Weimar, den 27. Dezember 1797
So leid es mir thut, zu hören, daß Sie noch nicht ganz zur Thätigkeit hergestellt sind, ist es mir doch angenehm, daß mein Brief und Aufsatz Sie einigermaßen beschäftigt hat. Ich danke für den Ihrigen, der eine Sache noch weiter führt, an der uns so viel gelegen seyn muß. Leider werden wir Neuern wohl auch gelegentlich als Dichter geboren und wir plagen uns in der ganzen Gattung herum, ohne recht zu wissen woran wir eigentlich sind; denn die specifischen Bestimmungen sollten, wenn ich nicht irre, eigentlich von außen kommen und die Gelegenheit das Talent determiniren. Warum machen wir so selten ein Epigramm im griechischen Sinn? Weil wir so wenig Dinge sehen die ein’s verdienen. Warum gelingt uns das Epische so selten? Weil wir keine Zuhörer haben. Und warum ist das Streben nach theatralischen Arbeiten so groß? Weil bei uns das Drama die einzig sinnliche reizende Dichtart ist, von deren Ausübung man einen gewissen gegenwärtigen Genuß hoffen kann.
Ich habe diese Tage fortgefahren die Ilias zu studiren, um zu überlegen, ob zwischen ihr und der Odyssee nicht noch eine Epopöe inne liege. Ich finde aber nur eigentlich tragische Stoffe, es sey nun daß es wirklich so ist, oder daß ich nur den epischen nicht finden kann. Das Lebensende des Achill mit seinen Umgebungen ließe eine epische Behandlung zu und forderte sie gewissermaßen, wegen der Breite des zu bearbeitenden Stoffs. Nun würde die Frage entstehen, ob man wohl thue einen tragischen Stoff ebenfalls episch zu behandeln? Es läßt sich allerlei dafür und dagegen sagen. Was den Effect betrifft, so würde ein Neuer, der für Neue arbeitet, immer dabei im Vortheil seyn, weil man ohne pathologisches Interesse wohl schwerlich sich den Beifall der Zeit erwerben wird.
So viel für dießmal. Meyer arbeitet fleißig an seiner Abhandlung über die zur bildenden Kunst geeigneten Gegenstände; es kommt dabei alles zur Sprache was auch uns interessirt, und es zeigt sich, wie nah der bildende Künstler mit dem Dramatiker verwandt ist. Möchten Sie sich doch recht bald erholen und ich zur Freiheit gelangen Sie nächstens besuchen zu können.
G.
H 401 | S 396 | B 396
[Jena, den 26. Dezember]
Die Gegeneinanderstellung des Rhapsoden und Mimen nebst ihrem beiderseitigen Auditorium scheint mir ein sehr glücklich gewähltes Mittel, um der Verschiedenheit beider Dichtarten beizukommen. Schon diese Methode allein reichte hin, einen groben Mißgriff in der Wahl des Stoffs für die Dichtart oder der Dichtart für den Stoff unmöglich zu machen. Auch die Erfahrung bestätigt es; denn ich wüßte nicht, was einen bei einer dramatischen Ausarbeitung so streng in den Gränzen der Dichtart hielte, und wenn man daraus getreten, so sicher darein zurückführte, als eine möglichst lebhafte Vorstellung der wirklichen Repräsentation der Bretter, eines angefüllten und buntgemischten Hauses, wodurch die effectvolle unruhige Erwartung, mithin das Gesetz des intensiven und rastlosen Fortschreitens und Bewegens einem so nahe gebracht wird.
Ich möchte noch ein zweites Hülfsmittel zur Anschaulichmachung dieses Unterschieds in Vorschlag bringen. Die dramatische Handlung bewegt sich vor mir, um die epische bewege ich mich selbst und die scheint gleichsam stille zu stehn. Nach meinem Bedünken liegt viel in diesem Unterschied. Bewegt sich die Begebenheit vor mir, so bin ich streng an die Gegenwart gefesselt, meine Phantasie verliert alle Freiheit, es entsteht und erhält sich eine fortwährende Unruhe in mir, ich muß immer beim Objecte bleiben, alles Zurücksehen, alles Nachdenken ist mir versagt, weil ich einer fremden Gewalt folge. Beweg’ ich mich um die Begebenheit, die mir nicht entlaufen kann, so kann ich einen ungleichen Schritt halten, ich kann nach meinem subjectiven Bedürfniß länger oder kürzer verweilen, kann Rückschritte machen oder Vorgriffe thun u. s. f. Es stimmt dieses auch sehr gut mit dem Begriff des Vergangenseyns, welches als stillestehend gedacht werden kann, und mit dem Begriff des Erzählens: denn der Erzähler weiß schon am Anfang und in der Mitte das Ende, und ihm ist folglich jeder Moment der Handlung gleichgeltend, und so behält er durchaus eine ruhige Freiheit.
Daß der Epiker seine Begebenheit als vollkommen vergangen, der Tragiker die seinige als vollkommen gegenwärtig zu behandeln habe, leuchtet mir sehr ein.
Ich setze noch hinzu: Es entsteht daraus ein reizender Widerstreit der Dichtung als Genus mit der Species derselben, der in der Natur wie in der Kunst immer sehr geistreich ist. Die Dichtkunst, als solche, macht alles sinnlich gegenwärtig, und so nöthigt sie auch den epischen Dichter, das Geschehene zu vergegenwärtigen, nur daß der Charakter des Vergangenseyns nicht verwischt werden darf. Die Dichtkunst, als solche, macht alles Gegenwärtige vergangen und entfernt alles Nahe (durch Idealität), und so nöthigt sie den Dramatiker, die individuell auf uns eindringende Wirklichkeit von uns entfernt zu halten und dem Gemüth eine poetische Freiheit gegen den Stoff zu verschaffen. Die Tragödie in ihrem höchsten Begriffe wird also immer zu dem epischen Charakter hinaufstreben und wird nur dadurch zur Dichtung. Das epische Gedicht wird eben so zu dem Drama herunterstreben und wird nur dadurch den poetischen Gattungsbegriff ganz erfüllen; just das, was beide zu poetischen Werken macht, bringt beide einander nahe. Das Merkmal, wodurch sie specificirt und einander entgegengesetzt werden, bringt immer einen von beiden Bestandtheilen des poetischen Gattungsbegriffs in’s Gedränge, bei der Epopöe die Sinnlichkeit, bei der Tragödie die Freiheit, und es ist also natürlich, daß das Contrepoids gegen diesen Mangel immer eine Eigenschaft seyn wird, welche das specifische Merkmal der entgegengesetzten Dichtart ausmacht. Jede wird also der andern den Dienst erweisen, daß sie die Gattung gegen die Art in Schutz nimmt. Daß dieses wechselseitige Hinstreben zu einander nicht in eine Vermischung und Gränzverwirrung ausarte, das ist eben die eigentliche Aufgabe der Kunst, deren höchster Punkt überhaupt immer dieser ist, Charakter mit Schönheit, Reinheit mit Fülle, Einheit mit Allheit etc. zu vereinbaren.
Ihr Hermann hat wirklich eine gewisse Hinneigung zur Tragödie, wenn man ihm den reinen strengen Begriff der Epopöe gegenüber stellt. Das Herz ist inniger und ernstlicher beschäftigt, es ist mehr pathologisches Interesse als poetische Gleichgültigkeit darin. So ist auch die Enge des Schauplatzes, die Sparsamkeit der Figuren, der kurze Ablauf der Handlung der Tragödie zugehörig. Umgekehrt schlägt Ihre Iphigenie offenbar in das epische Feld hinüber, sobald man den strengen Begriff der Tragödie entgegenhält. Von dem Tasso will ich gar nicht reden. Für eine Tragödie ist in der Iphigenie ein zu ruhiger Gang, ein zu großer Aufenthalt, die Katastrophe nicht einmal zu rechnen, welche der Tragödie widerspricht. Jede Wirkung, die ich von diesem Stücke theils an mir selbst, theils an andern erfahren, ist generisch poetisch und tragisch* gewesen, und so wird es immer seyn, wenn eine Tragödie, auf epische Art, verfehlt wird. Aber an Ihrer Iphigenie ist dieses Annähern an’s Epische ein Fehler, nach meinem Begriff; an Ihrem Hermann ist die Hinneigung zur Tragödie offenbar kein Fehler, wenigstens dem Effecte nach ganz und gar nicht. Kommt dieses etwa davon, weil die Tragödie zu einem bestimmten, das epische Gedicht zu einem allgemeine und freien Gebrauche da ist?
Für heute nichts mehr. Ich bin noch immer keiner ordentlichen Arbeit fähig, nur Ihr Brief und Aufsatz konnten mir unterdessen Beschäftigung geben. Leben Sie recht wohl.
Sch.
* Schiller hat wohl schreiben wollen: generisch poetisch und nicht tragisch. [Anmkerung bei H.]
H 400 | S 395 | B 395
Weimar, den 23. Dezember 1797
In der Beilage erhalten Sie meinen Aufsatz, den ich zu beherzigen, anzuwenden, zu modificiren und zu erweitern bitte. Ich habe mich seit einigen Tagen dieser Kriterien beim Lesen der Ilias und des Sophokles bedient, so wie bei einigen epischen und tragischen Gegenständen, die ich in Gedanken zu motiviren versuchte, und sie haben mir sehr brauchbar, ja entscheidend geschienen.
Es ist mir dabei recht aufgefallen, wie es kommt, daß wir Modernen die Genres so zu vermischen geneigt sind, ja daß wir gar nicht einmal im Stande sind sie von einander zu unterscheiden. Es scheint nur daher zu kommen, weil die Künstler, die eigentlich die Kunstwerke innerhalb ihren reinen Bedingungen hervorbringen sollten, dem Streben der Zuschauer und Zuhörer, alles völlig wahr zu finden, nachgeben. Meyer hat bemerkt, daß man alle Arten der bildenden Kunst hat bis zur Malerei hinantreiben wollen, indem diese durch Haltung und Farben die Nachahmung als völlig wahr darstellen kann. So sieht man auch im Gang der Poesie, daß alles zum Drama, zur Darstellung des vollkommen Gegenwärtigen sich hindrängt. So sind die Romane in Briefen völlig dramatisch, man kann deßwegen mitunter förmliche Dialoge, wie auch Richardson gethan hat, einschalten; erzählende Romane mit Dialogen untermischt würden dagegen zu tadeln sein.
Sie werden hundertmal gehört haben, daß man nach Lesung eines guten Romans gewünscht hat, den Gegenstand auf dem Theater zu sehen, und wie viel schlechte Dramen sind daher entstanden! Eben so wollen die Menschen jede interessante Situation gleich in Kupfer gestochen sehen; damit nur ja ihrer Imagination keine Thätigkeit übrig bleibe, so soll alles sinnlich wahr, vollkommen gegenwärtig, dramatisch seyn und das Dramatische selbst soll sich dem wirklich Wahren völlig an die Seite stellen. Diesen eigentlich kindischen, barbarischen, abgeschmackten Tendenzen sollte nun der Künstler aus allen Kräften widerstehen, Kunstwerk von Kunstwerk durch undurchdringliche Zauberkreise sondern, jedes bei seiner Eigenschaft und seinen Eigenheiten erhalten, so wie es die Alten gethan haben und dadurch eben solche Künstler wurden und waren. Aber wer kann sein Schiff von den Wellen sondern, auf denen es schwimmt? Gegen Strom und Wind legt man nur kleine Strecken zurück.
So war z.B. bei den Alten ein Basrelief ein nur wenig erhobenes Werk, eine flache geschmackvolle Andeutung eines Gegenstandes auf einer Fläche; allein dabei konnte der Mensch nicht bleiben, es wurde halb erhoben, ganz erhoben, Glieder abgesondert, Figuren abgesondert, Perspective angebracht, Straßen, Wolken, Berge und Landschaften vorgestellt, und weil nun auch dieß durch Menschen von Talent geschah, so fand as völlig unzulässige desto eher Eingang, als man es dadurch gerade dem ungebildeten Menschen um so mehr nach seinem Sinne machte. So kommt unter Meyers Abhandlung die sehr artige, hierher gehörige Geschichte vor, wie man in Florenz die Figuren aus Thon glasirt, und erst einfärbig, dann mehrfärbig gemalt und emaillirt hat.
Um nun zu meinem Aufsatze zurückzukommen, so habe ich den darin aufgestellten Maßstab an Hermann und Dorothea gehalten und bitte Sie deßgleichen zu thun, wobei sich ganz interessante Bemerkungen machen lassen, als z.B.
- Daß kein ausschließliche episches Motiv, das heißt kein retrogradirendes, sich darin befinde, sondern daß nur die vier andern, welche das epische Gedicht mit dem Drama gemein hat, darinne gebraucht sind.
- Daß es nicht außer sich wirkende, sondern nach innen geführte Menschen darstellt und sich auch dadurch von der Epopöe entfernt und dem Drama nähert.
- Daß es sich mit Recht der Gleichnisse enthält, weil bei einem mehr sittlichen Gegenstande das Zudringen von Bildern aus der physischen Natur nur lästig gewesen wäre.
- Daß es aus der dritten Welt, obgleich nicht auffallend, noch immer genug Einfluß empfangen hat, indem das große Weltschicksal theils wirklich, theils durch Personen, symbolisch, eingeflochten ist und von Ahnung, von Zusammenhang einer sichtbaren und unsichtbaren Welt doch auch leise Spuren angegeben sind, welches zusammen nach meiner Überzeugung an die Stelle der alten Götterbilder tritt, deren physisch-poetische Gewalt freilich dadurch nicht ersetzt wird.
Schließlich muß ich noch von einer sonderbaren Aufgabe melden, die ich mir in diesen Rücksichten gegeben habe, nämlich zu untersuchen: ob nicht zwischen Hektors Tod und der Abfahrt der Griechen von der Trojanischen Küste, noch ein episches Gedicht inne liege, oder nicht? ich vermuthe fast das letzte und zwar aus folgenden Ursachen:
- Weil sich nichts Retrogradirendes mehr findet, sondern alles unaufhaltsam vorwärts schreitet.
- Weil alle noch einigermaßen retardirende Vorfälle das Interesse auf mehrere Menschen zerstreuen und, obgleich in einer großen Masse, doch Privatschicksalen ähnlich sehn. Der Tod des Achilles scheint mir ein herrlich tragischer Stoff, der Tod des Ajax, die Rückkehr des Philoktet sind uns von den Alten noch übrig geblieben. Polyxena und Hekuba und andere Gegenstände aus dieser Epoche waren auch behandelt. Die Eroberung von Troja selbst ist, als Erfüllungsmoment eines großen Schicksals, weder episch noch tragisch und kann bei einer ächten epischen Behandlung nur immer vorwärts oder rückwärts in der Ferne gesehen werden. Virgil’s rhetorisch sentimentale Behandlung kann hier nicht in Betracht kommen.
So viel von dem was ich gegenwärtig einsehe, salvo meliori; denn, wenn ich mich nicht irre, so ist diese Materie, wie viele andere, eigentlich theoretisch unaussprechlich; was das Genie geleistet hat sehen wir allenfalls, wer will sagen was es leisten könnte oder sollte?
Nun da die Boten gehen, nur noch ein Lebewohl für Sie und Ihre liebe Frau. Halten Sie sich ja stille bis die böse Zeit vorüber ist. Von unserm Almanach höre ich überall her manches Gute; wann ich kommen kann weiß ich noch nicht, die Theaterangelegenheiten halten mich fürcht’ ich länger als ich glaubte, so lebhaft auch mein Wunsch ist Sie wiederzusehen. Nochmals ein Lebewohl.
G.
[Beilage]
Über epische und dramatische Dichtung
von
Goethe und Schiller.
Der Epiker und Dramatiker sind beide den allgemeinen Gesetzen unterworfen, besonders dem Gesetze der Einheit und dem Gesetze der Entfaltung; ferner behandeln sie beide ähnliche Gegenstände, und können beide alle Arten von Motiven brauchen; ihr großer wesentlicher Unterschied beruht aber darin, daß der Epiker die Begebenheit als vollkommen vergangen vorträgt, und der Dramatiker sie als vollkommen gegenwärtig darstellt. Wollte man das Detail der Gesetze, wonach beide zu handeln haben, aus der Natur des Menschen herleiten, so müßte man sich einen Rhapsoden und einen Mimen, beide als Dichter, jenen mit seinem ruhig horchenden, diesen mit seinem ungeduldig schauenden und hörenden Kreise umgeben, immer vergegenwärtigen, und es würde nicht schwer fallen zu entwickeln, was einer jeden von diesen beiden Dichtarten am meisten frommt, welche Gegenstände jede vorzüglich wählen, welcher Motive sie sich vorzüglich bedienen wird; ich sage vorzüglich, denn, wie ich schon zu Anfang bemerkte, ganz ausschließlich kann sich keine etwas anmaßen.
Die Gegenstände des Epos und der Tragödie sollten rein menschlich, bedeutend und pathetisch seyn; die Personen stehen am besten auf einem gewissen Grade der Cultur, wo die Selbstthätigkeit noch auf sich allein angewiesen ist, wo man nicht moralisch, politisch, mechanisch, sondern persönlich wirkt. die Sagen aus der heroischen Zeit der Griechen waren in diesem Sinne den Dichtern besonders günstig.
Das epische Gedicht stellt vorzüglich persönlich beschränkte Thätigkeit, die Tragödie persönlich beschränktes Leiden vor; das epische Gedicht den außer sich wirkenden Menschen: Schlachten, Reisen, jede Art von Unternehmung die eine gewisse sinnliche Breite fordert; die Tragödie den nach innen geführten Menschen, und die Handlungen der ächten Tragödie bedürfen daher nur weniges Raums.
Der Motive kenne ich fünferlei Arten:
- Vorwärtsschreitende, welche die Handlung fördern; deren bedient sich vorzüglich das Drama.
- Rückwärtsschreitende, welche die Handlung von ihrem Ziele entfernen; deren bedient sich das epische Gedicht fast ausschließlich.
- Retardirende, welche den Gang aufhalten, oder den Weg verlängern; dieser bedienen sich beide Dichtarten mit dem größten Vortheile.
- Zurückgreifende, durch die dasjenige was vor der Epoche des Gedichts geschehen ist, hereingehoben wird.
- Vorgreifende, die dasjenige was nach der Epoche des Gedichts geschehen wird, anticipiren; beide Arten braucht der epische so wie der dramatische Dichter, um sein Gedicht vollständig zu machen.
Die Welten, welche zum Anschauen gebracht werden sollen, sind beiden gemein.
- Die physische, und zwar erstlich die nächste, wozu die dargestellten Personen gehören und die sie umgibt. In dieser steht der Dramatiker meist auf Einem Punkte fest, der Epiker bewegt sich freier in einem größern Local. Zweitens die entferntere Welt, wozu ich die ganze Natur rechne. Diese bringt der epische Dichter, der sich überhaupt an die Imagination wendet, durch Gleichnisse näher, deren sich der Dramatiker sparsamer bedient.
- Die sittliche ist beiden ganz gemein, und wird am glücklichsten in ihrer physiologischen und pathologischen Einfalt dargestellt.
- Die Welt der Phantasien, Ahnungen, Erscheinungen, Zufälle und Schicksale. Diese steht beiden offen, nur versteht sich, daß sie an die sinnliche herangebracht werde; wobei denn für die Modernen eine besondere Schwierigkeit entsteht, weil wir für die Wundergeschöpfe, Götter, Wahrsager und Orakel der Alten, so sehr es zu wünschen wäre, nicht leicht Ersatz finden.
Die Behandlung im Ganzen betreffend, wird der Rhapsode, der das vollkommen Vergangene vorträgt, als ein weiser Mann erscheinen, der in ruhiger Besonnenheit das Geschehene übersieht; sein Vortrag wird dahin zwecken, die Zuhörer zu beruhigen, damit sie ihm gern und lange zuhören, er wird das Interesse egal vertheilen, weil er nicht im Stande ist, einen allzulebhaften Eindruck geschwind zu balanciren, er wird nach Beleiben rückwärts und vorwärts greifen und wandeln; man wird ihm überall folgen, denn er hat es nur mit der Einbildungskraft zu thun, die sich ihre Bilder selbst hervorbringt, und der es auf einen gewissen Grad gleichgültig ist, was für welche sie aufruft. Der Rhapsode sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedicht nicht selbst erscheinen; er läse hinter einem Vorhange am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit abstrahirte und nur die Stimme der Musen im allgemeinen zu hören glaubte.
Der Mime dagegen ist gerade in dem entgegengesetzten Fall; er stellt sich als ein bestimmtes Individuum dar, er will daß man an ihm und seiner nächsten Umgebung ausschließlich Theil nehme, daß man die Leiden seiner Seele und seines Körpers mitfühle, seine Verlegenheiten theile und sich selbst über ihn vergesse. Zwar wird auch er stufenweise zu Werke gehen, aber er kann viel lebhaftere Wirkungen wagen, weil bei sinnlicher Gegenwart auch sogar der stärkere Eindruck durch einen schwächern vertilgt werden kann. Der zuschauende Hörer muß von Rechts wegen in einer stäten sinnlichen Anstrengung bleiben, er darf sich nicht zum Nachdenken erheben, er muß leidenschaftlich folgen, seine Phantasie ist ganz zum Schweigen gebracht, man darf keine Ansprüche an sie machen, und selbst was erzählt wird muß gleichsam darstellend vor die Augen gebracht werden.
H 399; dort Beilage vorangestellt | S 394; ohne Beilage | B 394; ohne Beilage
Jena, den 22. Dezember 1797
Mein böser Anfall von Cholera ist zwar bald und glücklich wieder vorübergegangen, aber geschwächt und verstimmt hat er mich für die ganze Woche, daß ich an etwas Poetisches auch nicht denken mag. Auch das böse Wetter kommt dazu, jede Thtätigkeit in mir stocken zu machen.
Zu meiner nicht geringen Satisfaction fordert mir Cotta die letzten zweihundert Exemplare des Almanachs pressanter Weise ab, die ich mit Fleiß hier bei mir liegen ließ, um den Leipzigern nicht gleich die Stärke der Auflage zu verrathen, wenn etwa ein Quantum sollte unabgesetzt bleiben. Wie Cotta schreibt, so hat sich der übrige Vorrath, der etwa zweitausend Exemplare stark war, bereits vergriffen; diese zweihundert meint er würden wohl auch bald abgehen, da die Bestellungen noch ziemlich frisch fortdauerten, und es möchte am Ende wohl eine zweite Auflage nöthig werden. Wir könnten in der That keinen glänzendern Triumph über die Neider davon tragen, die das Glück des vormjährigen Almanachs bloß den Anzüglichkeiten in den Xenien zugeschrieben haben. Es erweckte mir auch etwas mehr Vertrauen zu unserm deutschen Publicum, wenn wir sein Interesse, auch ohne Vermittlung irgend einer gemeinen Passion, durch die Gewalt der Poesie zu fesseln gewusst hätten.
Die Schlegel’sche Recension Ihres Hermanns kenne ich noch nicht und weiß überhaupt nicht, von welchem Schlegel sie ist. Sie sey aber von welchem sie wolle, so finde ich bei keinem die ganze Competenz dazu, denn es gehört vorzugsweise zu Würdigung dieses Gedichts das was man Gemüth heißt, und dieses fehlt beiden, ob sie sich gleich der Terminologie davon anmaßen.
Ihren dadurch veranlaßten Aufsatz erwarte ich mit Verlangen; oder werden Sie ihn nicht gleich selbst bringen?
Wir wünschten sehr zu wissen, wie bald wir auf Ihre Ankunft rechnen dürfen. Es wird nun bald ein halbes Jahr daß wir nicht zusammen gelebt haben.
Meyern bitte herzlich zu grüßen. Es thut mir recht leid daß ich seine Arbeiten so lange nicht sehe.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 398 | S 393 | B 393
Weimar, den 20. Dezember 1797
Ich wünsche und hoffe daß gegenwärtiger Brief Sie wieder in leidlichen Gesundheitsumständen finden möge, und danke für das Schreiben Ihrer lieben Frau, die mir durch Mittheilung der energischen märkischen Kunstproducte eine besondere Freude gemacht hat.
Ihr Brief vom zweiten October ist nebst dem Almanach auch wieder zurückgekommen und fehlt also nichts mehr an unserer wechselseitigen Correspondenz.
Oberons goldne Hochzeit haben sie mit gutem Bedachte weggelassen. Sie ist die Zeit über um das Doppelte an Versen gewachsen, und ich sollte meinen im Faust müßte sie am besten ihren Platz finden.
Seit der Erscheinung der Schlegel’schen Recension meines Hermanns habe ich die Gesetze der Epopöe und des Dramas wieder durchgedacht und glaube auf gutem Wege zu seyn. Die Schwierigkeit bei diesen theoretischen Bemühungen ist immer: die Dichtarten von allem Zufälligen zu befreien. Nächstens erhalten Sie wohl einen kleinen Aufsatz darüber, und ich mag daher nichts weiter voraussagen.
Den Verfasser der Elegien im Almanach kennt Meyer recht gut und wird Ihnen dereinst selbst eine Schilderung machen; er ist eigentlich Bildhauer. Nach nichts verlangt mich jetzo mehr als nach Ihrem Wallenstein.
Erholen Sie sich ja bald wieder von Ihrem Übel. Möchte ich doch schon diese Tage, die sich heiter anlassen, bei Ihnen zubringen können!
G.
H 397 | S 392 | B 392
Weimar, den 16. Dezember 1797
Hier überschicke ich den Hygin, und würde zugleich rathen sich die Adagia des Erasmus anzuschaffen, die leicht zu haben sind. Da die alten Sprichwörter meist auf geographischen, historischen, nationellen und individuellen Verhältnissen ruhen, so enthalten sie einen großen Schatz von reellem Stoff. Leider wissen wir aus der Erfahrung daß dem Dichter niemand seine Gegenstände suchen kann, ja daß er sich selbst manchmal vergreift.
Freund Meyer ist fleißig und schreibt seine Gedanken über diese Materie zusammen, es kommen die wunderbarsten Dinge zur Sprache.
Die Horen haben jetzo wie es scheint ihr weibliches Zeitalter; es ist auch gut wenn sie nur dadurch ihr literarisches Leben erhalten.
Ich bin jetzt weder zu Großem noch zu Kleinem nütze und lese nur indessen, um mich im Guten zu erhalten, den Herodot und Thucydides, an denen ich zum erstenmal eine ganz reine Freude habe, weil ich sie nur ihrer Form und nicht ihres Inhalts wegen lese.
Mein größter Wunsch ist nunmehr bald bei Ihnen zu seyn und die Annäherung der Sonne wieder zu empfinden; indessen nutze ich die trüben und bösen Tage so gut als möglich. Leben Sie recht wohl und thun Sie desgleichen.
G.
H 396 | S 391 | B 391
Jena, den 15. Dezember 1797
Unsere Dichterin Mereau ist da und so kann ich für heut nur ein paar Worte schreiben.
Mit dem Aufsatze, der hier zurück erfolgt, und mit andern von diesem Schlage wird nicht viel zu machen seyn. Er ist gar zu trocken und zu dürftig, und trotz der unnützen Parade mit Citaten und historischer Belesenheit enthält er nicht das geringste bedeutende Neue, was die Begebenheit aufhellen oder auch nur unterhaltender machen könnte. Soll aber bloß etwas damit verdient werden, so wird diese Absicht wohl eher durch Einrückung in Journale wie der Merkur etc., als durch eine eigene Sammlung zu erreichen seyn.
Ich habe schon öfters gewünscht, daß unter den vielen schriftstellerischen Speculationen solcher Menschen, die keine andere als compilatorische Arbeit treiben können, auch einer darauf verfallen möchte, in alten Büchern nach poetischen Stoffen auszugehen, und dabei einen gewissen Tact hätte, das Punctum saliens an einer, an sich unscheinbaren Geschichte zu entdecken. Mir kommen solche Quellen gar nicht vor, und meine Armuth an solchen Stoffen macht mich wirklich unfruchtbarer im Produciren, als ich’s ohne das seyn würde. Mir däucht ein gewisser Hyginus, ein Grieche, sammelte einmal eine Anzahl tragischer Fabeln entweder aus oder für den Gebrauch der Poeten. Solch einen Freund könnte ich gut brauchen. Ein Reichthum an Stoffen für möglichen Gebrauch vermehrt wirklich den innern Reichthum, ja er übt eine wichtige Kraft, und es ist schon von großem Nutzen, einen Stoff auch nur in Gedanken zu beleben und sich daran zu versuchen.
Die Elisa von der Recke hat mir ein voluminoses Schauspiel von ihrer Erfindung und Ausführung zugeschickt, mit der Plenipotenz zu streichen und zu zerstören. Ich werde sehen, ob ich es für die Horen brauchen kann; der Inhalt ist, wie Sie leicht denken können, sehr moralisch, und so hoffe ich soll es auch durchschlüpfen. Ich muß auf jede Art für die Horen sorgen. Und daß so moralische Personen sich uns Ketzern und Freigeistern auf Gnade und Ungnade übergeben, besonders nach dem so lauten Xenienunfug, ist immer eine gewisse Satisfaction.
Humboldt hat wieder seit sechs Wochen nichts von sich hören lassen. Ich schließe daraus, daß er nun doch nach Paris gegangen ist.
Leben Sie wohl für heute. Meine Frau grüßt auf’s beste.
Sch.
H 395 | S 390 | B 390
Weimar, den 13. Dezember 1797
Die neuen Kunstwerke in unserm Hause ziehen uns heute früh einen Damenbesuch zu, deswegen nur so viel in Eile.
Eine Schilderung der Fähigkeiten unseres Theaterpersonals will ich Ihnen ehestens selbst machen, besonders bezüglich auf Ihr Stück dessen Bedürfnisse ich im allgemeinen doch kenne.
Übrigens fahren Sie nur ohne Sorge fort. Die innere Einheit, die der Wallenstein haben wird, muß gefühlt werden und Sie haben große Privilegien auf dem Theater. Ein ideales Ganze imponirt den Menschen, wenn sie es auch nicht im Einzelnen zu dechiffriren, noch den Werth der einzelnen Theile zu schätzen wissen.
Durch eine sonderbare Veranlassung bin ich aufgefordert über das deutsche Theater im allgemeinen zu denken, und da ich doch manchmal wider Willen im Schauspiel sitzen muß, so suche ich aus dieser Aufopferung einigen Gewinn zu ziehen.
Leben Sie recht wohl, ich freue mich daß die Zeit herannaht die mir ein gesammeltes Daseyn und Ihre Nähe bescheeren soll.
G.
H 394 | S 389 | B 389
Jena, den 12. Dezember 1797
Da ich in diesen Tagen die Liebesscenen im zweiten Act des Wallensteins vor mir habe, so kann ich nicht ohne Herzensbeklemmung an die Schaubühne und an die theatralische Bestimmung des Stückes denken. Denn die Einrichtung des Ganzen erfordert es, daß sich die Liebe, nicht sowohl durch Handlung, als vielmehr durch ihr ruhiges Bestehen auf sich und ihre Freiheit von allen Zwecken der übrigen Handlung, welche ein unruhiges planvolles Streben nach einem Zwecke ist, entgegensetzt und dadurch einen gewissen menschlichen Kreis vollendet. Aber in dieser Eigenschaft ist sie nicht theatralisch, wenigstens nicht in demjenigen Sinne, der bei unsern Darstellungsmitteln und bei unserm Publicum sich ausführen läßt. Ich muß also, um die poetische Freiheit zu behalten, so lange jeden Gedanken an die Aufführung verbannen.
Sollte es wirklich an dem seyn, daß die Tragödie, ihrer pathetischen Gewalt wegen, Ihrer Natur nicht zusagte? In allen Ihren Dichtungen finde ich die ganze tragische Gewalt und Tiefe, wie sie zu einem vollkommenen Trauerspiel hinreichen würde; im Wilhelm Meister liegt, was die Empfindung betrifft, mehr als Eine Tragödie; ich glaube, daß bloß die strenge gerade Linie, nach welcher der tragische Poet fortschreiten muß, Ihrer Natur nicht zusagt, die sich überall mit einer freiern Gemüthlichkeit äußern will. Alsdann glaube ich auch, eine gewisse Berechnung auf den Zuschauer, von der sich der tragische Poet nicht dispensiren kann, der Hinblick auf einen Zweck, den äußern Eindruck, der bei dieser Dichtungsart nicht ganz erlassen wird, genirt Sie, und vielleicht sind Sie gerade nur deßwegen weniger zum Tragödiendichter geeignet, weil Sie so ganz zum Dichter in seiner generischen Bedeutung erschaffen sind. Wenigstens finde ich in Ihnen alle poetischen Eigenschaften des Tragödiendichters im reichlichsten Maß, und wenn Sie wirklich dennoch keine ganz wahre Tragödie sollten schreiben können, so müßte der Grund in den nicht-poetischen Erfordernissen liegen.
Haben Sie doch die Güte mir gelegentlich einige Komödienzettel, worauf das sämmtliche Personale der Schauspieler ist, beizulegen.
Ihre Idee wegen Vereinigung der drei Bibliotheken in Einem Ganzen wird gewiß jeder Vernünftige in Jena und Weimar ausgeführt wünschen. Fände man nur alsdann auch ein Subject welches fähig wäre dem Ganzen vorzustehen und den Plan der Einheit und Vollständigkeit zu verfolgen. Es ist gewiß schon viel Materie da, vieles ist wohl doppelt und dreifach, womit Neues kann eingetauscht werden; auch sehe ich nicht, warum man nicht noch einige neue Bäche in den Bibliothekfond leiten könnte.
Ich fürchte der neue Nürnbergische Dichter wird uns nicht viel Trost bringen. Es fehlt ihm wohl nicht ganz am Talent, aber so gar sehr an Form und am Bewußtseyn dessen was er will. Indessen ich habe nur wenig hineingeschaut, vielleicht bin ich just auf das Schlimmste gerathen.
Den historischen Aufsatz habe ich noch nicht ganz durchlesen. Ich sende ihn, nebst meinem Urtheil, auf den Freitag.
Einsiedel’s Schrift über das Theater enthält doch manches Gutgedachte. Es ist mir unterhaltend wie diese Art von Dilettanten sich über gewisse Dinge, die nur aus der Tiefe der Wissenschaft und der Betrachtung geschöpft werden können, ausspricht, wie z.B. was er vom Styl und von der Manier sagt u. s. f.
Leben Sie recht wohl. Herzlich freue ich mich auf unsere Abende. Meine Frau ist sehr neugierig auf die Kometen, die an dem Himmel Amors und Hymens herum laufen. Grüßen Sie Meyern.
Sch.
H 393 | S 388 | B 388
Weimar, den 9. Dezember 1797
Die Nachricht, daß Sie diesen Winter nicht zu uns kommen würden hat unsere Schauspieler betrübt. Es scheint daß sie sich vorgesetzt hatten sich vor Ihnen Ehre zu machen. Ich habe sie mit der Hoffnung getröstet daß Sie uns auf’s Frühjahr wohl besuchen würden. Sehr nöthig thut unserm Theater ein solcher neuer Anstoß, den ich gewissermaßen selbst nicht geben kann. Zwischen dem der zu befehlen hat, und dem der einem solchen Institute eine ästhetische Leitung geben soll, ist ein gar zu großer Unterschied. Dieser soll auf’s Gemüth wirken und muß also auch Gemüth zeigen, jener muß sich verschließen um die politische und ökonomische Form zusammen zu halten. Ob es möglich ist freie Wechselwirkung und mechanische Causalität zu verbinden weiß ich nicht; mir wenigstens hat das Kunststück noch nicht gelingen wollen.
Ich kann mir den Zustand Ihres Arbeitens recht gut denken. Ohne ein lebhaftes pathologisches Interesse ist es auch mir niemals gelungen irgend eine tragische Situation zu bearbeiten und ich habe sie daher lieber vermieden als aufgesucht. Sollte es wohl auch einer von den Vorzügen der Alten gewesen seyn, daß das höchste Pathetische auch nur ästhetisches Spiel bei ihnen gewesen wäre, da bei uns die Naturwahrheit mitwirken muß um ein solches Werk hervorzubringen? Ich kenne mich zwar nicht selbst genug, um zu wissen ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte; ich erschrecke aber bloß vor dem Unternehmen, und bin beinahe überzeugt daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstören könnte.
Unser guter alter College Schnauß hat sich denn endlich auch davon gemacht. Vielleicht habe ich bei Bibliotheksachen künftig einigen Einfluß. Sagen Sie, ob Sie die Idee vor thunlich halten mit der ich mich schon lange trage, die hiesige, die Büttnerische und akademische Bibliothek, virtualiter, in ein Corpus zu vereinigen und über die verschiedenen Fächer, so wie über einen bestimmtern und zweckmäßigern Ankauf Abrede zu nehmen und Verordnungen zu geben. Bei der jetzigen Einrichtung gewinnt niemand nichts; manches Geld wird unnütz ausgegeben, manches Gute stockt, und doch sehe ich Hindernisse genug voraus die sich finden werden, nur damit das Rechte nicht auf eine andere Art geschehe als das Unzweckmäßige bisher bestanden hat.
Noch habe ich vierzehn Tage zu thun um manches einzuleiten, die neuen Theatercontracte in Ordnung zu bringen und was andere Dinge mehr sind. Dann will ich aber auch gleich zu meiner Tageseinsamkeit des Jenaischen Schlosses und zu unsern Abendgesprächen eilen.
Meyern werde ich wohl nicht mitbringen, denn ich habe die Erfahrung wieder erneuert, daß ich nur in einer absoluten Einsamkeit arbeiten kann, und daß nicht etwa nur das Gespräch, sondern sogar schon die häusliche Gegenwart geliebter und geschätzter Personen meine poetische Quellen gänzlich ableitet. Ich würde jetzt in einer Art von Verzweiflung seyn, weil auch jede Spur eines productiven Interesse bei mir verschwunden ist, wenn ich nicht gewiß wäre es in den ersten acht Tagen in Jena wiederzufinden.
Ich lege einen Band Gedichte bei von einem Menschen, aus dem vielleicht was geworden wäre, wenn er nicht in Nürnberg lebte, und die Dichtart zu finden wüßte zu der er Talent hat. Manches dünkt mich hat ein humoristisches Verdienst, obgleich manches sehr mißlungen ist. Da Sie so gern von jungen Männern etwas hoffen und mancherlei Beiträge nutzen können, so kommt es auf Sie an ob man mit ihm das Verhältniß fortsetzen und ihm einigen Muth machen soll?
Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau.
Geßler riskirt viel, die Schöne sich selbst zu überlassen. Es verdrießt mich daß wir ihn nicht angetroffen haben. Meyer kennt die Schöne. Übrigens wandeln noch manche seltsame Kometen an dem Himmel Amors und Hymens herum; was sie deuten und bringen ist noch ungewiß.
Ich lege noch einen kleinen historischen Versuch bei; sagen Sie mir doch Ihre Meinung darüber, und in wiefern man allenfalls eine kleine Sammlung ähnlicher Arbeiten einem Buchhändler empfehlen könnte?
Nochmals ein Lebewohl.
G.
H 392 | S 387 | B 387
Jena, den 8. Dezember 1797
Ich bin nun mit der Nothwendigkeit, die mich die nächsten Monate hier zurückhält, vollkommen ausgesöhnt, da die Reise nach Weimar nicht einmal der Weg gewesen wäre, mich mit Ihnen öfter zu vereinigen, und so wollen wir denn kommenden Monat das alte Leben mit Segen wieder beginnen, welches durch Meyer’s Anwesenheit nicht verlieren wird. Es ist wohl nicht übel, daß Sie zwischen Ihr erstes und zweites Epos den Faust einschieben. Sie schwellen dadurch den poetischen Strom, und erregen sich ein ungeduldiges Verlangen nach der neuen reinen Production, welches schon die halbe Stimmung ist. Der Faust, wenn Sie ihn nun durchgearbeitet, läßt Sie auch sicherlich nicht so, wie Sie zu ihm kommen; er übt und schärft irgend eine neue Kraft in Ihnen und so kommen Sie reicher und feuriger zu Ihrem neuen Werke.
An den Wallenstein werde ich mich so sehr halten als ich kann, aber das pathologische Interesse der Natur an einer solchen Dichterarbeit hat viel Angreifendes für mich. Glücklicherweise alterirt meine Kränklichkeit nicht meine Stimmung, aber sie macht daß ein lebhafter Antheil mich schneller erschöpft und in Unordnung bringt. Gewöhnlich muß ich daher einen Tag der glücklichen Stimmung mit fünf oder sechs Tagen des Drucks und des Leidens büßen. Dieß hält mich erstaunlich auf, wie Sie denken können. Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, den Wallenstein noch in dem nächsten Sommer in Weimar spielen zu sehen, und im nächsten Herbst tief in meinen Malthesern zu sitzen.
Diese beschäftigen mich jetzt zuweilen, wenn ich von der Arbeit ausruhe. Es ist etwas sehr Anziehendes für mich in solchen Stoffen, welche sich von selbst isoliren und eine Welt für sich ausmachen. Ich habe diesen Umstand im Wallenstein sehr benutzt, und in den Malthesern wird er mich noch mehr begünstigen. Nicht nur daß dieser Orden wirklich ein Individuum ganz sui generis ist, so ist er es im Moment der dramatischen Handlung noch mehr. Alle Communication mit der übrigen Welt ist durch die Blokade abgeschnitten, er ist bloß auf sich selbst, auf die Sorge für seine Existenz concentrirt, und nur die Eigenschaften, die ihn zu dem Orden machen der er ist, können in diesem Moment seine Erhaltung bewirken.
Dieses Stück wird aber so einfach behandelt werden müssen, als der Wallenstein complicirt ist, und ich freue mich im voraus in dem einfachen Stoff alles zu finden was ich brauche, und alles zu brauchen was ich Bedeutendes finde. Ich kann ihn ganz in der griechischen Form und nach des Aristoteles Schema, mit Chören und ohne die Acteneintheilung, ausführen und werde es auch thun. Sagen Sie mir doch, woher denn die Acteneintheilung sich schreibt? Im Aristoteles finden wir nichts davon, und bei sehr vielen griechischen Stücken würde sie gar nicht anzuwenden seyn.
Körner schreibt mir daß Geßler wieder in Dresden sey. Seine Italiänerin soll er in der Schweiz gelassen haben, um sie dort noch zu formiren. Hoffentlich geht sie ihm unterdessen mit einem andern durch.
Von Humboldt habe ich seit sechs Wochen nichts gehört, und schließe daraus, daß er wirklich nach Paris ist: denn wenn er in der Schweiz ruhig säße, hätte ihn die bloße Langeweile zum Schreiben bringen müssen.
Leben Sie recht wohl und überstehen noch glücklich den Rest dieses Monats. Bei mir ist jetzt alles wohl. Meine Frau grüßt Sie auf’s beste. Dem alten Meyer freue ich mich auch etwas von dem Wallenstein zu zeigen.
Sch.
H 391 | S 386 | B 386
Weimar, den 6. Dezember 1797
Wenn Sie überzeugt sind, daß ein Winteraufenthalt in Jena Ihrer Gesundheit und Ihren Arbeiten vortheilhafter sey, so macht es mir um so mehr Freude, da ich mich genöthigt sehen werde nach dem neuen Jahr hinüber zu gehen, um nur einigermaßen zur Sammlung und Fassung zu kommen, und wie sonderbar müßte mir Jena erscheinen wenn ich Sie drüben nicht anträfe? Ich freue mich nunmehr auf diesen Aufenthalt, da ich sonst, wenn ich Sie hüben hätte lassen müssen, nur zwiespältig mit mir selbst gewesen wäre.
Halten Sie sich ja zu Ihrem Wallenstein; ich werde wohl zunächst an meinen Faust gehen, theils um diesen Tragelaphen los zu werden, theils um mich zu einer höhern und reinern Stimmung, vielleicht zum Tell, vorzubereiten. Dabei soll gelegentlich an den nächsten Almanach gedacht werden, vielleicht fällt auch etwas für die Horen ab.
Lassen Sie uns ja auf dem eingeschlagenen Wege fortfahren! Es muß uns noch manches gelingen und Meyer’s Mitarbeit wird uns äußerst fördern. Auch können wir der Theilnahme des Publicums gewiß seyn: denn ob man gleich im Ganzen immer darauf schilt, so enthält es doch im Einzelnen sehr gebildete Menschen, welche die redlichen und ernsten Bemühungen eines Schriftstellers zu schätzen wissen. Indessen mag der alte laudator temporis acti, in diesen Hefen des achtzehnten Jahrhunderts sich betrüben (siehe das Novemberstück des deutschen Merkurs S. 194); so viel klaren Wein als wir brauchen wird uns die Muse schon einschenken. Die schönen Sachen von Meyer zu sehen, wäre wohl eine December-Spazierfahrt werth. Möchte Ihre Gesundheit sie Ihnen doch erlauben!
G.
H 390 | S 384 | B 385
Jena, den 5. Dezember 1797
Nur einen Gruß kann ich Ihnen schreiben an diesem düstern Tage. Das Wetter drückt mich äußerst und macht alle meine Übel rege, daß selbst die Arbeit mich nicht erfreut.
Nach reiflich angestellten Überlegungen hab’ ich gefunden, daß ich besser thue, die zwei ärgsten Wintermonate noch hier zuzubringen. Der Januar und Februar sind gefährliche Monate für ich, weil ich schon zweimal von einer Lungenentzündung darin heimgesucht worden bin. Die leichteste Erkältung kann mir in dieser Periode dieses Übel zuziehen, das ich jetzt nicht mehr wie sonst würde überstehen können. Bei einer solchen Disposition ist eine Veränderung der Gewohnheiten nicht zu wagen, und an’s Ausgehen im Winter würde ich doch nicht denken dürfen, in Weimar. Da aber das besprochene Logis äußerst eng ist, und die Kinder kaum darin unterzubringen, so wäre keine Existenz für mich. Dazu kommt, daß die nächsten zwei Monate für meine Arbeiten entscheidend sind, und also von außen mich nichts drücken darf.
Einige Monate später werde ich ein Logis, das Ihnen nah’ ist, aufzutreiben suchen; das Wetter ist dann gelinde, ich kann über die Gasse gehen und alles wird mir leichter werden.
Vielleicht komme ich an einem schönen Decembertage auf einen Besuch hinüber, und nach dem Neujahr werden wir Sie und Meyern, hoffe ich, hier haben können.
Von Zumsteg in Stuttgart habe ich dieser Tage einen Brief erhalten, der mich wirklich freute. Er schreibt darin was ihn von unsern Gedichten im Almanach am meisten erfreut, und er hat wirklich – was wir lange nicht gewohnt sind zu erfahren – das Bessere herausgefunden. Auch schreibt er, daß der Almanach in seiner Gegend eine allgemeine Sensation mache.
Leben Sie recht wohl. Ich bin heute nicht im Stande was zu sagen.
Sch.
H 398 | S 384 | B 384
Weimar, den 2. Dezember 1797
Es wird für uns, sowohl praktisch als theoretisch, von der größten Bedeutung seyn was es noch für einen Ausgang mit Ihrem Wallenstein nimmt. Sollte Sie der Gegenstand nicht am Ende noch gar nöthigen einen Cyklus von Stücken aufzustellen? Daß der Rhythmus in die Breite lockt, ist ganz natürlich, denn jede poetische Stimmung mag sich’s und andern gern bequem und behaglich machen. Mich verlangt sehr etwas davon zu hören.
Mit Meyern will ich wegen der Kupfer zum Almanach und Wallenstein sprechen. Zu einem Portrait habe ich kein großes Zutrauen; es gehört so viel dazu um nur was Leidliches hervorzubringen, und noch besonders in diesem kleinen Format, und die Kupferstecher tractiren alles was zu einem Buche gehört so leicht und lose. Wäre es nicht besser im Allgemeinen und Symbolischen zu bleiben?
Ich selbst habe seit meiner Rückkunft kaum zur Stimmung gelangen können auch nur einen erträglichen Brief zu dictiren. Die Masse von Gegenständen die ich aufgenommen habe ist sehr groß, und das Interesse am Aufschreiben und Ausarbeiten ist zuletzt durch den Umgang mit Meyer sehr geschwächt worden. Sobald ich eine Sache einmal durchgesprochen habe, ist sie auf eine ganze Zeit für mich wie abgethan.
Ich muß nur Altes und Neues was mir in Sinn und Herzen liegt wieder einmal schematisiren; recht gerne schickte ich Ihnen etwas zu den Horen, es wird sich bald zeigen was ich leisten und liefern kann.
Leben Sie recht wohl und erfreuen uns bald mit Ihrer Ankunft und grüßen Sie Ihre liebe Frau recht herzlich.
G.
H 388 | S 383 | B 383
Jena, den 1. December 1797
Zanken Sie nicht, daß das verlangte Lustspiel heute nicht mitkommt; es fiel mir erst spät Abend bei Licht ein es zu suchen, und das habe ich bald eine halbe Stunde ohne Erfolg gethan. Auf den Sonntag werde ich’s der fahrenden Post mitgeben.
Es ist mir fast zu arg, wie der Wallenstein mir anschwillt, besonders jetzt, da die Jamben, obgleich sie den Ausdruck verkürzen, eine poetische Gemüthlichkeit unterhalten, die einen in’s Breite treibt. Sie werden beurtheilen, ob ich kürzer seyn sollte und könnte. Mein erster Act ist so groß, daß ich die drei ersten Acte Ihrer Iphigenia hineinlegen kann, ohne ihn ganz auszufüllen; freilich sind die hintern Acte viel kürzer. Die Exposition verlangt Extensität, so wie die fortschreitende Handlung von selbst auf Intensität leitet. Es kommt mir vor, als ob mich ein gewisser epischer Geist angewandelt habe, der aus der Macht Ihrer unmittelbaren Einwirkung zu erklären seyn mag; doch glaube ich nicht, daß er dem Dramatischen schadet, weil er vielleicht das einzige Mittel war, diesem prosaischen Stoff eine poetische Natur zu geben.
Da mein erster Act mehr statistisch oder statisch ist, den Zustand welcher ist darstellt, aber ihn noch nicht eigentlich verändert, so habe ich diesen ruhigen Anfang dazu benutzt, die Welt und das Allgemeine, worauf sich die Handlung bezieht, zu meinem eigentlichen Gegenstand zu machen. So erweitert sich der Geist und das Gemüth des Zuhörers, und der Schwung, in den man dadurch gleich Anfangs versetzt wird, soll wie ich hoffe die ganze Handlung in der Höhe erhalten.
Ich habe Meyern neulich gebeten, mir Ihre Zeichnung für den nächsten Almanach zu verschaffen. Wir wollen dieß doch bei Zeiten thun, daß der Stich auch recht mit Muße gemacht werden kann. Auch wünschte ich von ihm eine Nemesis, für meinen Wallenstein; es ist eine interessante und bedeutende Verzierung. Meyer wird sich eine ausdenken, die einen tragischen Charakter hat; ich wollte sie als Vignette auf dem Titelblatt selbst haben.
Kann ich nicht bald etwas für die Horen von Ihnen hoffen? In diesen düstern Decembertagen kann man doch nichts besseres thun als Geld verdienen, das man in schöneren ausgibt. Haben Sie den Moses nicht Lust jetzt zu vollenden, oder findet sich vielleicht eine andre, schneller zu fertigende Materie? Ich bin sehr arm und die Stunden wollen doch nicht stille stehen.
Leben Sie recht wohl und erfreuen Sie sich mit Meyern Ihrer erbeuteten Kunstschätze, auf die ich sehr neugierig bin, und die uns zu specificirteren Urtheilen über die Kunst, die mir so sehr Bedürfnis sind, Anlaß geben werden. Meine Frau grüßt auf’s beste.
Sch.
H 387 | S 382 | B 382
Weimar, den 29. November 1797
Da Sie so viel Gutes von meiner Elegie sagen, so thut es mir um so mehr leid daß sich eine ähnliche Stimmung lange Zeit bei mir nicht eingefunden hat. Jenes Gedicht ist bei meinem Eintritt in die Schweiz gemacht, seit der Zeit aber ist mein thätiges, productives Ich, auf so manche angenehme und unangenehme Weise, beschränkt worden, daß es noch nicht wieder hat zur Fassung kommen können; diese müssen wir denn jetzt wieder in aller Demuth erwarten.
Ich wünsche sehr daß eine Bearbeitung der Shakespearischen Productionen Sie anlocken könnte. Da so viel schon vorgearbeitet ist, und man nur zu reinigen, wieder auf’s neue genießbar zu machen brauchte, so wäre es ein großer Vortheil. Wenn Sie nur einmal durch die Bearbeitung des Wallensteins sich recht in Übung gesetzt haben, so müßte jenes Unternehmen Ihnen nicht schwer fallen.
Leben Sie recht wohl. Die Jahrszeit übt leider ihre Rechte wieder über mich aus, und da ich nichts Heiteres für dießmal aus eignen Kräften mittheilen kann, so sende ich eine Gerning’sche Ode, die ihren Effect nicht verfehlen wird.
G.
H 386 | S 381 | B 381
Jena, den 28. November 1797
Mit Ihrer Elegie haben Sie uns wieder große Freude gemacht; die gehört so recht zu der rein poetischen Gattung, da sie durch ein so simples Mittel, durch einen spielenden Gebrauch des Gegenstandes, das Tiefste aufregt und das Höchste bedeutet.
Möchten noch viele solche Stimmungen in diesen düstern drückenden Tagen, die auch Ihnen wie ich weiß so fatal sind, Sie erheitern. Ich brauche meine ganze Elasticität, um mir gegen den herunterdrückenden Himmel Luft und Raum zu machen.
Ich las in diesen Tagen die Shakespearischen Stücke, die den Krieg der zwei Rosen abhandeln, und bin nun nach Beendigung Richard’s III. mit einem wahren Staunen erfüllt. Es ist dieses letzte Stück eine der erhabensten Tragödien die ich kenne, und ich wüßte in diesem Augenblick nicht ob selbst ein Shakespearisches ihm den Rang streitig machen kann. Die großen Schicksale, angesponnen in den vorhergehenden Stücken sind darin auf eine wahrhaft große Weise geendiget, und nach der erhabensten Idee stellen sie sich neben einander. Daß der Stoff schon alles Weichliche, Schmelzende, Weinerliche ausschließt, kommt dieser hohen Wirkung sehr zu statten; alles ist energisch darin und groß, nichts Gemeinmenschliches stört die rein ästhetische Rührung, und es ist gleichsam die reine Form des Tragischfurchtbaren was man genießt. Eine hohe Nemesis wandelt durch das Stück, in allen Gestalten, man kommt nicht aus dieser Empfindung heraus von Anfang bis zu Ende. Zu bewundern ist’s, wie der Dichter dem unbehülflichen Stoffe immer die poetische Ausbeute abzugewinnen wußte, und wie geschickt er das repräsentirt, was sich nicht repräsentiren läßt, ich meine die Kunst Symbole zu gebrauchen, wo die Natur nicht kann dargestellt werden. Kein Shakespearisches Stück hat mich so sehr an die griechische Tragödie erinnert.
Der Mühe wäre es wahrhaftig werth, diese Suite von acht Stücken, mit aller Besonnenheit deren man jetzt fähig ist, für die Bühne zu behandeln. Eine Epoche könnte dadurch eingeleitet werden. Wir müssen darüber wirklich conferiren.
Leben Sie recht wohl mit unserm Freunde Meyer. Mein Wallenstein gewinnt von Tag zu Tag mehr Gestalt und ich bin wohl mit mir zufrieden.
Sch.
H 385 | S 380 | B 380
Weimar, den 28. November 1797
In dem übersendeten Pakete habe ich die Lieder-Melodien zum Almanach, wofür ich bestens danke, gefunden, aber keinen Brief, der mir doch zu Ende und in der Mitte der Woche immer so erwünscht kommt. Aber auch ich habe wenig mitzutheilen indem ich in diesen letzten Tagen nur in der Welt gelebt und nichts gedacht oder gethan habe, was für uns beide ein gemeinschaftliches Interesse hätte. Noch sind wir beschäftigt die mitgebrachten Kunstsachen aufzustellen, und ich denke alles wird im besten Stand seyn ehe Sie herüber kommen.
Haben Sie doch wie Güte das Schauspiel das Prof. Rambach einschickte, mir wieder zu senden; es enthält die Verrätherei aus Überzeugung.
Ich wünsche sehr zu hören, wie Ihr rhythmischer Wallenstein gedeiht. Mir ist es jetzt so zu Muthe, als wenn ich nie ein Gedicht gemacht hätte oder machen würde. Es ist das beste daß die Stimmung dazu unerwartet und ungerufen kommt.
Leben Sie recht wohl und lassen mich bald wieder etwas von sich, Ihren Zuständen und Arbeiten vernehmen.
G.
H 384 | S 379 | B 379
[Weimar, ] den 25. November
Für Brief und Paket, die ich so eben erhalte danke ich schönstens und sage nur noch geschwind, und aus dem Stegreife, daß ich nicht allein Ihrer Meinung bin, sondern noch viel weiter gehe. Alles Poetische sollte rhythmisch behandelt werden! Das ist meine Überzeugung, und daß man nach und nach eine poetische Prosa einführen konnte, zeigt nur daß man den Unterschied zwischen Prosa und Poesie gänzlich aus den Augen verlor. Es ist nicht besser als wenn sich jemand in seinem Park einen trockenen See bestellte und der Gartenkünstler diese Aufgabe dadurch aufzulösen suchte, daß er einen Sumpf anlegte. Diese Mittelgeschlechter sind nur für Liebhaber und Pfuscher, so wie die Sümpfe für Amphibien. Indessen ist das Übel in Deutschland so groß geworden daß es kein Menschmehr sieht, ja, daß sie vielmehr, wie jenes kröpfige Volk, den gesunden Bau des Halses für eine Strafe Gottes halten. Alle dramatische Arbeiten (und vielleicht Lustspiel und Farce zuerst) sollten rhythmisch seyn und man würde alsdann eher sehen wer was machen kann. Jetzt aber bleibt dem Theaterdichter fast nichts übrig als sich zu accommodiren, und in diesem Sinne konnte man Ihnen nicht verargen wenn Sie Ihren Wallenstein in Prosa schreiben wollten; sehen Sie ihn aber als ein selbstständiges Werk an, so muß er nothwendig rhythmisch werden.
Auf alle Fälle sind wir genöthigt unser Jahrhundert zu vergessen, wenn wir nach unsrer Überzeugung arbeiten wollen: denn so eine Saalbaderey in Principien, wie sie im allgemeinen jetzt gelten, ist wohl noch nicht auf der Welt gewesen, und was die neuere Philosophie Gutes stiften wird, ist noch erst abzuwarten.
Die Poesie ist doch eigentlich auf die Darstellung des empirisch pathologischen Zustandes des Menschen gegründet, und wer gesteht denn das jetzt wohl unter unsern fürtrefflichen Kennern und sogenannten Poeten? Hat ein Mann wie Garve der doch auch zeitlebens gedacht haben will, und für eine Art von Philosophen galt, denn nur die geringste Ahnung eines solchen Axioms? Hält er Sie nicht darum nur für einen würdigen Dichter, weil Sie sich den Spaß gemacht haben die Aussprüche der Vernunft mit dichterischem Munde vorzutragen? was wohl zu erlauben, aber nicht zu loben ist. Wie gerne wollte ich diesen prosaischen Naturen erlauben vor den sogenannten unsittlichen Stoffen zurückzuschaudern, wenn sie nur ein Gefühl für das höhere Poetisch sittliche, z.B. im Polykrates und Ibycus hätten und davon entzückt würden.
Lassen sie uns, besonders da Meyer auch einen grimmigen Rigorism aus Italien mitgebracht hat, immer strenger in Grundsätzen und sicherer und behaglicher in der Ausführung werden! Das letzte kann nur geschehen, wenn wir während der Arbeit unsere Blicke nur innerhalb des Rahmens fixiren.
Hierbei meine Elegie mit dem Wunsch einer freundlichen Aufnahme.
Zeltern bleiben wir auch sechs Bouteillen Champagner schuldig für die feste, gute Meinung, die er von uns gehegt hat. Seine Indische Legende ist mir sehr werth. Der Gedanke ist original und wacker; das Lied an Mignon habe ich noch nicht einmal gehört. Die Componisten spielen nur ihre eigenen Sachen und die Liebhaber haben auch nur wieder besonders begünstigte Stücke. Auf meinem ganzen Wege habe ich niemand gefunden der sich in etwas Fremdes und Neues hätte einstudiren mögen.
Lassen Sie mich doch einige Exemplare der Melodien zum Almanach erhalten; sie fehlen bei denen mir übersendeten durchaus.
Möchten Sie doch mit Ihrem Wallenstein recht glücklich seyn, damit wir Sie desto eher bei uns sehen.
Ein herzliches Lebewohl und Gruß an die Ihrigen.
G.
H 383 | S 378 | B 379
Weimar, den 24. November 1797
Ich schicke die Garvischen Briefe mit Dank zurück, und wünschte der arme alte kranke Mann schölte noch viel ärger auf uns, wenn er dadurch nur auf seine übrige Lebenszeit gesund und froh werden könnte. Welch eine Litanei von jammervollen Betrachtungen läßt sich nicht bei diesen Blättern recitiren, womit ich Sie wie billig verschone, weil sich Ihnen das alles schon aufgedrungen hat. Bemerkt man doch bei diesem so guten und wackern Manne keine Spur eines ästhetischen Gefühls! Von einer Seite sind seine Urtheile grob materiell und von der andern tractirt er die Sache als Ceremonienmeister, um ja besonders den subordinirten Talenten ihr Plätzchen anzuweisen. Es ist nur gut daß Sie ihn durch drei Worte wieder versöhnt haben.
Wie natürlich es doch solche Sittenrichter finden, daß ein Autor Zeit seines Lebens seine besten Bemühungen verkennen, sich retardiren, necken, hänseln und hudeln lasse, weil das nun einmal so eingeführt ist! Und dabei soll er geduldig, seiner hohen Würde eingedenk, mit übereinander geschlagenen Händen, wie ein ecce Homo dastehen, nur damit Herr Manso und seines Gleichen auch in ihrer Art für Dichter passiren können.
Doch genug von diesen Armseligkeiten! Lassen Sie uns auf unsern Wegen immer beständig und rascher fortschreiten.
H 382 | S 378 | B 378