkenntniß führt. Der rationelle Empirism wird folglich dieses beides thun: er wird die Willkür ausschließen und die Liberalität hervorbringen: die Willkür, welche entweder der Geist des Menschen gegen das Object, oder der blinde Zufall im Objecte und die eingeschränkte Individualität des einzelnen Phänomens gegen die Denkkraft ausübt. Mit Einem Worte, er wird dem Object sein ganzes Recht erweisen, indem er ihm seine blinde Gewalt nimmt, und dem menschlichen Geist seine ganze (rationelle) Freiheit verschaffen, indem er ihm alle Willkür abschneidet.
Der Quantität nach muß das reine Phänomen die Allheit der Fälle begreifen, denn es ist das Constante in allen. Es stellt also, völlig nach dem Sinn der Kategorie, die Einheit in der Mehrheit wiederum her.
Der Qualität nach limitirt der rationelle Empirism immer, wie auch das Beispiel aller wahren Naturkundiger lehret, die von einem absoluten Bejahen und Verneinen sich gleich entfernt halten.
Der Relation nach achtet der rationelle Empirism zugleich auf die Causalität und auf die Unabhängigkeit der Erscheinungen; er sieht die ganze Natur in einer reciproken Wirksamkeit, alles bestimmt sich wechselweise, und er hütet sich demnach, die Causalität bloß nach einer einfachen dürftigen Länge gelten zu lassen, er nimmt immer auch die Breite mit auf.
Der Modalität nach dringt der rationelle Emprisim immer zu der Nothwendigkeit hindurch.
Der rationelle Empirism ist, seinem Begriffe nach, zwar nie einem Mißbrauche ausgesetzt, so wie die zwei vorhergehenden Erkenntnißarten; aber vor einem falschen und angeblichen rationellen Empirism ist doch zu warnen. So wie nämlich eine weise Limitation den eigentlichen Geist dieses rationellen Empirism ausmacht, so kann eine feige und ängstliche Limitation den andern hervorbringen. Die Frucht des erstern ist das reine, die Frucht des andern das leere und hohle Phänomen. Ich habe mehrmalen bemerkt, daß bedenkliche schwache Geister aus einem zu weit getriebenen Respect vor den Gegenständen und deren Mannigfaltigkeit, und aus zu weit getriebener Furcht vor den Seelenkräften, ihre Assertionen und Enunciationen zuletzt so einschränken und gleichsam aushöhlen, daß das Resultat Null wird.
Es ist noch so vieles über diese Materie und über Ihre Thesen zu sprechen, daß ich Ihre Hieherkunft erwarte, um noch recht in die Sache hineinzugehen, denn nur das Gespräch hilft mir eigentlich die Vorstellung des andern schnell zu fassen und fest zu halten. In dem Monolog eines Briefes bin ich stets in Gefahr, nur meine Seite zu fassen. Besonders will ich Sie selbst noch mehr über das, was Sie die mittelbare Anwendung der Fälle auf Regeln nennen, reden hören.
Meine poetische Arbeit stockt seit drei Tagen, ungeachtet einer ganz guten Stimmung in der ich war. Eine Verschleimung des Halses, die in unserm Haus von Mann zu Mann herumging, hat endlich auch mich ergriffen, und weil mich dieß Übel gerade in einem erhöhten Zustand von Reizbarkeit überraschte, in den mich mein Geschäft versetzt hatte, so hatte ich gestern den ganzen Tag Fieber. Heute ist mir aber der Kopf schon viel freier, und ich hoffe in etlichen Tagen den bösen Gast los zu seyn.
Zu dem neuen Xenion gratulire ich. Wir wollen es ja ad Acta legen.
Die tollen Sprünge, welche Herr Posselt vor dem Publicum macht, werden dem Verleger nicht zum Schaden gereichen.
Man frägt hier sehr, ob Sie in Weimar nicht die Gotterische Oper: die Geisterinsel, geben würden?
Hätten Sie jetzt nicht Lust, da Herr Hirt Ihren Aufsatz über Laokoon gewissermaßen anticipirt, diesen Aufsatz in die Horen zu geben?
Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt.
Sch.
H 413 | S 409 | B 409
Weimar, den 17. Januar 1798
Die gute Nachricht daß Ihre Arbeit fördert, ersetzt mir einen längeren Brief den ich sonst nicht gern entbehre.
Sie erhalten hierbei einen kleinen Aufsatz über einige Puncte, die ich in diesen Tagen noch lieber mündlich mit Ihnen abgehandelt hätte. Ich denke wenn wir die Sache noch einigemal recht angreifen, so muß sie sich geben. Ich habe gestern das Capitel von der Elektricität in Gren’s Naturlehre gelesen; es ist so vernünftig geschrieben als unvernünftig das von den Farben; allein wie fand er es auch durchgearbeitet und vorbereitet.
So viel ich jetzt übersehen kann wird die Farbenlehre, wenn man sie recht angreift, in Absicht auf ihren Vortrag einen Vorzug vor der elektrischen und magnetischen haben, weil wir bei ihr mit keinen Zeichen sondern mit den Verhältnissen und Wirkungen sichtbarer Naturverschiedenheiten zu thun haben.
Zugleich erhalten Sie einen Nachtrag von Freund Hirt über seinen Laokoon.
Böttiger hat, nach seiner beliebten Art, meinen Aufsatz über diese Materie an jenen Freund verrathen und dieser ist dadurch in die größte Bewegung gesetzt worden, wie der Nachtrag ausweis’t.
Bemerkenswerth ist es daß er seine Beispiele von Basreliefen hernimmt, die als subordinirte Kunstwerke schon allenfalls etwas weiter gehen dürfen; daß er aber von der Familie der Niobe schweigt, einem Kunstwerk auf der höchsten Stufe, das aber freilich seiner Hypothese nicht günstig ist.
Wäre nur die Gruppe selbst glücklich in Paris angelangt und wieder aufgestellt so möchten unsere Saalbadereien hierüber sämmtlich in Rauch aufgehen.
Man fängt in Paris schon an sich über den übeln Zustand der hingeschafften Kunstwerke zu beklagen. So wie unser Meyer versichert daß z. B. die Cäcilie von Raphael gar nicht zu transportieren gewesen sey, weil der Kreidegrund sich an vielen Stellen gehoben hatte, der also durch die Erschütterungen abgefallen ist. Wie finde ich Herrn Posselt glücklich daß er sich über den Succeß dieses übermächtigen und übermüthigen Volks bis tief in die Eingeweide freuen kann.
Leben Sie recht wohl. Es steht mir jetzt noch einige Wochen manches bevor, ist aber der Geburtstag vorbei, so komme ich, um an Ihren Arbeiten Theil zu nehmen. Grüßen Sie Ihre liebe Frau.
G.
H 412 | S 408 | B 408
Jena, den 15. Januar 1798
Nur einen freundlichen Gruß für heute. Morgen Abend werde ich mit der Post schreiben. Ich hab’ mich in eine Hauptscene so vertieft, daß ich vom Nachtwächter gemahnt werde aufzuhören. Es geht noch immer ganz gut mit der Arbeit, und obgleich der Poet sein erstes Concept nicht gewisser schätzen kann als der Kaufmann seine Güter auf der See, so denke ich doch meine Zeit nicht verloren zu haben.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 412 | S 407 | B 407
Weimar, den 13. Januar 1798
Ihr lehrreicher Brief trifft mich eben bei den Farben der aneinander gedruckten Glasplatten, dem Phänomen das Sie selbst so sehr interessirte und das ich jetzt auf seine ersten Elemente zu verfolgen vorhabe, indem ich ein Capitel nach dem andern auszuarbeiten gedenke. Schreiben Sie doch ja bei Gelegenheit meines Aufsatzes was Sie denken hin, denn wir müssen jetzt einen großen Schritt thun und ich glaube wieder bei Gelegenheit des Schellingschen Buches zu bemerken, daß von den neuern Philosophen wenig Hülfe zu hoffen sey. Ich habe diese Tage, beim Zertrennen und Ordnen meiner Papiere, mit Zufriedenheit gesehen, wie ich durch treues Vorschreiten und bescheidnes Aufmerken von einem steifen Realism und einer stockenden Objectivität dahin gekommen bin, daß ich Ihren heutigen Brief als mein eignes Glaubensbekenntniß unterschreiben kann. Ich will sehen ob ich durch meine Arbeit diese mein Überzeugung praktisch darstellen kann.
Indem ich diese Woche verschiedne physische Schriften wieder ansah, ist es mir recht aufgefallen, wie die meisten Forscher die Naturphänomene als eine Gelegenheit brauchen die Kräfte ihres Individuums anzuwenden und ihr Handwerk zu üben. Es geht über alle Begriffe wie zur Unzeit Newton den Geometer in seiner Optik macht; es ist nicht besser als wenn man die Erscheinungen in Musik setzen oder in Verse bringen wollte, weil man Kapellmeister oder Dichter ist. Der Mechaniker läßt das Licht aus Kugeln bestehen, die sich einander stoßen und treiben; wie sie nun mehr oder weniger schief abprallen, so müssen die verschiedenen Farben entstehen; beim Chemiker soll’s der Wärmestoff und besonders in der neuern Zeit das Oxygen gethan haben. Ein stiller und besonders bescheidner Mann wie Klügel zweifelt und läßt es dahin gestellt seyn; Lichtenberg macht Späße und neckt die Vorstellungsarten der andern; Wünsch bringt eine Hypothese vor die toller ist als ein Capitel aus der Apokalypse, verschwendet Thätigkeit, Geschicklichkeit im Experimentiren, Scharfsinn im Combiniren an dem absurdesten Einfall in der Welt; Gren wiederholt das Alte, wie einer der ein symbolisches Glaubensbekenntniß abbetet, und versichert es sei das rechte: genug es ist mehr oder weniger jedem darum zu thun seinen individuellen Zustand mit der Sache zu verbinden und sich wo möglich dabei seine Convenienz zu machen. Wir wollen nun sehen wie wir uns vor diesen Gefahren in Acht nehmen; helfen Sie mir mit aufmerken.
Ich will nächstens Ihnen ein Aperçu über das Ganze schreiben, um von meiner Methode, vom Zweck und Sinn der Arbeit Rechenschaft zu geben.
Heute nur noch einen Glückwunsch zum fortschreitenden Wallenstein.
Das tolle philosophische Gespräch ist aus des Erasmus Franzisci neupolirtem Geschicht-, Kunst- und Sittenspiegel, einem abgeschmackten Buche, das aber manchen für uns brauchbaren Stoff enthält.
Leben Sie recht wohl. Die Botenfrau steht vor der Thüre.
G.
H 411 | S 406 | B 406
Jena, den 12. Januar 1798
Ihr Aufsatz enthält eine treffliche Vorstellung und zugleich Rechenschaft Ihres naturhistorischen Verfahrens, und berührt die höchsten Angelegenheiten und Erfordernisse aller rationellen Empirie, indem er nur einem einzelnen Geschäfte die Regel zu geben sucht. Ich werde ihn noch sorgfältig durchlesen und überdenken und Ihnen dann meine Bemerkungen mittheilen. Das ist mir z. B. sehr einleuchtend, wie gefährlich es ist, einen theoretischen Satz unmittelbar durch Versuche beweisen zu wollen. Es stimmt dieß, wie mir däucht, mit einer andern philosophischen Warnung überein, daß man seine Sätze nicht durch Beispiele beweisen solle, weil kein Satz dem Beispiel gleich ist. Die entgegengesetzte Methode verkennt den essentiellen Unterschied zwischen der Naturwelt und der Verstandeswelt ganz, ja sie hebt die ganze Natur, auf indem sie bloß diese Vorstellung uns in den Dingen und nie umgekehrt finden läßt. Überhaupt kann eine Erscheinung, oder Factum, die etwas durchgängig vielfach Bestimmtes ist, nie einer Regel, die bloß bestimmend ist, adäquat seyn. Ich wollte wünschen, es gefiele Ihnen, den Hauptinhalt dieses Aufsatzes auch für sich selbst und unabhängig von den Untersuchungen und Erfahrungen, denen er zur Einleitung dient, auszuführen. Sie würden auf eine strengere und reinere Scheidung des praktischen Verfahrens und des theoretischen Gebrauches bedeutende Fingerzeige geben; man würde dahin gebracht werden sich zu überzeugen, daß nur dadurch die Wissenschaft erweitert werden kann, daß man auf der einen Seite dem Phänomen ohne allen Anspruch auf eine hervorzubringende Einheit folgt, es von allen Seiten umgehet und bloß die Natur in ihrer Breite aufzufassen sucht, auf der andern Seite (und wenn jene erste nur in Sicherheit gebracht ist) die Freiheit der vorstellenden Kräfte begünstiget, das Combinationsvermögen sich nach Lust daran versuchen läßt, mit dem Vorbehalt, daß die vorstellende Kraft auch nur in ihrer eignen Welt und nie in dem Factum etwas zu constituiren suche. Denn mir däucht, es ist bisher auf zwei entgegengesetzte Arten in der Naturwissenschaft gefehlt worden; einmal hat man die Natur durch die Theorie verengt, und ein andermal die Denkkräfte durch das Object zu sehr einschränken wollen. Beiden muß Gerechtigkeit geschehen, wenn eine rationale Empirie möglich seyn soll, und beiden kann Gerechtigkeit geschehen, wenn eine strenge kritische Polizei ihre Felder trennt. Sobald man die Freiheit der theoretischen Vermögen begünstigt, so kann es nicht fehlen, und die Erfahrung lehrt es, daß die Mannigfaltigkeit der Vorstellungsarten, wodurch sie sich wechselsweise einschränken und öfters aufheben, den Schaden gut macht, den der Despotism einer einzigen stiftet, und so wird man selbst auf dem theoretischen Wege zu dem Objecte zurückgenöthigt.
Das metaphysische Gespräch des Paters mit dem Chinesen hat mich sehr unterhalten und es nimmt sich in der gothischen Sprache besonders wohl aus. Ich bin nur ungewiß, wie es in solchen Fällen manchmal geht, ob etwas recht Gescheidtes oder etwas recht Plattes hinter des Chinesen seinem Raisonnement steckt. Wo haben Sie dieß schöne Morceau aufgefunden? Es wäre ein Spaß, es abdrucken zu lassen mit einer leisen Anwendung auf unsere neuesten Philosophen.
Bouterweks ästhetischer Kramladen ist wirklich merkwürdig. Nie hab’ ich den flachen belletristischen Schwätzer mit dem confusen Kopf so gepaart gesehen, und eine so unverschämte Anmaßung auf Wissenschaft bei einem so erbärmlich rhapsodistischen Hausrath.
Daß Sie Ihre Herreise bis zum Februar verschieben, verlängert mir wirklich diesen traurigen Januar; aber ich werde aus dieser Einsamkeit wenigstens den einzigen Vortheil zu ziehen suchen den sie hat, und im Wallenstein fleißig voranschreiten. Ohnehin ist es gut, wenn ich die Tragödie, ehe sie Ihnen vorgelegt wird, erst bis zu einer gewissen Hitze der Handlung geführt habe, wo diese sich dann wie von selbst bewegt und im Herabrollen ist, denn in den zwei ersten Akten steigt sie erst bergan.
Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Meyern. Meine Frau empfiehlt sich bestens.
Sch.
H 410 | S 405 | B 405
Weimar, den 10. Januar 1798
Die letzten Tage waren wirklich von der Art daß man wohl that so wenig als möglich von dem Daseyn des Himmels und der Erde Notiz zu nehmen, wie ich mich denn auch meistens in meiner Stube gehalten habe. Indessen habe ich in diesen farb- und freudlosen Stunden die Farbenlehre wieder vorgenommen, und, um das was ich bisher gethan recht zu übersehen, in meinen Papieren Ordnung gemacht. Ich hatte nämlich von Anfang an Acten geführt, und dadurch sowohl meine Irrthümer als meine richtigen Schritte, besonders aber alle Versuche, Erfahrungen und Einfälle conservirt; nun habe ich diese Volumina auseinander getrennt, Papiersäcke machen lassen, diese nach einem gewissen Schema rubricirt und alles hineingesteckt, wodurch ich denn meinen Vorrath zu einem jeden Capitel desto besser übersehen kann – wobei ich alle unnütze Papiere zerstören kann – indem ich das Nützliche absondere und zugleich das Ganze recapitulire. Jetzt hinterdrein sehe ich erst wie toll die Unternehmung war, und werde mich wohl hüten mich jemals wieder in etwas Ähnliches einzulassen. Denn selbst jetzt, da ich mich so weit durchgearbeitet habe, bedarf es noch einer großen Arbeit bis ich mein Material zu einer reinen Darstellung bringe. Indessen habe ich dabei sehr an Ausbildung gewonnen, denn ohne diese seltsame Theilnahme wäre es meiner Natur kaum vergönnt gewesen einen Blick in diese Fächer zu thun. Ich lege einen kleinen Aufsatz bei, der ohngefähr vier bis fünf Jahre alt seyn kann; es wird Sie gewiß unterhalten zu sehen wie ich die Dinge damals nahm.
Zugleich lege ich des Herrn Bouterweks ästhetische Bemühungen bei, die ich bis zu meiner Ankunft wohl zu verwahren bitte. Nicht leicht ist mir etwas so wunderlich vorgekommen. Das Ganze scheint mir aus alter überlieferter Waare, aus eignen unbestimmten Ansichten und aus Lappen der neuen Philosophie zu bestehen. Es müßte lustig genug seyn wenn man dereinst nachgeschriebene Hefte erwischen könnte, wornach ich aufstellen will.
Cotta ist sehr artig daß er uns seine neue Weltkunde überschickt, ich werde ihm selbst danken. Das Blatt wird ein großes Publicum finden, ob ich gleich nicht läugnen will daß mir die Manier widersteht; sie erinnert mich an die Schubartische Chronik und hat weder Geschmack noch Würde. Doch was hat das zu bedeuten? Wenn Freund Cotta nur seine Rechnung dabei findet. Wenn ich in der Folge mit irgend einem Beitrag dienen kann so werde ich es gerne thun. Das dritte Stück ist mir gestern schon unmittelbar zugekommen.
Halten Sie sich so gut als möglich! Ich will auch den Januar noch hier ausdauern, auf den 30sten noch eine Oper geben und dann zu Ihnen hinübereilen, wo ich den Wallenstein auf gutem Wege zu finden hoffe; ich werde wohl indessen nichts thun können als aufräumen und ordnen. Leben Sie recht wohl.
G.
H 409 | S 404 | B 404
Jena, den 9. Januar 1798
Inlage schickte mir Cotta für Sie und wird ferner damit continuiren. Er will Ihr Paket immer an mich einschließen, weil man nicht bis Weimar frankiren kann.
Heute kann ich Ihnen bloß einen guten Abend sagen. Ich habe die Nacht nicht geschlafen und werde mich gleich zu Bette legen. Wie ist’s Ihnen bei dem gräulichen Wetter? Ich fühle es in allen Nerven. Es ist mir für Sie selbst lieb, daß Sie jetzt nicht hier sind.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 408 | S 403 | B 403
Weimar, den 6. Januar 1798
Ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrer Zufriedenheit mit dem fertigen Theil Ihres Werkes. Bei der Klarheit, mit der Sie die Forderungen übersehen, die Sie an sich zu machen haben, zweifle ich nicht an der völligen Gültigkeit Ihres Zeugnisses. Das günstige Zusammentreffen unserer beiden Naturen hat uns schon manchen Vortheil verschafft und ich hoffe dieses Verhältniß wird immer gleich fortwirken. Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Objecte diente, so haben Sie mich von der allzustrengen Beobachtung der äußern Dinge und ihrer Verhältnisse auf mich selbst zurückgeführt. Sie haben mich die Vielseitigkeit des innern Menschen mit mehr Billigkeit anzuschauen gelehrt, sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu seyn ich so gut als aufgehört hatte.
Sehr sonderbar spüre ich noch immer den Effect meiner Reise. Das Material, das ich darauf erbeutet, kann ich zu nichts brauchen und ich bin außer aller Stimmung gekommen irgend etwas zu thun. Ich erinnere mich aus früherer Zeit eben solcher Wirkungen, und es ist mir aus manchen Fällen und Umständen recht wohl bekannt, daß Eindrücke bei mir sehr lange im Stillen wirken müssen, bis sie zum poetischen Gebrauche sich willig finden lassen. Ich habe auch deswegen ganz pausirt und erwarte nur was mir mein erster Aufenthalt in Jena bringen wird.
Die Körner’sche Aufnahme des Pausias ist abermals sehr merkwürdig. Man soll nur seine Arbeiten so gut und so mannigfaltig machen als man kann, damit sich jeder etwas auslese und auf seine Weise daran Theil nehme. Körner’s Bemerkung hat in sich was Richtiges, die Gruppe des Gedichts ist so entschieden als wenn sie gemalt wäre, nur durch Empfindung und Erinnerung belebt, wodurch denn der Wettstreit des Dichters mit dem Maler auffallender wird.
Ich habe übrigens bei den Gedichten des letzten Musenalmanachs erst wieder recht deutlich gesehen, wie die schätzbarste Theilnahme uns nichts lehren und keine Art von Tadel uns was helfen kann. So lange ein Kunstwerk nicht da ist, hat niemand einen Begriff von seiner Möglichkeit; sobald es dasteht, bleibt Lob und Tadel nur immer subjectiv, und mancher dem man Geschmack nicht absprechen kann, wünscht doch etwas dazu und davon, wodurch vielleicht die ganze Arbeit zerstört würde, so daß der eigentlich negative Werth der Kritik, welcher immer der wichtigste seyn mag, uns auch nicht einmal frommen kann.
Ich wünsche in gar vielen Rücksichten daß Ihr Wallenstein bald fertig werden möge. Lassen Sie uns, sowohl während der Arbeit, als auch hinterdrein, die dramatischen Forderungen nochmals recht durcharbeiten! Sind Sie künftig in Absicht des Plans und der Anlage genau und vorausbestimmend, so müßte es nicht gut seyn, wenn Sie, bei Ihren geübten Talenten und dem innern Reichthum, nicht alle Jahr ein paar Stücke schreiben wollten. Denn das scheint mir offenbar beim dramatischen Dichter nothwendig daß er oft auftrete, die Wirkung die er gemacht hat immer wieder erneuere, und wenn er das Talent hat, darauf fortbaue.
Unsere arme Freundin Kalb ist wirklich sehr übel. Sie ist schon des besten Gebrauchs ihres Gesichts beraubt, und es wäre wirklich möglich daß sie es ganz verlöre.
An den Julian will ich denken.
Hier schicke ich die angekündigte philosophische Unterredung. Der Chinese würde mir noch besser gefallen, wenn er die Gluthpfanne ergriffen und sie seinem Gegner mit diesen Worten überreicht hätte: „Ja, ich erschaffe sie, da nimm sie zu deinem Gebrauch!“ Ich möchte wissen was der Jesuite hierauf geantwortet hätte.
Bei Gelegenheit des Schelling’schen Buchs habe ich auch wieder verschiedene Gedanken gehabt über die wir umständlich sprechen müssen. Ich gebe gern zu, daß es die Natur nicht ist die wir erkennen, sondern daß sie nur nach gewissen Formen und Fähigkeiten unsers Geistes von uns aufgenommen wird. Von dem Appetit eines Kindes zum Apfel am Baum bis zum Falle desselben, der in Newton die Idee zu seiner Theorie erweckt haben soll, mag es freilich sehr viele Stufen des Anschauens geben, und es wäre wohl zu wünschen daß man uns diese einmal recht deutlich vorlegte und zugleich begreiflich machte, was man für die höchste hält. Der transcendentelle Idealist glaubt nun freilich ganz oben zu stehen; Eins will mir aber nicht an ihm gefallen, daß er mit den andern Vorstellungsarten streitet: denn man kann eigentlich mit keiner Vorstellungsart streiten. Wer will gewissen Menschen die Zweckmäßgkeit der organischen Naturen nach außen ausreden, da die Erfahrungen selbst täglich diese Lehre auszusprechen scheinen und man mit einer scheinbaren Erklärung der schwersten Phänomene so leicht wegkommt? Sie wissen wie sehr ich am Begriff der Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach innen hänge, und doch läßt sich ja eine Bestimmung von außen und ein Verhältniß nach außen nicht läugnen, wodurch man mehr oder weniger sich jener Vorstellungsart wieder nähert, so wie man sie im Vortrag als Redensart nicht entbehren kann. Eben so mag sich der Idealist gegen die Dinge an sich wehren wie er will, er stößt doch ehe er sich’s versieht an die Dinge außer ihm, und wie mir scheint, sie kommen ihm immer beim ersten Begegnen so in die Quere wie dem Chinesen die Gluthpfanne. Mir will immer dünken, daß wenn die eine Partei von außen hinein den Geist niemals erreichen kann, die andere von innen heraus wohl schwerlich zu den Körpern gelangen wird, und daß man also immer wohl thut in dem philosophischen Naturstande (Schelling’s Ideen p. XVI.) zu bleiben und von seiner ungetrennten Existenz den besten möglichen Gebrauch zu machen, bis die Philosophen einmal übereinkommen, wie das was sie nun einmal getrennt haben wieder zu vereinigen sein möchte.
Ich bin abermals auf einige Puncte gekommen, deren Bestimmung ich zu meinen nächsten Operationen brauche und worüber ich mir Ihr Gutachten mündlich erbitten werde. Leben Sie recht wohl. Ich verschiebe meine Ankunft lieber auf einige Zeit um in der Continuation mit Ihnen erfreuliche und fruchtbare Tage erleben zu können.
G.
H 407 | S 402 | B 402
Jena, den 5. Januar 1798
Meine Hauswirthe können den freundlichen Empfang den Sie bei Ihnen erfahren, und die schönen Sachen, die ihnen gezeigt worden sind, nicht genug rühmen. Wirklich wundre ich mich über den Antheil, womit der Alte über diese Kunstwerke spricht, und der Künstler hat Ursache, sich seiner Wirkung auf eine solche Natur zu freuen.
Es thut mir sehr leid, daß Ihre Anherokunft so viele Verzögerungen findet, da ich nach einem frühern Brief von Ihnen schon vom Christtag an darauf rechnen konnte. Unterdessen habe ich einige Schritte weiter in meiner Arbeit gewonnen und bin im Stand, Ihnen viermal mehr als der Prolog beträgt vorzulegen, obgleich noch nichts von dem dritten Acte dabei ist.
Jetzt, da ich meine Arbeit von einer fremden Hand reinlich geschrieben vor mir habe und sie mir fremder ist, macht sie mir wirklich Freude. Ich finde augenscheinlich, daß ich über mich selbst hinausgegangen bin, welches die Frucht unsers Umgangs ist; denn nur der vielmalige continuirliche Verkehr mit einer so objectiv mir entgegenstehenden Natur, mein lebhaftes Hinstreben darnach und die vereinigte Bemühung sie anzuschauen und zu denken, konnte mich fähig machen, meine subjectiven Gränzen so weit aus einander zu rücken. Ich finde, daß mich die Klarheit und die Besonnenheit, welche die Frucht einer spätern Epoche ist, nichts von der Wärme einer frühern gekostet hat. Doch es schickte sich besser, daß ich das aus Ihrem Munde hörte, als daß Sie es von mir erfahren.
Ich werde es mir gesagt seyn lassen, keine andre als historische Stoffe zu wählen; frei erfundene würden meine Klippe seyn. Es ist eine ganz andere Operation, das Realistische zu idealisiren, als das Ideale zu realisiren, und letzteres ist der eigentlich Fall bei freien Fictionen. Es steht in meinem Vermögen, eine gegebene, bestimmte und beschränkte Materie zu beleben, zu erwärmen und gleichsam aufquellen zu machen, während daß die objective Bestimmtheit eines solchen Stoffs meine Phantasie zügelt und meiner Willkür widersteht.
Ich möchte wohl einmal, wenn es mir mit einigen Schauspielen gelungen ist, mir unser Publicum recht geneigt zu machen, etwas recht Böses thun, und eine alte Idee mit Julian dem Apostaten ausführen. Hier ist nun auch eine ganz eigene bestimmte historische Welt, bei der mir’s nicht leid seyn sollte eine poetische Ausbeute zu finden, und das fürchterliche Interesse das der Stoff hat, müßte die Gewalt der poetischen Darstellung desto wirksamer machen. Wenn Julian’s Misopogon, oder seine Briefe (übersetzt nämlich) in der Weimarischen Bibliothek seyn sollten, so würden Sie mir viel Vergnügen damit machen wenn Sie sie mitbrächten.
Die Charlotte Kalb, hör’ ich, soll wirklich in Gefahr seyn blind zu werden; sie wäre doch sehr zu beklagen.
Leben Sie recht wohl; ich lege hier etwas von Körnern bei, was er über Ihren Pausias schreibt. Haben Sie die Güte mir den Humboldtischen Brief, den ich auf den Montag beantworte, zurückzusenden.
Sch.
H 406 | S 401 | B 401
Weimar, den 3. Januar 1798
Es ist mir dabei ganz wohl zu Muthe, daß wir zum neuen Jahre einander so nahe sind; ich wünsche nur daß wir uns bald wieder sehen und einige Zeit in der Continuation zusammen leben. Ich möchte Ihnen manche Sachen mittheilen und vertrauen, damit eine gewisse Epoche meines Denkens und Dichtens schneller zur Reife komme.
Ich freue mich sehr darauf etwas von Ihrem Wallenstein zu sehen, weil mir auch dadurch eine neue Theilnahme an Ihrem Wesen möglich wird. Ich wünsche nichts mehr als daß Sie ihn dies Jahr vollbringen mögen.
Schon künftigen Sonntag gedacht eich zu Ihnen zu kommen, es scheint sich aber ein neues Hinderniß dazwischen zu stellen; auf den Sonnabend werde ich mehr sagen können. Sie erhalten alsdann auch eine Abschrift eines alten Gesprächs zwischen einem Chinesischen Gelehrten und einem Jesuiten, in welchem jener sich als ein schaffender Idealist, dieser als ein völliger Reinholdianer zeigt. Dieser Fund hat mich unglaublich amusirt und mir eine gute Idee von dem Scharfsinn der Chinesen gegeben.
Das Buch von Retif habe ich noch nicht gesehen, ich will es zu erhalten suchen.
Wenn uns als Dichtern, wie den Taschenspielern, daran gelegen sein müßte daß niemand die Art, wie ein Kunststückchen hervorgebracht wird, einsehen dürfte, so hätten wir freilich gewonnen Spiel; so wie jeder, der das Publicum zum besten haben mag, indem er mit dem Strome schwimmt, auf Glück rechnen kann. In Hermann und Dorothea habe ich, was das Material betrifft, den Deutschen einmal ihren Willen gethan und nun sind sie äußerst zufrieden. Ich überlege jetzt ob man nicht auf eben diesem Wege ein dramatisches Stück schreiben könnte, das auf allen Theatern gespielt werden müßte und das jedermann für fürtrefflich erklärte, ohne daß es der Autor selbst dafür zu halten brauchte.
Dieses und so vieles andere muß bis zu unserer Zusammenkunft verschoben bleiben. Wie sehr wünschte ich daß Sie in diesen Tagen bei uns wären, um eine der größten Unformen der organischen Natur, den Elephanten, und die anmuthigste der Kunstgestalten, die Florentinische Madonna des Raphael, in Einer Stunde und also gleichsam nebeneinander zu sehen.
Schelling’s Ideen zu einer Philosophie der Natur bringe ich mit; es wird uns Anlaß zu mancher Unterhaltung geben.
Leben Sie recht wohl, und grüßen mir Ihre liebe Frau recht vielmals.
Friedrich Schlegel hat in ein Stück des Lyceums, da das Journal in Berlin gedruckt wird, wo er sich jetzt befindet, als es an Manuscript fehlte, ohne Reichardt’s Vorwissen, einen tollen Aufsatz einrücken lassen, worin er auch Voß angreift und worüber sich dann die edlen Freunde brouillirten.
G.
H 405 | S 400 | B 400
Jena, den 2. Januar 1798
Es soll mir ein gutes Omen seyn, daß Sie es sind, an den ich zum erstenmal unter dem neuen Datum schreibe. Das Glück sey Ihnen in diesem Jahre eben so hold als in den zwei letzt vergangenen, ich kann Ihnen nichts Besseres wünschen. Möchte auch mir die Freude in diesem Jahre beschert seyn, das beste aus meiner Natur in einem Werkezu sublimiren, wie Sie mit der Ihrigen es gethan.
Ihre eigene Art und Weise zwischen Reflexion und Production zu alterniren ist wirklich beneidens- und bewundernswerth. Beide Geschäfte trennen sich in Ihnen ganz, und das eben macht, daß beide als Geschäft so rein ausgeführt werden. Sie sind wirklich so lang Sie arbeiten im Dunkeln, und das Licht ist bloß in Ihnen; und wenn Sie anfangen zu reflectiren, so tritt das innere Licht von Ihnen heraus und bestrahlt die Gegenstände Ihnen und andern. Bei mir vermischen sich beide Wirkungsarten und nicht sehr zum Vortheil der Sache.
Von Hermann und Dorothea las ich kürzlich eine Recension in der Nürnberger Zeitung, welche mir wieder bestätigt, daß die Deutschen nur für’s Allgemeine, für’s Verständige und für’s Moralische Sinn haben. Die Beurtheilung ist voll guten Willens, aber auch nicht etwas darin, was ein Gefühl des Poetischen zeigte, oder einen Blick in die poetische Ökonomie des Ganzen verriethe. Bloß an Stellen hängt sich der gute Mann und vorzugsweise an die, welche in’s Allgemeine und Breite gehen und einem etwas an’s Herz legen.
Haben Sie vielleicht das seltsame Buch von Retif: Coeur humain dévoilé je gesehen oder davon gehört? Ich hab’ es nun gelesen, so weit es da ist, und ungeachtet alles Widerwärtigen, Platten und Revoltanten mich sehr daran ergötzt. Denn eine so heftig sinnliche Natur ist mir nicht vorgekommen und die Mannigfaltigkeit der Gestalten, besonders weiblicher, durch die man geführt wird, das Leben und die Gegenwart der Beschreibung, das Charakteristische der Sitten und die Darstellung des französischen Wesens in einer gewissen Volksclasse muß interessiren. Mir, der so wenig Gelegenheit hat, von außen zu schöpfen und die Menschen im Leben zu studiren, hat ein solches Buch, in welche Classe ich auch den Cellini rechne, einen unschätzbaren Werth.
Dieser Tage las ich zu meiner großen Lust im Intelligenzblatt der Lit. Zeitung eine Erklärung von dem jüngern Schlegel, daß er mit dem Herausgeber des Lyceums nichts mehr zu schaffen habe. So hat also doch unsre Prophezeiung eingetroffen, daß dieses Band nicht lange dauern werde!
Leben Sie wohl für heute; ich erwarte nun morgen eine bestimmte Anzeige, wie bald Sie zu uns kommen. Meine Frau grüßt Sie bestens. Meyern hoffe ich doch wenigstens auf einen Tag wieder bei uns zu sehen.
Sch.
H 404 | S 399 | B 399
Weimar, den 30. Dezember 1797
Da ich heute früh eine Gesellschaft erwarte um Meyers Arbeiten zu sehen, so will ich Ihnen nur für Ihren und den Humboldtischen Brief hiermit gedankt haben.
Ich bin Ihrer Meinung daß man nur deßwegen so strenge sondern müsse, um sich nachher durch Aufnahme fremdartiger Theile wieder etwas erlauben zu können. Ganz anders arbeitet man aus Grundsätzen als aus Instinkt, und eine Abweichung, von deren Nothwendigkeit man überzeugt ist, kann nicht zum Fehler werden.
Die theoretischen Betrachtungen können mich nicht lange mehr unterhalten, es muß nun wieder an die Arbeit gehen und dazu muß ich mich auf das alte Jenaische Kanapee, wie auf einen Dreifuß, begeben; wie ich denn überhaupt mich für dieses Jahr in unserm Kreise zu halten hoffe.
Leben Sie recht wohl. Es thut mir Leid daß Ihre liebe Frau so bald wieder forteilte und nicht einmal zu unsern Kunstschätzen wallfahrten konnte. Ihre Hoffnung, die Sie von der Oper hatten, würden Sie neulich in Don Juan auf einen hohen Grad erfüllt gesehen haben; dafür steht aber auch dieses Stück ganz isolirt und durch Mozart’s Tod ist alle Aussicht auf etwas Ähnliches vereitelt.
G.
H 408 | S 398 | B 398
Jena, den 29. Dezember 1797
Unser Freund Humboldt, von dem ich Ihnen hier eine langen Brief beilege, bleibt mitten in dem neugeschaffnen Paris seiner alten Deutschheit getreu, und scheint nichts als die äußere Umgebungen verändert zu haben. Es ist mit einer gewissen Art zu philosophiren und zu empfinden wie mit einer gewissen Religion; sie schneidet ab von außen und isolirt, indem sie von innen die Innigkeit vermehrt.
Ihr jetziges Geschäft, die beiden Gattungen zu sondern und zu reinigen, ist freilich von der höchsten Bedeutung, aber Sie werden mit mir überzeugt seyn, daß, um von einem Kunstwerk alles auszuschließen, was seiner Gattung fremd ist, man auch nothwendig alles darin müsse einschließen können, was der Gattung gebührt. Und eben darin fehlt es jetzt. Weil wir einmal die Bedingungen nicht zusammenbringen können, unter welchen eine jede der beiden Gattungen steht, so sind wir genöthigt, sie zu vermischen. Gäb’ es Rhapsoden und eine Welt für sie, so würde der epische Dichter keine Motive von dem tragischen zu entlehnen brauchen, und hätten wir die Hülfsmittel und intensiven Kräfte des griechischen Trauerspiels und dabei die Vergünstigung, unsere Zuhörer durch eine Reihe von sieben Repräsentationen hindurchzuführen, so würden wir unsere Dramen nicht über die Gebühr in die Breite zu treiben brauchen. Das Empfindungsvermögen des Zuschauers und Hörers muß einmal ausgefüllt und in allen Punkten seiner Peripherie berührt werden; der Durchmesser dieses Vermögens ist das Maß für den Poeten. Und weil die moralische Anlage die am meisten entwickelte ist, so ist sie auch die forderndste und wir mögen’s auf unsre Gefahr wagen, sie zu vernachlässigen.
Wenn das Drama wirklich durch einen so schlechten Hang des Zeitalters in Schutz genommen wird, wie ich nicht zweifle, so müßte man die Reform beim Drama anfangen, und durch Verdrängung der gemeinen Naturnachahmung der Kunst Luft und Licht verschaffen. Und dieß, däucht mir, möchte unter andern am besten durch Einführung symbolischer Behelfe geschehen, die in allem dem, was nicht zu der wahren Kunstwelt des Poeten gehört, und also nicht dargestellt, sondern bloß bedeutet werden soll, die Stelle des Gegenstandes verträten. Ich habe mir diesen Begriff vom Symbolischen in der Poesie noch nicht recht entwickeln können, aber es scheint mir viel darin zu liegen. Würde der Gebrauch desselben bestimmt, so müßte die natürliche Folge seyn, daß die Poesie sich reinigte, ihre Welt enger und bedeutungsvoller zusammenzöge, und innerhalb derselben desto wirksamer würde.
Ich hatte immer ein gewisses Vertrauen zur Oper, daß aus ihr wie aus den Chören des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edlern Gestalt sich loswickeln sollte. In der Oper erläßt man wirklich jene servile Naturnachahmung, und obgleich nur unter dem Namen von Indulgenz, könnte sich auf diesem Wege das Ideale auf das Theater stehlen. Die Oper stimmt durch die Macht der Musik und durch eine freiere harmonische Reizung der Sinnlichkeit das Gemüth zu einer schönern Empfängniß; hier ist wirklich auch im Pathos selbst ein freieres Spiel, weil die Musik es begleitet, und das Wunderbare, welches hier einmal geduldet wird, müßte nothwendig gegen den Stoff gleichgültiger machen.
Auf Meyers Aufsatz bin ich sehr begierig; es werden sich daraus unfehlbar viele Anwendungen auf die Poesie ergeben.
Nach und nach komme ich wieder in meine Arbeit, aber bei dieser schrecklichen Witterung ist es wirklich schwer, sein Gemüth elastisch zu erhalten.
Möchten Sie nun bald frei seyn und mir Thätigkeit, Muth und Leben mitbringen. Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 402 | S 397 | B 397