386. An Goethe

Jena, den 24. November 1797

Ich habe noch nie so augenscheinlich mich überzeugt als bei meinem jetzigen Geschäft, wie genau in der Poesie Stoff und Form, selbst äußere, zusammenhängen. Seitdem ich meine prosaische Sprache in eine poetisch-rhythmische verwandle, befinde ich mich unter einer ganz andern Gerichtsbarkeit als vorher; selbst viele Motive, die in der prosaischen Ausführung recht gut am Platz zu stehen schienen, kann ich jetzt nicht mehr brauchen: sie warne bloß gut für den gewöhnlichen Hausverstand, dessen Organ die Prosa zu seyn scheint; aber der Vers fordert schlechterdings Beziehungen auf die Einbildungskraft, und so mußte ich auch in mehreren meiner Motive poetischer werden. Man sollte wirklich alles was sich über das gemeine erheben muß, in Versen, wenigstens anfänglich, concipiren, denn das Platte kommt nirgends so in’s Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird.

Bei meinen gegenwärtigen Arbeiten hat sich mir eine Bemerkung angeboten, die Sie vielleicht auch schon gemacht haben. Es scheint, daß ein Theil des poetischen Interesse in dem Antagonism zwischen dem Inhalt und der Darstellung liegt. Ist der Inhalt sehr poetisch bedeutend, so kann eine magre Darstellung und eine bis zum Gemeinen gehende Einfalt des Ausdrucks ihm recht wohl anstehen, da im Gegentheil ein unpoetischer gemeiner Inhalt, wie er in einem größern Ganzen oft nöthig wird, durch den belebten udn reichen Ausdruck poetische Dignität erhält. Dieß ist auch meines Erachtens der Fall, wo der Schmuck, den Aristoteles fordert, eintreten muß, denn in einem poetischen Werke soll nichts Gemeines sein.

Der Rhythmus leistet bei einer dramatischen Production noch dieses Große und Bedeutende, daß er, indem er alle Charaktere und alle Situationen nach Einem Gesetz behandelt, und sie, trotz ihres innern Unterschiedes, in Einer Form ausführt, dadurch den Dichter und seine Leser nöthiget, von allem noch so Charakteristisch-verschiedenem etwas Allgemeines, Rein-menschliches zu verlangen. Alles soll sich in dem Geschlechtsbegriff des Poetischen vereinigen, und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum Repräsentanten als zum Werkzeug, da er alles unter seinem Gesetze begreift. Er bildet auf diese Weise die Atmosphäre für die poetische Schöpfung, das Gröbere bleibt zurück, nur das Geistige kann von diesem dünnen Elemente getragen werden.

Sie erhalten hier acht Almanache. Eigentlich waren Ihnen sechs auf Velin zugedacht, aber durch eine Confusion bei der Besorgung geschah es, daß mein Vorrath von schönen Exemplaren alle war, eh’ ich’s wußte. Ich sende dafür zwei Exemplare mehr, und das ist Ihnen vielleicht lieber. Die Herzogin hat eins von mir erhalten, so auch Geh. Rath Voigt, Herder, Böttiger.

Zelter wünscht zu wissen, wie Sie mit seinen Melodien zur Bajadere und dem Lied an Mignon zufrieden sind. Er schreibt, daß unser Almanach ihm eine Wette von sechs Champagnerflaschen gewonnen habe, denn er habe gegen einen andern behauptet: er würde gewiß keine Xenien enthalten.

Leben Sie bestens wohl und sorgen Sie, daß ich bald etwas von Ihren ästhetischen Schätzen zu lesen bekomme. An Meyern viele Grüße.

Sch.

H 381 | S 377 | B 377

385. An Goethe

Jena, den 22. November 1797

Noch einmal wünsche ich Glück zur frohen Ankunft. Wie angenehm ist mir’s, wieder so leicht und schnell mit Ihnen communiciren zu können. Was Sie an Sachen und an Ideen mitgebracht, verspricht mir einen unterhaltungsreichen unterrichtenden Winter, und doppelt froh bin ich, daß ich einen Theil desselben in Ihrer Nähe zubringen kann. Für’s Theater wollen wir ja etwas zu wirken suchen, wenn auch niemand als wir selbst bei dem Versuchen was lernen sollten. Haben Sie Einsiedel’s Schriftstellerei darüber schon zu Gesicht bekommen? Hier ist doch Ein Mensch wenigstens mehr, der etwas darüber auszusprechen sucht, und in einem gewissen Kreise ein Interesse daran nähren wird.

Hier die Garvischen Briefe, die Ihnen auf eine andre doch verwandte Art, als der Brief des Räthselmannes, die Deutsche Natur vergegenwärtigen werden.

Das Geld nebst den Almanachen wird das Botenmädchen übermorgen mitnehmen. Hätte ich gewußt, daß Sie das Gold wieder einlösen wollten, so hätte ich es gar nicht angenommen.

Leben Sie recht wohl für heute. Auf den Freitag mehr. Meyern grüße ich.

Sch.

H 380 | S 376 | B 376

384. An Schiller

Weimar, den 22. November 1797

Die vier Carolin sende mit Dank zurück und erbitte mir dagegen meinen goldnen Bürgen. Auch habe ich noch durch für den von Cotta mir so bald übermachten Betrag des Almanachs zu danken. Das Sprichwort: Was durch die Flöte gewonnen wird geht durch die Trommel fort, habe ich in besserm Sinne erfüllt, indem ich mir dafür ein Kunstwerk angeschafft, das auch Ihnen Freude machen und unsere gemeinschaftlichen Genüsse und Kenntnisse erhöhen und beleben soll. Meyer hat Ihnen schon etwas von unsern neusten Speculationen eröffnet und sich sehr Ihrer Theilnahme und Einwirkung gefreut. Sobald ich mich von meiner Zerstreuung erholt habe, will ich unsere Thesen aufsetzen, um alsdann darüber conferiren und ein glückliches Ganze ausbilden zu können. Ich bin überzeugt daß wir diesen Winter weit kommen werden.

Ich habe gestern zum erstenmal wieder in Ihrer Loge gesessen und wünsche Sie bald wieder darin einführen zu können. Da ich ganz als Fremder der Vorstellung zusah, so habe ich mich verwundert wie weit unsere Leute wirklich sind. Auf einem gewissen ebnen Wege der Natur und Prosa machen sie ihre Sachen über die Maße gut; aber leider im Momente wo nur eine Tinctur von Poesie eintritt, wie doch bei dem gelindesten Pathetischen immer geschieht, sind sie gleich null oder falsch. Wunderlich genug schien es mir daß der Verfasser des Stücks, Ziegler, in eben dem Falle zu seyn scheint; er findet recht artige komische Motive, und weil diese immer extemporan wirken, so behandelt er sie meist recht gut; alle zarte sentimentale und pathetischen Situationen aber, welche vorbereitet seyn und eine Folge haben wollen, weiß er nicht zu tractiren, wenn er sie auch gefaßt hat; sie überstolpern sich und thun keinen Effect, ob sie gleich nicht unglücklich angelegt sind. Ich verspreche mir von Ihrer Gegenwart recht viel Gutes für’s Theater und für Sie selbst. Ich hoffe bis zu Ihrer Ankunft auch wieder völlig in meiner Lage zu seyn.

Für die bisher übersendeten Horen danke zum schönsten und bitte nun auch um einige Exemplare des Almanachs. Beiliegender Brief ist wieder ein ächtes Zeichen bornirter Deutschheit. Die Räthselgeschichte ist nun schon mehrere Jahre vorbei und klingt immer noch nach. Welch ein glückliches National-Apperçü war nicht der Reichsanzeiger!

Leben Sie recht wohl. Unsere Schätze werden nun nach und nach ausgepackt und schon sind zur Aufstellung Anstalten gemacht. Bis Sie kommen, wird alles in der schönsten Ordnung seyn.

G.

H 379 | S 375 | B 375

383. An Schiller

Nürnberg, den 10. November 1797

Wir haben zu unserer besondern Freude Knebeln hier angetroffen und werden daher etwas länger als wir gedachten verweilen. Die Stadt bietet mancherlei Interessantes an, alte Kunstwerke, mechanische Arbeiten, so wie sich auch über politische Verhältnisse manche Betrachtungen machen lassen. Ich sage Ihnen daher nur ein Wort des Grußes und sende ein Gedicht. Es ist das vierte zu Ehren der schönen Müllerin. Das dritte ist noch nicht fertig; es wird den Titel haben: Verrath und die Geschichte erzählen, da der junge Mann in der Mühle übel empfangen wird. Bald habe ich das Vergnügen Sie wieder zu umarmen, und über hundert Dinge Ihre Gedanken zu erfragen. Meyer grüßt.

G.

[Auf der Rückseite in ( ) mit Bleistift:]

Die ächte poetische Begeisterung des Voßischen Liedes:

„Dicht gedränget Mann und Weib
Pflegen wir mit Punsch den Leib;
Wie den Fuchs die Grube
Wärmet uns die Stube –“

hat mich äußerst erbaut.

H 176 | S 374 | B 374

382. An Schiller

Tübingen, den 30. Oktober 1797

Wir haben die Tour auf Basel aufgegeben, und sind gerade auf Tübingen gegangen. Die Jahrszeit, Wetter und Weg sind nun nicht mehr einladend, und da wir einmal nicht in der Ferne bleiben wollen, so können wir uns nun nach Hause wenden; welchen Weg wir nehmen ist noch unentschieden.

Den Almanach haben wir erst hier erhalten und uns besonders über den Eisenhammer gefreut. Sie haben kaum etwas mit so glücklichem Humor gemacht und die retardirende Messe ist von dem besten Effect. Auch ist das Geheimniß sehr lobenswürdig.

Es freut mich daß Hermann in Ihren Händen ist und daß er sich hält. Was Sie vom Meister sagen verstehe ich recht gut, es ist alles wahr und noch mehr. Gerade seine Unvollkommmenheit hat mir am meisten Mühe gemacht. Eine reine Form hilft und trägt, da eine unreine überall hindert und zerrt. Er mag indessen seyn was er ist, es wird mir nicht leicht wieder begegnen daß ich mich im Gegenstand und in der Form vergreife, und wir wollen abwarten was uns der Genius im Herbste des Lebens gönnen mag.

Viel Glück zum Wallenstein! Ich wünsche daß, wenn wir kommen, ein Theil schon sichtbar seyn möge. Meyer grüßt bestens. Möchten wir Sie mit den Ihrigen recht gesund finden. Von der Hälfte des Wegs, von Frankfurt oder Nürnberg, hören Sie noch einmal von uns.

Humboldt hat von München geschrieben und geht nach Basel. Nochmals Lebewohl und Hoffnung baldigen Wiedersehens.

G.

H 377 | S 374 | B 374

381. An Goethe

Jena, den 30. Oktober 1797

Gottlob daß ich wieder Nachricht von Ihnen habe! Diese drei Wochen, da Sie in den Gebirgen, abgeschnitten von uns, umherzogen, sind mir lang geworden. Desto mehr erfreute mich Ihr lieber Brief und alles was er enthielt. Die Idee von dem Wilhelm Tell ist sehr glücklich, und genau überlegt könnten Sie, nach dem Meister und nach dem Hermann, nur einen solchen, völlig local-charakteristischen Stoff, mit der gehörigen Originalität Ihres Geistes und der Frischheit der Stimmung behandeln. Das Interesse, welches aus einer streng umschriebenen, charakteristischen Localität und einer gewissen historischen Gebundenheit entspringt, ist vielleicht das Einzige, was Sie sich durch jene beiden vorhergegangenen Werke nicht weggenommen haben. Diese zwei Werke sind auch dem Stoff nach ästhetisch frei, und so gebunden auch in beiden das Local aussieht und ist, so ist es doch ein rein poetischer Boden und repräsentirt eine ganze Welt. Bei dem Tell wird ein ganz andrer Fall seyn; aus der bedeutenden Enge des gegebenen Stoffes wird da alles geistreiche Leben hervorgehen. Es wird darin liegen, daß man durch die Macht des Poeten recht sehr beschränkt und in dieser Beschränkung innig und intensiv gerührt und beschäftigt wird. Zugleich öffnet sich aus diesem schönen Stoffe wieder ein Blick in eine gewisse Weite des Menschengeschlechts, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsicht in freie Fernen sich aufthut.

Wie sehr wünschte ich, auch dieses Gedichtes wegen, bald wieder mit Ihnen vereinigt zu seyn. Sie würden sich vielleicht jetzt eher gewöhnen, mit mir darüber zu sprechen, da die Einheit und Reinheit Ihres Hermanns durch Ihre Mittheilungen an mich, während der Arbeit, so gar nicht gestört worden ist. Und ich gestehe daß ich nichts auf der Welt weiß, wobei ich mehr gelernt hätte, als jene Communicationen, die mich recht in’s Innere der Kunst hineinführten.

Das Lied vom Mühlbach ist wieder charmant und hat uns große Freude gemacht. Es ist eine ungemein gefällige Einkleidung, die der Einbildungskraft ein reizendes Spiel verschafft; das Sylbenmaß ist auch recht glücklich dazu gewählt. Auch die Distichen sind sehr lieblich.

Humboldt hat endlich einmal, und zwar aus München geschrieben. er geht jetzt auf Basel los, wo er sich bestimmen wird, ob die Pariser Reise vor sich gehen soll oder nicht. Sie wird er also schwerlich mehr finden, es sey denn daß Sie den Winter noch bei Zürich zubringen werden, wohin er sich wenden wird, wenn er nicht nach Paris geht. Ein großes Salzbergwerk bei Berchtoldsgaden, worin er gewesen, beschreibt er recht artig. Die Bayerische Nation scheint ihm sehr zu gefallen, und einen dortigen Kriegsminister Rumdohr rühmt er sehr wegen seiner schönen und menschenfreundlichen Anstalten.

Wir sind jetzt wieder in der Stadt, wo wir uns sämmtlich wohlauf befinden. Ich arbeite an dem Wallenstein eifrig, wiewohl es sehr langsam geht, weil mir der viele und ungestaltbare Stoff so gar viel zu thun giebt.

Den Almanach haben Sie nun erhalten, so wie auch meinen Brief vom 2ten, 6ten und 20sten October, wie ich hoffe.

Leben Sie recht wohl mit Meyern, den wir herzlich grüßen. Möchte unser guter Genius Sie ja bald wieder zu uns führen. Meine Frau wird Ihnen selbst ein paar Zeilen schreiben. Ich las neulich den Hermann vor einer Gesellschaft von Freunden in Einem Abend vom Anfang bis zum Ende: er rührte uns wieder unbeschreiblich, und mir brachte er noch die Abende, wo Sie ihn uns vorlasen, so lebhaft zurück, daß ich doppelt bewegt war. Noch einmal: leben Sie recht wohl!

Sch.

H 376 | S 372 | B 372

380. An Schiller

Zürich, den 25. Oktober 1797

Ehe ich von Zürich abgehe nur einige Worte, denn ich bin sehr zerstreut und werde es wohl noch eine Weile bleiben, denn wir gedenken auf Basel, von da auf Schaffhausen, Tübingen und so weiter zu gehen, wahrscheinlich treffe ich am letzten Orte wieder etwas von Ihnen an. Keinen Musenalmanach, keinen Hermann habe ich noch gesehen, alles das und mehreres wird mir dann wohl in Deutschland begegnen.

Wäre die Jahrszeit nicht so weit, so sähe ich mich wohl noch gern einen Monat in der Schweiz um, um mich von den Verhältnissen im ganzen zu unterrichten. Es ist wunderbar wie alte Verfassungen, die bloß auf Seyn und Erhalten gegründet sind, sich in Zeiten ausnehmen wo alles zum Werden und Verändern strebt. Ich sage heute weiter nichts als ein herzliches Lebewohl. Von Tübingen hören Sie mehr von mir.


Wir hatten kaum in diesen Tagen unser Schema über die zulässigen Gegenstände der bildenden Kunst, mit großem Nachdenken, entworfen, als uns eine ganz besondre Erfahrung in die Quere kam. Ihnen ist die Zudringlichkeit des Vulcan gegen Minerven bekannt, wodurch Erichthonius producirt wurde. Haben Sie Gelegenheit, so lesen Sie diese Fabel ja in der ältern Ausgabe Hederichs nach, und denken dabei, daß Raphael daher Gelegenheit zu einer der angenehmsten Compositionen genommen hat. Was soll denn nun dem glücklichen Genie gerathen oder geboten seyn? Leben Sie nochmals recht wohl.

G.

H 375 | S 371 | B 371

379. An Goethe

Jena, den 20. Oktober 1797

Vor einigen Tagen schickte uns Böttiger zwei schöne Exemplare Ihres Hermanns, womit wir sehr erfreuet wurden. Er ist also nunmehr in der Welt und wir wollen hören, wie sich die Stimme eines Homerischen Rhapsoden in dieser neuen politisch-rhetorischen Welt ausnehmen wird. Ich habe das Gedicht nun wieder mit dem alten ungeschwächten Eindruck und mit neuer Bewegung gelesen; es ist schlechterdings vollkommen in seiner Gattung, es ist pathetisch mächtig und doch reizend im höchsten Grade, kurz es ist schön was man sagen kann.

Auch den Meister habe ich ganz kürzlich wieder gelesen, und es ist mir noch nie so auffallend gewesen, was eine äußere Form doch bedeutet. Die Form des Meisters, wie überhaupt jede Romanform, ist schlechterdings nicht poetisch, sie liegt ganz nur im Gebiete des Verstandes, steht unter allen seinen Forderungen und participirt auch von allen seinen Gränzen. Weil es aber ein ächt poetischer Geist ist, der sich dieser Form bediente, und in dieser Form die poetischsten Zustände ausdrückte, so entsteht ein sonderbares Schwanken zwischen einer prosaischen und poetischen Stimmung, für das ich keinen rechten Namen weiß. Ich möchte sagen: es fehlt dem Meister (dem Roman nämlich) an einer gewissen poetischen Kühnheit, weil er, als Roman, es dem Verstande immer recht machen will – und es fehlt ihm wieder an einer eigentlichen Nüchternheit (wofür er doch gewissermaßen die Forderung rege macht), weil er aus einem poetischen Geiste geflossen ist. Buchstabiren Sie das zusammen wie Sie können, ich theile Ihnen bloß meine Empfindung mit.

Da Sie auf einem solchen Punkte stehen, wo Sie das Höchste von sich fordern müssen und Objectives mit Subjectivem absolut in Eins verfließen muß, so ist es durchaus nöthig dafür zu sorgen, daß dasjenige was Ihr Geist in Ein Werk legen kann, immer auch die reinste Form ergreife, und nichts daran in einem unreinen Medium verloren gehe. Wer fühlt nicht alles das im Meister, was den Hermann so bezaubernd macht! Jenem fehlt nichts, gar nichts von Ihrem Geiste, er ergreift das Herz mit allen Kräften der Dichtkunst und gewährt einen immer sich erneuernden Genuß, und doch führt mich der Hermann (und zwar bloß durch seine rein poetische Form) in eine göttliche Dichterwelt, da mich der Meister aus der7) wirklichen Welt nicht ganz herausläßt.

Da ich doch einmal im Kritisiren bin, so will ich noch eine Bemerkung machen, die mir bei dem Lesen sich aufdrang. Es ist offenbar zu viel von der Tragödie im Meister; ich meine das Ahnungsvolle, das Unbegreifliche, das subjectiv Wunderbare, welches zwar mit der poetischen Tiefe und Dunkelheit, aber nicht mit der Klarheit sich verträgt, die im Roman herrschen muß und in diesem auch so vorzüglich herrscht. Es incommodirt, auf diese Grundlosigkeiten zu gerathen, da man überall festen Boden unter sich zu fühlen glaubt, und weil sich sonst alles so schön vor dem Verstand entwirret, auf solche Räthsel zu gerathen. Kurz mir däucht, Sie hätten sich hier eines Mittels bedient zu dem der Geist des Werks Sie nicht befugte.

Übrigens kann ich Ihnen nicht genug sagen, wie mich der Meister auch bei diesem neuen Lesen bereichert, belebt, entzückt hat; es fließt mir darin eine Quelle, wo ich für jede Kraft der Seele und für diejenige besonders, welche die vereinigte Wirkung von allen ist, Nahrung schöpfen kann.

[Sie werden bei Ihrer Zurückkunft aus den Gebirgenein Paquet Briefe von mir, nebst dem Almanach, vorgefunden haben. Von dem Schicksl des letztern im Publikum habe ich noch nichts in Erfahrung bringen können. Aber gottlob ich hab ihn auch schon vergessen und lebe nun wieder im Wallenstein.

Seit einigen Tagen sind wir wieder in die Stadt gezogen, wo der weite Raum meiner hohen Zimmer einen recht angenehmen Eindruck auf mich macht. Mein kleiner Ernst, der sehr kränklich gewesen, erholt sich wieder, und sonst geht es ganz leidlich gut mit uns allen. Von Humboldt habe ich seit Monaten keine Nachricht, und kann ihm, da ich seine Adresse nicht weiß, auch nicht schreiben. Sollten Sie ihn sehen oder ihm schreiben, so bitte ich ihm das zu sagen. Wir erwarten Sie mit Maier in wenigen Wochen hier, und mit welcher Sehnsucht brauche ich Ihnen nicht zu sagen.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Meiern, meine Frau grüß Sie beide aufs beste, und dankt recht schön für das Taschenbuch]*

Sch.

H 374 | S 370 | B 370

* Nicht bei H und S, erst 1983 aufgefunden, zitiert nach B.

378. An Schiller

Stäfa, den 17. Oktober 1797

Noch habe ich nicht Zeit noch Stimmung finden können aus meinem größern Tagebuch einen Auszug zu machen, um sei von unserer Bergreise näher zu unterrichten; ich sage also hier nur noch kürzlich, daß wir von Richterswiel auf Einsiedeln und von da auf Schwytz und Brunnen gingen; von da fuhren wir auf dem See bis Flüelen, gingen von da nach Altdorf und bestiegen den Gotthardt und kamen wieder zurück. In Flüelen setzten wir uns abermals ein und fuhren bis Beckenrieth im Kanton Unterwalden, gingen zu Fuß auf Stanz und Stanz-Statd, von da schifften wir über auf Küßnacht, gingen auf Immisee, schifften auf Zug, wanderten auf Horgen und schifften wieder nach Stäfa herüber.

Auf dieser kurzen Reise haben wir die mannigfaltigsten Gegenstände gesehen und die verschiedensten Jahrszeiten angetroffen, wovon künftig ein mehreres.

Über die berühmte Materie der Gegenstände der bildenden Kunst ist ein kleiner Aufsatz schematisirt und einigermaßen ausgeführt; Sie werden die Stellen Ihres Briefes als Noten dabei finden. Wir sind jetzt an den Motiven, als dem zweiten nach dem gegebenen Sujet: denn nur durch Motive kommt es zur inneren Organisation; alsdann werden wir zur Anordnung übergehen, und so weiter fortfahren. Wir werden uns bloß an der bildenden Kunst halten und sind neugierig, wie sie mit der Poesie, die wir Ihnen nochmals hiermit bestens empfohlen haben wollen, zusammentreffen wird.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie die Nächsten. Wenn Sie mir auf diesen Brief ein Wort sagen mögen, so schicken Sie es nur an Cotta. Seit gestern klingen die Nachrichten vom Rhein sehr kriegerisch, und am Ende werden wir uns hintern herum durch Schwaben und Franken nach Hause schleichen müssen. Nochmals das beste Lebewohl.

Meyer grüßt schönstens. So eben kommt die Aldobrandinische Hochzeit, die wir lange von Rom erwarten, über Triest, Villach und Constanz an. Nun sind alle unsere Schätze beisammen, und wir können nun auch von dieser Seite beruhigt und erfreut, unsern Weg antreten.

G.

H 373 | S 369 | B 369

377. An Schiller

Stäfa, den 14. Oktober 1797

An einem sehr regnichten Morgen bleibe ich, werther Freund, in meinem Bette liegen, um mich mit Ihnen zu unterhalten und Ihnen Nachricht von unserm Zustande zu geben, damit Sie, wie bisher, uns mit Ihrem Geiste begleiten, und uns von Zeit zu Zeit mit Ihren Briefen erfreuen mögen.

Kaum hatte ich mich in Zürich mit dem guten Meyer zusammen gefunden, kaum waren wir zusammen hier angelangt, kaum hatte ich mich an seinen mitgebrachten Arbeiten, an der angenehmen Gegend und ihrer Cultur erfreut, als die nahen Gebirge mir eine gewisse Unruhe gaben, und das schöne Wetter den Wunsch unterhielt mich ihnen zu nähern, ja sie zu besteigen. Der Instinct, der mich dazu trieb, war sehr zusammengesetzt und undeutlich; ich erinnerte mich des Effects den diese Gegenstände vor zwanzig Jahren auf mich gemacht, der Eindruck war im ganzen geblieben, die Theile waren erloschen und ich fühlte ein wundersames Verlangen jene Erfahrungen zu wiederholen und zu rectificiren. Ich war ein anderer Mensch geworden und also mußten mir die Gegenstände auch anders erscheinen. Meyer’s Wohlbefinden und die Überzeugung daß kleine gemeinschaftliche Abenteuer, so wie sie neue Bekanntschaften schneller knüpfen, auch den alten günstig sind, wenn sie nach einigem Zwischenraum wieder erneut werden sollen, entschieden uns völlig, und wir reisten mit dem besten Wetter ab, das uns auch auf das vortheilhafteste elf Tage begleitete. In der Beilage bezeichne ich wenigstens den Weg den wir gemacht haben, ein vollständiges, obgleich aphoristisches Tagebuch theile ich in der Folge mit, indessen wird Ihre liebe Frau, die einen Theil der Gegenden kennt, vielleicht eins oder das andere aus der Erinnerung hinzufügen.

Bei unserer Zurückkunft fand ich Ihrer beiden lieben Briefe, mit den Beilagen, die sich unmittelbar an die Unterhaltung anschlossen welche wir auf dem Wege sehr eifrig geführt hatten, indem die Materie von den vorzustellenden Gegenständen, von der Behandlung derselben durch die verschiedenen Künste, oft von uns in ruhigen Stunden vorgenommen worden. Vielleicht zeigt Ihnen eine kleine Abhandlung bald, daß wir völlig Ihrer Meinung sind, am meisten aber wird mich’s freuen, wenn Sie Meyer’s Beschreibung und Beurtheilungen so vieler Kunstwerke hören und lesen. Man erfährt wieder bei dieser Gelegenheit, daß eine vollständige Erfahrung die Theorie in sich enthalten muß. Um desto sichrer sind wir daß wir uns in einer Mitte begegnen, da wir von so vielen Seiten auf die Sache losgehen.

Wenn ich Ihnen nun von meinem Zustande sprechen soll, so kann ich sagen daß ich bisher mit meiner Reise alle Ursache habe zufrieden zu seyn. Bei der Leichtigkeit die Gegenstände aufzunehmen, bin ich reich geworden ohne beladen zu seyn, der Stoff incommodirt mich nicht, weil ich ihn gleich zu ordnen oder zu verarbeiten weiß, und ich fühle mehr Freiheit als jemals mannigfaltige Formen zu wählen um das Verarbeitete für mich oder andere darzustellen. Von dem unfruchtbaren Gipfel des Gotthardts bis zu den herrlichen Kunstwerken, welche Meyer mitgebracht hat, führt uns ein labyrinthischer Spazierweg durch eine verwickelte Reihe von interessanten Gegenständen, welche dieses sonderbare Land enthält. Sich durch unmittelbares Anschauen die naturhistorischen, geographischen, ökonomischen und politischen Verhältnisse zu vergegenwärtigen, und sich dann durch eine alte Chronik die vergangnen Zeiten näher zu bringen, auch sonst machen Aufsatz der arbeitsamen Schweizer zu nutzen, gibt, besonders bei der Umschriebenheit der Helvetischen Existenz, eine sehr angenehme Unterhaltung, und die Übersicht sowohl des Ganzen als die Einsicht in’s Einzelne wird besonders dadurch sehr beschleunigt daß Meyer hier zu Hause ist, mit seinem richtigen und scharfen Blick schon so lange die Verhältnisse kennt und sie in einem treuen Gedächtnisse bewahrt. So haben wir in kurzer Zeit mehr zusammengebracht als ich mir vorstellen konnte, und es ist nur Schade, daß wir um einen Monat dem Winter zu nahe sind; noch eine Tour von vier Wochen müßte uns mit diesem sonderbaren Lande sehr weit bekannt machen.

Was werden Sie nun aber sagen, wenn ich Ihnen vertraue daß, zwischen allen diesen prosaischen Stoffen, sich auch ein poetischer hervorgethan hat, der mir viel Zutrauen einflößt. Ich bin fest überzeugt, daß die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, und es würde dabei, wenn es mir, wie ich vorhabe, gelingt, der sonderbare Fall eintreten daß das Mährchen durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen Wahrheit gelangte, anstatt daß man sonst, um etwas zu leisten, die Geschichte zur Fabel machen muß. Doch darüber künftig mehr. Das beschränkte höchst bedeutende Local, worauf die Begebenheit spielt, habe ich mir wieder recht genau vergegenwärtigt, so wie ich die Charaktere, Sitten und Gebräuche der Menschen in diesen Gegenden, so gut als in der kurzen Zeit möglich beobachtet habe, und es kommt nun auf Glück an ob aus diesem Unternehmen etwas werden kann.

Nun aber entsteht eine Frage, die uns doch von Zeit zu Zeit zweifelhaft ist: wo wir uns hinwenden sollen? um sowohl Meyer’s Cellectaneen als meinen eignen alten und neuen Vorrath auf’s bequemste und baldigste zu verarbeiten. Leider sind hier am Orte die Quartiere nicht auf den Winter eingerichtet, sonst läugne ich nicht daß ich recht geneigt gewesen wäre hier zu bleiben, da uns denn die völlige Einsamkeit nicht wenig gefördert haben würde. Dazu kommt daß es der geschickteste Platz gewesen wäre um abzuwarten, ob Italien oder Frankreich auf’s künftige Frühjahr den Reisenden wieder anlockt oder einläßt. In Zürich selbst kann ich mir keine Existenz denken und wir werden uns wohl nunmehr sachte wieder nach Frankfurt begeben.

Überhaupt aber bin ich auf einer Idee zu deren Ausführung mir nur noch ein wenig Gewohnheit mangelt; es würde nämlich nicht schwer werden sich so einzurichten daß man auf der Reise selbst mit Sammlung und Zufriedenheit arbeiten könnte. Denn wenn sie zu gewissen Zeiten zerstreut, so führt sie uns zu andern desto schneller auf uns selbst zurück; der Mangel an äußern Verhältnissen und Verbindungen, ja die lange Weile, ist demjenigen günstig der manches zu verarbeiten hat. Die Reise gleicht einem Spiel; es ist immer Gewinn und Verlust dabei, und meist von der unerwarteten Seite; man empfängt mehr oder weniger als man hofft, man kann ungestraft eine Weile hinschlendern, und dann ist man genöthigt sich einen Augenblick zusammen zu nehmen. Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar, sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet.

Ich bin auch jetzt überzeugt daß man recht gut nach Italien gehen könnte, denn alles setzt sich in der Welt nach einem Erdbeben, Brand und Überschwemmung so geschwind als möglich in seine alte Lage, und ich würde persönlich diese Reise ohne Bedenken unternehmen, wenn mich nicht andere Betrachtungen abhielten. Vielleicht sehen wir uns also sehr bald wieder, und die Hoffnung mit Ihnen das Erbeutete zu theilen und zu einer immer größern theoretischen und praktischen Vereinigung zu gelangen, ist eine der schönsten, die mich nach Hause lockt. Wir wollen sehen was wir noch alles unterweges mitnehmen können. So hat Basel wegen der Nähe von Frankreich einen besonderen Reiz für mich; auch sind schöne Kunstwerke sowohl ältere als ausgewanderte daselbst befindlich

Den Schluß des Almanachs hoffe ich noch in Zürich zu erhalten. Cotta ist in seinen Speditionen sehr regelmäßig.

Den Ibykus finde ich sehr gut gerathen und beim Schlusse wüßte ich nun auch nichts mehr zu erinnern. Es verlangt mich nun sehr, das Ganze zu übersehen. Da meine artige Müllerin eine gute Aufnahme gefunden, so schicke ich noch ein Lied das wir ihren Reizen verdanken. Es wird recht gut sein wenn der nächste Almanach reich an Liedern wird, und die Glocke muß nur um desto besser klingen als das Erz länger in Fluß erhalten und von allen Schlacken gereinigt ist.

G.


Uri, den 1. October 1797

War doch gestern dein Haupt noch so braun wie die Locke der Lieben,
Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt;
Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die Gipfel,
Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel ergoß.
Jugend, ach! ist dem Alter so nah’, durch’s Leben verbunden,
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband.


Der Junggesell und der Mühlbach

Gesell.
Wo willst du klares Bächlein hin,
So munter?
Du eilst mit frohem leichten Sinn,
Hinunter;
Was suchst du eilig in dem Thal?
So höre doch und sprich einmal!

Bach.
Ich war ein Bächlein, Junggesell;
Sie haben
Mich so gefaßt damit ich schnell
Im Graben,
Zur Mühle dort hinunter soll,
Und immer bin ich rasch und voll.

Gesell.
Du eilest mit gelass’nem Mut,
Zur Mühle,
Und weißt nicht was ich junges Blut
Hier fühle
Es blickt die schöne Müllerin
Wohl freundlich manchmal nach dir hin?

Bach.
Sie öffnet früh beim Morgenlicht,
Den Laden,
Und kommt ihr liebes Angesicht
Zu baden.
Ihr Busen ist so voll und weiß,
Es wird mir gleich zum Dampfen heiß.

Gesell.
Kann sie im Wasser Liebesglut
Entzünden,
Wie soll man Ruh mit Fleisch und Blut
Wohl finden?
Wenn man sie einmal nur gesehn,
Ach immer muß man nach ihr gehn.

Bach.
Dann stürz’ ich auf die Räder mich
Mit Brausen,
Und alle Schaufeln drehen sich
Im Sausen.
Seitdem das schöne Mädchen schafft,
Hat auch das Wasser bess’re Kraft.

Gesell.
Du Armer, fühlst du nicht den Schmerz
Wie andre?
Sie lacht dich an und sagt im Scherz:
Nun wandre!
Sie hielte dich wohl selbst zurück
Mit einem süßen Liebesblick?

Bach.
Mir wird so schwer, so schwer vom Ort
Zu fließen,
Ich krümme mich nur sachte fort,
Durch Wiesen;
Und käm es erst auf mich nur an,
Der Weg wär’ bald zurück getan.

Gesell.
Geselle meiner Liebesqual,
Ich scheide,
Du murmelst mir vielleicht einmal
Zur Freude.
Geh’, sag ihr gleich und sag ihr oft,
Was still der Knabe wünscht und hofft.

H 372 | S 369 | B 369

376. An Goethe

Jena, den 6. Oktober 1797

Herzlich willkommen war mir Ihr und Meyer’s Brief, den ich vor wenigen Stunden erhalten. Ich eile ihn, wenn nur mit ein paar Zeilen, zu beantworten, um Sie vor Ihrer Rückkehr aus den Gebirgen freundlich zu begrüßen. Wir haben uns recht ungeduldig nach Nachrichten von Ihnen gesehnt, und doppelt erfreulich ist mir also Ihr heutiger Brief, der mir zu Ihrer baldigen Rückkehr Hoffnung macht. Wirklich sahe ich dem herannahenden Winter schon mit einer heimlichen Furcht entgegen, der mir nun so heiter zu werden verspricht. MIt meinem Befinden geht es nun wieder ordentlich, mein kleiner Ernst aber ist sehr hart vom Zahnen angegriffen und macht uns viele Sorge. Wir werden mit dem Abschied der guten Witterung in unsere alte Wohnung in der Stadt ziehen, und es kann sich recht wohl schicken, daß wir eine Zeitlang in Weimar leben. Alles kommt darauf an, daß ich im Wallenstein nur erst recht festsitze, alsdann schadet mir keine Veränderung der Existenz, die mich sonst, bei meiner Unterwerfung unter die Gewohnheit, so leicht zerstreut.

Es freut mich nicht wenig, daß nach Ihrer Beobachtung meine Beschreibung des Strudels mit dem Phänomen übereinstimmt. Ich habe diese Natur nirgends als etwa bei einer Mühle studiren können, aber weil ich Homer’s Beschreibung von der Charybde genau studirte, so hat mich dieses vielleicht bei der Natur erhalten. Vielleicht führt Ihre Reise Sie auch an einem Eisenhammer vorbei, und Sie können mir sagen, ob ich dieses kleinere Phänomen richtig dargestellt habe.

Der Almanach ist nun, wie ich hoffe, in Ihren Händen, und Sie werden ihm nun die Nativität stellen können. Es ist mir tröstlich, daß Sie den Phaethon passiren lassen, der mir bei seinem großen Volumen schon bange machte. Unter Schlegels Beiträgen sind die Stanzen über Romeo und Julie recht hübsch, und er hat sich darin, nach meiner Meinung, wirklich selbst übertroffen. Auch die entführten Götter haben viel Gutes. Meyer findet noch vieles Artige von seiner dichterischen Freundin.

Ich sende heute den ersten Transport des Almanachs nach Leipzig und bin nicht wenig neugierig nach dem Absatz. Es mag wohl wahr sein, daß uns die wenigsten Leser die Enthaltung von Xenialischen Dingen danken: denn wer auch selbst getroffen war, freute sich doch auch, daß des Nachbars Haus brannte.

Ich muß schließen, denn die Postzeit ist da. Bemerken Sie doch in Ihrem nächsten Briefe, ob ich fortfahren kann, die Briefe über Tübingen durch Cotta gehen zu lassen. Herzlich begrüßen wir Sie und Meyern, dem ich für seinen lieben Brief schönstens danke, wie auch meine Frau. Leben Sie recht wohl.

Sch.

H 372 | S 368 | B 368

375. An Goethe

Jena, den 2. Oktober 1797

Endlich erhalten Sie den Almanach vollendet, bis auf die Musik, welche nachkommt. Ich erwarte in Ihrem nächsten Brief zu erfahren, an wen ich die übrigen Exemplarien, die für Sie bestimmt sind, abgeben soll. Oberon’s goldne Hochzeit finden Sie nicht in der Sammlung, aus zwei Gründen ließ ich sie weg. Erstlich dachte ich würde es gut seyn, wenn wir aus diesem Almanach schlechterdings alle Stacheln wegließen, und eine recht fromme Miene machten, und dann wollte ich nicht, daß die goldne Hochzeit, die noch so vielen Stoff zu einer größern Ausführung gibt, mit so wenig Strophen abgethan würde. Wir besitzen in ihr einen Schatz für das nächste Jahr, der sich noch sehr weit ausspinnen läßt.

Von dem Verfasser der Elegien, die Ihnen nicht übel gefallen werden, kann Ihnen wahrscheinlich Meyer selbst mehrere Auskunft geben. Sein Name ist Keller; er ist ein Schweizer, aus Zürich wie ich glaube, und hält sich als Künstler in Rom auf. Mir sind diese Elegien von einem Herrn Horner aus Zürich zugesendet worden. Vielleicht haben Sie letzern indeß schon selbst kennen lernen, er hat auch schon etwas zu den Horen gegeben.

Jetzt da ich den Almanach hinter mir habe, kann ich mich endlich wieder zu dem Wallenstein wenden. Indem ich die fertig gemachten Scenen wieder ansehe, bin ich im Ganzen zwar wohl mit mir zufrieden, nur glaube ich einige Trockenheit darin zu finden, die ich mir aber ganz wohl erklären und auch wegzuräumen hoffen kann. Sie entstand aus einer gewissen Furcht, in meine ehemalige rhetorische Manier zu fallen, und aus einem zu ängstlichen Bestreben, dem Objecte recht nahe zu bleiben. Nun ist aber das Object schon an sich selbst etwas trocken, und bedarf mehr als irgend eines der poetischen Liberalität; es ist daher hier nöthiger als irgendwo, wenn beide Abwege, das Prosaische und das Rhetorische, gleich sorgfältig vermieden werden sollen, eine recht reine poetische Stimmung zu erwarten.

Ich sehe zwar noch eine ungeheure Arbeit vor mir, aber soviel weiß ich, daß es keine faux-frais seyn werden; denn das ganze ist poetisch organisirt und ich darf wohl sagen, der Stoff ist in eine reine tragische Fabel verwandelt. Der Moment der Handlung ist so prägnant, daß alles was zur Vollständigkeit derselben gehört, natürlich, ja in gewissem Sinn nothwendig darin liegt, daraus hervorgeht. Es bleibt nichts Blindes darin, nach allen Seiten ist es geöffnet. Zugleich gelang es mir, die Handlung gleich vom Anfang in eine solche Präcipitation und Neigung zu bringen, daß sie in stätiger und beschleunigter Bewegung zu ihrem Ende eilt. Da der Hauptcharakter eigentlich retardirend ist, so thun die Umstände eigentlich alles zur Krise und dieß wird, wie ich denke, den tragischen Eindruck sehr erhöhen.

Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nämlichen Vortheile verschaffte. Diese Vortheile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die zusammengesetzteste Handlung, welche der tragischen Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist, und mithin ganz jenseits der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas geschehen seyn möchte, das Gemüth ganz anders afficirt, als die Furcht,
daß etwas geschehen möchte.

Der Oedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so complicirt und von Umständen abhängig waren. Wie begünstigt das nicht den Poeten!

Aber ich fürchte der Ödipus ist seine eigene Gattung und es giebt keine zweite Species davon; am allerwenigsten würde man aus weniger fabelhaften Zeiten ein Gegenstück dazu auffinden können. Das Orakel hat einen Antheil an der Tragödie, der schlechterdings durch nichts anderes zu ersetzen ist; und wollte man das Wesentliche der Fabel selbst, bei veränderten Personen und Zeiten, beibehalten, so würde lächerlich werden, was jetzt fruchtbar ist.

Ich habe lange nichts von Ihnen gehört, und sehe dem nächsten Brief mit Ungeduld entgegen. Vielleicht erfahre ich daraus auch etwas Näheres über Ihre Reise und Ihren künftigen Aufenthalt. Von Humboldts habe ich indessen nichts mehr gehört, doch finde ich es nicht unwahrscheinlich, daß sie sich noch nach der Schweiz wenden werden.

Wie steht es um Ihre Entwicklung antiker Bildhauerwerke, davon der Laokoon der Anfang ist? Ich habe diesen neuerdings wieder mit der höchsten Befriedigung gelesen und kann gar nicht genug sagen, auf wie viele bedeutende fruchtbare Ideen, die Organisation ästhetischer Werke betreffend, er leitet. Hermann und Dorothea rumoren schon im stillen; auch Körner schreibt mir daß er das Ganze gelesen, und findet daß es in Eine Classe mit dem Besten gehöre, was Sie geschrieben. Dank’s ihm der T—!

Leben Sie recht wohl, theurer Freund! Meine Frau grüßt Sie auf’s beste. Meyern viele Grüße. Die schönen Exemplare des Almanachs sind noch nicht fertig. Einstweilen schick’ ich ein gewöhnliches.

Sch.

H 370 | S 367 | B 367

374. An Schiller

Stäfa, den 26. September gegen Abend 1797

Ich hatte meinen Brief eben mit einem kleinen Nachtrag geschlossen, als Graf Burgstall uns besuchte, der mit seiner jungen Frau, einer Schottländerin, die er nicht lange geheirathet hat, aus England über Frankreich und die Schweiz nach Hause zurückkehrt. Er läßt Ihnen das schönste und beste sagen und nimmt einen recht wahren Antheil an dem was Sie sind und thun. Mir hat sein Besuch viel Freude gemacht, da seine frühere Tendenz zur neuern Philosophie, sein Verhältnis zu Kant und Reinhold, seine Neigung zu Ihnen, auch seine frühere Bekanntschaft mit mir gleich eine breite Unterhaltung eröffneten. Er brachte sehr artige Späße aus England und Frankreich mit, war gerade den 18. Fructidor in Paris gewesen und hatte also manche ernste und komische Scene mit erlebt. Er grüßt Sie aufs allerbeste und ich will nur schließen, damit die Briefe mit dem Schiffer, der unsern Postboten macht, noch fortkommen. Haben Sie etwa Gelegenheit Wielanden von Graf Burgstall zu grüßen, so thun Sie es doch.

G.

H 369 | S 366 | B 366

373. An Schiller

Stäfa, den 25. September 1797

Ihren erfreulichen Brief vom 7ten Septemer habe ich vorgestern hier erhalten; da er länger ausblieb als ich hoffte, so mußte ich befürchten, daß Ihr Übel sich vermehrt habe, wie ich denn nun auch aus Ihrem Briefe leider erfahre. Möchten Sie doch in Ihrer Stille einer so guten Gesundheit genießen, als ich bei meiner Bewegung! Ein Blatt das beiliegt, sagt Ihnen wie es mir seit Tübingen ergangen ist. Meyern den ich nun zu unserer wechselseitigen Freude, wieder gefunden habe, befindet sich so wohl als jemals und wir haben schon was Ehrliches zusammen durchgeschwätzt. Er kommt mit trefflichen Kunstschätzen und mit Schätzen einer sehr genauen Beobachtung wieder zurück. Wir wollen nun überlegen, in was für Formen wir einen Theil brauchen und zu welchen Absichten wir den andern aufheben wollen.

Nun soll es in einigen Tagen nach dem Vierwaldstädter See gehen. Die großen Naturscenen, die ihn umgeben, muß ich mir, da wir so nahe sind, wieder zum Anschauen bringen; denn die Rubrik dieser ungeheuern Felsen darf mir unter meinen Reise-Capiteln nicht fehlen. Ich habe schon ein paar tüchtige Actenfascikel gesammelt, in die alles, was ich erfahren ahbe, oder was mir sonst vorgekommen ist, sich eingeschrieben oder eingeheftet befindet, bis jetzt noch der bunteste Stoff von der Welt, aus dem ich auch nicht einmal, wie ich früher hoffte, etwas für die Horen herausheben könnte.

Ich hoffe diese Reisesammlung noch um vieles zu vermehren und kann mich dabei an so mancherlei Gegenständen prüfen. Man genießt doch zuletzt, wenn man fühlt, daß man so manches subsummiren kann, die Früchte der großen und anfangs unfruchtbar scheinenden Arbeiten, mit denen man sich in seinem Leben geplagt hat.

Da Italien, durch seine frühern Unruhen, und Frankreich durch seine neusten, den Fremden mehr oder weniger versperrt ist, so werden wir wohl vom Gipfel der Alpen wieder zurück dem Falle des Wassers folgen und, den Rhein hinab, uns wieder gegen Norden bewegen, ehe die schlimme Witterung einfällt. Wahrscheinlich werden wir diesen Winter am Fuße des Fuchsthurms vergnügt zusammen wohnen, ja, ich vermuthe sogar, daß Humboldt uns Gesellschaft leisten wird. Die sämmtliche Caravane hat, wie mir sein Brief sagt, den ich in Zürich fand, die Reise nach Italien gleichfalls aufgegeben; sie werden sämmtlich nach der Schweiz kommen. Der jüngere hat die Absicht sich in diesem für ihn in mehreren Rücksichten so interessanten Lande umzusehen, und der ältere wird wahrscheinlich eine Reise nach Frankreich, die er projectirt hatte, unter den jetzigen Umständen aufgeben müssen. Sie gehen den ersten October von Wien ab; vielleicht erwarte ich sie noch in diesen Gegenden.

Und nun wende ich mich in Gedanken zu Ihnen und Ihren Arbeiten. Der Almanach hat wirklich ein recht ordentliches Ansehen, nur wird das Publikum den Pfeffer zu den Melonen vermissen. Im allgemeinen wird nichts so sehnlich gewünscht als wieder eine Ladung Xenien, und man wird betrübt seyn die Bekanntschaft mit diesen Bösewichtern, auf die man so sehr gescholten hat, nicht erneuern zu können. Ich freue mich daß durch meinen Rath der Anfang Ihres Ibycus eine größere Breite und Ausführung gewinnt; wegen des Schlusses werden sie denn wohl auch Recht behalten. Der Künstler muß selbst am besten wissen, in wiefern er sich fremder Vorschläge bedienen kann. Der Phaethon ist gar nicht übel gemacht und das alte Mährchen des ewig unbefriedigten Strebens der edlen Menschheit, nach dem Urquell ihres allerliebsten Daseyns, noch so ganz leidlich aufgestutz. Den Prometheus hat Meyer nicht auslesen können, welches denn doch ein übles Zeichen ist.

Die Exemplare des Almanachs die Sie mir bestimmen, haben Sie die Güte mir aufzuheben: denn wahrscheinlich werden Sie der regierenden Herzogin eins in Ihrem eignen Namen zusenden. Mich verlangt recht dieses Werkchen beisammen zu sehen.

Aus meinen frühern Briefen werden Sie gesehen haben, daß es mir in Stuttgart ganz wohl und behaglich war. Ihrer ist viel und von vielen und immer auf’s beste gedacht worden. Für uns beide, glaub’ ich, war es ein Vortheil, daß wir später und gebildeter zusammentrafen.

Sagen Sie mir doch in dem nächsten Briefe wie Sie sich auf künftigen Winter einzurichten gedenken? ob Ihr Plan auf den Garten, das Griesbachische Haus, oder Weimar gerichtet ist. Ich wünsche Ihnen die behaglichste Stelle, damit Sie bei Ihren andern Übeln nicht auch noch mit der Witterung zu kämpfen haben.

Wenn Sie mir nach Empfang dieses Briefes sogleich schreiben, so haben Sie die Güte den Brief unmittelbar nach Zürich, mit dem bloßen Beisatz bei Herrn Rittmeister Ott zum Schwert zu adressiren. Ich kann rechnen daß gegenwärtiges acht Tage läuft, daß eine Antwort ohngefähr eben so lange gehen kann, und ich werde in der Hälfte Octobers von meiner Bergreise in Zürich anlangen.

Für die Nachricht, daß mein Kleiner wieder hergestellt ist, danke ich Ihnen um so mehr als ich keine directe Nachricht schon seit einiger Zeit erhalten habe, und die Brief aus meinem Hause irgendwo stocken müssen. Diese Sorge allein hat mir manchmal einen trüben Augenblick gemacht, indem sich sonst alles gut und glücklich schickte.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau, und erfreuen Sie sich der letzten schönen Herbsttage mit den Ihrigen, indeß ich meine Wanderung in die hohen Gebürge anstelle. Meine Correspondenz wird nun eine kleine Pause machen, bis ich wieder hier angelangt bin.

G.

Kurze Nachricht von meiner Reise von Tübingen nach Stäfa.

Den 16ten September fuhr ich von Tübingen, über Hechingen, Balingen und Wellendingen nach Tuttlingen. Die Tagereise ist groß, ich machte sie von 4 Uhr des Morgens bis halb 9 Uhr des Abends. Anfangs giebt es noch für’s Auge angenehme Gegenden, zuletzt aber, wenn man immer höher in der Neckarregion hinaufsteigt, wird das Land kahler und weniger fruchtbar; erst in der Nacht kam ich in das Thal oder die Schlucht, die zur Donau hinunter führt; der Tag war trüb, doch zum Reisen sehr angenehm.

Den 17ten von Tuttlingen auf Schaffhausen. Bei dem schönsten Wetter, fast durchgängig, die interessanteste Gegend. Ich fuhr von Tuttlingen um 7 Uhr, bei starkem Nebel aus, aber auf der Höhe fanden wir bald den reinsten Himmel, und der Nebel lag horizontal im ganzen Donauthal. Indem man die Höhe befährt, welche die Rhein- und Donauregion trennt, hat man eine bedeutende Aussicht, sowohl rück- als seitwärts, indem man das Donauthal bis Doneschingen und weiter überschaut. Besonders aber ist vorwärts der Anblick herrlich; man sieht den Bodensee und die Graubündner Gebürge in der Ferne, näher Hohentwiel und einige andere charakteristische Basaltfelsen. Man fährt durch waldige Hügel und Thäler bis Engen, von wo sich südwärts eine schöne und fruchtbare Fläche öffnet, darauf kommt man Hohentwiel und die andern Berge, die man erst von Ferne sah, vorbei und gelangt endlich in das wohlgebaute und reinliche Schweizerland. Vor Schaffhausen wird alles zum Garten. Ich kam Abends bei schönem Sonnenschein daselbst an.

Den 18ten widmete ich ganz dem Rheinfall, fuhr früh nach Laufen und stieg von dort hinunter, um sogleich der ungeheuern Überraschung zu genießen. Ich beobachtete die gewaltsame Erscheinung, indeß die Gipfel der Berge und Hügel vom Nebel bedeckt waren, mit dem der Staub und Dampf des Falles sich vermischte. Die Sonne kam hervor und verherrlichte das Schauspiel, zeigte einen Theil des Regenbogens und ließ mich das ganze Naturphänomen in seinem vollen Glanze sehen. Ich setzte nach dem Schlößchen Wörth hinüber und betrachtete nun das ganze Bild von vorn und von weitem, dann kehrte ich zurück und fuhr von Laufen nach der Stadt. Abends fuhr ich an dem rechten Ufer wieder hinaus und genoß von allen Seiten bei untergehender Sonne, diese herrliche Erscheinung noch einmal.

Den 19ten fuhr ich, bei sehr schönem Wetter, über Eglisau nach Zürich, die große Kette der Schweizergebirge immer vor mir, durch eine angenehme, abwechselnde und mit Sorgfalt cultivirte Gegend.

Den 20sten, einen sehr heitern Vormittag, brachte ich auf den Züricher Spaziergängen zu; Nachmittags veränderte sich das Wetter, Professor Meyer kam, und weil es regnete und stürmte, blieben wir die Nacht in Zürich.

Den 21sten fuhren wir zu Schiffe, bei heiterm Wetter, den See hinaufwärts, wurden von Herrn Escher zu Mittag, auf seinem Gute bei Herrliberg, am See, sehr freundlich bewirthet, und gelangten Abends nach Stäfa.

Den 22sten, einen trüben Tag, brachten wir mit Betrachtungen der von Herrn Meyer verfertigten und angeschafften Kunstwerke zu, so wie wir nicht unterließen uns unsere Beobachtungen und Erfahrungen auf’s neue mitzutheilen. Abends machten wir noch einen großen Spaziergang den Ort hinaufwärts, welcher von der schönsten und höchsten Cultur einen reizenden und idealen Begriff gibt. Die Gebäude stehen weit auseinander, Weinberge, Felder, Gärten, Obstanlagen breiten sich zwischen ihnen aus und so erstreckt sich der Ort wohl eine Stunde am See hin, und eine halbe bis nach dem Hügel ostwärts, dessen ganze Seite die Cultur auch schon erobert hat. Nun bereiten wir uns zu einer kleinen Reise vor, die wir nach Einsiedel, Schwytz und die Gegenden um den Vierwaldstädter See vorzunehmen gedenken.


Bald hätte ich vergessen Ihnen zu sagen daß der Vers: es wallet, es siedet und brauset und zischt etc. sich bei dem Rheinfall trefflich legitimirt hat; es war mir sehr merkwürdig wie er die Hauptmomente der ungeheuern Erscheinung in sich begreift. Ich habe auf der Stelle das Phänomen in seinen Theilen und im Ganzen wie es sich darstellt zu fassen gesucht, und die Betrachtungen, die man dabei macht, sowie die Ideen die es erregt abgesondert bemerkt. Sie werden dereinst sehen, wie sich jene wenigen dichterischen Zeilen gleichsam wie ein Faden durch dieses Labyrinth durchschlingen.

So eben erhalte ich die Bogen I. K. des Almanachs durch Cotta, und hoffe nun auf meiner Rückkunft aus den Bergen und Seen wieder Briefe von Ihnen zu finden. Leben Sie recht wohl. Meyer wird selbst ein paar Worte schreiben. Ich habe die größte Freude daß er so wohl und heiter ist; möge ich doch auch dasselbe von Ihnen erfahren!

Herrliche Stoffe zu Idyllen und Elegien, und wie die verwandten Dichtarten alle heißen mögen, habe ich schon wieder aufgefunden, auch einiges schon wirklich gemacht, so wie ich überhaupt noch niemals mit solcher Bequemlichkeit die fremden Gegenstände aufgefaßt und zugleich wieder etwas producirt habe. Leben Sie recht wohl und lassen Sie uns theoretisch und praktisch immer so fortfahren.

H 368 | S 366 | B 366

372. An Goethe

Jena, den 22. September 1797

Ihr Brief, nebst seinem Anhang, hat uns wieder große Freude gemacht. Das Lied ist voll heiterer Laune und Natur. Mir däucht, daß diese Gattung dem Poeten schon dadurch sehr günstig seyn müsse, daß sie ihn aller belästigenden Beiwerke, dergleichen die Einleitungen, Übergänge, Beschreibungen etc. sind, überhebt und ihm erlaubt, immer nur das Geistreiche und Bedeutende an seinem Gegenstand mit leichter Hand oben wegzuschöpfen.

Hier wäre also schon wieder der Ansatz zu einer neuen Sammlung, der Anfang einer „unendlichen“ Reihe: denn dieses Gedicht hat, wie jede gute Poesie, ein ganzes Geschlecht in sich, durch die Stimmung die es gibt und durch die Form die es aufstellt.

Ich wäre sehr begierig gewesen, den Eindruck, den Ihr Hermann auf meine Stuttgarter Freunde gemacht, zu beobachten. An einer gewissen Innigkeit des Empfangens hat es sicher nicht gefehlt, aber so wenige Menschen können das Nackende der menschlichen Natur ohne Störung genießen. Indessen zweifle ich gar nicht, daß Ihr Hermann schlechterdings über alle diese Subjectivitäten triumphiren wird, und dieses durch die schönste Eigenschaft bei einem poetischen Werk, nämlich durch sein Ganzes, durch die reine Klarheit seiner Form und durch den völlig erschöpften Kreis menschlicher Gefühle.

Mein letzter Brief hat Ihnen schon gemeldet, daß ich die Glocke liegen lassen mußte. Ich gestehe daß mir dieses, da es einmal so seyn mußte, nicht so ganz unlieb ist: denn indem ich diesen Gegenstand noch ein Jahr mit mir herumtrage und warm halte, muß das Gedicht, welches wirklich keine kleine Aufgabe ist, erst seine wahre Reife erhalten. Auch ist dieses einmal das Balladen-Jahr, und das nächste hat schon ziemlich den Anschein das Lieder-Jahr zu werden, zu welcher Classe auch die Glocke gehört.

Indessen habe ich die letzten acht Tage doch für den Almanach nicht verloren. Der Zufall führte mir noch ein recht artiges Thema zu einer Ballade zu, die auch größtentheils fertig ist und den Almanach, wie ich glaube, nicht unwürdig beschließt. Sie besteht aus 24 achtzeiligen Strophen, und ist überschrieben: Der Gang nach dem Eisenhammer, woraus Sie sehen daß ich auch das Feuerelement mir vindicirt habe, nachdem ich Wasser und Luft bereist habe. Der nächste Posttag liefert es Ihnen, nebst dem ganzen Almanach, gedruckt.

Ich wünsche nun sehr, daß die Kraniche in der Gestalt, worin Sie sie jetzt lesen, Ihnen Genüge thun mögen. Gewonnen haben sie ganz unstreitig durch die Idee, die Sie mir zu der Exposition gegeben. Auch, denke ich, hatte die neue Strophe, die ich den Furien noch gewidmet, zur genauen Bezeichnung derselben anfänglich noch gefehlt.

Kant’s kleinen Tractat habe ich auch gelesen, und obgleich der Inhalt nichts eigentlich Neues liefert, mich über seine trefflichen Einfälle gefreut. Es ist in diesem alten Herrn noch etwas so wahrhaft Jugendliches, das man beinah ästhetisch nennen möchte, wenn einen nicht die gräuliche Form, die man einen philosophischen Canzleistyl nennen möchte, in Verlegenheit setzte. Mit Schlossern kann es sich zwar so verhalten, wie Sie meinen, indessen hat seine Stellung gegen die kritischen Philosophen so etwas Bedenkliches, daß der Charakter kaum aus dem Spiele bleiben kann. Auch kann man, däucht mir, bei allen Streitigkeiten, wo der Supernaturalism von denkenden Köpfen gegen die Vernunft vertheidigt wird, in die Ehrlichkeit ein Mißtrauen setzen; die Erfahrung ist gar zu alt und es läßt sich überdem auch gar wohl begreifen.

Wir genießen jetzt hier sehr schöne Herbsttage; bei Ihnen mag wohl noch ein Rest von Sommer zu spüren seyn. In meinem Garten werden schon große Anstalten gemacht, ihn für die künftigen Jahre recht zu verbessern. Übrigens hatten wir keine schlechte Obsternte, wobei Carl uns nicht wenig Spaß machte.

Wir zweifeln, bei dem zweifelhaften Ansehen des Kriegs und Friedens noch immer an der nahen Ausführung Ihrer Italiänischen Reise, und geben zuweilen der Hoffnung Raum, daß wir Sie früher als wir erwarten durften, wieder bei uns sehen könnten.

Leben Sie recht wohl und Meyern sagen Sie die freundschaftlichsten Grüße von uns; herzlich wünschen wir Ihnen Glück zu Ihrer Wiedervereinigung. Meine Frau grüßt Sie auf’s Beste.

Sch.

H 367 | S 365 | B 365

371. An Goethe

[Jena,] Den 15. September 1797

Es wäre vortrefflich, wenn Sie mit Meyern Ihre Gedanken über die Wahl der Stoffe, für poetische und bildende Darstellung, entwickelten. Diese Materie communicirt mit dem Innersten der Kunst, und würde zugleich durch ihre unmittelbare und leichte Anwendung auf wirkliche Kunstwerke sehr pragmatisch und ansprechend seyn. Ich für mein Theil werde darüber auch meine Begriffe deutlich zu machen suchen.

Vor der Hand scheint mir, daß man mit großem Vortheil von dem Begriff der absoluten Bestimmtheit des Gegenstandes ausgehen könnte. Es würde sich nämlich zeigen, daß alle, durch eine ungeschickte Wahl des Gegenstandes, verunglückten Kunstwerke an einer solchen Unbestimmtheit und daraus folgender Willkürlichkeit leiden.

So scheint mir der Begriff dessen, was man einen prägnanten Moment nennt, sich vollkommen durch seine Qualification zu einer durchgängig bestimmten Darstellung zu erklären. Ich weiß in der poetischen Gattung keinen treffenden Fall als Ihren Hermann. Hier würde sich vielleicht durch eine Art Induction zeigen lassen, daß bei jeder andern Wahl der Handlung etwas hätte unbestimmt bleiben müssen.

Verbindet man mit diesem Satz nun den andern, daß die Bestimmung des Gegenstandes jedesmal durch die Mittel geschehen muß, welche einer Kunstgattung eigen sind, daß sie innerhalb der besondern Gränzen einer jeden Kunstspecies absolvirt werden muß, so hätte man, däucht mir, ein hinlängliches Criterium, um in der Wahl der Gegenstände nicht irre geleitet zu werden.

Aber freilich, wenn dieß auch seine Richtigkeit hätte, ist die Anwendung des Satzes schwer und möchte überall mehr Sache des Gefühls und des Ahnungsvermögens bleiben, als des deutlichen Bewußtseyns.

Ich bin sehr neugierig auf das neue poetische Genre, woraus Sie mir bald etwas senden wollen. Der reiche Wechsel Ihrer Phantasie erstaunt und entzückt mich, und wenn ich Ihnen auch nicht folgen kann, so ist es schon ein Genuß und Gewinn für mich Ihnen nachzusehen. Von diesem neuen Genre erwarte ich mir etwas sehr Anmuthiges, und begreife schon im voraus, wie geschickt es dazu seyn muß, ein poetisches Leben und einen geistreichen Schwung in die gemeinsten Gegenstände zu bringen.

Von unserm Freund Humboldt habe ich heute Briefe bekommen. Es gefällt ihm in Wien gar nicht mehr, die Italiänische Reise hat er auch so gut als aufgegeben, ist aber beinahe entschlossen nach Paris zu gehen, welches er aber wahrscheinlich, nach den neuesten Ereignissen dort, nicht zur Ausführung bringen wird. Er wird Ihnen, wie er schreibt, in diesen Tagen von sich Nachricht geben.

Ich habe immer noch viel von meinem Husten zu leiden, bin aber viel freier von meinem alten Übel, wobei indeß meine Stimmung und meine Thätigkeit nicht viel gewinnt: denn das neue Übel greift mir den Kopf weit mehr an als malum domesticum, die Krämpfe, zu thun pflegen. Indeß hoffe ich, in acht oder zehn Tagen, der Schererei des Almanachs los zu seyn und wieder ernstlich an den Wallenstein gehen zu können. Das Lied von der Glocke habe ich bei meinem Übelbefinden nicht vornehmen können noch mögen. Indessen fanden sich doch noch allerlei Kleinigkeiten für den Almanach, die eine Mannigfaligkeit in meine Beiträge bringen und meinen Antheil an demselben ziemlich beträchtlich machen.

Mit meinen Kranichen ist Böttiger sehr zufrieden gewesen, und Zeit und Local, worüber ich ihn consultirte, hat er sehr befriedigend dargestellt gefunden. Er gestand bei dieser Gelegenheit, daß er nie recht begriffen habe, wie sich aus dem Ibycus etwas machen ließe. Dieses Geständniß hat mich sehr belustigt, da es seinen Mann so schön charakterisirt.

Sie werden von Cotta den I und K Bogen des Almanachs erhalten haben; vielleicht kann ich heute noch einen schicken. Der Almanach wird stärker als der vom vorigen Jahr, ohne daß ich in der Auswahl hätte laxer seyn müssen.

In meinem Hause geht es gut, und wir haben Carls Geburtstag gestern mit vieler Freude gefeiert. Heute hatten wir Vent aus Weimar bei uns, der mir sehr wohl gefällt; sonst hat sich meine Gesellschaft um keine neue Figur vermehrt. Meine Frau denkt Ihrer mit herzlichem Antheil, auch mein Schwager und Schwägerin empfehlen sich Ihnen auf’s beste.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Meyern und denken Sie meiner in Ihrem Kreise. Ihre Briefe sind für uns reichbeladne Schiffe, und machen jetzt eine meiner besten Freuden aus. Leben sie wohl.

Schiller.

Sehen Sie doch das Blatt an, worein ich packe.

H 366 b | S 364 | B 364

370. An Goethe

Jena, den 14. September 1797

Zu meiner Freude erfahre ich aus Ihrem Stuttgarter Briefe, daß Sie sich auf meinem vaterländischen Boden gefallen, und daß die Personen, die ich Ihnen empfahl, mich nicht zum Lügner gemacht haben. Ich zweifle nicht daß diese sieben Tage, die Sie selbst mit Vergnügen und Nutzen dort zugebracht, für Dannecker und Rapp Epoche machen und sehr gute Folgen haben werden. Der erste besonders ist höchst bildungsfähig, und ihm mangelt es bis jetzt nur an einer glücklichen Pflege von außen, die seinem reichen Naturell die gehörige Richtung gegeben hätte. Ich kann mir seine Fehlgriffe in der Kunst, da er diese sonst so ernstlich zu packen wußte, und in einigen Hauptpunkten so entscheidend auf das wahre Wesen losgeht, nur aus einem gewissen Überfluß erklären; mir däucht daß seine poetische Imagination sich mit der artistischen, woran es ihm gar nicht mangelt, nur confundire.

Überhaupt frage ich Sie bei dieser Gelegenheit, ob die Neigung so vieler talentvoller Künstler neuerer Zeiten zum Poetisiren in der Kunst nicht daraus zu erklären ist, daß in einer Zeit wie die unsrige es keinen Durchgang zum Ästhetischen gibt als durch das Poetische, und daß folglich alle auf Geist Anspruch machenden Künstler, eben deßwegen weil sie nur durch ein poetisches Empfinden geweckt worden sind, auch in der bildenden Darstellung nur eine poetische Imagination zeigen. Das Übel wäre so groß nicht, wenn nicht unglücklicherweise der poetische Geist in unsern Zeiten, auf eine, der Kunstbildung so ungünstige Art, specificirt wäre. Aber da auch schon die Poesie so sehr von ihrem Gattungsbegriff abgewichen ist (durch den sie allein mit den nachahmenden Künsten in Berührung steht), so ist sie freilich keine gute Führerin zur Kunst, und sie kann höchstens negativ (durch Erhebung über die gemeine Natur), aber keineswegs positiv und activ (durch Bestimmung des Objects) auf den Künstler einen Einfluß äußern.

Auch diese Verirrung der bildenden Künstler neuerer Zeit erklärt sich mir hinreichend aus unsern Ideen über realistische und idealistische Dichtung, und liefert einen neuen Beleg für die Wahrheit derselben. Ich denke mir die Sache so.

Zweierlei gehört zum Poeten und Künstler: daß er sich über das Wirkliche erhebt und daß er innerhalb des Sinnlichen stehen bleibt. Wo beides verbunden ist, da ist ästhetische Kunst. Aber in einer ungünstigen, formlosen Natur verläßt er mit dem Wirklichen nur zu leicht auch das Sinnliche und wird idealistisch, und wenn sein Verstand schwach ist, gar phantastisch; oder will er und muß er, durch seine Natur genöthigt, in der Sinnlichkeit bleiben, so bleibt er gern auch bei dem Wirklichen stehen und wird, in beschränkter Bedeutung des Worts, realistisch, und wenn es ihm ganz an Phantasie fehlt, knechtisch und gemein. In beiden Fällen also ist er nicht ästhetisch.

Die Reduction empirischer Formen auf ästhetische ist die schwierige Operation, und hier wird gewöhnlich entweder der Körper oder der Geist, die Wahrheit oder die Freiheit fehlen. Die alten Muster, sowohl im Poetischen als im Plastischen, scheinen mir vorzüglich den Nutzen zu leisten, daß sie eine empirische Natur die bereits auf eine ästhetische reducirt ist aufstellen, und daß sie, nach einem tiefen Studium, über das Geschäft jener Reduction selbst Winke geben können.

Aus Verzweiflung, die empirische Natur womit er umgeben ist nicht auf eine ästhetische reduciren zu können, verläßt der neuere Künstler von lebhafter Phantasie und Geist sie lieber ganz, und sucht bei der Imagination Hülfe gegen die Empirie, gegen die Wirklichkeit. Er legt einen poetischen Gehalt in sein Werk, das sonst leer und dürftig wäre, weil ihm derjenige Gehalt fehlt, der aus den Tiefen des Gegenstandes geschöpft werden muß.

H 366 a | S 364 | B 364

369. An Schiller

[Tübingen, den 11. oder 12. September 1797]

Ihr Brief vom 30. August, den ich bei meiner Ankunft in Tübingen erhalten, verspricht mir daß ein zweiter bald nachkommen solle, der aber bis jetzt ausgeblieben ist; wenn nur nicht das Übel, von dem Sie mir schreiben, die Ursache von dieser Verspätung ist.

Ich freue mich daß Sie das was ich über den Ibycus geschrieben, nutzen mögen; es war die Idee worauf ich eigentlich meine Ausführung bauen wollte; verbunden mit Ihrer übrigens glücklichen Behandlung, kann dadurch das Ganze Vollständigkeit und Rundung erlangen. Wenn Sie nur noch für diesen Almanach mit der Glocke zu Stande kommen! denn dieses Gedicht wird eins der vornehmsten und besonderen Zierde desselben seyn

Seit dem 4. September an dem ich meinen letzten Brief abschickte, ist es mir durchaus recht gut gegangen. Ich blieb in Stuttgart noch drei Tage, in denen ich noch manche Personen kennen lernte, und manches Interessante beobachtete. Als ich bemerken konnte, daß mein Verhältnis zu Rapp und Dannecker im Wachsen war und beide machen Grundsatz, an dem mir theoretisch so viel gelegen ist, aufzufassen nicht abgeneigt waren, auch von ihrer Seite sie mir manches Gute, Angenehme und Brauchbare mittheilten, so entschloß ich mich ihnen den Hermann vorzulesen, das ich denn auch in einem Abend vollbrachte. Ich hatte alle Ursache mich des Effects zu erfreuen, den er hervorbrachte, und es sind uns allen diese Stunden fruchtbar geworden.

Nun bin ich seit dem 7ten in Tübingen, dessen Umgebungen ich die ersten Tage, bei schönem Wetter, mit Vergnügen betrachtete und nun eine traurige Regenzeit, durch geselligen Umgang, um ihren Einfluß betrüge. Bei Herrn Cotta habe ich ein heiteres Zimmer, und, zwischen der alten Kirche und dem akademischen Gebäude, einen freundlichen obgleich schmalen Ausblick in’s Neckarthal. Indessen bereite ich mich zur Abreise und meinen nächsten Brief erhalten Sie von Stäfa. Meyer ist sehr wohl und erwartet mich mit Verlangen. Es läßt sich gar nicht berechnen was beiden unsere Zusammenkunft seyn und werden kann.

Je näher ich Herrn Cotta kennen lerne, desto besser gefällt er mir. Für einen Mann von strebender Denkart und unternehmender Handelsweise, hat er so viel Mäßiges, Sanftes und Gefaßtes, so viel Klarheit und Beharrlichkeit, daß er mir eine seltne Erscheinung ist. Ich habe mehrere von den hiesigen Professoren kennen lernen, in ihren Fächern, Denkungsart und Lebensweise sehr schätzbare Männer, die sich alle in ihrer Lage gut zu befinden scheinen, ohne daß sie gerade einer bewegten akademischen Circulation nöthig hätten. Die großen Stiftungen scheinen den großen Gebäuden gleich in die sie eingeschlossen sind; sie stehen wie ruhige Kolossen auf sich selbst gegründet und bringen keine lebhafte Thätigkeit hervor, die sie zu ihrer Erhaltung nicht bedürfen.

Sonderbar hat mich hier eine kleine Schrift von Kant überrascht, die Sie gewiß auch kennen werden: Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie; ein sehr schätzbares Product seiner bekannten Denkart, das so wie alles was von ihm kommt die herrlichsten Stellen enthält, aber auch in Composition und Styl Kantischer als Kantisch. Mir macht es großes Vergnügen daß ihn die vornehmen Philosophen und die Prediger des Vorurtheils so ärgern konnten, daß er sich mit aller Gewalt gegen sie stemmt. Indessen thut er doch, wie mir scheint, Schlossern unrecht, daß er ihn einer Unredlichkeit, wenigstens indirect beschuldigen will. Wenn Schlosser fehlt, so ist es wohl darin, daß er seiner innern Überzeugung eine Realität nach außen zuschreibt und kraft seines Charakters und seiner Denkweise zuschreiben muß; und wer ist in Theorie und Praxis ganz frei von dieser Anmaßung! – Zum Schlusse lasse ich Ihnen noch einen kleinen Scherz abschreiben; machen Sie aber noch keinen Gebrauch davon. Es folgen auf diese Introduction noch drei Lieder in deutscher, französischer und spanischer Art, die zusammen einen kleinen Roman ausmachen.

Der Edelknabe und die Müllerin.

Altenglisch.

Edelknabe.
Wohin? wohin?
Schöne Müllerin!
Wie heißt Du?

Müllerin.
Lise.

Edelknabe.
Wohin denn, wohin?
Mit dem Rechen in der Hand?

Müllerin.
Auf des Vaters Land,
Auf des Vaters Wiese!

Edelknabe.
Und gehst so allein?

Müllerin.
Das Heu soll herein,
Das bedeutet der Rechen;
Und im Garten daran
Fangen die Birn’ zu reifen an;
Die will ich brechen.

Edelknabe.
Ist nicht eine stille Laube dabei?

Müllerin.
Sogar ihrer zwei,
An beiden Ecken.

Edelknabe.
Ich komme Dir nach,
Und am heißen Mittag
Wollen wir uns drein verstecken.
Nicht wahr? im grünen vertraulichen Haus –

Müllerin.
Das gäbe Geschichten!

Edelknabe.
Ruhst Du in meinen Armen aus?

Müllerin.
Mit nichten!
Denn wer die artige Müllerin küßt,
Auf der Stelle verrathen ist.
Euer schönes dunkles Kleid
Thät’ mir leid
So weiß zu färben.
Gleich und Gleich! so allein ist’s recht!
Ich liebe mir den Müllerknecht;
An dem ist nichts zu verderben.

Ich muß nicht vergessen zu dem glücklichen Fortschritt des Almanachs und zu Ritter Toggenburg zu gratulieren.

G.

H 364 | S 363 | B 176

368. An Goethe

Jena, den 7. September 1797

erh. Stäfa den 23. Sept.*

Endlich fange ich an mich wieder zu fühlen und meine Stimmung wieder zu finden. Nach Abgang meines letzten Briefs an Sie hatte sich mein Übel noch verschlimmert, ich habe mich lange nicht so schlimm befunden, bis endlich ein Vomitiv die Sachen wieder in Ordnung brachte. Fast alle meine Beschäftigungen stockten indessen und die wenigen leidlichen Augenblicke, die ich hatte, nahm der Almanach in Anspruch. Solch eine Beschäftigung hat durch ihren ununterbrochenen und unerbittlichen gleichen Rhythmus etwas Wohlthätiges, da sie die Willkür aufhebt und sich streng, wie die Tagszeit, meldet. Man nimmt sich zusammen, weil es seyn muß, und bei bestimmten Forderungen, die man an sich macht, geschieht die Sache auch nicht schlechter. Wir sind mit dem Druck des Almanachs jetzt bald im Reinen, und wenn die Beiwerke, Decke, Titelkupfer und Musik, keinen Aufenthalt machen, kann das Werkchen noch vor Michaelis versendet werden.

Mit dem Ibycus habe ich nach Ihrem Rath wesentliche Veränderungen vorgenommen, die Exposition ist nicht mehr so dürftig, der Held der Ballade interessirt mehr, die Kraniche füllen die Einbildungskraft auch mehr, und bemächtigen sich der Aufmerksamkeit genug, um bei ihrer letzten Erscheinung, durch das Vorhergehende, nicht in Vergessenheit gebracht zu seyn.–

Was aber Ihre Erinnerung in Rücksicht auf die Entwicklung betrifft, so war es mir unmöglich, hierin ganz Ihren Wunsch zu erfüllen. Lasse ich den Ausruf des Mörders nur von den nächsten Zuschauern gehört werden, und unter diesen eine Bewegung entstehen, die sich dem Ganzen nebst ihrer Veranlassung, erst mittheilt, so bürde ich mir ein Detail auf, das mich hier bei so ungeduldig forteilender Erwartung, gar zu sehr embarrassirt, die Masse schwächt, die Aufmerksamkeit vertheilt u. s. w. Meine Ausführung soll aber nicht in’s Wunderbare gehen, auch schon bei dem ersten Concept fiel mir das nicht ein, nur hatte ich es zu unbestimmt gelassen. Der bloße natürliche Zufall muß die Katastrophe erklären. Dieser Zufall führt den Kranichzug über dem Theater hin, der Mörder ist unter den Zuschauern, das Stück hat ihn zwar nicht eigentlich gerührt und zerknirrscht, das ist meine Meinung nicht, aber es hat ihn an seine That und also auch an das, was dabei vorgekommen, erinnert, sein Gemüth ist davon frappirt, die Erscheinung der Kraniche muß also in diesem Augenblick ihn überraschen, er ist ein roher dummer Kerl, über den der momentane Eindruck alle Gewalt hat; der laute Ausruf ist unter diesen Umständen natürlich.

Da ich ihn oben sitzend annehme, wo das gemeine Volk seinen Platz hat, so kann er erstlich die Kraniche früher sehen, eh’ sie über der Mitte des Theaters schweben; dadurch gewinn’ ich, daß der Ausruf der wirklichen Erscheinung der Kraniche vorhergehen kann, worauf hier viel ankommt, und daß also die wirkliche Erscheinung derselben bedeutender wird. Ich gewinne zweitens, daß er, wenn er oben ruft, besser gehört werden kann: denn nun ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß ihn das ganze Haus schreien hört, wenn gleich nicht alle seine Worte verstehen.

Dem Eindruck selbst, den seine Exclamation macht, habe ich noch eine Strophe gewidmet, aber die wirkliche Entdeckung der That, als Folge jenes Schreies, wollte ich mit Fleiß nicht umständlicher darstellen: denn sobald nur der Weg zu Auffindung des Mörders geöffnet ist (und das leistet der Ausruf, nebst dem darauf folgenden verlegenen Schrecken), so ist die Ballade aus; das andere ist nichts mehr für den Poeten.

Ich habe die Ballade, in ihrer nun veränderten Gestalt, an Böttiger gesendet, um von ihm zu erfahren, ob sich nichts darin mit altgriechischen Gebräuchen im Widerspruch befindet. Sobald ich sie zurückerhalte, lege ich die letzte Hand daran, und eile dann damit in Druck. In meinem nächsten Briefe hoffe ich sie Ihnen nebst dem ganzen Rest des Almanachs abgedruckt zu senden. Auch Schlegel hat noch eine Romanze geschickt, worin Arions Geschichte mit dem Delphin behandelt ist. Der Gedanke wäre recht gut, aber die Ausführung däucht mir kalt, trocken und ohne Interesse zu seyn. Er wollte auch die Sacontala als Ballade bearbeiten; ein sonderbares Unternehmen für ihn, wovor ihn sein guter Engel bewahren wolle.

Ihren vorletzten Brief vom 17. August erhielt ich viel später, da Böttiger, der ihn zu besorgen hatte, abwesend war. Das sentimentale Phänomen in Ihnen befremdet mich gar nicht, und mir dünkt, Sie selbst haben es sich hinlänglich erklärt. Es ist ein Bedürfniß poetischer Naturen, wenn man nicht überhaupt menschlicher Gemüther sagen will, so wenig Leeres als möglich um sich zu leiden, so viel Welt, als nur immer angeht, sich durch die Empfindung anzueignen, die Tiefe aller Erscheinungen zu suchen, und überall ein Ganzes der Menschheit zu fordern. Ist der Gegenstand als Individuum leer und mithin in poetischer Hinsicht gehaltlos, so wird sich das Ideenvermögen daran versuchen und ihn von seiner symbolischen Seite fassen, und so eine Sprache für die Menschheit daraus machen. Immer aber ist das Sentimentale (in gutem Sinn) ein Effect des poetischen Strebens, welches, sey es aus Gründen die in dem Gegenstand, oder solchen, die in dem Gemüth liegen, nicht ganz erfüllt wird. Eine solche poetische Forderung, ohne eine reine poetische Stimmung und ohne einen poetischen Gegenstand, scheint Ihr Fall gewesen zu seyn, und was Sie mithin an sich erfuhren, ist nichts als die allgemeine Geschichte der sentimentalischen Empfindungsweise und bestätiget alles das, was wir darüber mit einander festgesetzt haben.

Nur eins muß ich dabei noch erinnern. Sie drücken sich so aus, als wenn es hier sehr auf den Gegenstand ankäme; was ich nicht zugeben kann. Freilich der Gegenstand muß etwas bedeuten, so wie der poetische etwas seyn muß; aber zuletzt kommt es auf das Gemüth an, ob ihm ein Gegenstand etwas bedeuten soll, und so däucht mir das Leere und Gehaltreiche mehr im Subject als im Object zu liegen. Das Gemüth ist es, welches hier die Gränze steckt, und das Gemeine oder Geistreiche kann ich auch hier wie überall nur in der Behandlung, nicht in der Wahl des Stoffes finden. was Ihnen die zwei angeführten Plätze gewesen sind, würde Ihnen, unter andern Umständen, bei einer mehr aufgeschlossenen poetischen Stimmung, jede Straße, Brücke, jedes Schiff, ein Pflug oder irgend ein anderes mechanisches Werkzeug vielleicht geleistet haben.

Entfernen Sie aber ja diese sentimentalen Eindrücke nicht, und geben Sie denselben einen Ausdruck so oft Sie können. Nichts, außer dem Poetischen, reinigt das Gemüth so sehr von dem Leeren und Gemeinen, als diese Ansicht der Gegenstände, eine Welt wird dadurch in das Einzelne gelegt, und die flachen Erscheinungen gewinnen dadurch eine unendliche Tiefe. Ist es auch nicht poetisch, so ist es, wie Sie selbst es ausdrücken, menschlich und das Menschliche ist immer der Anfang des poetischen, das nur der Gipfel davon ist.

Heute, als den 8ten, erhalte ich einen Brief von Cotta der mir sagt, daß Sie seit dem 30sten in Stuttgart wären. Ich kann Sie mir nicht in Stuttgart denken, ohne gleichfalls in eine sentimentale Stimmung zu gerathen. Was hätte ich vor sechzehn Jahren darum gegeben, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen, und wie wunderbar wird mir’s, wenn ich die Zustände und Stimmungen, welche dieses Local mir zurückruft, mit unserm gegenwärtigen Verhältniß zusammendenke!

Ich bin sehr erwartend, wie lang Sie in dortigen Gegenden zu verweilen Neigung und Veranlassung gefunden. Hoffentlich fand Sie mein Brief vom 30sten noch dort; der gegenwärtige aber trifft Sie wahrscheinlich erst in Zürich und bei unserm Freund, den ich herzlich grüße.

Schreiben Sie mir doch in Ihrem nächsten Briefe, wie es mit den für Sie bestimmten Exemplarien des Almanachs soll gehalten werden, wohin und an wen ich sie zu schicken habe.

Herzlich freue ich mich, daß Sie auch an die Horen gedacht haben und mich auf den October etwas dafür hoffen lassen. Bei den Anstalten, die Sie machten sich der Erfahrungsmasse um Sie herum zu bemächtigen, muß Ihnen ein unerschöpflicher Stoff zufließen.

Es war mir sehr angenehm, daß Hölderlin sich Ihnen noch präsentirt hat; er schrieb mir nichts davon, daß er’s thun wollte und muß sich also auf einmal ein Herz gefaßt haben. Hier ist auch wieder ein poetisches Genie, von Schlegel’s Art und Weise. Sie werden ihn im Almanach finden. Er hat Schlegel’s Pygmaliion nachgeahmt und in demselben Geschmack einen symbolischen Phaethon geliefert. Das Product ist närrisch genug, aber die Versification und einzelne gute Gedanken geben ihm doch einiges Verdienst.

Leben Sie recht wohl und fahren Sie fort, wie bisher mich Ihrem Geiste folgen zu lassen. Herzliche Grüße von meiner Frau. Ihr Kleiner höre ich ist ganz wieder hergestellt.

Sch.

H 365 | S 362 | B 362

* Vermerk Goethes

367. An Schiller

[Stuttgart] Den 4. September [1797]

Dieser Brief mag nun endlich abgehen, hoffentlich finde ich einen von Ihnen bei Cotta in Tübingen, wohin ich nun bald zu gelangen gedenke. Hier ist es mir sehr wohl ergangen und ich habe in der Gesellschaft, in welche mich Ihr kleines Blatt eingeführt, mich recht sehr wohl befunden. Man hat mich auf alle Weise zu unterhalten, mir alles zu zeigen gesucht und mir mehrere Bekanntschaften gemacht. Wenn Meyer hier wäre, könnte ich mich wohl entschließen noch länger zu bleiben. Es ist natürlich daß ich in der Masse von Kunst und Wissenschaft nun erst manches gewahr werde, das ich noch wohl zu meinem Vortheil gebrauchen könnte; denn es ist wirklich merkwürdig, was für ein Streben unter den Menschen lebt. Was mich aber besonders erfreut und eigentlich mir einen längern Aufenthalt angenehm macht, ist daß ich in der kurzen Zeit mit denen Personen die ich öfter gesehen habe, durch Mittheilung der Ideen wirklich weiter komme, so daß der Umgang für beide Theile fruchtbar ist. Über einige Hauptpunkte habe ich mich mit Dannecker wirklich verständigt, und in einige andre scheint Rapp zu entriren, der eine gar behagliche, heitere und liberale Existenz hat. Noch sind seine Grundsätze die Grundsätze eines Liebhabers, die, wie bekannt, eine ganz eigne, der soliden Kunst nicht eben sehr günstige Tournüre haben; doch fühlt er natürlich und lebhaft und faßt die Motive eines Kunsturtheiles bald, wenn es auch von dem seinigen abweicht. Ich denke übermorgen von hier wegzugehen, und hoffe in Tübingen einen Brief von Ihnen zu finden.

Außerdem daß ich das was mir begegnet so ziemlich fleißig zu den Acten nehme, habe ich verschiedenes, das durch Gespräch und Umstände bei mir rege wurde, aufgesetzt, wodurch nach und nach kleine Abhandlungen entstehen, die sich vielleicht zuletzt an einander schließen werden.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie alles und fahren Sie fort mir von Zeit zu Zeit unter Cotta’s Einschlag zu schreiben, der von meinem Aufenthalt immer unterrichtet seyn wird.

G.

H 363 c | S 361 | B 361