Jena, den 2. März 1798
Ich habe es in diesen schönen Tagen einmal wieder mit der frischen Luft versucht und mich recht wohl dabei befunden. Es ist wirklich Schade daß Sie gerade jetzt nicht hier seyn können. Gewiß würde sich die Muse jetzt bald bei Ihnen einstellen.
Was Sie über die Franzosen, und ihren emigrirten, aber immer gleich würdigen Repräsentanten Mounier schreiben, ist sehr wahr und so kläglich es auch an sich ist, so freut es einen, weil es so nothwendig zu dem ganzen Begriff dieser Existenz gehört, und man sollte immer nur rein die Naturen auffassen, so würde man auch gleich die Systeme rein demonstrirt sehen. Es ist wirklich der Bemerkung werth, daß die Schlaffheit über ästhetische Dinge immer sich mit der moralischen Schlaffheit verbunden zeigt, und daß das reine strenge Streben nach dem hohen Schönen, bei der höchsten Liberalität gegen alles was Natur ist, den Rigorism im Moralischen bei sich führen wird. So deutlich scheiden sich die Reiche der Vernunft und des Verstandes, und diese Scheidung behauptet sich nach allen Wegen und Richtungen, die der Mensch nur nehmen kann.
Mounier ist mir ein würdiger Pendant zu Garven, der sich auch auf ähnliche auf Art gegen Kant prostituirte.
Gestern habe ich nun im Ernst das französische Bürgerdiplom erhalten, wovon schon vor fünf Jahren in den Zeitungen geredet wurde. Es ist damals ausgefertigt und von Roland unterschrieben worden. Weil aber der Name falsch geschrieben und nicht einmal eine Stadt oder Provinz auf der Adresse stand, so hat es freilich den Weg nicht zu mir finden können. Ich weiß nicht wie es jetzt noch in Bewegung kam, aber kurz es wurde mir geschickt und zwar durch – Campe in Braunschweig, der mir bei dieser Gelegenheit die schönsten Sachen sagt.
Ich halte dafür, es wird nicht ganz übel seyn wenn ich es dem Herzog notificire, und um diese Gefälligkeit ersuche ich Sie, wenn es Sie nicht beschwert. Ich lege deßwegen die Acta bei. Daß ich als ein deutscher Publicist κατ‘ ἐξοχήν darin erscheine, wird Sie hoffentlich auch belustigen.
Leben Sie recht wohl. Ich habe einen Posttag und noch allerlei abzufertigen. Meine Frau grüßt schön.
Sch.
H 441 | S 435 | B 435
Weimar, den 28. Februar 1798
Wenn die Stuttgarter Freunde artiger gewesen und mir die Zeit von Thouret’s Ankunft gemeldet hätten, so könnte ich vielleicht jetzt bei Ihnen seyn, denn außer diesem Einen Geschäft habe ich alles Übrige hinter mich gebracht. Geht Ihr Wallenstein indessen auf seinem Wege mit starken Schritten fort, so will ich das bisherige Entbehren verschmerzen; man sieht freilich, wie es auch Humboldten geht, wenn gewisse Unterhaltungen fehlen, wie nöthig sie einem werden können.
Die Franzosen muß Humboldt, wenn sie ein theoretisch Gespräch anfangen, ja zu eludiren suchen, wenn er sich nicht immer von neuem ärgern will. Sie begreifen gar nicht daß etwas im Menschen sey, wenn es nicht von außen in ihn hineingekommen ist. So versicherte mir Mounier neulich: das Ideal sey etwas aus verschiedenen schönen Theilen Zusammengesetztes! Da ich ihn nun denn fragte: woher denn der Begriff von den schönen Theilen käme? und wie denn der Mensch dazu käme ein schönes Ganze zu fordern? und ob nicht für die Operation des Genie’s, indem es sich der Erfahrungselemente bedient, der Ausdruck zusammensetzen zu niedrig sey? so hatte er für alle diese Fragen Antworten aus seiner Sprache, indem er versicherte daß man dem Genie schon lange une sorte de création zugeschrieben habe.
Und so sind alle ihre Discurse: sie gehen immer ganz entscheidend von einem Verstandsbegriff aus, und wenn man die Frage in eine höhere Region spielt, so zeigen sie daß sie für dieses Verhältnis auch allenfalls ein Wort haben, ohne sich zu bekümmern ob es ihrer ersten Assertion widerspreche oder nicht.
Durch Ihre Frau Schwägerin werden Sie ja wohl erfahren haben daß auch Mounier Kantens Ruhm untergraben hat, und ihn nächstens in die Luft zu sprengen denkt. Dieser moralische Franzos hat es äußerst übel genommen daß Kant die Lüge, unter allen Bedingungen, für unsittlich erklärt. Böttiger hat eine Abhandlung gegen diesen Satz nach Paris geschickt, der ehestens in der Décade philosophique wieder zu uns zurückkommen wird, worin denn zum Trost so mancher edlen Natur klar bewiesen wird daß man von Zeit zu Zeit lügen müsse.
Wie sehr Freund ubique sich freuen muß, wenn dieser Grundsatz in die Moral aufgenommen wird, können Sie leicht denken, da er seit einiger Zeit die Bücher, die man ihm geliehen hat, hartnäckig abschwört, ob es gleich gar kein Geheimniß ist, daß er sie im Hause hat ,und sich deren ganz geruhig fort bedient.
Ich habe jetzt ein Verhältniß mit dem Grafen und der Gräfin Fouquet wegen naturhistorischer Gegenstände. Es sind recht artige, höfliche, dienstfertige Leute und auch mit mir recht einig und wohl zufrieden; doch merkt man daß sie sich immer im stillen ein gewisses Präcipuum vorbehalten manches besser zu wissen, über manches besser zu denken glauben.
Mein Gedicht scheint, wie ich aus diesen Nachrichten sehe, Voß nicht so wohlthätig als mir das seine. Ich bin mir noch recht gut des reinen Enthusiasmus bewußt, mit dem ich den Pfarrer von Grünau aufnahm, als er sich zuerst im Merkur sehen ließ, wie oft ich ihn vorlas, so daß ich einen großen Theil davon noch auswendig weiß, und ich habe mich sehr gut dabei befunden, denn diese Freude ist am ende doch productiv bei mir geworden, sie hat mich in diese Gattung gelockt, den Hermann erzeugt, und wer weiß was noch daraus entstehen kann. Daß Voß dagegen mein Gedicht nur se defendendo genießt, thut mir sehr leid für ihn, denn was ist denn an unserm ganzen bischen Poesie, wenn es uns nicht belebt, und uns für alles und jedes, was gethan wird, empfänglich macht? Wollte Gott ich könnte wieder von vorn anfangen, und alle meine Arbeiten als ausgetretne Kinderschuhe hinter mir lassen, und was Bessers machen.
Jetzt erheitre ich mich mit dem Gedanken daß ich bei meinem nächsten Aufenthalt in Jena kleine Sachen machen will, in einer Art zu der ich den wohlthätigen Einfluß des Frühlings brauche. Wie sehr freut es mich daß wir beide gewiß so fest an der Sache als an einander halten werden.
Heute Nacht haben wir, nach der unvermutheten Ankunft der Gothaischen fürstlichen Jugend, einen Ball aus dem Stegreife und Soupé um zwei Uhr gehabt, worüber ich denn einen schönen Morgen zum größten Theil verschlief. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau und bereiten sich für den Sommer im Garten ein heiteres Daseyn.
G.
H 440 | S 434 | B 434
Jena, den 27. Februar 1798
Dieser Februar ist also hingegangen, ohne Sie zu mir zu bringen, und ich habe, erwartend und hoffend, bald den Winter überstanden. Desto heiterer seh’ ich in’s Frühjahr hinein, dem ich wirklich mit neuerwachtem Verlangen mich entgegen sehne. Es beschäftigt mich jetzt zuweilen auf eine angenehme Weise, in meinem Gartenhause und Garten Anstalten zur Verbesserung meines dortigen Aufenthalts zu treffen. Eine von diesen ist besonders wohlthätig und wird eben so angenehm seyn: ein Bad nämlich, das ich reinlich und niedlich in einer von den Gartenhütten mauern lasse. Die Hütte wird sogleich um einen Stock erhöht und soll eine freundliche Aussicht in das Thal der Leutra erhalten. Auf der entgegengesetzten Lambrechtischen Seite ist schon im vorigen Jahr an die Stelle der Hütte eine ganz massiv gebaute Küche getreten. Sie werden also, wenn Sie uns im Garten besuchen, allerlei nützliche Veränderungen darin finden. Möchten wir nur erst wieder dort beisammen seyn!
Ich lege doch jetzt ganz unvermerkt eine Strecke nach der andern in meinem Pensum zurück und finde mich so recht in dem tiefsten Wirbel der Handlung. Besonders bin ich froh, eine Situation hinter mir zu haben, wo die Aufgabe war, das ganz gemeine moralische Urtheil über das Wallensteinische Verbrechen auszusprechen und eine solche an sich triviale und unpoetische Materie poetisch und geistreich zu behandeln, ohne die Natur des Moralischen zu vertilgen. Ich bin zufrieden mit der Ausführung und hoffe unserm lieben moralischen Publicum nicht weniger zu gefallen, ob ich gleich keine Predigt daraus gemacht habe. Bei dieser Gelegenheit habe ich aber recht gefühlt, wie leer das eigentlich Moralische ist, und wie viel daher das Subject leisten mußte, um das Object in der poetischen Höhe zu erhalten.
In Ihrem letzten Briefe frappirte mich der Gedanke, daß die Natur, obgleich von keinem Einzelnen gefaßt, von der Summe aller Individuen gefaßt werden könnte. Man kann wirklich, däucht mir, jedes Individuum als einen eigenen Sinn betrachten, der die Natur im Ganzen eben so eigenthümlich auffaßt als ein einziges Sinnenorgan des Menschen und eben so wenig durch einen andern sich ersetzen läßt, als das Ohr durch das Auge u. s. w. Wenn nur jede individuelle Vorstellungs- und Empfindungsweise auch einer reinen und vollkommenen Mittheilung fähig wäre: denn die Sprache hat eine, der Individualität ganz entgegengesetzte Tendenz, und solche Naturen, die sich zur allgemeinen Mittheilung ausbilden, büßen gewöhnlich so viel von ihrer Individualität ein, und verlieren also sehr oft von jener sinnlichen Qualität zum Auffassen der Erscheinungen. Überhaupt ist mir das Verhältniß der allgemeinen Begriffe und der auf diesen erbauten Sprache zu den Sachen und Fällen und Intuitionen ein Abgrund, in den ich nicht ohne Schwindeln schauen kann. Das wirkliche Leben zeigt in jeder Minute die Möglichkeit einer solchen Mittheilung des Besondern und Besondersten durch ein allgemeines Medium, und der Verstand als solcher muß sich beinah die Unmöglichkeit beweisen.
Leben Sie recht wohl. Ich lege Humboldt’s letzten Brief bei, den ich mir zur Beantwortung bald zurück erbitte. Meine Frau grüßt Sie auf’s beste. Meyern viele Grüße.
Sch.
H 439 | S 433 | B 433
Weimar, den 25. Februar 1798
Jedem der Mittwochs oder Sonnabends früh in mein Zimmer kommt wird auf die Finger gesehen ob er nicht einen Brief von Ihnen bringe, und da ich heute dieses ersehnte Frühstück entbehren mußte, so hat mir ein blaues Couvert am Abend desto mehr Freude gemacht.
Unsern Schweden den Sie trefflich geschildert haben, habe ich noch morgen zu bleiben beredet. Unsere Frauen in Weimar bedürfen gar sehr solcher fremder Erscheinungen, und ich mag ihnen, da sie sonst so wenig Vergnügen haben, dergleichen gerne gönnen. Gewiß sind diese Naturen sehr wünschenswerth weil sie zur affirmativen Seite gehören und doch immer Talente in der Welt supponiren müssen, wenn ihr Talent gelten soll.
Ich kann nicht ausdrücken wie sehr ich hoffe die Resultate Ihrer Arbeiten zu sehen und mich mit Ihnen über so vieles zu unterhalten. Hätten mich die Stuttgarter nicht ohne Antwort gelassen, so daß ich über Thourets Ankunft ungewiß wäre, so hätte ich schon vor einigen Tagen zu Ihnen kommen können.
Ich erinnere mich kaum was ich heute früh über den rationellen Empirism schrieb, mir scheint es aber als wenn er auf seinem höchsten Puncte auch nur kritisch werden könnte. Er muß gewisse Vorstellungsarten neben einander stehen lassen, ohne daß er sich untersteht eine auszuschließen oder eine über das Gebiet der andern auszubreiten. In der ganzen Geschichte der Farbenlehre scheint mir dieß der Fehler, daß man die drei Eintheilungen nicht machen wollte und daß man die empirischen Enunciationen, die auf Eine Abtheilung der Erfahrungen paßten, auf die andere ausdehnen wollte, da denn zuletzt nichts mehr paßte.
Eben so scheint es mir mit Ideen zu seyn die man aus dem Reiche des Denkens in das Erfahrungsreich hinüber bringt; sie passen auch nur auf Einen Theil der Phänomene, und ich möchte sagen, die Natur ist deßwegen unergründlich, weil sie nicht Ein Mensch begreifen kann, obgleich die ganze Menschheit sie wohl begreifen könnte. Weil aber die liebe Menschheit niemals beisammen ist, so hat die Natur gut Spiel sich vor unsern Augen zu verstecken.
In Schelling’s Ideen habe ich wieder etwas gelesen und es ist immer merkwürdig sich mit ihm zu unterhalten; doch glaube ich zu finden, daß er das was den Vorstellungsarten die er in Gang bringen möchte, widerspricht, gar bedächtig verschweigt, und was habe ich denn an einer Idee die mich nöthigt meinen Vorrath von Phänomenen zu verkümmern?
Von der andern Seite sind die Mathematiker, welche ungeheure Vortheile haben der Natur zu Leibe zu gehen, auch oft in dem Falle das Interessanteste zu vertuschen. Ein alter Hofgärtner pflegte zu sagen: die Natur läßt sich wohl forciren aber nicht zwingen, und alles was wir theoretisch gegen sie vornehmen sind Approximationen bei denen die Bescheidenheit nicht genug zu empfehlen ist. Es war mir neulich sehr interessant Lambert’s Photometrie durchzugehen, der wirklich liebenswürdig erscheint, indem er seinen Gegenstand für unerreichbar erklärt, und zugleich die äußerste Mühe anwendet ihm beizukommen.
Das soll nun alles, besonders wenn ich meine Arbeit erst vorlegen kann, zu den besten Gesprächen Anlaß geben.
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So weit war ich am Mittwoch gekommen. Was ich gestern dictirte hat gar keine Gestalt, und doch soll dies Blatt ungesäumt zu Ihnen. Die Herrschaft ist nach Gotha. Diesen ganzen ruhigen Tag habe ich mit neuen Bibliothekseinrichtungen zugebracht, wobei noch nichts gewonnen ist als was sich von selbst verstünde.
Leben Sie recht wohl und erfreuen mich Mittwoch wieder mit einem Briefe.
G.
H 438 | S 432 | B 432
Weimar, den 24. Februar 1798
Schon Mittwochs hatte ich ein Blatt an Sie dictirt und heute fing ich an etwas dazu zu fügen, dadurch wurden aber meine Äußerungen so confus, daß ich es noch einmal redigiren muß. Es soll morgen Abend mit der reitenden Post abgehen.
Von Schlegeln weiß ich so viel, daß er nach Ostern über Berlin nach Dresden gehen will, künftigen Winter wird er aber wieder in Jena seyn.
Wenn ich hinüber komme werde ich den Vorschlag thun daß Sie ihn vor seiner Abreise noch ein paarmal sehen, damit er nicht etwa, aus Unmuth, seine Beiträge die ich doch nicht gern entbehren möchte, Ihrem Almanach entwende.
Leben Sie recht recht wohl und behalten mich lieb.
G.
H 436 | S 431 | B 431
Jena, den 23. Februar 1798
Bei der Art, wie Sie jetzt Ihre Arbeiten treiben, haben Sie immer den schönen doppelten Gewinn, erstlich die Einsicht in den Gegenstand und dann zweitens die Einsicht in die Operation des Geistes, gleichsam eine Philosophie des Geschäfts, und das letzte ist fast der größere Gewinn, weil eine Kenntniß der Geisteswerkzeuge und eine deutliche Erkenntniß der Methode den Menschen schon gewissermaßen zum Herrn über alle Gegenstände macht. Ich freue mich sehr darauf, wenn Sie hieher kommen, gerade über dieses Allgemeine in Behandlung der Empirie recht viel zu lernen und nachzudenken. Vielleicht entschließen Sie sich dieses Allgemeine, an der Spitze Ihres Werks, recht ausführlich abzuhandeln und dadurch dem Werke, sogar unabhängig von seinem besondern Inhalt, einen absoluten Werth für alle diejenigen welche über Naturgegenstände nachdenken, zu verschaffen. Baco sollte Sie billig dazu veranlassen.
Was Ihre Anfrage wegen des Sylbenmaßes betrifft, so kommt freilich das Meiste auf den Gegenstand an, wozu Sie es brauchen wollen. Im allgemeinen gefällt mir dieses Metrum auch nicht, es leyert gar zu einförmig fort, und die feierliche Stimmung scheint mir unzertrennlich davon zu seyn. Eine solche Stimmung ist es wahrscheinlich nicht, was Sie bezwecken. Ich würde also die Stanzen immer vorziehen, weil die Schwierigkeiten gewiß gleich sind, und die Stanzen ungleich mehr Anmuth haben.
Ich erfahre über Paris (durch Humboldt) daß Schlegel’s Jena verlassen und nach Dresden ziehen wollen. Haben Sie vielleicht auch davon gehört?
Nach dem, was meine Frau mir sagte, hat Brinkmann in Weimar gar großes Glück gemacht, und besonders am verwittweten Hofe. Er ist ein sehr unterhaltender Mensch in Gesellschaft und schlau genug, das Geistreiche und das Triviale an beiden Enden zusammen zu knüpfen.
Humboldt schreibt mir auch das Urtheil, welches Voß über Ihren Hermann gefällt hat; er hat es von Vieweg, der jetzt in Paris ist. Er habe gefürchtet, sagt Voß, der Hermann werde seine Louise in Vergessenheit bringen. Das sey nun zwar nicht der Fall, aber er enthalte doch einzelne Stellen für die er seine ganze Louise hingeben würde. Daß Sie im Hexameter die Vergleichung mit ihm nicht aushalten könnten, sey Ihnen nicht zu verdenken, da dieß einmal seine Sache sey, aber doch finde er daß Ihre neuesten Hexameter viel vollkommener seyen. – Man sieht daß er auch keine entfernte Ahnung von dem innern Geist des Gedichts und folglich auch keine von dem Geist der Poesie überhaupt haben muß, kurz keine allgemeine und freie Fähigkeit, sondern lediglich seinen Kunsttrieb, wie der Vogel zu seinem Nest, und der Biber zu seinen Häusern.
Leben Sie recht wohl. Meine Frau will auch noch etwas beilegen.
Humboldts Brief kann ich nicht sogleich finden, ich will ihn ein andermal schicken.
Sch.
H 435 | S 430 | B 430
Weimar, den 21. Februar 1798
Heute früh erwartete ich vergebens einen Brief von Ihnen, wenn nur nicht das Außenbleiben desselben auf ein Übelbefinden deutet.
Brinkmann war sehr erfreut mit Ihnen einige Stunden vertraulich zugebracht zu haben. Seine lebhafte Theilnahme an so vielem verdient wirklich eine gute Aufnahme; gestern aß er mit mir und ich hatte ihn zwischen unsere zwei liebenswürdige Schriftstellerinnen placirt, wo er sich außerordentlich gut befand. Eigentlich aber scheint er mir eine rechte Natur für ein so großes Element wie Berlin zu seyn.
Sagen Sie mir doch Ihre Gedanken über die Versart in welcher der Schlegel’sche Prometheus geschrieben ist. Ich habe etwas vor das mich reizt Stanzen zu machen, weil sie aber gar zu obligat und gemessen periodisch sind, so habe ich an jenes Sylbenmaß gedacht, es will mir aber bei näherer Ansicht nicht gefallen, weil es gar keine Ruhe hat und man wegen der fortschreitenden Reime nirgends schließen kann.
Sonst habe ich noch manches durchgedacht, um die Anforderungen an die rationelle Empirie, nach Ihrer Ausführung die Sie mir vor einigen Wochen zuschickten, noch recht nach meiner Art durchzuarbeiten. Ich muß damit auf’s Reine kommen eh’ ich wieder an den Baco gehe, zu dem ich abermals ein großes Zutrauen gewonnen habe. Ich lasse mich auf diesem Wege nichts verdrießen und ich sehe schon voraus, daß wenn ich mein Farbencapitel gut durchgearbeitet haben werde, ich in manchem Andern mit großer Leichtigkeit vorschreiten kann. Nächstens mehr und ich hoffe bald mündlich.
G.
H 434 | S 430 | B 430
Jena, den 20. Februar 1798
Da ich eine Zeitlang „von dem Schall der menschlichen Rede“ fast ganz entfernt lebte, so war mir die lebhafte Gesprächigkeit des Freunds, der mir gestern Ihren Brief überbrachte, sehr erfrischend und ergötzend. Es ist überhaupt unterhaltend, einen Leser zu sehen, und sich die eigenen oder fremden Ideen in irgend einer Gestalt wiedergeben zu lassen. Diesem sieht man übrigens die Filiation stark an, weil er durch Humboldts in unsern Kreis gezogen worden. Eigen ist es, wie sich bei einem gewissen Zustand der Literatur ein solches Geschlecht von Parasiten, oder wie Sei’s nennen wollen, erzeugt, die sich aus dem was von andern geleistet ist, eine gewisse Existenz bilden, und ohne das Reich der Kunst oder Wissenschaft selbst zu bereichern oder zu erweitern, doch zum Vertrieb dessen dienen was da ist, Ideen aus Büchern ins Leben bringen, und wie der Wind oder gewisse Vögle den Samen dahin oder dorthin streuen. Als Zwischenläufer zwischen dem Schriftsteller und dem Publicum muß man sie wirklich sehr in Ehren halten, obgleich es gefährlich seyn möchte, sie mit dem Publicum zu verwechseln. Übrigens hat dieser gegenwärtige Freund einen feinen Sinn, und bei seinem raisonnirenden Hange scheint er mir eine zarte Empfindung zu besitzen, dabei eine besondre Geschmeidigkeit, sich in Fremdes zu finden, ja es sich anzueignen.
Die Anwendung der Kategorien auf Ihren aufgehäuften Stoff kann für Sie nicht anders als fruchtbar seyn. Indem es zugleich eine treffliche Recapitulation ist, thut Ihnen dieses Geschäft die Dienste eines Freundes von entgegengesetzter Natur. Es zwingt Sie, wie ich mir’s vorstelle, zu strengen Bestimmungen, Gränzscheidungen, ja harten Oppositionen, wozu Sie von sich selbst nicht so geneigt sind, weil Sie der Natur Gewalt anzuthun fürchten; und weil diese Härte und Strenge, so gefährlich sie auch im Einzelnen aussieht, durch die Totalität des Geschäfts selbst immer wieder gut gemacht wird, so werden Sie, durch diese Operation, immer wieder befriedigend zu Ihrer eignen Vorstellungsweise zurückgeführt. Diesen Dienst leistet Ihnen vorzugsweise der Begriff der Wechselwirkung und der Limitation; Sie werden aber auch bei dem der Allheit und der Nothwendigkeit das Nämliche erfahren. Da Sie bei dem Werke selbst polemisch zu seyn nicht vermeiden können, so gibt Ihnen die Kategorienprobe einen entschiedenen Vortheil, und wie sehr sie Ihnen zur Übersicht des historischen Theiles dient, begreife ich sehr gut.
Auf das Schema selbst bin ich jetzt mehr als jemals begierig, und wenn Sie kommen, so wollen wir uns mit rechter Lust und Ernst darüber verbreiten; ich finde es, unabhängig von der Sache selbst, die mich so sehr interessirt zu approfondiren, sehr interessant Ihnen die Stelle eines guten Lesers zu vertreten und zu versuchen wie sich die doppelte Rücksicht auf den Gegenstand und auf das subjective Bedürfniß des Lesers in einer und derselben Wendung vereinigen läßt.
Da ich so oft in meiner Arbeit gehemmt werde und deßwegen das Ende noch nicht absehen kann, so ängstigen mich die Nachfragen nach dem Wallenstein, die nun anfangen von außen an mich zu geschehen. Schröder will ihn selbst spielen und scheint nicht abgeneigt, selbst in Weimar darin auftreten zu wollen. Auch Unger aus Berlin schreibt mir gestern, daß mir das Berliner Theater jedes beliebige Honorar bezahlen wollte, wenn ich das Stück ihm noch vor dem Abdruck senden wolle. Wäre ich nur erst fertig! Die Arbeit geht jetzt wieder ein wenig, obgleich mir der Kopf noch nicht recht frei ist.
Leben Sie recht wohl. Meine Frau geht morgen hinüber, um die Zauberflöte zu hören, wird Sie aber, da sie in der Nacht wieder geht, schwerlich sprechen können. Kommen Sie nur endlich einmal, wir sehnen uns nach den hübschen Abenden. Meyern recht viele Grüße.
Sch.
H 433 | S 439 | B 439
Weimar, den 18. Februar 1798
Herr von Brinkmann, der um Sie zu sehen nach Jena geht, wünscht einige Worte von mir mitzunehmen. Da er Ihnen durch die Musen schon empfohlen ist, und seine lebhafte Unterhaltung Ihnen gewiß angenehm seyn wird, so brauche ich weiter nichts zu sagen.
Meinen gestrigen Brief konnte ich nicht einmal mit einem Gruße schließen, so ging alles bei mir durcheinander. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau; wie sehr wünsche ich zu vernehmen, daß Ihre Arbeit bald wieder in Gange sei.
G.
H 432 | S 427 | B 427
[Weimar, den 17. Februar] 1798
So sehr ich die Unvollkommenheit jenes ersten Versuches fühlte und fühle, so ein großes Vertrauen habe ich doch auf eine bessere Ausführung, bei der Sie mir gewiß, wenn wir nur erst wieder zusammenkommen, auf’s nachdrücklichste beistehen werden.
Der Hauptfehler jener Arbeit, den sie auch mit Recht bemerken, ist, daß ich nicht immer bei dem nämlichen Subject geblieben bin, und daß ich bald Licht bald Farbe, bald das allgemeinste bald das besonderste genommen habe.
Das hat aber gar nichts zu sagen. – Wenn man statt einer Tabelle drei macht, und sie ein halb dutzendmal umschreibt, so müssen sie schon ein ander Ansehen gewinnen.
Ich glaube zwar selbst, daß die empirische Masse von Phänomenen, die, wenn man sie recht absondert und nicht muthwillig verschmilzt, eine sehr große Zahl ausmachen und eine ungeheure Breite einnehmen, sich zu einer Vernunfteinheit schwerlich bequemen werden, aber auch nur die Methode des Vortrags zu verbessern ist jede Bestrebung der Mühe werth.
Auch ist meine Eintheilung diejenige die Sie verlangen:
- In Beziehung auf’s Auge physiologische;
- In Beziehung auf Licht und Finsterniß physische,
welche alle ohne Mäßigung und Gränze nicht bestehen und von denen die prismatischen nur eine Unterabtheilung sind.
- Chemische, die uns an Körpern erscheinen.
Wenn man diese Eintheilung auch nicht weiter als zum Vortrage geben will, so kann sie doch nicht entbehrt werden, und bis jetzt weiß ich keine andere zu machen.
Was mich aber eigentlich zu jenem Schema nach den Kategorien geführt hat, ja was mich genöthigt auf dessen Ausführung zu bestehen, ist die Geschichte der Farbenlehre.
Sie theilt sich in zwei Theile, in die Geschichte der Erfahrungen und in die Geschichte der Meinungen, und die letztere müssen doch alle unter den Kategorien stehen.
Eine Sonderung ist daher höchst nöthig, vorzüglich weil man sonst nicht durch die neueren Aristoteliker durchkommt, welche die ganze Naturwissenschaft und besonders auch dieses Capitel in’s metaphysische, oder vielmehr in’s dialectische Fach spielten.
Dabei, scheint mir’s, haben sie wirklich die möglichen Vorstellungsarten erschöpft, und es wäre interessant, sie in einer reinen Ordnung neben einander zu sehen; denn weil die Natur von so unerschöpflicher und unergründlicher Art ist, daß man alle Gegensätze und Widersprüche von ihr prädiciren kann, ohne daß sie sich im mindesten dadurch rühren läßt, so haben die Forscher von jeher sich dieser Erlaubniß redlich bedient, und auf eine so scharfsinnige Art die Meinungen gegen einander gestellt, daß die größte Verwirrung daraus entstand, welche nur durch eine allgemeine Übersicht des Prädikabeln zu heben ist.
Ich bin überzeugt und es wird sich in der Folge darthun lassen, daß das Newtonische System nach und nach sich so viel Bekenner erwarb, weil ein Emanations– oder Emissionssystem, wie man’s nennen will, doch immer nur eine Art von mystischer Eselsbrücke ist, die den Vortheil hat aus dem Lande der unruhigen Dialectik in das Land des Glaubens und der Träume hinüber zu führen.
Das erste meo voto sollte also seyn: die Lehre vom Licht und von den Farben im allgemeinsten, jede besonders, nach den Kategorien aufzustellen, wobei man sich alles empirisch Einzelnen enthalten müßte.
Das empirisch Einzelne ist nun schon nach den drie Eintheilungen, die mit Ihren geforderten übereinstimmen, aufgestellt. Nächstens erhalten Sie wohl das Schema über das Ganze, Sie werden sich über die ungeheure Masse verwundern, wenn Sie solche nur erst im Detail sehen.
Alles rückt in übersehbare Ordnung zusammen, und ich werde mich hüten irgend einen Theil auszuarbeiten, bis ich an meinem Schema nichts mehr zu bessern weiß, dann ist aber auch die Arbeit so gut als gethan. Ich bitte Sie um gefälligen Beistand, durch Einstimmung und Opposition; die letzte ist mir immer nöthig, niemals aber mehr als wenn ich das Feld der Philosophie übergehe, weil ich mich darin immer mit Tasten behelfen muß.
Ich habe diese Woche ein Dutzend Autoren, die in meinem Fache geschrieben haben, nur flüchtig durchgesehen, um für die Geschichte einige Hauptmomente zu finden, und fühle ein Zutrauen, daß sich aus denselben etwas artig Lesbares wird machen lassen, weil das Besondere angenehm, und das Allgemeine menschlich weitgreifend ist.
Indessen fürchte ich und wünsche ich, daß der momentane Trieb zu dieser Materie mich bald verlassen und einem poetischen Platz machen möge. Doch kann ich immer zufrieden seyn, daß ich in meiner jetzigen zerstreuten Lage noch ein Interesse habe, das mich durch alles durchhält.
G.
H 431 | S 426 | B 426
Jena, den 16. Februar 1798
Es ist eine mißliche Unternehmung einen so vermischten empirischen Stoff nach einer Form zu behandeln, die den Anspruch auf eine erschöpfende Vollständigkeit mit sich führt. Weil die zwölf Kategorien alle mögliche Hauptfragen enthalten, die an einen Gegenstand gemacht werden können, so muß, wenn richtig subsummirt worden, ein Gefühl von Befriedigung erfolgen, welches ich aber gar nicht habe, sondern eher das Gegentheil. Indessen glaube ich liegt es mehr an der Materie als an Ihrer Ausführung, daß diese noch ein viel zu rhapsodistisches und daher willkürliches Ansehen hat. Es liege aber woran es will, so zweifle ich sehr, daß Sie mich auf diesem Wege sich näher bringen werden: denn unter einer so strengen Form, die eine Forderung der Totalität unausbleiblich erregt, wird mir dieser empirische Gegenstand immer als eine unübersehbare Masse erscheinen, und ich werde gerade deßwegen, weil der Verstand darüber herrschen will, meine empirische Insufficienz empfinden.
Wenn die Kategorienprobe überhaupt stattfinden und von Nutzen seyn soll, so muß sie, däucht mir, mit dem Allgemeinsten und Einfachsten der Farbenlehre angestellt werden, ehe von den besondern Bestimmungen die Rede ist, denn diese können nur Verwirrung erregen.
Ferner scheint mir daraus eine Verwirrung entsprungen zu seyn, daß Sie nicht immer bei dem nämlichen Subject der Frage geblieben, sondern in der einen Kategorie das Licht, in der andern die Farbe vor Augen hatten, wie es sich am gelegensten machte, da doch das Wesen dieser ganzen Operation darauf beruht, daß die Kategorien immer nur die Prädicate hergeben, das Subject, von welchem prädicirt wird, aber immer dasselbe bleibt.
Ich verspare es auf unsere mündliche Communicationen, auf die Sache genauer einzugehen, weil das Gespräch mir viel schneller forthelfen wird. Nur ein paar Anmerkungen will ich vorläufig niederschreiben.
Bei dem Moment der Qualität müßte, däucht mir, die wichtige Frage beantwortet werden, ob die Farbe als positive eigene Energie oder nur als limitirte Lichtenergie wirkt, und ob mithin bei der Wirkung der Farbe das eigentlich Wirkende nur das Licht, die Farbenerscheinung selbst aber nur eine eigen modificirte Negation des Lichts ist. (Ohne Licht gibt es für das Auge natürlich keine Farbe, weil das Licht die Bedingung alles Sehens ist. Aber ohne Licht giebt es für das Auge auch keine Gestalt, Größe etc., und es frägt sich also, ob nicht die Qualität der Farbe auch unabhängig vom Licht existirt.)
Bei der Relation müßte also gefragt werden:
- Ist die Farbe nur ein Accidens vom Licht, und mithin nichts Substantielles?
- Ist die Farbe bloß Wirkung des Lichts?
- Ist sie das Product einer Wechselwirkung zwischen dem Licht und einem von demselben verschiedenen substantiellen Agens = x? (Weil bei der Kategorie der Relation alles nur relativ genommen wird, so wird bei obiger Frage das Licht als eine Substanz gleich gesetzt, und die Frage ist also bloß: ist die Farbe durchaus nur ein Accidens, relativ vom Licht, oder ist sie auch etwas Selbstständiges?)
Sollte es nicht vielleicht zu fruchtbaren Ansichten führen, wenn die Farbe in dreifacher Beziehung betrachtet würde:
- In Beziehung auf das Licht und die Finsterniß.
- In Beziehung auf das Auge.
- In Beziehung auf die Körper an denen sie erscheint.
Ihre Eintheilung der Farben hat mir jetzt noch etwas nicht völlig Bestimmtes, daher ich nicht gewiß weiß, ob ich bei dem was Sie z. B. physische Farbe nennen, gerade das rechte denke. So wie es jetzt dasteht denke ich mir darunter prismatische Farben. Unter chemischen Farben verstehe ich Pigmente.
Ich habe heute wieder versucht zu arbeiten, aber ich werde einige Zeit brauchen, um die rechte Stimmung wieder zu finden.
Leben Sie recht wohl mit Meyern. Die Idylle von der Capelle im Walde erbitte ich mir gelegentlich zurück.
Meine Frau grüßt sie herzlich.
Sch.
H 430 | S 425 | B 425
Weimar, den 14. Februar 1798
Ich übersende, was Sie wohl nicht erwarten, die Phänomene und hypothetischen Enunciationen über die Farbenlehre, nach den Kategorien aufgestellt. So wenig eine solche Arbeit mich kleiden mag, so werden Sie doch meine Absicht löblich finden Ihnen entgegen zu arbeiten, und Sie für diese Sache noch mehr zu interessiren, da denn doch jetzt auf die klärste Darstellung des Ganzen alles ankommt. Unter Ihren Händen wird dieses Blatt gar bald eine andere Gestalt gewinnen.
Ich habe eine Erklärung der Terminologie meiner dreifachen Eintheilung vorausgeschickt und einige Bemerkungen nachgebracht. Nehmen Sie mit dem was ich gebe einstweilen vorlieb, bis ich komme und die Sache durch ein lebhaftes Gespräch geschwind ein paar Stufen überspringt. Ich suche jetzt zu erlangen daß mir kein Name in der ganzen Literaturgeschichte dieses Faches ein bloßer Name sey. Dann ist der sittliche Charakter von der wissenschaftlichen Wirkung ganz unzertrennlich. Dabei ist unglaublich wie sehr die Wissenschaft retardirt worden ist, weil man immer nur von einzelnen, praktischen Bedürfnissen ausging, diese zu befriedigen sich im Einzelnen lange bei gewissen Punkten verweilte, und sich im allgemeinen mit Hypothesen und Theorien übereilte. Doch bleibt es immer ein reizender Anblick wie, durch alle Hindernisse, der Menschenverstand seine impräscriptiblen Rechte verfolgt, und mit Gewalt zur möglichsten Übereinstimmung der Ideen und der Gegenstände losdringt. Ich hoffe, ehe ich am Ende der Arbeit bin soll sich auch alle Bitterkeit gegen den Widerstand verloren haben; ich hoffe ich werde darüber so frei fühlen als denken.
Die wiederholte Nachricht von Ihrem Übelbefinden betrübt mich sehr. Es ist gerade jetzt das einzige Böse das mich in meinem Verhältnisse trifft und ist mir um desto empfindlicher.
Mein längerer Aufenthalt hier am Orte bewirkt mir immer eine freiere Aussicht auf die nächste Zeit. Und in diesem Sinne freue ich mich mehr auf die bevorstehende Reise nach Jena.
Ich bin mit Ihnen völlig überzeugt daß in einer Reise, besonders von der Art die Sie bezeichnen, schöne epische Motive liegen, allein ich würde nie wagen einen solchen Gegenstand zu behandeln, weil mir das unmittelbare Anschauen fehlt, und mir in dieser Gattung die sinnliche Identification mit dem Gegenstande, welche durch Beschreibungen niemals gewirkt werden kann, ganz unerläßlich scheint.
Überdieß hätte man mit der Odyssee zu kämpfen, welche die interessantesten Motive schon weggenommen hat. Die Rührung eines weiblichen Gemüths durch die Ankunft eines Fremden, als das schönste Motiv, ist nach der Nausikaa gar nicht mehr zu unternehmen. Wie weit steht nicht, selbst im Alterthum, Medea, Helena, Dido schon den Verhältnissen nach hinter der Tochter des Alcinous zurück. Die Narine des Vaillants, oder etwas Ähnliches, würde immer nur Parodie jener herrlichen Gestalten bleiben. Dabei komme ich aber auf meinen ersten Satz zurück: daß uns die unmittelbare Erfahrung vielleicht zu Situationen Anlaß gäbe die noch Reiz genug hätten. Wie nöthig aber eine unmittelbare Anschauung sei wird aus folgendem erhellen.
Uns Bewohner des Mittellandes entzückt zwar die Odyssee, es ist aber nur der sittliche Theil des Gedichts der eigentlich auf uns wirkt; dem ganzen beschreibenden Theile hilft unsere Imagination nur unvollkommen und kümmerlich nach. In welchem Glanze aber dieses Gedicht vor mir erschien als ich Gesänge desselben in Neapel und Sicilien las! Es war als wenn man ein eingeschlagnes Bild mit Firniß überzieht, wodurch das Werk zugleich deutlich und in Harmonie erscheint. Ich gestehe daß es mir aufhörte ein Gedicht zu seyn, es schien die Natur selbst, das auch bei jene Alten um so nothwendiger war, als ihre Werke in Gegenwart der Natur vorgetragen wurden. Wie viele von unsern Gedichten würden aushalten auf dem Markte oder sonst unter freiem Himmel vorgelesen zu werden!
Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau. Benutzen Sie jede guten Augenblick.
G.
H 429 | S 424 | B 424
Jena, den 13. Februar 1798
Ich suchte mich über Ihr längeres Ausbleiben durch meinen Fleiß und durch die Aussicht zu trösten, Ihnen desto mehr von meiner Arbeit vorlegen zu können, aber die Jahrszeit und die unordentliche Witterung ist mir gar nicht günstig und hindert alle meine Fortschritte, einer lebhaften Neigung und guten Stimmung zum Trotze. Der Kopf ist mir wieder seit fast acht Tagen von einem katarrhalischen Zufall angegriffen und das alte Übel plagt mich auch. Um mein Gemüth frisch zu erhalten, darf ich an meine gegenwärtige Arbeit nicht einmal denken, ich beschäftige mich mit dem Gedanken an eine entferntere und mit allgemeinen Ideen.
Da ich seit diesem Winter viele Reisebeschreibungen las, so habe ich mich nicht enthalten können, zu versuchen, welchen Gebrauch der Poet von einem solchen Stoffe wohl möchte machen können, und bei dieser Untersuchung ist mir der Unterschied zwischen einer epischen und dramatischen Behandlung neuerdings lebhaft geworden.
Es ist keine Frage daß ein Weltentdecker oder Weltumsegler wie Cook einen schönen Stoff zu einem epischen Gedichte entweder selbst abgeben, oder doch herbeiführen könnte: denn alle Requisite eines epischen Gedichts, worüber wir übereingekommen, finde ich darin, und auch das wäre dabei sehr günstig, daß das Mittel dieselbe Dignität und selbstständige Bedeutung hätte wie der Zweck selbst, ja daß der Zweck mehr des Mittels wegen da wäre. Es ließe sich ein gewisser menschlicher Kreis darin erschöpfen, was mir bei einem Epos wesentlich däucht, und das Physische würde sich mit dem Moralischen zu einem schönen Ganzen verbinden lassen.
Wenn ich mir aber eben diesen Stoff als zu einem Drama bestimmt denke, so erkenne ich auf einmal die große Differenz beider Dichtungsarten. Da incommodirt mich die sinnliche Breite eben so sehr als sie mich dort anzog; das Physische erscheint nun bloß als ein Mittel, um das Moralische herbei zu führen; es wird lästig durch seine Bedeutung und den Anspruch den es macht, und kurz der ganze reiche Stoff dient nun bloß zu einem Veranlassungsmittel gewisser Situationen, die den innern Menschen in’s Spiel setzen.
Es nimmt mich aber wirklich Wunder, daß ein solcher Stoff Sie noch nicht in Versuchung geführt hat, denn hier finden Sie beinahe schon von selbst fertig, was so nöthig und doch so schwierig ist, nämlich die persönliche und physische Wirksamkeit des natürlichen Menschen mit einem gewissen Gehalt, den nur die Kunst ihm geben konnte, vereinigt. Le Vaillant auf seinen africanischen Zügen ist wirklich ein poetischer Charakter und ein wahrhaft mächtiger Mensch, weil er mit aller Stärke der thierischen Kräfte und allen unmittelbar aus der Natur geschöpften Hülfsmitteln die Vortheile verbindet, welche nur die Cultur gewährt.
Leben Sie wohl für heute. Ich werde eben, Nachts um acht Uhr, zum Mittagessen gerufen. Meine Frau grüßt schön.
Sch.
H 428 | S 423 | B 423
Weimar, am 10. Februar 1798
Nach einer Redoute, welche meine Facultäten schlimmer von einander getrennt hat als die Philosophie nur immer thun kann, war mir Ihr lieber Brief sehr erfreulich und erquicklich. Mir war die Schlossersche Schrift nur die Äußerung einer Natur mit der ich mich schon seit dreißig Jahren im Gegensatz befinde, und da ich eben in einem wissenschaftlichen Fache in dem Falle bin über beschränkte Vorstellungsarten, Starrsinn, Selbstbetrug und Unredlichkeit zu denken, so war mir diese Schrift ein merkwürdiger Beleg. Die Newtonianer sind in der Farbenlehre offenbar in demselbigen Fall, ja der Vater Castel gibt geradezu Newton selbst Unredlichkeit schuld, und gewiß geht die Art, wie er aus seinen Monumentis opticis die Optik zusammenschrieb, in diesem Sinne über alle Begriffe. Er hat offenbar die schwache Seite seines Systems eingesehen. Dort trug er seine Versuche vor wie einer der von seiner Sache überzeugt ist und in der Überzeugung mit der größten Considenz Blößen gibt; hier stellt er das Scheinbarste voraus, erzwingt die Hypothese und verschweigt, oder berührt nur ganz leise, was ihm zuwider ist.
Was uns im Theoretischen so auffallend ist sehen wir im Praktischen alle Tage. Wie sehr der Mensch genöthigt ist, um sein einzelnes, einseitiges, ohnmächtiges Wesen nur zu Etwas zu machen, gegen Verhältnisse die ihm widersprechen die Augen zuzuschließen und sich mit der größten Energie zu sträuben, glaubt man seiner eignen Anschauung nicht, und doch liegt auch hievon der Grund in dem Tiefern, Bessern der menschlichen Natur, da er praktisch immer constitutiv seyn muß, und sich eigentlich um das was geschehen könnte nicht zu bekümmern hat, sondern um das was geschehen sollte. Nun ist aber das letzte immer eine Idee, und er ist concret im concreten Zustande; nun geht es im ewigen Selbstbetrügen fort um dem Concreten die Ehre der Idee zu verschaffen u. s. w., einen Punct den ich schon in einem vorigen Briefe berührte und der einen im Praktischen oft selbst überrascht und uns an andern ganz zur Verzweiflung bringt.
Die Philosophie wird mir deßhalb immer werther, weil sie mich täglich immer mehr lehrt mich von mir selbst zu scheiden, das ich um so mehr thun kann, da meine Natur, wie getrennte Quecksilberkugeln, sich so leicht und schnell wieder vereinigt. Ihr Verfahren ist mir darin eine schöne Beihülfe, und ich hoffe bald durch mein Schema der Farbenlehre uns Gelegenheit zu neuen Unterhaltungen zu geben.
Ich habe diese Tage das Werk des Robert Boyle über die Farben gelesen und kenne in diesem ganzen Felde keine schönere Natur. Mit einer entschiedenen Neigung zu einer gewissen Erklärungsart, die freilich auf den chemischen Theil, den er bearbeitet, noch so leidlich paßt, erhält er sich eine schöne Liberalität, die ihn einsehen läßt daß für andere Phänomene andere Vorstellungsarten bequemer sind. Die Unvollkommenheiten seiner Arbeiten erkennt er sehr klar, und seine Darstellung ist in diesem Sinne sehr honnet. Er unterläßt nicht seine Meinung vorzutragen und auszuführen, aber immer wie einer der mit einem Dritten spricht, mit einem jungen Manne, und diesen immer ermahnt alles noch besser zu untersuchen und zu überdenken. Er berührt fast alle bedeutende Fragen und beurtheilt das meiste mit sehr viel Sinn. Nur die zwei ersten Abtheilungen seines Werks sind eigentlich ausgearbeitet; im letzten sind die Experimente weniger methodisch zusammengestellt. Er schrieb das Werk, da er schon sehr an den Augen litt, aus einzelnen Papieren und aus dem Gedächtniß zusammen, um das was er gedacht und erfahren hatte nicht untergehen zu lassen. Er spricht mit einer erfreulichen Klarheit und Wahrheit vom Werth und Unwerth seiner Bemühungen und scheint mir bis jetzt in diesem Fache der einzige der nach des Baco gutem Rath gearbeitet hat. Sein Buch kam ein Jahr früher heraus ehe Newton auf seine Hypothese fiel und mit derselben ganz antibaconisch dieses Feld tyrannisirte. Wären nur noch zwei Menschen auf Boyle gefolgt, welche dieses Fach in seiner Art fortbearbeitet hätten, so wäre uns nichts zu thun übrig geblieben und ich hätte meine Zeit vielleicht besser anwenden können. Doch man wendet seine Zeit immer gut auf eine Arbeit die uns täglich einen Fortschritt in der Ausbildung abnöthigt. Leben Sie recht wohl. Ich wünsche guten Succeß Ihrer Arbeiten.
G.
H 427 | S 422 | B 422
Jena, den 9. Februar 1798
Herr Schlosser hätte besser gethan, die Wahrheiten die ihm Kant, und die Impertinenzen die Fr. Schlegel ihm gesagt, in der Stille einzustecken. Mit seiner seynsollenden Apologie macht er Übel ärger, und gibt sich die unverzeihlichsten Blößen. Die Schrift hat mich angeekelt, ich kann’s nicht läugnen, sie zeigt einen gegen lautere Überzeugung verstockten Sinn, eine incorrigible Gemüthsverhärtung, Blindheit wenigstens, wenn keine vorsetzliche Verblendung. Sie, der den Menschen besser kennt, erklären sich vielleicht richtiger und natürlicher durch eine unwillkürliche Beschränktheit, was ich, der die Menschen gerne verständiger annimmt, als sie sind, mir nur durch eine moralische Unart erklären kann. Deßwegen indignirte mich diese Schrift mehr als sie vielleicht verdienen mag. In einem arroganten Philosophenton finde ich eine recht gemeine Saalbaderei eingekleidet; überall wird an das gemeine niedrige Interesse der menschlichen Natur appellirt, und nirgends finde ich eine Spur von einem eigentlichen Interesse für Wahrheit an sich selbst.
Es läßt sich im Einzelnen über die Schrift nichts sagen, weil der eigentliche Punkt, auf den alles ankam, nämlich die Argumente des Kriticism anzugreifen und die Argumente für diesen neuen Dogmatism zu führen, gar nicht von weitem versucht worden ist. Es ist wirklich kein einziger philosophischer Gedanke da, der einen philosophischen Streit einleiten könnte. Denn was soll man dazu sagen, wenn nach so vielen und gar nicht verlornen Bemühungen der neuen Philosophen, den Punkt des Streits in die bestimmtesten und eigentlichsten Formeln zu bringen, wenn nun einer mit einer Allegorie anmarschirt kommt, und was man sorgfältig dem reinen Denkvermögen zubereitet hatte, wieder in ein Helldunkel hüllt, wie dieser Herr Schlosser bei der Vorlegung der vier philosophischen Secten thut.
Es ist wirklich nicht zu verzeihen, daß ein Schriftsteller der auf gewisse Ehre hält, auf einem so reinlichen Felde als das philosophische durch Kant geworden ist, so unphilosophisch und unreinlich sich betragen darf. Sie und wir andern rechtlichen Leute wissen z. B. doch auch, daß der Mensch in seinen höchsten Functionen immer als ein verbundenes Ganzes handelt, und daß überhaupt die Natur überall synthetisch verfährt. Deßwegen aber wird uns doch niemals einfallen, die Unterscheidung und die Analysis, worauf alles Forschen beruht, in der Philosophie zu verkennen, so wenig wir dem Chemiker den Krieg darüber machen daß er die Synthesen der Natur künstlicherweise aufhebt. Aber diese Herren Schlosser wollen sich auch durch die Metaphysik hindurch riechen und fühlen, sie wollen überall synthetisch erkennen, aber in diesem anscheinenden Reichthum verbirgt sich am Ende die ärmlichste Leerheit und Plattitüde, und diese Affectation solcher Herren, den Menschen immer bei seiner Totalität zu behaupten, das Physische zu vergeistigen und das Geistige zu vermenschlichen, ist, fürchte ich, nur eine klägliche Bemühung ihr armes Selbst in seiner behaglichen Dunkelheit glücklich durchzubringen.
Wir werden, wenn Sie kommen, über diese Materie noch vieles sprechen, aber der Schrift selbst werden wir dabei nicht viel zu danken haben. Schlosser wird übrigens seine Absicht nicht ganz verfehlen, er wird seine Partei, die Unphilosophen, bestärken, denn um die Philosophen mag es ihm überhaupt nicht zu thun seyn.
Leben Sie recht wohl. Das Schmutzwetter ist meinem Fleiße nicht sehr günstig, da es die alten Übel Katarrh und Schnupfen wieder zurückgebracht hat.
Meine Frau empfiehlt sich bestens.
Sch.
H 426 | S 421 | B 421
Weimar, den 7. Februar 1798
Das was Sie mir von Ihrem wenigern Einfluß auf Agnes von Lilien schreiben vermehrt meinen Wunsch daß die Verfasserin im Stillen die Arbeit, besonders des zweiten Theils, nochmals vornehmen, ihn an Geschichtsdetail reicher machen und in Reflexionen mäßiger halten möge. Das Werk ist es werth, um so mehr da sie schwerlich, ihrer Natur nach, ein zweites Süjet finden wird in dem sie sich so glücklich ergehen kann. Im zweiten Bande sind mehrere sehr glückliche Situationen, die durch die Eile mit der sie vorüber rauschen ihren Effect verfehlen. Ich wüßte nicht leicht einen Fall, durch den man den Leser mehr ängstigen könnte als die Scheinheirath mit Julius; nur müßte freilich diese Stelle sehr retardirend behandelt werden.
Wenn Sie meiner Meinung sind so suchen Sie die Verfasserin zu determiniren, um so mehr da es keine Eile hat, und man natürlich den ersten Eindruck eine Zeit lang muß walten lassen.
Da ich von aller Production gleichsam abgeschnitten bin, so treibe ich mich in allerlei Praktischem herum, obgleich mit wenig Freude. Es wäre möglich sehr viele Ideen, in ihrem ganzen Umfang, auszuführen, wenn nicht die Menschen die Determination, die sie von den Umständen borgen, auch schon für Ideen hielten, woraus denn gewöhnlich die größten Pfuschereien entstehen, und bei Verwendung von weit mehr Mühe, Sorge, Geld und Zeit doch zuletzt nichts das eine gewisse Gestalt hätte hervorgebracht werden kann. Mit stiller aber desto lebhafterer Sehnsucht sehe ich dem Tage entgegen, der mich wieder zu Ihnen bringen soll.
Ich sende Ihnen Schlossers zweites Schreiben. Es wird mir interessant seyn über diesen Mann und dessen abermalige Äußerungen umständlicher zu sprechen, wenn wir zusammen kommen. Mir kommt nichts wunderbarer vor als daß er nicht merkt daß er im Grunde seinen Gott doch auch nur postulirt; denn was ist ein Bedürfniß, das auf eine bestimmte Weise befriedigt werden muß, anders als eine Forderung?
Leben Sie recht wohl; es ist spät geworden und ich kann nur noch Sie und Ihre Frauenzimmer bestens grüßen.
G.
H 425 | S 420 | B 420
[Jena, 6. Februar 1798]
Es ist mir lieb, auch von Ihnen hören, daß mein Urtheil über die Idylle und ihren Urheber mich nicht ganz getäuscht hat. Daß es eine weibliche Natur ist, ist wohl kein Zweifel, und dieser ganz naturalistische und dilettantische Ursprung erklärt und entschuldigt das ungehörige in der Behandlung.
Sie scheinen mir auf das Product meiner Schwägerin einen größern Einfluß einzuräumen, als ich mir gerechter Weise anmaßen kann. Plan und Ausführung sind völlig frei und ohne mein Zuthun entstanden. Bei derm ersten Theil habe ich gar nichts zu sprechen gehabt, und er war fertig, eh ich nur seine Existenz wußte. Bloß dieses dankt er mir, daß ich ihn von den auffallenden Mängeln einer gewissen Manier in der Darstellung befreite, aber auch bloß solcher die sich durch Wegstreichen nehmen ließen; daß ich durch Zusammenziehung des Bedeutenden ihm eine gewisse Kraftlosigkeit genommen und einige weitläuftige und leere Episoden ganz herausgeworfen. Bei dem zweiten Theil war an nichts zu denken als an das Fertigwerden und bei diesem habe ich nicht einmal mehr auf die Sprach Einfluß gehabt. Wie also der zweite Theil geschrieben ist, so kann meine Schwägerin völlig ohne fremde Beihülfe schreiben. Es ist wirklich nicht wenig, bei so wenig solider und zweckmäßiger Cultur, und bloß vermittelst eines fast leidenden Auf-sich-wirken-lassens und einer mehr hinträumenden als hellbesonnenen Existenz, doch so weit zu gelangen als sie wirklich gelangt ist.
In dem Verzeichniß Ihrer Arbeitspensen für dieses Jahr finde ich Ihre neue Epopöe nicht, da ich doch glaubte Sie würden schon im Spätjahr ernstlich daran gehen können; doch das können Sie ja selbst noch nicht wissen, wie die Göttin Sie führt.
Ihr längeres Ausbleiben vermehrt allerdings meinen Wallensteinischen Vorrath, und da ich diejenige Scene, welche am meisten von der äußern heitern Influenz abhängt, habe liegen lassen und zum ersten Ausflug in meinen Garten verschoben, so könnte ich in etlichen Wochen den dritten Act geendigt haben. Der vierte und fünfte sind zusammen nicht größer als der erste, und machen sich beinahe von selbst.
Leben Sie recht wohl. Ich habe Besuch im Hause, von meiner Schwägerin, die Sie so wie auch meine Frau schönstens grüßt.
Sch.
[Beilage; nicht bei H.]
Citoyen Humboldt rue de Verneuil Faubourg St. Germain vis à vis la rue Str. Marie Nro. 824.
H 424 | S 175 | B 176
Jena, den 5. Februar 1798
Für die überschickten Folianten danke ich Ihnen bestens. Noch habe ich über Geschäften nicht dazu kommen können, mich darüber zu machen.
Durch Ihre Beantwortung meiner Anfrage, die Künstlerkritik betreffend haben Sie mir eine recht angenehme Hoffnung erweckt. Die Anzahl von Meistern mit denen Sie bekannt sind, ist schon so beträchtlich groß, daß sich etwas darauf unternehmen läßt. Viel Kunst in der Einkleidung erfordert eine solche Arbeit gerade nicht. Es ist genug, bestimmt und kurz zu seyn. Auch bin ich zufrieden, wenn nach gemachtem Anfang monatlich nur zwei oder drei gedruckte Blätter geliefert werden. Wollen Sie, bis wir uns mündlich unterreden können, einstweilen nur auf Ihren Vorrath und auf die etwa dabei zu treffende Ordnung denken?
Von der Thalia, die Sie durchblättern wollen, übersene ich Ihnen was ich gerade bei der Hand habe. Auch lege ich ein Avertissement von einem neuen Journal-Institut bei, welches sich zunächst mit Kunstkritik abgibt, von dem ich aber noch nicht sonderlich viel versprechen kann. Sehen Sie doch, ob Sie unter Ihrer Bekanntschaft keinen Liebhaber dazu finden. Wir müssen dieses Journal wohl lesen, damit wir wissen was andere über einen Artikel sagen, von dem wir auch handeln wollen. Fragen Sie doch den Herrn Geh. Raht, welche Journale er auf seinen Antheil nehmen will, daß ich mich in Vertheilung der übrigen danach richte. Ich will dann dafür sorgen, daß keines uns unbekannt bleibe.
Mit dem Siegen der Horen mag es ganz so gehalten werden, wie Sie schreiben.
Her Coadjutor von Dahlberg schreibt mir daß er uns bald einen Auffsatz über Kunstschulen zu den Horen einsenden wird. Das ist etwas, was Sie angeht.
Jetzt weiß ich endlich, was die Kunst ist. „Die Kunst ist diejenige mechanische Handgeschicklichkeit, durch welche vermittelst gewisser Werkzeuge ein natürlicher Körper zur Waare gemacht wird.“ Ich bitte Sie, sich dieses gesagt seyn zu lassen, und sich ja künftig immer zu erinnern, aß Sie einen natürlichen Körper zur Waare machen, wenn Sie einen Genius von Carrache oder dergleichen ausführen. Mahen Sie ja den Herrn Geh. Rath mit diesem Funde bekannt. Wo ich ihn aufgetrieben habe, sollen Sie einmal hören.
Ich wünschte, daß bei Ihnen in Weimar die Geschäfte besser gehen mögen als bei mir. Seit acht Tagen und länger fehlte es mir sowohl an Lust und Laune als an Gesundheit zu meinen Geschäften, und was das Schlimmste ist, so habe ich mich so gewöhnt, daß ich, wenn ich nicht ganz bei meiner Arbeit bin, gar nicht dabei seyn kann.
Leben Sie recht wohl und empfehlen mich dem Herrn Geh. Rath auf’s beste. Von Herzen der Ihre.
Sch.
N. S. das achte Heft der Thalia, worin der Abschied steht, theilen Sie dem Herrn Geheim. Raht mit.
H 423 | S – | B –
Weimar, den 3. Februar 1798
Ich ergebe mich in die Umstände welche mich noch hier festhalten nur in so fern mit einiger Gemüthsruhe, als ich, wenn nur erst gewisse Dinge theils bei Seite geschafft, theils in Gang gebracht sind, auf eine Anzahl guter Tage in Jena hoffen kann.
Hier schicke ich eine Arbeit von Einsiedeln, die ich wegen Kürze der Zeit nicht habe lesen können; sie steht, wenn Sie solche brauchen können, für die Horen zu Diensten. Nach der gewöhnlichen Erscheinung der Widersprüche, die der Zufall so oft in den Gang des Lebens mischt, erscheinen jetzt grade am Ende noch voluminose Beiträge, und Böttigers Aufsatz über die neufränkische Behandlung der Kunstwerke wird wohl gar erst nach dem seligen Hintritt unserer drei geliebten Nymphen eintreffen.
Ich brauche die Stunden, die mir übrig bleiben, theils zum reineren Schematisiren meines künftigen Aufsatzes über die Farbenlehre, theils zum Verengen und Simplificiren meiner frühern Arbeiten, theils zum Studiren der Literatur, weil ich zur Geschichte derselben sehr große Lust fühle und überhaupt hoffen kann, wenn ich noch die gehörige Zeit und Mühe daran wende, etwas Gutes, ja sogar durch die Klarheit der Behandlung etwas Angenehmes zu liefern. Sie haben in einem Ihrer letzten Briefe vollkommen recht gesagt: daß ich jetzt erst auf dem rechten Flecke stehe, da ich auf alle äußere Theilnehmung und Mitwirkung Verzicht gethan habe. In einem solchen Falle verdient nur eine vollendete Arbeit, die so viele andere Menschen aller Mühe überhebt, erst den Dank des Publicums, und erhält ihn auch gewiß, wenn sie gelingt.
Übrigens hab’ ich etwa ein halb Dutzend Mährchen und Geschichten im Sinne, die ich als den zweiten Theil der Unterhaltungen meiner Ausgewanderten bearbeiten, dem Ganzen noch auf ein gewisses Fleck helfen und es alsdann in der Folge meiner Schriften herausgeben werde.
Sodann denke ich etwas ernsthafter an meinen Faust und sehe mich auf diesem Weg schon für das ganze Jahr beschäftigt, besonders da wir doch immer einen Monat auf den Almanach rechnen müssen.
Durch die Verschiedenheit dieser Vorsätze komme ich in den Stand jede Stunde zu nutzen.
Die Idylle ist wirklich wieder eine sonderbare Erscheinung. Wieder ein beinahe weibliches Talent, hübsche jugendliche Ansichten der Welt, ein freundliches, ruhiges, sittliches Gefühl. Wäre es nun den Deutschen möglich sich zu bilden, und eine solche Person lernte, was doch zu lernen ist, in Absicht auf innere und äußere Form des Gedichts, so könnte daraus was recht Gutes entstehen, anstatt daß es jetzt bei einer gewissen gleichgültigen Anmuth bewenden muß. Meo voto müßte z. B. die Mutter die Abwesenheit der Tochter merken, ihr nachgehen, Erkennung und Entwicklung müßten in der Capelle geschehen, wodurch der langweilige Rückweg vermieden würde und der Schluß ein pathetisches und feierliches Ansehen gewinnen könnte.
Zu leugnen ist es nicht daß Hermann und Dorothea schon auf diese Natur gewirkt hat, und es ist wirklich sonderbar wie unsere junge Naturen das was sich von einer Dichtung durch’s Gemüth auffassen läßt an sich reißen, nach ihrer Art reproduciren und dadurch zwar mitunter ganz was Leidliches hervorbringen, aber auch gewöhnlich was man durch die ganze Kraft seiner Natur zum Styl zu erhöhen strebte, sogleich zur Manier herabwürdigen, und gerade dadurch, weil sie sich dem Publico mehr nähern, öfters einen größern Beifall davon tragen als das Original, von dessen Verdiensten sie nur theilweise etwas losgerissen haben.
Bei diesen Betrachtungen fallen mir unsere dichterische Freundinnen ein. Amalie hat wieder etwas vor. Meyer fürchtet daß das Sujet ihr große Hindernisse in den Weg legen werde. Es ist sonderbar daß die guten Seelen nicht begreifen wollen wie viel darauf ankommt, ob auch der Gegenstand sich behandeln lasse. Ich habe auch diese Tage den zweiten Theil von Agnes von Lilien gelesen. Es ist recht Schade daß diese Arbeit übereilt worden ist. Die summarische Manier in der die Geschichte vorgetragen ist und die gleichsam in einem springenden Tact, rhythmisch eintretenden Reflexionen lassen einen nicht einen Augenblick zur Behaglichkeit kommen und man wird hastig ohne Interesse. Dies sey zum Tadel der Ausführung gesagt, da die Anlage so schöne Situationen darbietet, die, mit einiger Sodezz ausgeführt, eine unvergleichliche Wirkung thun müßten. Was das Naturell betrifft, das dieses Werk überhaupt hervorgebracht, so erregt es immer noch Erstaunen, wenn man auch den Einfluß Ihres Umgangs auf die Entstehung, und Ihrer Feder auf die Vollbringung des Werks nicht verkennen kann. Freilich fällt die Absonderung für uns andere Leser schwer; aber ich glaube doch immer sagen zu dürfen: daß eine solche Natur, wenn sie einer Kunstbildung fähig gewesen wäre, etwas Unvergleichliches hätte hervorbringen müssen. Meyer ist voller Verwunderung, der sich sonst nicht leicht verwundert. Und ich am Ende des Blatts grüße schönstens, wünsche den besten Fortgang Ihrer Arbeiten und sehe Ihrem Wallenstein, als einem aufgehäuften Schatze entgegen.
G.
[Darf ich um Humboldts Adresse bitten dem ich doch ehestens zu schreiben wünsche.]*
* Nicht bei H.
H 422 | S 418 | B 418
Jena, den 2. Februar 1798
Ihre Bemerkung über die Oper hat mir die Ideen wieder zurückgerufen, worüber ich mich in meinen ästhetischen Briefen so sehr verbreitete. Es ist gewiß, daß dem Ästhetischen, so wenig es auch die Leerheit vertragen kann, die Frivolität doch weit weniger widerspricht, als die Ernsthaftigkeit, und weil es dem Deutschen weit natürlicher ist sich zu beschäftigen und zu bestimmen, als sich in Freiheit zu setzen, so hat man bei ihm immer schon etwas Ästhetisches gewonnen, wenn man ihn nur von der Schwere des Stoffs befreit, denn seine Natur sorgt schon hinlänglich dafür, daß seine Freiheit nicht ganz ohne Kraft und Gehalt ist. Mir gefallen darum die Geschäftsleute und Philister überhaupt weit besser in einer solchen spielenden Stimmung, als die müßigen Weltleute, denn bei diesen bleibt das Spiel immer kraft- und gehaltleer. Man sollte einen jeden immer nach seinem Bedürfniß bedienen können, und so würde ich den einen Theil in die Oper und den andern in die Tragödie schicken.
Ihr Nürnberger Meistersänger spricht mich wie eine Stimme aus einem ganz andern Zeitalter an, und hat mich sehr ergötzt. Wenn Sie Knebeln schreiben, so bitten Sie ihn doch, auch mich zu einem Exemplar mit Kupfern unter den Subscribenten anzumerken. Ich halte es wirklich für nöthig, daß man sich bei diesem Werklein vorher meldet, weil es sonst vielleicht nicht zu Stande kommt, denn der gute Freund hat sein Zeitalter überlebt, und man wird ihm die Gerechtigkeit schwerlich erzeigen, die er verdient. Wie wär’s wenn Sie nur ein paar Seiten, zu seiner Einführung in’s Publicum, in den Horen sagten? Er scheint es wirklich so sehr zu brauchen als zu verdienen.
[Nach allem, was von der unparteiischen Welt geurtheilt wird, dauert mich unser Freund Knebel sehr, und ich fürchte, das Joch wird seinem Nacken nicht sanft aufliegen.]*
Mit Boie habe ich nur einmal Verkehr gehabt, aber seit fast anderthalb Jahren nicht wieder. Ich weiß also nicht wie es mit dem Pakete steht; daß er es werde erhalten haben, ist wohl kein Zweifel, und daher glaube ich, daß Sie ihm zu viel Ehre anthun würden, wenn Sie weiter darnach fragten. Gelegentlich kann man’s schon an ihn bringen.
Möchten Sie nur endlich einmal herkommen. Nehmen Sie sich’s nur auf vier oder fünf Tage vor, so werden Sie schon in dem alten Schloß die Muse finden, die Sie halten wird. Leben sie recht wohl.
Sch.
* Nicht bei H.
H 421 | S 417 | B 417