366. An Schiller

[Stuttgart,] Den 31. August 1797

Hier haben Sie ohngefähr den Inhalt meines gestrigen Tages, den ich, wie Sie sehen, recht gut zugebracht habe. Übrigens wären noch manche Bemerkungen zu machen. Besonders traurig für die Baukunst war die Betrachtung: was Herzog Carl bei seinem Streben nach einer gewissen Größe hätte hinstellen können, wenn ihm der wahre Sinn dieser Kunst aufgegangen und er so glücklich gewesen wäre tüchtige Künstler zu seinen Anlagen zu finden. Allein man sieht wohl, er hatte nur eine gewisse vornehme Prachtrichtung, ohne Geschmack, und in seiner frühern Zeit war die Baukunst in Frankreich, woher er seine Muster nahm, selbst verfallen. Ich bin gegenwärtig voll Verlangen Hohenheim zu sehen.

Nach allem diesem, das ich niedergeschrieben habe, als wenn Ihnen nicht selbst schon ein großer Theil bekannt wäre, muß ich Ihnen sagen: daß ich unterweges auf ein poetisches Genre gefallen bin, in welchem wir künftig mehr machen müssen, und das vielleicht dem folgenden Almanach gut thun wird. Es sind Gespräche in Liedern. Wir haben in einer gewissen ältern deutschen Zeit recht artige Sachen von dieser Art und es läßt sich in dieser Form manches sagen, man muß nur erst hineinkommen und dieser Art ihr Eigenthümliches abgewinnen. Ich habe so ein Gespräch zwischen einem Knaben der in eine Müllerin verliebt ist, und dem Mühlbach angefangen und hoffe es bald zu überschicken. Das Poetisch-tropisch-allegorische wird durch diese Wendung lebendig, und besonders auf der Reise, wo einen so viel Gegenstände ansprechen, ist es ein recht gutes Genre.

Auch bei dieser Gelegenheit ist merkwürdig zu betrachten, was für Gegenstände sich zu dieser besondern Behandlungsart bequemen. Ich kann Ihnen nicht sagen, um meine obigen Klaglieder zu wiederholen, wie sehr mich jetzt, besonders um der Bildhauer willen, die Mißgriffe im Gegenstand beunruhigen: denn diese Künstler büßen offenbar den Fehler und en Unbegriff der Zeit am schwersten. Sobald ich mit Meyern zusammenkomme und seine Überlegungen, die er mir angekündigt hat, nutzen kann, so will ich gleich mich daran machen und wenigstens die Hauptmomente zusammenschreiben. Denken Sie doch auch indeß immer weiter über die poetischen Formen und Stoffe nach.

Über das Theatralisch-komische habe ich auch verschiedenemal zu denken Gelegenheit gehabt; das Resultat ist: daß man es nur in einer großen, mehr oder weniger rohen Menschenmasse gewahr werden kann, und daß wir leider ein Capital dieser Art, womit wir poetisch wuchern könnten, bei uns gar nicht finden.

Übrigens hat man vom Kriege hier viel gelitten und leidet immerfort. Wenn die Franzosen dem Lande fünf Millionen abnehmen, so sollen die Kaiserlichen nun schon an sechzehn Millionen verzehrt haben. Dagegen erstaunt man denn freilich als Fremder über die ungeheure Fruchtbarkeit dieses Landes und begreift die Möglichkeit solche Lasten zu tragen.

Ihrer und der Ihrigen erinnert man sich mit viel Liebe und Freude, ja ich darf wohl sagen, mit Enthusiasmus. Und somit sey Ihnen heute ein Lebewohl gesagt. Cotta hat mich freundlich eingeladen bei ihm zu logiren; ich habe es mit Dank angenommen, da ich bisher, besonders bei dem heißen Wetter, in den Wirtshäusern mehr als auf dem Wege gelitten habe.

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365. An Schiller

Stuttgart, den 30. August 1797

Nachdem ich Sie heute Nacht, als den Heiligen aller, am schlaflosen Zustande leidenden Menschenkinder, öfters um Ihren Beistand angerufen, und mich auch wirklich durch Ihr Beispiel gestärkt gefühlt habe, eines der schlimmsten Wanzenabenteuer im Bauche des römischen Kaisers zu überstehen, so ist es nunmehr meinem Gelübde gemäß, Ihnen sogleich eine Nachricht von meinen Zuständen zu ertheilen.

Den 25ten ging ich von Frankfurt ab, und hatte eine angenehme Fahrt bei bedecktem Himmel bis Heidelberg, wo ich, bei völlig heiterem Sonnenschein, die Gegend fast den ganzen andern Tag mit Entzücken betrachtete.

Den 27. fuhr ich sehr früh ab, ruhte die heiße Zeit in Sinzheim und kam noch bald genug nach Heilbronn. Diese Stadt mit ihrer Umgebung interessirte mich sehr; ich blieb den 28sten daselbst und fuhr den 29sten früh aus, so daß ich schon um 9 Uhr in Ludwigsburg war, Abends um 5 Uhr wieder wegfuhr und mit Sonnenuntergang nach Stuttgart kam, das in seinem Kreise von Bergen sehr ernsthaft in der Abenddämmerung dalag.

Heute früh recognoscirte ich allein die Stadt; ihre Anlage, so wie besonders die Alleen, gefielen mir sehr wohl. An Herrn Rapp fand ich einen sehr gefälligen Mann und schätzbaren Kunstliebhaber; er hat zur Landschaftscomposition ein recht hübsches Talent, gute Kenntniß und Übung. Wir gingen gleich zu Professor Dannecker bei dem ich einen Hektor der den Paris schilt, ein etwas über Lebensgröße in Gyps ausgeführtes Modell fand, so wie auch eine ruhende, nackte, weibliche Figur im Charakter der sehnsuchtsvollen Sappho, in Gyps fertig und in Marmor angefangen; ferner eine kleine traurend sitzende Figur zu einem Zimmermonument. Ich sah ferner bei ihm das Gypsmodell eines Kopfes vom gegenwärtigen Herzog, der besonders in Marmor sehr gut gelungen seyn soll, sowie auch seine eigne Büste, die ohne Übertreibung geistreich und lebhaft ist. Was mich aber besonders frappirte, war der Originalausguß von Ihrer Büste, der eine solche Wahrheit und Ausführlichkeit hat, daß er wirklich Erstaunen erregt. Der Ausguß, den Sie besitzen, läßt diese Arbeit wirklich nicht ahnen. Der Marmor ist darnach angelegt, und wenn die Ausführung so geräth, so gibt es ein sehr bedeutendes Bild. Ich sah noch kleine Modelle bei ihm, recht artig gedacht und angegeben; nur leidet er daran, woran wir Modernen alle leiden: an der Wahl des Gegenstandes. Diese Materie, die wir bisher so oft und zuletzt wieder bei Gelegenheit der Abhandlung über den Laokoon besprochen haben, erscheint mir immer in ihrer höhern Wichtigkeit. Wann werden wir armen Künstler dieser letzten Zeiten uns zu diesem Hauptbegriff erheben können!

Auch sah ich bei ihm eine Vase aus grau gestreiftem Alabaster, von Isopi, von dem uns Wolzogen so viel erzählte. Es geht aber über alle Beschreibung und niemand kann sich ohne Anschauung einen Begriff von dieser Vollkommenheit der Arbeit machen. Der Stein, was seine Farbe betrifft, ist nicht günstig, aber seiner Materie nach desto mehr. Da er sich leichter behandeln läßt als der Marmor, so werden hier Dinge möglich, wozu sich der Marmor nicht darbieten würde. Wenn Cellini, wie sich glauben läßt, seine Blätter und Zierrathen in Gold und Silber so gedacht und vollendet hat, so kann man ihm nicht übel nehmen, wenn er selbst mit Entzücken von seiner Arbeit spricht.

Man fängt an den Theil des Schlosses, der unter Herzog Carl, eben als er geendigt war, abbrannte, wieder aufzubauen und man ist eben mit den Gesimsen und Decken beschäftigt. Isopi modellirt die Theile, die alsdann von andern Stuccatoren ausgegossen und eingesetzt werden. Seine Verzierungen sind sehr geistreich und geschmackvoll; er hat eine besondere Liebhaberei zu Vögeln, die er sehr gut modellirt und mit andern Zierrathen angenehm zusammenstellt. Die Composition des Ganzen hat etwas Originelles und Leichtes.

In Professor Scheffauer’s Werkstatt (ihn selbst traf ich nicht an) fand ich eine schlafende Venus mit einem Amor, der sie aufdeckt, von weißem Marmor, wohlgearbeitet und gelegt; nur wollte der Arm, den sie rückwärts unter den Kopf gebracht hatte, gerade an der Stelle der Hauptansicht keine gute Wirkung thun. Einige Basreliefs antiken Inhalts, ferner die Modelle zu dem Monument, welches die Gemahlin des jetzigen Herzogs, auf die, durch Gebete des Volks und der Familie, wieder erlangte Genesung des Fürsten aufrichten läßt. Der Obelisk steht schon auf dem Schloßplatze, mit den Gypsmodellen geziert.

In Abwesenheit des Professor Hetsch ließ uns dessen Gattin seinen Arbeitssaal sehen. Sein Familienbild, in ganzen lebensgroßen Figuren, hat viel Verdienst, besonders ist seine eigne höchst wahr und natürlich. Es ist in Rom gemalt. Seine Portraite sind sehr gut und lebhaft und sollen sehr ähnlich seyn. Er hat ein historisches Bild vor, aus der Messiade, da Maria sich mit Porcia, der Frau des Pilatus, von der Glückseligkeit des ewigen Lebens unterhält und sie davon überzeugt. Was sagen Sie zu dieser Wahl überhaupt? Und was kann ein schönes Gesicht ausdrücken, das die Entzückung des Himmels vorausfühlen soll? Überdieß hat er zu dem Kopf der Porcia zwei Studien nach der Natur gemacht, das eine nach einer Römerin, einer geist- und gefühlvollen, herrlichen Brünette, und das andere nach einer blonden guten weichen Deutschen. Der Ausdruck von beiden Gesichtern ist, wie sich versteht, nichts weniger als überirdisch, und wenn so ein Bild auch gemacht werden könnte, so dürften keine individuellen Züge darin erscheinen. Indeß möchte man den Kopf der Römerin immer vor Augen haben. Es hat mich so ein erzdeutscher Einfall ganz verdrießlich gemacht. Daß doch der gute bildende Künstler mit dem Poeten wetteifern will, da er doch eigentlich durch das was er allein machen kann und zu machen hätte, den Dichter zur Verzweiflung bringen könnte!

Professor Müllern fand ich an dem Graff’schen Portrait, das Graff selbst gemalt hat. Der Kopf ist ganz fürtrefflich, das künstlerische Auge hat den höchsten Glanz; nur will mir die Stellung, da er über einen Stuhlrücken sich herüberlehnet, nicht gefallen, um so weniger da dieser Rücken durchbrochen ist und das Bild also unten durchlöchert erscheint. Das Kupfer ist übrigens auf dem Wege gleichfalls fürtrefflich zu werden. Sodann ist er an Auch einem Tod eines Generals beschäftigt, und zwar eines americanischen, eines jungen Mannes, der bei Bunkershill blieb. Das Gemälde ist von einem Americaner Trombul und hat Vorzüge des Künstlers und Fehler des Liebhabers. Die Vorzüge sind: sehr charakteristische und vortrefflich tockirte Portraitgesichter; die Fehler: Disproportionen der Körper unter einander und ihrer Theile. Componirt ist es, verhältnismäßig zum Gegenstande, recht gut und, für ein Bild auf dem so viel rothe Uniformen erscheinen müssen, ganz verständig gefärbt; doch macht es im ersten Anblick eine grelle Wirkung, bis man sich mit ihm wegen seiner Verdienste versöhnt. Das Kupfer thut im Ganzen sehr gut und ist in seinen Theilen fürtrefflich gestochen. Ich sah auch das bewundernswürdige Kupfer des letzten Königs in Frankreich, in einem fürtrefflichen Abdruck aufgestellt.

Gegen Abend besuchten wir Herrn Consistorialrath Ruoff, welcher eine treffliche Sammlung von Zeichnungen und Kupfern besitzt, wovon ein Theil zur Freude und Bequemlichkeit der Liebhaber unter Glas aufgehängt ist. Sodann gingen wir in Herrn Rapp’s Garten und ich hatte abermals das Vergnügen mich an den verständigen und wohlgefühlten Urtheilen dieses Mannes über manche Gegenstände der Kunst, so wie über Dannecker’s Lebhaftigkeit zu erfreuen.

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364. An Goethe

Jena, den 30. August 1797

Ich glaubte mich auf dem Wege der Besserung, als ich Ihnen das letztemal schrieb, aber seit acht Tagen leide ich an einem Katarrhalfieber und einem hartnäckigen Husten, der in meinem ganzen Hause grassirt. Das Fieber läßt mich heute zwar in Ruhe, aber der Husten plagt mich noch sehr und der Kopf ist mir ganz zerbrochen. Nur dieses, mein theurer Freund, wollte ich Ihnen zur Entschuldigung meines Stillschweigens melden.

Wir erwarten mit Sehnsucht Nachricht von Ihnen, und wünschten zu wissen, wo wir Sie jetzt zu suchen haben. Neue Aushängebogen erhaltne Sie hiebei.

Ihren lieben Brief, den ich am 20sten erhielt, muß ich versparen zu beantworten, bis mein Kopf wieder frei ist.

Auch auf der Reise muß ich Sie plagen, theurer Freund. Denken Sie doch zuweilen an die Horen, ob nicht die Reise selbst etwas dazu liefern kann. Das Bedürfniß ist groß, und jetzt um so mehr, da ich selbst zu jeder Einhülfe untauglich bin. Bei solchen Störungen werde ich Mühe haben, Stimmung und Zeit für meine Glocke zu finden, die noch lange nicht gegossen ist.

Leben Sie heiter und gesund und fahren Sie fort, mich auch aus der Ferne zu beleben. Wir und alles was zu uns gehört denken Ihrer mit dem herzlichsten Antheil. Meine Frau grüßt tausendmal. Leben Sie wohl.

Sch.

Vor einigen Augenblicken trifft Ihr letzter Brief ein zu unsrer unerwarteten großen Freude. Herzlich Dank für das was Sie mir über den Ibykus sagen, und was ich von Ihren Winken befolgen kann, geschieht gewiß. Es ist mir bei dieser Gelegenheit wieder recht fühlbar, was eine lebendige Erkenntniß auch bei’m Erfinden so viel thut. Mir sind die Kraniche nur aus wenigen Gleichnissen zu denen sie Gelegenheit gaben bekannt, und dieser Mangel einer lebendigen Anschauung machte mich hier den schönen Gebrauch übersehen, der sich von diesem Naturphänomen machen läßt. Ich werde versuchen diesen Kranichen, die doch einmal die Schicksalshelden sind, eine größere Breite und Wichtigkeit zu geben. Wie ich den Übergang zu dem Ausrufe des Mörders anders machen soll, ist mir sogleich nicht klar, obgleich ich fühle daß hier etwas zu thun ist. Doch bei der ersten guten Stimmung wird sich’s vielleicht finden.

Noch einmal Dank für Ihren Brief. Erlaubt es mir mein Zustand so schreibe ich übermorgen gewiß.

Leben Sie recht wohl.

Sch.

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363. An Schiller

Frankfurt, den 24. August 1797

Ich will Ihnen doch noch von einer Arbeit sagen die ich angefangen habe, und die wohl für die Horen seyn wird. Ich habe gegen zweihundert französische satyrische Kupfer vor mir; ich habe sie gleich schematisirt und finde sie gerichtet:

  1. Gegen Fremde.
    1. England.
    2. Den Papst.
    3. Österreich.
  2. Gegen Einheimische.
    1. Das alte Schreckensreich.
    2. Modefratzen.
      1. In ihrer Übertriebenheit dargestellt.
      2. In Verhältnissen unter einander.
      3. In Verhältnissen zu veralteten Fratzen.
      4. In Finanz- oder andern politischen Verhältnissen.
    3. Gegen Künstlerfeinde.

Ich fange an sie nun einzeln zu beschreiben und es geht recht gut; denn da sie meist dem Gedanken etwas sagen, witzig, symbolisch, allegorisch sind, so stellen sie sich der Imagination oft eben so gut und noch besser dar als dem Auge, und wenn man eine so große Masse übersehen kann, so lassen sich über französischen Geist und Kunst, im allgemeinen, recht artige Bemerkungen machen, und das Einzelne, wenn man auch nicht Lichtenbergisiren kann noch will, läßt sich doch immer heiter und munter genug stellen, daß man es gerne lesen wird. In der Schweiz finde ich gewiß noch mehr, und vielleicht auch die frühern. Es würde daraus ein ganz artiger Aufsatz entstehen, durch welchen das Octoberstück einen ziemlichen Beitrag erhalten könnte. Im Merkur und Modejournal und anderswo sind schon einige angeführt, die ich nun in’s Ganze mit hereinnehme. Ich hoffe daß sich von dieser oder ähnlicher Art noch manches auf der Reise finden wird, und daß ich vom October an wieder mit tüchtigen Beiträgen werde dienen können; denn eigentlich muß man sich’s nur vornehmen, so geht es auch. Der gegenwärtige Almanach macht mir doppelt Freude, weil wir ihn doch eigentlich durch Willen und Vorsatz zu Stande gebracht. Wenn Sie Ihre dichterischen Freunde und Freundinnen nur immerfort aufmuntern und in Bewegung erhalten, so dürfen wir uns künftiges Frühjahr nur wieder vier Wochen zusammensetzen und der nächste ist auch wieder fertig.

Leben Sie recht wohl und schreiben mir oft und viel. Mein Koffer ist nach Stuttgart fort, und wenn das Wetter, das diese letzte Zeit regnigt, kalt und trüb war, sich wie es scheint, wieder aufheitert, so lasse ich gleich anspannen. Durch die Bergstraße möcht’ ich freilich an einem recht heitern Tag.

G.

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362. An Schiller

Frankfurt, den 23. August 1797

Zu dem was ich gestern über die Ballade gesagt muß ich noch heute etwas zu mehrerer Deutlichkeit hinzufügen. Ich wünschte, da Ihnen die Mitte so sehr gelungen, daß Sie auch noch an die Exposition einige Verse wendeten, da das Gedicht ohnehin nicht lang ist. Meo voto würden die Kraniche schon von dem wandernden Ibycus erblickt; sich, als Reisenden, vergliche er mit den reisenden Vögeln, sich, als Gast, mit den Gästen, zöge daraus eine gute Vorbedeutung, und riefe alsdann, unter den Händen der Mörder, die schon bekannten Kraniche, seine Reisegefährten, als Zeugen an. Ja, wenn man es vortheilhaft fände, so könnte er diese Züge schon bei der Schiffahrt gesehen haben. Sie sehen, was ich gestern schon sagte, daß es mir darum zu thun ist aus diesen Kranichen ein langes und breites Phänomen zu machen, welches sich wieder mit dem langen verstrickenden Faden der Eumeniden, nach meiner Vorstellung, gut verbinden würde. Was den Schluß betrifft habe ich gestern schon meine Meinung gesagt. Übrigens hatte ich in meiner Anlage nichts weiter was Sie in Ihrem Gedicht brauchen können.

Gestern ist auch Hölderlin bei mir gewesen; er sieht etwas gedrückt und kränklich aus, aber er ist wirklich liebenswürdig und mit Bescheidenheit, ja mit Ängstlichkeit offen. Er ging auf verschiedene Materien auf eine Weise ein die Ihre Schule verrieth, manche Hauptideen hatte er sich recht gut zu eigen gemacht, so daß er manches auch wieder leicht aufnehmen konnte. Ich habe ihm besonders gerathen kleine Gedichte zu machen und sich zu jedem einen menschlich interessanten Gegenstand zu wählen. Er schien noch einige Neigung zu den mittlern Zeiten zu haben in der ich ihn nicht bestärken konnte. Hauptmann Steigentesch werde ich wohl nicht sehen; er geht hier ab und zu, meine Anfrage hat ihn einigemal verfehlt und ein Billet, das ich das letztemal für ihn zurückließ, findet er vielleicht erst nach meiner Abreise. Grüßen sie Ihre liebe Frau und unsere dichterischen Freundinnen. Ich habe immer noch gehofft Ihnen noch etwas zum Musenalmanach zu schicken; vielleicht ist die schwäbische Luft ergiebiger. Eigentlich gehe ich von hieraus erst in die Fremde, und erwarte um desto sehnlicher einen Brief von Ihnen bei Cotta.

G.

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361. An Schiller

Frankfurt, den 22. August 1797

Ihr reiches und schönes Paketchen hat mich noch zur rechten Zeit erreicht. In einigen Tagen gedenke ich wegzugehen, und kann Ihnen über diese Sendung noch von hier aus einige Worte sagen.

Der Almanach nimmt sich schon recht stattlich aus, besonders wenn man weiß was noch zurück ist. Die erzählenden Gedichte geben ihm einen eignen Charakter.

Die Kraniche des Ibycus finde ich sehr gut gerathen; der Übergang zum Theater ist sehr schön, und das Chor der Eumeniden am rechten Platze. Da diese Wendung einmal erfunden ist, so kann nun die ganze Fabel nicht ohne dieselbe bestehen, und ich würde, wenn ich an meine Bearbeitung noch denken möchte, dieses Chor gleichfalls aufnehmen müssen.

Nun noch einige Bemerkungen: 1) Der Kraniche sollten, als Zugvögel, ein ganzer Schwarm seyn, die sowohl über den Ibycus als über das Theater wegfliegen. Sie kommen als Naturphänomene und stellen sich so neben die Sonne und andere regelmäßige Erscheinungen. Auch wird das Wunderbare dadurch weggenommen, indem es nicht eben dieselben zu seyn brauchen; es ist vielleicht nur eine Abtheilung des großen wandernden Heeres und das Zufällige macht eigentlich, wie mich dünkt, das Ahnungsvolle und Sonderbare in der Geschichte. 2) Dann würde ich nach dem 14. Verse, wo die Erinnyen sich zurückgezogen haben, noch einen Vers einrücken, um die Gemüthsstimmung des Volkes in welche der Inhalt des Chors sie versetzt darzustellen, und von den ernsten Betrachtungen der Guten zu der gleichgültigen Zerstreuung der Ruchlosen übergehen, und dann den Mörder zwar dumm, roh und laut, aber doch nur dem Kreise der Nachbarn vernehmlich, seine gaffende Bemerkung ausrufen lassen. Daraus entständen zwischen ihm und den nächsten Zuschauern Händel, dadurch würde das Volk aufmerksam u. s. w. Auf diesem Weg, so wie durch den Zug der Kraniche, würde alles ganz ins Natürliche gespielt und nach meiner Empfindung die Wirkung erhöht, da jetzt der 15. Vers zu laut und bedeutend anfängt und man fast etwas anders erwartet. Wenn Sie hie und da an den Reim noch einige Sorgfalt wenden, so wird das Übrige leicht gethan seyn, und ich wünsche Ihnen auch zu dieser wohlgerathenen Arbeit Glück.

Über den eigentlichen Zustand eines aufmerksamen Reisenden habe ich eigne Erfahrungen gemacht und eingesehen worin sehr oft der Fehler der Reisebeschreibungen liegt. Man mag sich stellen wie man will, so sieht man auf der Reise die Sache nur von Einer Seite und übereilt sich im Urtheil; dagegen sieht man aber auch die Sache von dieser Seite lebhaft und das Urtheil ist in gewissem Sinne richtig. Ich habe mir daher Acten gemcht, worin ich alle Arten von öffentlichen Papieren die mir eben jetzt begegnen, Zeitungen, Wochenblätter, Predigtauszüge, Verordnungen, Komödienzettel, Preiscourante einheften lasse, und sodann auch sowohl das was ich sehe und bemerke, als auch mein augenblickliches Urtheil einfüge; ich spreche sodann von diesen Dingen in Gesellschaft und bringe meine Meinung vor, da ich denn bald sehe in wiefern ich gut unterrichtet bin, und in wiefern mein Urtheil mit dem Urtheil wohl unterrichteter Menschen übereintrifft. Ich nehme sodann die neue Erfahrung und Belehrung auch wieder zu den Acten, und so gibt es Materialien, die mir künftig als Geschichte des Äußern und Innern interessant genug bleiben müssen. Wenn ich bei meinen Vorkenntnissen und meiner Geistesgeübtheit Lust behalte, dieses Handwerk eine Weile fortzusetzen, so kann ich eine große Masse zusammenbringen.

Ein paar poetische Stoffe bin ich schon gewahr worden, die ich in einem feinen Herzen aufbewahren werde, und dann kann man niemals im ersten Augenblicke wissen was sich aus der rohen Erfahrung in der Folgezeit noch als wahrer Gehalt aussondert.

Bei allem dem läugne ich nicht daß mich mehrmals eine Sehnsucht nach dem Saalgrunde wieder anwandelt, und würde ich heute dahin versetzt, so würde ich gleich, ohne irgend einen Rückblick, etwa meinen Faust oder sonst ein poetisches Werk anfangen können.

An Wallenstein denken Sie wohl gegenwärtig, da der Almanach besorgt seyn will, wenig oder nicht? Lassen Sie mich doch davon, wenn Sie weiter vorwärts rücken, auch etwas vernehmen.

Das hiesige Theater ist einem gewissen Sinne nicht übel, aber viel zu schwach besetzt; es hat freilich vor einem Jahre einen gar zu harten Stoß erlitten; ich wüßte wirklich nicht was für ein Stück von Werth und Würde man jetzt hier leidlich geben könnte.

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360. An Goethe

Jena, den 17. August 1797

Die Vorstellung, welche Sie mir von Frankfurt und großen Städten überhaupt geben, ist nicht tröstlich, weder für den Poeten, noch für den Philosophen, aber ihre Wahrheit leuchtet ein, und da es einmal ein festgesetzter Punkt ist, daß man nur für sich selber philosophirt und dichtet, so ist auch nichts dagegen zu sagen; im Gegentheil, es bestärkt einen auf dem eingeschlagenen guten Weg, und schneidet jede Versuchung ab, die Poesie zu etwas Äußerm zu gebrauchen.

So viel ist auch mir bei meinen wenigen Erfahrungen klar geworden, daß man den Leuten, im ganzen genommen, durch die Poesie nicht wohl, hingegen recht übel machen kann, und mir däucht, wo das eine nicht zu erreichen ist, da muß man das andere einschlagen. Man muß sie incommodiren, ihnen ihre Behaglichkeit verderben, sie in Unruhe und in Erstaunen setzen. Eins von beiden, entweder als ein Genius oder als ein Gespenst muß die Poesie ihnen gegenüber stehen. Dadurch allein lernen sie an die Existenz einer Poesie glauben und bekommen Respect vor dem Poeten. Ich habe auch diesen Respect nirgends größer gefunden als bei dieser Menschenclasse, obgleich auch nirgends so unfruchtbar und ohne Neigung. Etwas ist in allen, was für den Poeten spricht, und Sie mögen ein noch so ungläubiger Realist seyn, so müssen Sie mir doch zugeben, daß dieses X der Same des Idealismus ist, und daß dieser allein noch verhindert, daß das wirkliche Leben mit seiner gemeinen Empirie nicht alle Empfänglichkeit für das Poetische zerstört. Freilich ist es wahr, daß die eigentliche schöne und ästhetische Stimmung dadurch noch lange nicht befördert wird, daß sie vielmehr gar oft dadurch verhindert wird, so wie die Freiheit durch die moralischen Tendenzen; aber es ist schon viel gewonnen, daß ein Ausgang aus der Empirie geöffnet ist.

Mit meinem Protégé, Herrn Schmidt, habe ich freilich wenig Ehre aufgehoben, wie ich sehe, aber ich will so lange das Beste hoffen, bis ich nicht mehr kann. Ich bin einmal in dem verzweifelten Fall, daß mir daran liegen muß, ob andere Leute etwas taugen, und ob aus ihnen was werden kann; daher werde ich diese Hölderlin und Schmidt so spät als möglich aufgeben.

Herr Schmidt, so wie er jetzt ist, ist freilich nur die entgegengesetzte Carricatur von der Frankfurter empirischen Welt, und so wie diese nicht Zeit hat, in sich hineinzugehen, so kann dieser und seines Gleichen gar nicht aus sich selbst herausgehen. Hier, möchte ich sagen, sehen wir Empfindung genug, aber keinen Gegenstand dazu; dort den nackten leeren Gegenstand ohne Empfindung. Und so sind überall nur die Materialien zum Menschen da, wie der Poet ihn braucht, aber sie sind zerstreut und haben sich nicht ergriffen.

Ich möchte wissen, ob diese Schmidt, diese Richter, diese Hölderlins absolut und unter allen Umständen so subjectivisch, so überspannt, so einsylbig geblieben wären? ob es an etwas Primitivem liegt, oder ob nur der Mangel einer ästhetischen Nahrung und Einwirkung von außen und die Opposition der empirischen Welt in der sie leben gegen ihren idealischen Hang, diese unglückliche Wirkung hervorgebracht hat? Ich bin sehr geneigt das letztere zu glauben, und wenn gleich ein mächtiges und glückliches Naturell über alles siegt, so däucht mir doch, daß manches brave Talent auf diese Art verloren geht.

Es ist gewiß eine sehr wahre Bemerkung, die Sie machen, daß ein gewisser Ernst und eine Innigkeit, aber keine Freiheit, Ruhe und Klarheit bei denen, die aus einem gewissen Stande zu der Poesie kommen, angetroffen wird. Ernst und Innigkeit sind die nothwendige natürliche Folge, wenn eine Neigung und Beschäftigung Widerspruch findet, wenn man isolirt und auf sich selbst reducirt ist, und der Kaufmannssohn, der Gedichte macht, muß schon einer größern Innigkeit fähig seyn, wenn er überall nur auf so etwas verfallen soll. Aber eben so natürlich ist es, daß er sich mehr zu der moralischen als ästhetischen Seite wendet, weil er mit leidenschaftlicher Heftigkeit fühlt, weil er in sich hineingetrieben wird, und weil ihn die Gegenstände eher zurückstoßen als festhalten, er also nie zu einer klaren und ruhigen Ansicht davon gelangen kann.

Umgekehrt finde ich, als Beleg Ihrer Bemerkung, daß diejenigen welche aus einem liberalen Stande zur Poesie kommen, eine gewiße Freiheit, Klarheit und Leichtigkeit, aber wenig Ernst und Innigkeit zeigen. Bei den ersten sticht das Charakteristische fast bis zur Carricatur, und immer mit einer gewissen Einseitigkeit und Härte hervor; bei diesen ist Charakterlosigkeit, Flachheit und fast Seichtigkeit zu fürchten. Der Form nach, möchte ich sagen, sind diese dem Ästhetischen näher, jene hingegen dem Gehalte nach. Bei einer Vergleichung unsrer Jenaischen und Weimarischen Dichterinnen bin ich auf Bemerkungen gerathen, die ich mitzutheilen mir vorbehalte. Unsre Freundin Mereau hat in der That eine gewisse Innigkeit und zuweilen selbst eine Würde des Empfindens, und eine gewisse Tiefe kann ich ihr auch nicht absprechen. Sie hat sich bloß in einer einsamen Existenz und in einem Widerspruch mit der Welt gebildet. Hingegen Amelie Imhof ist zur Poesie nicht durch das Herz, sondern nur durch die Phantasie gekommen, und wird auch ihr Lebenlang nur damit spielen. Weil aber, nach meinem Begriff, das Ästhetische Ernst und Spiel zugleich ist, wobei der Ernst im Gehalte und das Spiel in der Form gegründet ist, so muß die Mereau das Poetische immer der Form nach, die Imhof es immer dem Gehalt nach verfehlen. Mit meiner Schwägerin hat es eine eigne Bewandtniß, diese hat das Gute von beiden, aber eine zu große Phantasie entfernt sie von dem eigentlichen Punkt, worauf es ankommt.

Ich sagte Ihnen doch einmal, daß ich Kosegarten in einem Briefe meine Meinung gesagt habe und auf seine Antwort begierig sey. Er hat mir nun geschrieben, und sehr dankbar für meine Aufrichtigkeit. Aber wie wenig ihm zu helfen ist, sehe ich daraus, daß er mir in demselben Briefe das Anzeigeblatt seiner Gedichte beilegt, welches nur ein Verrückter geschrieben haben kann. Gewissen Menschen ist nicht zu helfen, und dem da besonders hat Gott ein ehern Band um die Stirne geschmiedet.

Endlich erhalten Sie den Ibycus. Möchten Sie damit zufrieden seyn. Ich gestehe, daß ich bei näherer Besichtigung des Stoffes mehr Schwierigkeiten fand als ich anfangs erwartete, indessen däucht mir daß ich sie größtentheils überwunden habe. Die zwei Hauptpunkte worauf es ankam, schienen mir erstlich eine Continuität in die Erzählung zu bringen, welche die rohe Fabel nicht hatte, und zweitens die Stimmung für den Effect zu erzeugen. Die letzte Hand habe ich noch nicht daran legen können, da ich erst gestern Abend fertig geworden, und es liegt mir zuviel daran, daß Sie die Ballade bald lesen, um von Ihren Erinnerungen noch Gebrauch machen zu können. Das Angenehmste wäre mir, zu hören, daß ich in wesentlichen Punkten Ihnen begegnete.

Hier auch zwei Aushängebogen vom Almanach. Ich werde meinen nächsten Brief an Sie unmittelbar an Cotta einschließen, da ich Sie gegen den Schluß des Monats nicht mehr in Frankfurt vermuthe.

Mit meiner Gesundheit geht es seit acht Tagen wieder besser und im Hause steht es auch gut. Meine Frau grüßt Sie herzlich. Von Humboldts habe ich seit ihrer Abreise von Dresden noch nichts vernommen. Aus dem Gotterischen Nachlaß erhalte ich seine Oper: die Geisterinsel, die nach Shakespeare’s Stum bearbeitet ist. Ich habe den ersten Act gelesen, der aber sehr kraftlos ist und eine dünne Speise. Indessen danke ich dem Himmel, daß ich einige Bogen in den Horen auszufüllen habe und zwar durch einen so classischen Schriftsteller, der das Genie- und Xenien-Wesen vor seinem Tode so bitter beklagt hat. Und so zwingen wir denn Gottern, der lebend nichts mit den Horen zu thun haben wollte, noch todt darin zu spuken.

Leben Sie recht wohl, lassen Sie bald wieder von sich hören.

Sch.

H 359 | S 358 | B 358

359. An Schiller

Frankfurt, den [16. und] 17. August 1797

Ich bin auf einen Gedanken gekommen, den ich Ihnen, weil er für meine übrige Reise bedeutend werden kann, sogleich mittheilen will, um Ihre Meinung zu vernehmen in wie fern er richtig seyn möchte, und in wie fern ich wohl thue mich seiner Leitung zu überlassen? Ich habe, indem ich meinen ruhigen und kalten Weg des Beobachters, ja des bloßen Sehens ging, sehr bald bemerkt daß die Rechenschaft, die ich mir von gewissen Gegenständen gab, eine Art von Sentimentalität hatte, die mir dergestalt auffiel daß ich dem Grunde nachzudenken sogleich gereizt wurde, und ich habe folgendes gefunden: Das was ich im allgemeinen sehe und erfahre schließt sich recht gut an alles Übrige an was mir sonst bekannt ist, und ist mir nicht unangenehm, weil es in der ganzen Masse meiner Kenntnisse mitzählt und das Capital vermehren hilft. Dagegen wüßte ich noch nichts was mir auf der ganzen Reise nur irgend eine Art von Empfindung gegeben hätte, sondern ich bin heute so ruhig und unbewegt als ich es jemals, bei den gewöhnlichsten Umständen und Vorfällen, gewesen. Woher denn also diese scheinbare Sentimentalität, die mir um so auffallender ist, weil ich seit langer Zeit in meinem Wesen gar keine Spur, außer der poetischen Stimmung, empfunden habe. Möchte nicht also hier selbst poetische Stimmung seyn, bei einem Gegenstande der nicht ganz poetisch ist, wodurch ein gewisser Mittelzustand hervorgebracht wird?

Ich habe daher die Gegenstände, die einen solchen Effect hervorbringen, genau betrachtet und zu meiner Verwunderung bemerkt daß sie eigentlich symbolisch sind, das heißt, wie ich kaum zu sagen brauche: es sind eminente Fälle, die in einer charakteristischen Mannigfaltigkeit als Repräsentanten von vielen andern dastehen, eine gewisse Totalität in sich schließen, eine gewisse Reihe fordern, Ähnliches und Fremdes in meinem Geiste aufregen und so, von außen wie von innen, an eine gewisse Einheit und Allheit Anspruch machen. Sie sind also, was ein glückliches Sujet dem Dichter ist, glückliche Gegenstände für den Menschen, und weil man, indem man sie mit sich selbst recapitulirt, ihnen keine poetische Form geben kann, so muß man ihnen doch eine ideale geben, eine menschliche im höheren Sinn, das man auch mit einem so sehr mißbrauchten Ausdruck senitmental nannte. Und Sie werden also wohl nicht lachen, sondern nur lächeln, wenn ich Ihnen hiermit zu meiner eignen Verwunderung darlege, daß ich, wenn ich irgend von meinen Reisen etwas für Freunde oder für’s Publicum aufzeichnen soll, wahrscheinlich noch in Gefahr komme empfindsame Reisen zu schreiben. Doch ich würde, wie Sie mich wohl kennen, kein Wort, auch das verrufenste nicht fürchten, wenn die Behandlung mich rechtfertigen, ja wenn ich so glücklich seyn könnte einem verrufenen Namen seine Würde wieder zu geben.

Ich berufe mich auf das was Sie selbst so schön entwickelt haben, auf das was zwischen uns Sprachgebrauch ist und fahre fort: Wann ist eine sentimentale Erscheinung (die wir nicht verachten dürfen, wenn sie auch noch so lästig ist) unerträglich? Ich antworte: wenn das Ideale unmittelbar mit dem Gemeinen verbunden wird. Es kann dieß nur durch eine leere, gehalt- und formlose Manier geschehen, denn beide werden dadurch vernichtet, die Idee und der Gegenstand; jene, die nur bedeutend seyn und sich nur mit dem Bedeutenden beschäftigen kann, und dieser, der recht wacker brav und gut seyn kann, ohne bedeutend zu sein.

Bis jetzt habe ich nur zwei solcher Gegenstände gefunden: den Platz auf dem ich wohne, der in Absicht seiner Lage und alles dessen was darauf vorgeht in einem jeden Momente symbolisch ist, und den Raum meines großväterlichen Hauses, Hofes und Gartens, der aus dem beschränktesten, patriarchalischen Zustande, in welchem ein alter Schultheiß von Frankfurt lebte, durch klug unternehmende Menschen zum nützlichsten Waaren- und Marktplatz verändert wurde. Die Anstalt ging durch sonderbare Zufälle bei dem Bombardement zu Grunde, und ist jetzt, größtentheils als Schutthaufen, noch immer das Doppelte dessen werth was vor eilf Jahren von den gegenwärtigen Besitzern an die Meinigen bezahlt worden. In sofern sich nun denken läßt daß das Ganze wieder von einem neuen Unternehmer gekauft und hergestellt werde, so sehen Sie leicht daß es, in mehr als Einem Sinne, als Symbol dieser tausend andern Fälle, in dieser gewerbreichen Stadt, besonders vor meinem Anschauen, dastehen muß.

Bei diesem Falle kommt denn freilich eine liebevolle Erinnerung dazu; wenn man aber, durch diese Fälle aufmerksam gemacht, künftig bei weitern Fortschritten der Reise nicht sowohl auf’s Merkwürdige sondern auf’s Bedeutende seine Aufmerksamkeit richtete, so müßte man für sich und andere doch zuletzt eine schöne Ernte gewinnen. Ich will es erst noch hier versuchen was ich Symbolisches bemerken kann, besonders aber an fremden Orten, die ich zum erstenmal sehe, mich üben. Gelänge das, so müßte man, ohne die Erfahrung in die Breite verfolgen zu wollen, doch, wenn man auf jedem Platz, in jedem Moment, so weit es einem vergönnt wäre, in die Tiefe ginge, noch immer genug Beute aus bekannten Ländern und Gegenden davon tragen.

Sagen Sie mir Ihre Gedanken hierüber in guter Stunde, damit ich erweitert, befestigt, bestärkt und erfreut werde. Die Sache ist wichtig, denn sie hebt den Widerspruch, der zwischen meiner Natur und der unmittelbaren Erfahrung lag, den in früherer Zeit ich niemals lösen konnte, sogleich auf, und glücklich. Denn ich gestehe Ihnen daß ich lieber gerad nach Hause zurückgekehrt wäre, um aus meinem Innersten Phantome jeder Art hervorzuarbeiten, als daß ich mich noch einmal wie sonst (da mir das Aufzählen eines Einzelnen nun einmal nicht gegeben ist) mit der millionfachen Hydra der Empirie herumgeschlagen hätte: denn wer bei ihr nicht Lust oder Vortheil zu suchen hat, der mag sich bei Zeiten zurückziehen.

So viel für heute, ob ich gleich noch ein verwandtes wichtiges Capitel abzuhandeln hätte, das ich nächstens vernehmen und mir auch Ihre Gedanken darüber erbitten werde. Leben Sie recht wohl, grüßen die Ihrigen und lassen von meinen Briefen, außer den Nächsten, niemand nichts wissen noch erfahren.

G.

H 358 | S 357 | B 357

358. An Schiller

Frankfurt, den 14. August 1797*

Gestern habe ich die Oper Palmira aufführen sehen, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe auch dabei vorzüglich die Freude gehabt einen Theil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Decorationen; sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. Bei der Theaterarchitektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der ächten Baukunst einsehen, und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im höhern Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Daseyn ausdrücken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum auf’s Anmuthige einlassen, auf dem Theater aber soll alles eine anmuthige Erscheinung seyn. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannigfaltig seyn, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Decorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableau’s machen; der Decorateur muß noch einen Schritt weiter thun als der Landschaftsmaler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfniß zu modificiren weiß. Die Decorationen zu Palmira geben Beispiele woraus man die Lehre der Theatermalerei abstrahiren könnte; es sind sechs Decorationen die auf einander in zwei Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt; sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden. Man sieht ihnen an daß der Meister alle Moyens der ernsthaften Baukunst kennt; selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bei, und alle seine Constructionen gründen sich auf den Begriff dessen was im Wirklichen gefordert wird. Seine Zierrathen sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und vertheilt. Diesen sieht man die große Stuccaturschule an, die sich in Mailand befindet und die man aus den Kupferstichwerken des Albertolli kann kennen lernen. Alle Proportionen gehen in’s Schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls; aber die übermäßige Länge und gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Nothwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert. Das Colorit ist untadelhaft und die Art zu malen äußerst frei und bestimmt. Alle die perspectivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Directionspuncten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werken. Die Theile sind völlig deutlich und klar, ohne hart zu seyn, und das Ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in dem unendlichen Detail, und man darf wohl sagen daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht; nur Schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.

Und so leben Sie wohl und lassen mich bald von sich hören. Ich bin oft auf Ihrer stillen Höhe bei Ihnen, und wenn’s recht regnet erinnere ich mich des Rauschens der Leutra und ihrer Gossen.

Nicht eher will ich wieder kommen als bis ich wenigstens eine Sattheit der Empirie empfinde, da wir an eine Totalität nicht denken dürfen. Leben Sie recht wohl und grüßen alles.

G.

H 357 | S 356 | B 356

* Bei H auf den 17. August 1797 datiert.

357. An Schiller

Frankfurt, den 12. August 1797

Es pflegt meist so zu gehen, daß man für diejenigen die in Bewegung sind besorgt ist, und es sollte öfters umgekehrt seyn. So sagt mir Ihr lieber Brief, vom 7ten, daß Sie sich nicht zum Besten befunden haben, indeß ich von der Witterung wenig oder gar nicht litt. Die Gewitter kühlten, Nachts und Morgens, die Atmosphäre aus, wir fuhren sehr früh, die heißesten Stunden des Tages fütterten wir, und wenn dann auch einige Stunden des Wegs bei warmer Tagszeit zurückgelegt wurden, so ist doch meist auf den Höhen und in den Thälern, wo Bäche fließen, ein Luftzug. Genug ich bin mit geringer Unbequemlichkeit nach Frankfurt gekommen. Hier möchte ich nun mich an ein großes Stadtleben wieder gewöhnen, mich gewöhnen nicht nur zu reisen, sondern auch auf der Reise zu leben; wenn mir nur dieses vom Schicksal nicht ganz versagt ist, denn ich fühle recht gut daß meine Natur nur nach Sammlung und Stimmung strebt, und an allem keinen Genuß hat was diese hindert. Hätte ich nicht an meinem Hermann und Dorothea ein Beispiel daß die modernen Gegenstände, in einem gewissen Sinne genommen, sich zum Epischen bequemten, so möchte ich von aller dieser empirischen Breite nichts mehr wissen. Auf dem Theater, so wie ich auch wieder hier sehe, wäre in dem gegenwärtigen Augenblick manches zu thun, aber man müßte es leicht nehmen und in der Gozzischen Manier tractiren; doch es ist in keinem Sinne der Mühe werth.

Meyer hat unsere Balladen sehr gut aufgenommen. Ich habe nun, weil ich von Weimar aus nach Stäfa wöchentlich Briefe an ihn schrieb, schon mehrere Briefe von ihm hier erhalten; es ist eine reine und treufortschreitende Natur, unschätzbar in jedem Sinne. Ich will nur eilen ihn wieder persönlich habhaft zu werden und ihn dann nicht wieder von mir lassen.

Den Alten auf dem Topfberge bedauere ich herzlich, daß er verdammt ist durch, Gott weiß, welche wunderliche Gemüthsart, sich und andern auf eigenem Felde den Weg zu verkümmern. Da gefallen mir die Frankfurter Bankiers, Handelsleute, Agioteurs, Krämer, Juden, Spieler und Unternehmer tausendmal besser, die doch wenigstens selbst was vor sich bringen, wenn sie auch andern ein Bein stellen. – Der Nikolaus Pesce ist, so viel ich mich erinnere, der Held des Mährchens das Sie behandelt haben, ein Taucher von Handwerk. Wenn aber unser alter Freund bei einer solchen Bearbeitung sich noch der Chronik erinnern kann die das Geschichtchen erzählt, wie soll man’s dem übrigen Publico verdenken wenn es sich bei Romanen erkundigt: ob denn das alles fein wahr sey? Eben so ein merkwürdiges Beispiel gibt Diderot, der bei einem so hohen Genie, bei so tiefem Gefühl und klarem Verstand, doch nicht auf den Punkt kommen konnte zu sehen: daß die Cultur durch Kunst ihren eignen Gang gehen muß, daß sie keiner andern subordinirt seyn kann, daß sie sich an alle übrige so bequem anschließt u. s. w., was doch so leicht zu begreifen wäre, weil das Factum so klar am Tage liegt.

Äußerst fratzenhaft erscheint der arme Kosegarten, der, nachdem er nun zeitlebens gesungen und gezwitschert hat, wie ihm von der lieben Natur die Kehle gebildet und der Schnabel gewachsen war, seine Individualität durch die Folterschrauben der neuen philosophischen Forderungen selbst auszurecken bemüht ist, und seine Bettlerjacke auf der Erde nachschleift, um zu versichern, daß er doch auch uhngefähr so einen Königsmantel in der Garderobe führe. Ich werde das Exhibitum sogleich an Meyern absenden. Indessen sind diese Menschen, die sich noch denken können daß das Nichts unserer Kunst alles sey, noch besser dran als wir andern, die wir doch mehr oder weniger überzeugt sind, daß das Alles unserer Kunst nichts ist.

Für einen Reisenden geziemt sich ein skeptischer Realism. Was noch idealistisch an mir ist, wird in einem Schatullchen wohlverschlossen, mitgeführt wie jenes Undenische Pygmäenweibchen; Sie werden also von dieser Seite Geduld mit mir haben. Wahrscheinlich werde ich Ihnen jenes Reisegeschichtchen auf der Reise zusammenschreiben können. Übrigens will ich erst ein paar Monate abwarten: Denn obgleich in der Empirie fast alles einzeln unangenehm auf mich wirkt, so thut doch das Ganze sehr wohl, wenn man endlich zum Bewußtsein seiner eignen Besinnung kommt. Leben Sie recht wohl und interpretiren Sie sich, da Sie mich kennen, meine oft wunderlichen Worte: denn es wäre mir unmöglich mich selbst zu rectificiren und diese rhapsodischen Grillen in einen Zusammenhang und Bestand zu bringen.

Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau und halten Sie unsere Agnes und Amalie ja recht werth. Man weiß nicht eher was man an solchen Naturen hat, als bis man sich in der breiten Welt nach ähnlichen umsieht. Sie, mein Freund, haben die Gabe auch lehrend wirksam zu seyn, die mir ganz versagt ist; diese beiden Schülerinnen werden gewiß noch manches Gute hervorbringen, wenn sie nur ihre Apperçus mittheilen und in Absicht auf Disposition des Ganzen etwas mehr von den Grundforderungen der Kunst einsehen lernen.

G.

H 356 | S 356 | B 356

356. An Schiller

Frankfurt am Main, den 9. August 1797

Ohne den mindesten Anstoß bin ich vergnügt und gesund nach Frankfurt gelangt und überlege in einer ruhigen und heitern Wohnung nun erst, was es heiße in meinen Jahren in die Welt zu gehen. In früherer Zeit imponiren und verwirren uns die Gegenstände mehr, weil wir sie nicht beurtheilen noch zusammenfassen können, aber wir werden doch mit ihnen leichter fertig, weil wir nur aufnehmen was in unserm Wege liegt und rechts und links wenig achten. Später kennen wir die Dinge mehr, es interessirt uns deren eine größere Anzahl und wir würden uns gar übel befinden, wenn uns nicht Gemüthsruhe und Methode in diesen Fällen zu Hülfe kämen. Ich will nun alles was mir in diesen acht Tagen vorgekommen ist so gut als möglich zurechtstellen, an Frankfurt selbst als einer vielumfassenden Stadt meine Schemata probiren und mich dann zu meiner weitern Reise vorbereiten.

Sehr merkwürdig ist mir aufgefallen wie es eigentlich mit dem Publico einer großen Stadt beschaffen ist. Es lebt in einem beständigen Taumel von Erwerben und Verzehren, und das was wir Stimmung nennen, läßt sich weder hervorbringen noch mittheilen. Alle Vergnügen, selbst das Theater, sollen nur zerstreuen, und die große Neigung des lesenden Publicums zu Journalen und Romanen entsteht eben daher, weil jene immer und diese meist Zerstreuung in die Zerstreuung bringen.

Ich glaube sogar eine Art von Scheu gegen poetische Productionen, oder wenigstens in so fern sie poetisch sind, bemerkt zu haben, die mir aus eben diesen Ursachen ganz natürlich vorkommt. Die Poesie verlangt, ja sie gebietet Sammlung, sie isolirt den Menschen wider seinen Willen, sie drängt sich wiederholt auf und ist in der breiten Welt (um nicht zu sagen in der großen) so unbequem wie eine treue Liebhaberin.

Ich gewöhne mich nun alles wie mir die Gegenstände vorkommen und was ich über sie denke aufzuschreiben, ohne die genauste Beobachtung und das reifste Urtheil von mir zu fordern, oder auch an einen künftigen Gebrauch zu denken. Wenn man den Weg einmal ganz zurückgelegt hat, so kann man mit besserer Übersicht das vorräthige immer wieder als Stoff gebrauchen.

Das Theater habe ich einigemal besucht und zu dessen Beurtheilung mir auch einen methodischen Entwurf gemacht. Indem ich ihn nun nach und nach auszufüllen suche, so ist mir erst recht aufgefallen: daß man eigentlich nur von fremden Ländern, wo man mit niemand in Verhältniß steht, eine leidliche Reisebeschreibung schreiben könnte. Über den Ort, wo man gewöhnlich sich aufhält, wird niemand wagen etwas zu schreiben, es müßte denn von bloßer Aufzählung der vorhandenen Gegenstände die Rede seyn; eben so geht es mit allem was uns noch einigermaßen nah ist, man fühlt erst daß es eine Impietät wäre, wenn man auch sein gerechtestes, mäßigstes Urtheil über die Dinge öffentlich aussprechen wollte. Diese Betrachtungen führen auf artige Resultate, und zeigen mir den Weg der zu gehen ist. So vergleiche ich z. B. das hiesige Theater jetzt mit dem Weimarischen; habe ich noch das Stuttgarter gesehen, so läßt sich vielleicht über die drei etwas Allgemeines sagen das bedeutend ist und das sich auch allenfalls öffentlich produciren läßt.

Leben Sie recht wohl und halten Sie sich ja gesund und vergnügt in Ihrem Gartenhause. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau. Wenn ich nur einmal wieder in’s Jenaische Schloß gelangen kann, soll mich sobald niemand heraustreiben. Es ist nur gut, daß ich zum Musenalmanach das meinige schon beigetragen. Es ist nur gut daß ich zum Musenalmanach das meinige schon beigetragen habe, denn auf der Reise kann ich so wenig hoffen einem Gedichte als dem Phönix zu begegnen. Nochmals das schönste Lebewohl.

G.

[Schmidt von Friedberg ist bei mir gewesen; es war keine unangenehme, aber auch keine wohlthätige Erscheinung. Im ganzen ein hübscher junger Mensch, ein kleiner Kopf auf mäßigen Schultern, treffliche Schenkel und Füße, knapp, reinlich, anständig nach hiesiger Art gekleidet. Die Gesichtszüge klein und eng beisammen, kleine, schwarze Augen, schwarze Haare, nahe am Kopf sanscülottisch abgeschnitten. aber um die Stirne schmiedete ihm ein ehernes Band der Vater der Götter. Mit dem Munde machte er wunderliche Verzerrungen, als wenn er dem, was er sagte noch einen gewissen eigenthümlichen Ausdruck geben wollte. Er ist der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der ihn zum Prediger bestimmte, dadurch ist der Mensch ganz aus seinem Wege gerückt worden. Ich glaube daß er, zu einem beschränkten Handel und Lebenswandel angeführt, recht gut gewesen wäre, da er Energie und eine gewisse Innigkeit zu haben scheint; unter einer Nationalgarde sähe ich ihn am allerliebsten. Die Folge mag es zeigen, aber ich fürchte es ist nicht viel Freude an ihm zu erleben. Voraus also gesetzt daß es kein gedrückter Mensch ist, sondern einer der, nach seiner Aussage, seiner Gestalt, seiner Kleidung in mäßigem Wohlbehagen lebt, so ist es ein böses Zeichen daß sich keine Spur von Streben, Liberalität, Liebe, Zutrauen an ihm offenbart. Er stellte sich mir in dem philisterhaften Egoismus eines Exstudenten dar. Dabei aber auch keine Spur von Rohheit, nichts Schiefes in seinem Betragen, außer der Mundverzerrung.

Ich nahm zur Base meiner Behandlung daß Sie ihn an mich schicken, und setzte also in diesem Sinne vieles voraus, aber es hat doch auch gar nichts Allgemeines noch Besonderes angeklungen, auch nichts über Reinhold und Fichte, die er doch beide gehört hat. Überhaupt konnte ich nichts bedeutendes von ihm herauslocken als daß er, seit einem Jahre, gewisse besondere Ansichten der Welt gewonnen habe, wodurch er sich zur Poesie geneigt fühle (das denn ganz gut seyn möchte), daß er aber auch überzeugt sey, nur in einer gewissen Verbindung der Philosophie und Poesie bestehe die wahre Bildung. Wogegen ich nichts zu sagen habe, wenn ich es nur nicht von einem jungen Menschen hören müßte. Übrigens ging er weg wie er gekommen war, ehe doch auch nur irgend nur ein Gespräch sich eingeleitet hatte, und war mir für diesen kurzen Moment bedeutend genug. Der zurückgezognen Art nach erinnerte er mich an Hölderlin, ob er gleich größer und besser gebildet ist; sobald ich diesen gesehen habe, werde ich mit einer nähern Parallele aufwarten. Da auf meinem Lebensgange besonders in früheren Zeiten mir mehrere Naturen dieser Art begegnet sind, und ich erfahren habe wo es eigentlich mit ihnen hinausgeht, so will ich noch ein allgemeines Wort hinzufügen. Menschen die aus dem Kaufmannsstamme zur Literatur und besonders zur Poesie übergehen, haben und behalten eine eigne Tournüre. Es läßt sich an einigen ein gewisser Ernst und Innigkeit bemerken, ein gewisses Haften und Festhalten, bei andern ein lebhaftes thätiges Bemühen; allein sie scheinen mir keiner Erhebung fähig, so wenig als des Begriffs, worauf es eigentlich ankommt. Vielleicht thue ich dieser Caste unrecht und es sind viele aus andern Stämmen, denen es nicht besser geht. Denken Sie einmal Ihre Erfahrung durch, es finden sich wahrscheinlich auch Ausnahmen.]*

[Dieser Brief sollte mir Herrn Schmidt anmelden, ich erhielt ihn aber zwei Tage zu spät und lege ihn hierbei, damit Sie einen Blick weiter in das Innere jener Natur tun, deren äußere Erscheinung ich Ihnen beschrieben habe.

G.]**

H 355 | S 355 | B 355

* Dieser Teil ist bei H der Beginn des nächsten Briefes (356).
** Auf einem Brief Siegmund Schmids an Goethe vom 7. August 1797; fehlt bei H. Zitiert nach S.

355. An Goethe

Jena, den 7. August 1797

Wir sind recht verlangend zu erfahren, theurer Freund, wie Ihre Reise abgelaufen ist. Die drückende Hitze am Tage und die fast unaufhörlichen Gewitter des Nachts haben uns viel Sorge um Sie gemacht, denn es war hier kaum zum Aushalten, und ich habe mich seitdem noch nicht erholt, so heftig hat es meine Nerven angegriffen.

Ich kann Ihnen darum auch heute wenig sagen, denn ich fange kaum an, mich von starken Fieberbewegungen frei zu fühlen, die ich schon seit acht Tagen spüre, und fürchtete wirklich schon in eine ernstliche Krankheit zu fallen.

Zelter schickte mir dieser Tage die Melodien zu Ihrer Bajadere und zum Lied an Mignon. Das letztere gefällt mir besonders. Die Melodie zur Ballade paßt freilich nicht gleich gut zu allen Strophen, aber bei einigen wie bei der drittletzten macht sich der Chor: „„wir tragen die Jugend etc.“ sehr gut. Ich lege die Melodien bei, wenn Sie in Frankfurt ein paar schöne Stimmen fänden, die sie Ihnen vortragen können.

Herder hat mir nun auch unsre Balladen, die ich ihm communicirt hatte, zurückgeschickt; was für Eindruck sie aber gemacht haben, kann ich aus seinem Briefe nicht erfahren. Dagegen erfahre ich daraus, daß ich in dem Taucher bloß einen gewissen Nicolaus Pesce, der dieselbe Geschichte entweder erzählt oder besungen haben muß, veredelnd umgearbeitet habe. Kennen Sie etwa diesen Nicolaus Pesce, mit dem ich da so unvermuthet in Concurrenz gesetzt werde? Übrigens haben wir von Herdern wirklich nichts für den dießjährigen Almanach zu hoffen; er klagt über seine Armuth, versichert aber, daß er anderer Reichthum nur desto mehr schätze.

Ich habe in diesen Tagen Diderot sur la peinture wieder vorgehabt, um mich in der belebenden Gesellschaft dieses Geistes wieder zu stärken. Mir kommt vor, daß es Diderot ergeht wie vielen andern, die das Wahre mit ihrer Empfindung treffen, aber es durch das Raisonnement manchmal wieder verlieren. Er sieht mir bei ästhetischen Werken noch viel zu sehr auf fremde und moralische Zwecke, er sucht diese nicht genug in dem Gegenstande und in seiner Darstellung. Immer muß ihm das schöne Kunstwerk zu etwas anderm dienen. Und da das wahrhaftig Schöne und Vollkommene in der Kunst den Menschen nothwendig verbessert, so sucht er diesen Effect der Kunst in ihrem Inhalt und in einem bestimmten Resultat für den Verstand, oder für die moralische Empfindung. Ich glaube es ist einer von den Vortheilen unsrer neueren Philosophie, daß wir eine reine Formel haben, um die subjecitve Wirkung des Ästhetischen auszusprechen, ohne seinen Charakter zu zerstören.

Leben Sie recht wohl. Erfreuen Sie uns bald mit guten Nachrichten. Von meiner Frau die herzlichsten Grüße, die Kleinen sind wohl auf; Neues kann ich aus meinem kleinen Kreise nichts melden.

Sch.

H 354 | S 354 | B 354

354. An Schiller

Weimar, den 29. Juli 1797

Morgen werde ich denn endlich im Ernste hier abgehen, gerade abermals vier Wochen später als ich mir vorgenommen hatte. Bei der Schwierigkeit loszukommen sollte von Rechts wegen meine Reise recht bedeutend werden; ich fürchte aber daß sie den übrigen menschlichen Dingen gleichen wird. Von Frankfurt hören Sie bald wenigstens einige Worte.

Unsere Balladen-Versuche habe ich in diesen Tagen vorgelesen und guten Effect davon gesehen. Bei Ihrem Handschuh hat man den Zweifel erregt ob man sagen könne ein Thier lecke sich die Zunge; ich habe wirklich darauf nicht bestimmt zu antworten gewußt.

Schlegel’s Aufsatz kommt hier zurück; es ist freilich mit den Gedichten wie mit den Handlungen: man ist übel dran, wenn man sie erst rechtfertigen soll.

Leben Sie recht wohl. Sie sagten neulich daß zur Poesie nur die Poesie Stimmung gäbe, und da das sehr wahr ist, so sieht man wie viel Zeit der Dichter verliert wenn er sich mit der Welt abgibt, besonders wenn es ihm an Stoff nicht fehlt. Es graut mir schon vor der empirischen Weltbreite, doch wollen wir das Beste hoffen, und wenn wir wieder zusammen kommen uns in manchen Erzählungen und Betrachtungen wieder erholen. Leben Sie recht wohl mit Ihrer lieben Frau und den Ihrigen.

G.

Da Boie noch nichts hat von sich hören lassen, so schicke ich den Postschein wenigstens als Zeugniß meines guten Willens und allenfalls zu irgend einem Gebrauch wenn das Paket sollte verloren seyn. Sie haben ja wohl Gelegenheit sich bei Boie darnach zu erkundigen.

H 353 | S 353 | B 353

353. An Goethe

Jena, den 28. Juli 1797

In der Ungewißheit, ob dieser Brief Sie noch in Weimar findet, schreibe ich Ihnen nur ein paar Worte zum Abschied; es freut uns herzlich Sie sobald wieder hergestellt und endlich im Besitz Ihres Wunsches zu sehen. Möge nun auch die Reise einen guten Fortgang haben und Ihnen, wenn es an interressanten Bekanntschaften ja fehlte, durch die Musen verkürzt werden. Vielleicht fliegt aus Ihrem Reiseschiff eine schöne poetische Taube aus, wo nicht gar die Kraniche ihren Flug von Süden noch Norden nehmen. Diese ruhen noch immer bei mir ganz und ich vermeide selbst daran zu denken, um einiges andere voraus zu schicken. Auch machen mir jetzt die Gedichte der Freunde und Freundinnen, die Ausgabe der Agnes von Lilien und die Ausrüstung der Horen viele und gar nicht erfreuliche Diversionen.

Schlegeln habe ich einige Anmerkungen über seinen Prometheus gemacht, worüber er sich in der Antwort, die ich beilege, weitläuftig, aber nicht sehr befriedigend erklärt hat. Indessen ich habe das Meinige gethan, und zu helfen war überhaupt nicht.

Ich habe meinem neuen Friedberger Poeten Schmidt und auch Hölderlin von Ihrer nahen Ankunft in Frankfurt Nachricht gegeben; es kommt nun darauf an, ob die Leutchen sich Muth fassen werden, vor Sie zu kommen. Es wäre mir sehr lieb, und auch Ihnen würden diese poetischen Gestalten in dem prosaischen Frankfurt vielleicht nicht unwillkommen seyn. Sie werden dort auch wohl den kaiserlichen Hauptmann von Steigentesch finden und sehen was an ihm ist. Noch einmal empfangen Sie unsern Segen zur Reise, und leben Sie recht wohl!

Sch.

H 352 | S 352 | B 352

352. An Schiller

Weimar, den 26. Juli 1797

Herzlichen Dank für den Antheil an meinem Befinden! Die Folgen einer Erkältung hatten mich vier und zwanzig Stunden sehr übel geplagt, nun bin ich aber völlig wieder hergestellt und hoffe noch zu Ende dieser Woche zu reisen. Hier kommt der abermals ermordete, oder vielmehr in Fäulniß übergegangene Gustav der Dritte; es ist so recht eigentlich eine Bettelsuppe, wie sie das deutsche Publicum liebt. Diese Art Schriften sind an die Stelle der Gespräche im Reiche der Todten getreten, die auf unsere Wahrheit liebende Nation immer großen Eindruck gemacht haben.

Der neue Dichter ist recht brav und es wäre mir angenehm ihn kennen zu lernen. Sie verbessern vielleicht noch hie und da eine Kleinigkeit, nur um der Klarheit willen; seine Einsamkeit und Enge sieht man ihm freilich an.

Der Herzog ist gestern angekommen und sieht recht wohl aus; auch ist die berühmte Mariane Meyer hier; es ist Schade daß sie nicht einige Tage früher kam, ich hätte doch gewünscht daß Sie dieses sonderbare Wesen hätten kennen lernen. Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau. Da ich Gedichte von der Hand Ihres Schreibers sah, glaubte ich schon die Kraniche fliegen zu sehen. Ich bin so außer Stimmung daß ich heute sogar meine Prosa blad schließen muß.

G.

H 351 | S 351 | B 351

351. An Goethe

Jena, den 24. [recte: 25.] Juli 1797

Die Nachricht von Ihrem Übelbefinden hat mich heute früh nach einer schlaflos zugebrachten Nacht sehr unangenehm empfangen; ich hoffe dieser Brief findet Sie schon in der Besserung, wozu vielleicht die Ankunft des Herzogs das ihrige beiträgt. Doch werden Sie unter diesen Umständen erst eine festere Gesundheit abwarten müssen.

Ich sende Ihnen hier zu Ihrer Recreation ein ganz neues Opus zu, welches die deutsche Industrie auf eine ganz neue Weise documentirt. Solch eine Erscheinung der Nullität, Absurdität und Frechheit ist doch wirklich nur in den neuesten Zeiten unserer Literatur möglich, wo der schnelle Wechsel von Ideen und Formen das Mein und Dein nicht mehr zu bestimmen Zeit läßt. Ich habe unter anderm ganze halbe Seiten lange Stellen aus meinen ästhetischen Abhandlungen, ohne Citation, hier abgedruckt gefunden, und mich nicht wenig verwundert, meine ipsissima verba mir aus dem königlichen Munde entgegen schallen zu hören.

Dafür hat sich aber auch in diesen Tagen ein neuer Poet gemeldet, der endlich einmal etwas Besseres verspricht. Er sitzt zu Friedberg bei Frankfurt, heißt Schmidt, und wie ich aus seinem ganzen Habitus schließe, muß er recht in der wilden Einsamkeit und vielleicht in einer niedern Condition leben. Aus einigen Proben, die ich beilege, werden Sie sehen, daß an dem Menschen etwas ist, und daß aus einer rauhen harten Sprache ächte tiefe Empfindung und ein gewisser Schwung des Geistes herausblickt. Wenn dieser Halbwilde seine Sprache und den Vers recht in der Gewalt haben und sich eine äußere Anmuth zu einem innern Gehalte verschafft haben wird, so hoffe ich für die künftigen Almanache eine Acquisition an ihm zu machen. Wenn er Ihnen auch gefällt, so wäre die Frage, ob Sie ihm nicht, so wie unserm Hauptmann von Steigentesch, in Frankfurt was an’s Herz legen könnten.

Ich breche für heute ab, denn die Feder fällt mir vor Müdigkeit fast aus den Händen. Lassen Sie uns ja morgen erfahren, wie es um Sie steht; meine Frau läßt Ihnen auch von Herzen gute Besserung wünschen. Leben Sie recht wohl.

Sch.

H 350 | S 350 | B 350

[350a. An Schiller]

Weimar, 25. Juli 1796

[Fehlt.]

Vgl. S S. 881

350. An Goethe

Jena, den 23. Juli 1797

Das Warten bei schon geschnürtem Bündel ist ein höchst fataler Zustand, von dem ich Sie recht bald erlöst wünsche. Es ist gut, daß Sie gerade jetzt kleinere Beschäftigungen und Spiele vor sich sehen, wozu eine unterbrochene und halbe Stimmung allenfalls hinreicht.

Humboldt schreibt mir daß seine Frau wieder das Fieber habe. Das wird eine schöne Reise werden, denn sie müssen jetzt schon in Dresden über die Zeit liegen bleiben. Ich sage Ihnen das zum Troste, wie jener Jude zum Shylock: Andere Leute haben auch Unglück.

Die drei Stücke, die mir Humboldt eben zurückschickt, lege ich hier bei. An dem Nadowessischen Liede findet Humboldt ein Grauen, und was er dagegen vorbringt ist bloß von der Rohheit des Stoffs hergenommen. Es ist doch sonderbar, daß man in poetischen Dingen und bei einer großen Annäherung auf Einer Seite doch wieder in so directen Oppositionen seyn kann.

Den Zauberlehrling habe ich an meinem Stuttgarter Componisten geschickt; mir däucht daß er sich vortrefflich zu einer heitern Melodie qualificirt, da er in unaufhörlicher leidenschaftlicher Bewegung ist.

Leben Sie recht wohl. Ich schreibe übermorgen noch, wenn sich indeß nichts ereignet.

[An Böttigern schicke ich heut die Klopstockiana und hab’ auch ein paar Zeilen dazu geschrieben.]*

Sch.

H 349 | S 349 | B 349

* Bei H erst zu Beginn von Nr. 350

349. An Schiller

Weimar, 22. Juli 1797

Heute sage ich nichts als meinen besten Dank für Ihren beiderseitigen Abschiedsgruß und für die überschickten Horen.

Je länger ich hier bleibe je mehr Kleinigkeiten giebt’s zu thun, und die Zeit vergeht ohne daß ich etwas empfange noch hervorbringe, und ich muß mich nur in Acht nehmen daß ich nicht ungeduldig werde.

Rath Schlegel verläßt mich eben; es schien bloß, daß sein Wunsch Ihnen wieder näher zu werden, ihn dießmal hieher geführt habe.

Wollten Sie mir Ihren Taucher, Polykrates und Handschuh wohl nochmals abschreiben lassen, meine Abschriften habe ich an Meyer geschickt; vielleicht fänden sich aber doch unterwegs einige gute Christen- oder Heidenseelen, denen man so etwas vorlesen möchte. Ehe ich weggehe schreibe ich auf alle Fälle noch.

G.

H 348 | S 348 | B 348

348. Schiller an Meyer

Jena, den 21. Juli 1797

Herzlich heißen wir Sie willkommen auf deutschem Boden, lieber Freund. Die Sorge um Sie hat uns oft beunruhigt, und innig freuen wir uns Ihrer zurückkehrenden Gesundheit.

Schämen muß ich mich, daß die erste Zeile von mir Sie schon wieder auf dem Rückweg zu uns antrifft, aber wie viel ich Ihnen auch zu sagen gehabt hätte, so fand sich doch nichts, was ich über die Berge hätte schicken mögen. Was wir trieben und wie es um uns stand, das erfuhren Sie von unserm Freund, und der wird Ihnen auch gesagt haben, wie sehr Sie uns gegenwärtig waren. Von ihm habe ich mit herzlichem Antheil vernommen, was Sie betrifft, wie trefflich Sie Ihre Zeit benutzen und welche Schätze Sie für uns alle sammelten.

Auch wir waren indeß nicht unthätig wie Sie wissen, und am wenigsten unser Freund, der sich in diesen letzten Jahren wirklich selbst übertroffen hat. Sein episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestehen, daß es der Gipfel seiner und unserer ganzen neueren Kunst ist. Ich hab’ es entstehen sehen und mich fast eben so sehr über die Art der Entstehung als über das Werk verwundert. Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas Leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt. Doch Sie haben ihn jetzt selbst, und können sich von allem dem mit eigenen Augen überzeugen. Sie werden mir aber auch darin beipflichten, daß er auf dem Gipfel, wo er jetzt steht, mehr darauf denken muß, die schöne Form die er sich gegeben hat, zur Darstellung zu bringen als nachn euem Stoffe auszugehen, kurz daß er jetzt ganz der poetischen Praktik leben muß. Wenn es einmal einer unter Tausenden, die darnach streben, dahin gebracht hat, ein schönes vollendetes Ganzes aus sich zu machen, der kann meines Erachtens nichts besseres thun, als dafür jede mögliche Art des Ausdrucks zu suchen; denn wie weit er auch noch kommt, er kann doch nichts Höheres geben. – Ich gestehe daher, daß mir alles, was er bei einem längern Aufenthalt in Italien für gewisse Zwecke auch gewinnen möchte, für seinen höchsten und nächsten Zweck doch immer verloren scheine würde. Also bewegen Sie ihn auch schon deßwegen, lieber Freund, recht bald zurückzukommen, und das, was er zu Hause hat, nicht zu weit zu suchen.

Ich habe die angenehme Hoffnung, vielleicht Sie beide diesen Winter wieder in der Nähe zu wissen, und so das alte schöne Leben der Mittheilung wieder fortzusetzen. Meine Gesundheit hat sich zwar nicht viel gebessert, doch auch nicht verschlimmert, und das ist ein gutes Zeichen; der Muth und die Lust sind geblieben, und der Übergang von der Speculation zur Production hat mich erfrischt und verjüngt.

Auch Ihre Schülerin habe ich unterdessen kennen lernen und an ihrem Talent und angenehmen Wesen mich sehr erfreut. Sie denkt Ihrer mit lebhaftem Antheil und ich hoffe das poetische Talent, das sich seither so schön bei ihr entwickelt hat, soll dem andern nicht geschadet haben.

Leben Sie wohl, mein werther Freund; ich sehe den nähern Nachrichten, die mir G. von Ihnen geben wird, mit Verlangen entgegen. Meine Frau grüßt Sie herzlich; die Familie hat sich unterdessen vermehrt, wie Sie vielleicht wissen, und Carln werden Sie recht gut und brav geartet finden.

Sch.

H 347 | S – | B –