Jena, den 28. April 1797
Eben als ich mich den Abend hinsetzte um Ihre beiden lieben Briefe zu beantworten, stört mich der Besuch des Rudolstädter Fürsten, der wegen der Inoculation seiner Kinder hier ist, und wie ich von diesem befreit bin, erhalte ich eine Humboldtische Visite. Es ist Nachts um 10 Uhr und ich kann Ihnen bloß einen freundlichen Gruß schicken. Sonntag Abends ein Mehreres.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 307 | S 308 | B 308
Weimar, den 28. April 1797
Gestern, als ich der Fabel meines neuen Gedichtes nachdachte, um sie für Sie aufzusetzen, ergriff mich auf’s neue eine ganz besondere Liebe zu diesem Werke, welche nach allem was indeß zwischen uns verhandelt worden ist, ein gutes Vorurtheil für dasselbe gibt. Da ich nun weiß daß ich nie etwas fertig mache, wenn ich den Plan zur Arbeit nur irgend vertraut, oder jemanden offenbart habe, so will ich lieber mit dieser Mittheilung noch zurückhalten; wir wollen uns im allgemeinen über die Materie besprechen, und ich kann nach dem Resultate im Stillen meinen Gegenstand prüfen. Sollte ich dabei noch Muth und Lust behalten, so würde ich es ausarbeiten, und fertig gäbe es immer mehr Stoff zum Nachdenken, als in der Anlage; sollte ich daran verzweifeln so ist es immer noch Zeit auch nur mit der Idee hervorzutreten.
Haben Sie Schlegels Abhandlung über das epische Gedicht, im 11ten Stück Deutschlands vom vorigen Jahr gesehen? Lesen Sie es ja! Es ist sonderbar, wie er, als ein guter Kerl, auf dem rechten Wege ist und sich ihn doch gleich wieder selbst verrennt. Weil das epische Gedicht nicht die dramatische Einheit haben kann, weil man eine solche absolute Einheit in der Ilias und Odyssee nicht gerade nachweisen kann, vielmehr nach der neuern Idee sie noch für zerstückelter angibt als sie sind; so soll das epische Gedicht keine Einheit haben, noch fordern, das heißt, nach meiner Vorstellung: es soll aufhören ein Gedicht zu seyn. Und das sollen reine Begriffe seyn, denen doch selbst die Erfahrung, wenn man genau aufmerkt, widerspricht. Denn die Ilias und Odyssee, und wenn sie durch die Hände von tausend Dichtern und Redacteurs gegangen wären, zeigen die gewaltsame Tendenz der poetischen und kritischen Natur nach Einheit. Und am Ende ist diese neue Schlegel’sche Ausführung doch nur zu Gunsten der Wolfischen Meinung, die eines solchen Beistandes gar nicht einmal bedarf. Denn daraus, daß jene großen Gedichte erst nach und nach entstanden sind, und zu keiner vollständigen und vollkommenen Einheit haben gebracht werden können (obgleich beide vielleicht weit vollkommner organisirt sind als man denkt), folgt noch nicht: daß ein solches Gedicht auf keine Weise vollständig, vollkommen und Eins werden könne noch solle.
Ich habe indessen über unsere bisherigen Verhandlungen einen kleinen Aufsatz aus Ihren Briefen gemacht; arbeiten Sie doch die Sache weiter aus, sie ist uns beiden in theoretischer und praktischer Hinsicht jetzt die wichtigste.
Ich habe die Dichtkunst des Aristoteles wieder mit dem größten Vergnügen durchgelesen; es ist eine schöne Sache um den Verstand in seiner höchsten Erscheinung. Es ist sehr merkwürdig wie sich Aristoteles bloß an die Erfahrung hält, und dadurch, wenn man will, ein wenig zu materiell wird, dafür aber auch meistens desto solider auftritt. So war es mir auch sehr erquickend zu lesen, mit welcher Liberalität er die Dichter gegen Grübler und Krittler in Schutz nimmt, immer nur auf’s Wesentliche dringt und in allem andern so lax ist, daß ich mich an mehr als Einer Stelle verwundert habe. Dafür ist aber auch seine ganze Ansicht der Dichtkunst und der besonders von ihm begünstigten Theile so belebend, daß ich ihn nächstens wieder vornehmen werde, besonders wegen einiger bedeutenden Stellen, die nicht ganz klar sind und deren Sinn ich wohl erforschen möchte. Freilich über das epische Gedicht findet man gar keinen Aufschluß in dem Sinne wie wir ihn wünschen.
Hier schicke ich die zwei letzten Verse eines Gedichts, die empfindsame Gärtnerin. Es sollte ein Pendant zu den Musen und Grazien in der Mark geben; vielleicht wird es nicht so gut, eben weil es ein Pendant ist.
Ich erhole mich in diesen Stunden erst wieder von der Zerstreuung des vergangenen Monats, bringe verschiedene Geschäftssachen in Ordnung und bei Seite, damit mir der Mai frei werde. Wenn es mir möglich wird so besuche ich Sie. Leben Sie indessen recht wohl.
G.
H 306 | S 307 | B 307
Weimar, den 26. April 1797
Mit dem Frieden hat es seine Richtigkeit. Eben als die Franzosen wieder in Frankfurt einrückten und noch mit den Österreichern im Handgemenge waren, kam ein Courier, der die Friedensnachricht brachte; die Feindseligkeiten wurden sogleich eingestellt und die beiderseitigen Generale speisten mit dem Bürgermeister, im rothen Hause. Die Frankfurter haben doch also für ihr Geld und ihr Leiden einen Theatercoup erlebt, dergleichen wohl nicht viel in der Geschichte vorkommen, und wir hätten denn auch diese wichtige Epoche erlebt. Wir wollen sehen was dem Einzelnen und dem Ganzen durch diese Veränderung zuwächst.
Mit dem was Sie in Ihrem heutigen Briefe über Drama und Epos sagen bin ich sehr einverstanden; so wie ich immer gewohnt bin daß Sie mir meine Träume erzählen und auslegen. Ich kann nichts weiter hinzufügen, sondern ich muß Ihnen meine Plan schicken, oder selbst bringen. Es werden dabei sehr feine Punkte zur Sprache kommen, von denen ich jetzt im allgemeinen nichts erwähnen mag. Wird der Stoff nicht für rein episch erkannt, ob er gleich in mehr als Einem Sinne bedeutend und interessant ist, so muß sich darthun lassen in welcher andern Form er eigentlich behandelt werden müßte. Leben Sie recht wohl, genießen Sie Ihres Gartens und der Wiedergenesung Ihres Kleinen.
Mit Humboldt habe ich die Zeit sehr angenehm und nützlich zugebracht; meine naturhistorischen Arbeiten sind durch seine Gegenwart wieder aus ihrem Winterschlafe geweckt worden, wenn sie nur nicht bald wieder in einen Frühlingsschlaf verfallen!
G.
Ich kann mich doch nicht enthalten noch eine Frage über unsere dramatisch-epische Angelegenheit zu thun. Was sagen Sie zu folgenden Sätzen:
Im Trauerspiel kann und soll das Schicksal, oder welches einerlei ist, die entschiedene Natur des Menschen, die ihn blind da oder dorthin führt, walten und herrschen; sie muß ihn niemals zu seinem Zweck, sondern immer von seinem Zweck abführen, der Held darf seines Verstandes nicht mächtig seyn, der Verstand darf gar nicht in die Tragödie entriren als bei Nebenpersonen zur Desavantage des Haupthelden u. s. w.
Im Epos ist es gerade umgekehrt; bloß der Verstand, wie in der Odyssee, oder eine zweckmäßige Leidenschaft, wie in der Ilias, sind epische Agentien. Der Zug der Argonauten als ein Abenteuer ist nicht episch.
H 305 | S 306 | B 306
Jena, den 25. April 1797
Daß die Forderung des Retardirens aus einem höhern epischen Gesetze erfolgt, dem auch noch wohl auf einem andern Wege Genüge geschehen kann, scheint mir außer Zweifel zu seyn. Auch glaube ich es gibt zweierlei Arten zu retardiren, die eine liegt in der Art des Wegs, die andre in der Art des Gehens, und diese, däucht mir kann auch bei dem geradesten Weg und folglich auch bei einem Plan, wie der Ihrige ist, sehr gut statt finden.
Indessen möchte ich jenes höhere epische Gesetz doch nicht ganz so aussprechen, wie Sie gethan haben. In der Formel: daß eigentlich nur das Wie und nicht das Was in Betracht komme etc., dünkt es mir viel zu allgemein und auf alle pragmatische Dichtungsarten ohne Unterschied anwendbar zu seiy. Wenn ich meinen Gedanken darüber kurz heraussagen soll, so ist er dieser. Beide, der Epiker und Dramatiker, stellen uns eine Handlung dar, nur daß diese bei dem Letztern der Zweck, bei Ersterem bloßes Mittel zu einem absoluten ästhetischen Zwecke ist. Aus diesem Grundsatz kann ich mir vollständig erklären, warum der tragische Dichter rascher und directer fortschreiten muß, warum der epische bei einem zögernden Gange seine Rechnung besser findet. Es folgt auch, wie mir däucht, daraus, daß der epische sich solcher Stoffe wohl thut zu enthalten, die den Affect, sey es der Neugierde oder der Theilnahme, schon für sich selbst stark erregen, wobei also die Handlung zu sehr als Zweck interessirt, um sich in den Gränzen eines bloßen Mittels zu halten. Ich gestehe, daß ich dieses letztere bei Ihrem neuen Gedicht einigermaßen fürchte, obgleich ich Ihrer poetischen Übermacht über den Stoff das Mögliche zutrauen darf.
Die Art wie Sie Ihre Handlung entwickeln wollen, scheint mir mehr der Komödie als dem Epos eigen zu seyn. Wenigstens werden Sie viel zu thun haben, ihr das Überraschende, Verwunderung Erregende zu nehmen, weil dieses nicht so recht episch ist.
Ich erwarte Ihren Plan mit großer Begierde. Etwas bedenklich kommt es mir vor, daß es Humboldten damit auf dieselbe Art ergangen ist, wie mir, ungeachtet wir nicht vorher darüber communicirt haben. Er meint nämlich: daß es dem Plan an individueller epischer Handlung fehle. Wie Sie mir zuerst davon sprachen, so wartete auch ich immer auf die eigentliche Handlung; alles was Sie mir erzählten schien mir nur der Eingang und das Feld zu einer solchen Handlung zwischen einzelnen Hauptfiguren zu seyn, und wie ich nun glaubte, daß diese Handlung angehen sollte, waren Sie fertig. Freilich begreife ich wohl, daß die Gattung, zu welcher der Stoff gehört, das Individuum mehr verläßt und mehr in die Masse und ein Ganzes zu gehen zwingt, da doch einmal der Verstand der Held darin ist, der weit mehr unter sich als in sich faßt.
Übrigens mag es mit der epischen Qualität Ihres neuen Gedichtes bewandt seyn, wie es will, so wird es gegen Ihren Hermann gehalten immer eine andere Gattung seyn, und wäre also der Hermann ein reiner Ausdruck der epischen Gattung und nicht bloß einer epischen Species, so würde daraus folgen, daß das neue Gedicht um soviel weniger episch wäre. Aber das wollten Sie ja eben wissen, ob der Hermann nur eine epische Art oder die ganze Gattung darstelle, und wir stehen also wieder bei der Frage.
Ich würde Ihr neues Gedicht geradezu ein komisch-episches nennen, wenn nämlich von dem gemeinen eingeschränkten und empirischen Begriff der Komödie und des komischen Heldengedichts ganz abstrahirt wird. Ihr neues Gedicht, kommt mir vor, verhält sich ungefähr ebenso zu der Komödie, wie der Hermann zu dem Trauerspiel: mit dem Unterschied nämlich, daß dieser es mehr durch seinen Stoff thut, jenes mehr durch die Behandlung.
Aber ich will erst Ihren Plan erwarten, um mehr darüber zu sagen.
Was sagen Sie zu der Regensburger Friedensnachricht? Wissen Sie etwas Bestimmtes, so theilen Sie es uns ja mit. Leben Sie bestens wohl.
Sch.
Was Sie den besten dramatischen Stoff nennen (wo nämlich die Exposition schon ein Theil der Entwicklung ist) das ist z. B. in den Zwillingen des Shakespear geleistet. Ein ähnliches Beispiel von der Tragödie ist mir nicht bekannt, obgleich der Oedipus rex sich diesem Ideal ganz erstaunlich nähert. Aber ich kann mir solche dramatische Stoffe recht wohl denken, wo die Exposition gleich auch Fortschritt der Handlung ist. Gleich der Macbeth gehört darunter, ich kann auch die Räuber nennen.
Dem Epiker möchte ich eine Exposition gar nicht einmal zugeben; wenigstens nicht in dem Sinne, wie die des Dramatikers ist. Da er uns nicht so auf das Ende zutreibt, wie dieser, so rücken Anfang und Ende in ihrer Dignität und Bedeutung weit näher an einander, und nicht weil sie zu etwas führt, sondern weil sie selber etwas ist, muß die Exposition uns interessiren. Ich glaube, daß man dem dramatischen Dichter hierin weit mehr nachsehen muß; eben weil er seinen Zweck in die Folge und an das Ende setzt, so darf man ihm erlauben, den Anfang mehr als Mittel zu behandeln. Er steht unter der Kategorie der Causalität, der Epiker unter der Substantialität; dort kann und darf etwas als Ursache von was Anderem daseyn, hier muß alles sich selbst um seiner selbst willen geltend machen.
Ich danke Ihnen sehr für die Nachricht, die Sie mir von dem Duisburger Unternehmen gegeben haben; die ganze Erscheinung war mir so räthselhaft. Wenn es sonst thunlich wäre, so würde es mich sehr reizen, ein Zimmer mit solchen Figuren zu decoriren.
Morgen endlich hoffe ich meinen Garten zu beziehen. Der Kleine hat sich wieder ganz erholt, und die Krankheit, scheint es, hat seine Gesundheit noch mehr befestigt.
Humboldt ist heute fort; ich sehe ihn mehrere Jahre nicht wieder, und überhaupt läßt sich nicht erwarten, daß wir einander noch einmal so wieder sehen, wie wir uns jetzt verlassen. Das ist also wieder ein Verhältniß das als beschlossen zu betrachten ist und nicht mehr wieder kommen kann; denn zwei Jahre, so ungleich verlebt, werden gar viel an uns und also auch zwischen uns verändern.
Sch.
[Bei H zwei Briefe, der Nachsatz wird als 303 auf den 24. April, der Anfang als 304 auf den 25. April datiert.]
H 304/303 | S 305 | B 305
Weimar, den 22. April 1797
[Ich danke Ihnen für Ihre fortgesetzten Betrachtungen über das epische Gedicht, ich hoffe, Sie werden bald nach Ihrer Art, in einer schönen Folge, die Natur und Wesen desselben entwickeln, hier indessen einige meiner Vermuthungen.
Ich suchte das Gesetz der Retardation unter ein höheres unterzuordnen, und da scheint es unter dem zu stehen, welches gebietet: daß man von einem guten Gedicht den Ausgang wissen könne, ja wissen müsse, und daß eigentlich das Wie bloß das Interesse machen dürfe. Dadurch erhält die Neugierde gar keinen Antheil an einem solchen Werke und sein Zweck kann, wie Sie sagen, in jedem Punkte seiner Bewegung liegen.
Die Odyssee ist in ihren kleinsten Teilen beinah retardirend, dafür wird aber auch vielleicht funfzigmal versichert und beteuert, daß die Sache einen glücklichen Ausgang haben werde. So viele den Ausgang antizipirende Vorbedeutung und Weissagungen stellen, wie mich dünkt, das Gleichgewicht gegen die ewige Retardation wieder her. In meinem Hermann bringt die Eigenschaft des Plans den besondern Reiz hervor, daß alles ausgemacht und fertig scheint und durch die retrograde Bewegung gleichsam wieder ein neues Gedicht angeht.
So hat auch das epische Gedicht den großen Vorteil daß seine Exposition, sie mag noch so lang sein, den Dichter gar nicht geniert, ja daß er sie in die Mitte des Werks bringen kann, wie in der Odyssee sehr künstlich geschehen ist. Denn auch diese retrograde Bewegung ist wohltätig; aber eben deßhalb, dünkt mich, macht die Exposition dem Dramatiker viel zu schaffen, weil man von ihm ein ewiges Fortschreiten fordert, und ich würde das den besten dramatischen Stoff nennen, wo die Exposition schon ein Teil der Entwicklung ist.
Daß ich aber nunmehr dahin zurückkehre, wo ich angefangen habe, so wollte ich Ihnen folgendes zur Prüfung unterwerfen:
Mein neuer Plan hat keinen einzigen retardirenden Moment, es schreitet alles von Anfang bis zu Ende in einer graden Reihe fort; allein er hat die Eigenschaft, daß große Anstalten gemacht werden, daß man viele Kräfte mit Verstand und Klugheit in Bewegung setzt, daß aber die Entwicklung auf eine Weise geschieht, die den Anstalten ganz entgegen ist, und auf einem ganz unerwarteten jedoch natürlichen Wege. Nun fragt sich ob sich ein solcher Plan auch für einen epischen ausgeben könne, da er unter dem allgemeinen Gesetz begriffen ist: daß das eigentliche Wie und nicht das Was das Interesse macht, oder ob man ein solches Gedicht nicht zu einer subordinierten Klasse historischer Gedichte rechnen müsse. Sehen Sie nun, mein Werter, wie sich etwa diese zerstreute und flüchtige Gedanken besser ausarbeiten und verknüpfen. Ich habe jetzt keine interessantere Betrachtung als über die Eigenschaften der Stoffe, inwiefern sie diese oder jene Behandlung fordern. Ich habe mich darinnen so oft in meinem Leben vergriffen, daß ich endlich einmal ins klare kommen möge, um wenigstens künftig von diesem Irrtum nicht mehr zu leiden. Zu mehrerer Deutlichkeit schicke ich nächstens meinen neuen Plan.]*
Noch über einige Punkte Ihrer vorigen Briefe.
Woltmanns Menschengeschichte ist freilich ein seltsames Werk. Der Vorbericht liegt ganz außer meinem Gesichtskreise; das ägyptische Wesen kann ich nicht beurtheilen, aber wie er bei Behandlung der israelitischen Geschichte das alte Testament so wie es liegt, ohne die mindeste Kritik, als eine reine Quelle der Begebenheiten annehmen konnte, ist mir unbegreiflich. Die ganze Arbeit ist auf Sand gebaut, und ein wahres Wunderwerk, wenn man bedenkt daß Eichhorns Einleitung schon zehn Jahre alt ist und die Herderischen Arbeiten schon viel länger wirken. Von den unbilligen Widersachern dieser alten Schriften will ich gar nicht einmal reden.
Die Duisburger Fabrik, von der ich auch ein Musterbild erhalten habe, ist ein curioses Unternehmen, das durch unsere Freunde im Modejournal verdient gelobt zu werden. Es ist ein Kunstgriff diese Arbeiten für mechanisch auszugeben, den die Engländer auch schon einmal mit ihrer polygraphischen Gesellschaft versucht haben. Es ist eigentlich nichts Mechanisches daran, als daß alles was dazu gehört mit der größten Reinlichkeit und in Menge durch einige mechanische Hülfsmittel gemacht wird, und so gehört freilich eine große Anstalt dazu; aber die Figuren sind nichts desto weniger gemalt. Anstatt daß sonst Ein Mensch alles thut, so concurriren hier viele. Das Wachstuch des Grundes wird erst mit großer Sorgfalt bereitet und alsdann die Figur, wahrscheinlich von Blech ausgeschnitten, draufgelegt; nun streicht man den Raum umher sorgfältig mit einer andern Farbe über, und nun werden subalterne Künstler angestellt um die Figur auszumalen, das denn auch in großen Partien geschieht, bis zuletzt der Geschickteste die Contoure rectificirt und das Ganze vollendet. Sie haben artige Kunstgriffe um den Pinsel zu verbergen, und machen allerlei Spässe, damit man glauben solle das Werk könne gedruckt seyn. Lange, ein Inspector von der Düsseldorfer Galerie, ein guter und geschickter Mann, ist dabei interessirt und sie mögen immer auch in ihrer Art dem Publico das Geld abnehmen. Nur weiß ich nicht recht wie die Sachen gebraucht werden sollen; sie sind nicht gut genug um in Rahmen aufgehängt zu werden, und dergleichen schon fertige Bilder in die Wände einzupassen hat große Schwierigkeiten. Zu Thürstücken möchte es noch am ersten gehen. Zu loben ist daran die wahrhaft englische Accuratesse. Man muß das Weitere abwarten.
Ich wünsche daß Sie bald in Ihren Garten ziehen und von allen Seiten beruhigt seyn mögen.
Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau auf’s beste, so wie auch Humboldt, dem ich eine baldige Wiederherstellung wünsche.
G.
* Der Teil in eckigen Klammern fehlt bei H, hier nach S.
H 302 | S 304 | B 304
Jena, den 21. April 1797
Ich wollte Ihnen über Ihren letzten Brief, der mir sehr vieles zu denken gegeben, manches schreiben, aber ein Geschäft, das mir diesen Abend unvermuthet wegnimmt, hindert mich daran. Also nur ein paar Worte für heute.
Es wird mir aus allem was Sie sagen, immer klarer, daß die Selbstständigkeit seiner Theile einen Hauptcharakter des epischen Gedichtes ausmacht. Die bloße, aus dem Innersten herausgeholte Wahrheit ist der Zweck des epischen Dichters: er schildert uns bloß das ruhige Daseyn und Wirken der Dinge nach ihren Naturen; sein Zweck liegt schon in jedem Punkt seiner Bewegung; darum eilen wir nicht ungeduldig zu einem Ziele, sondern verweilen mit Liebe bei jedem Schritte. Er erhält uns die höchste Freiheit des Gemüths, und da er uns in einen so großen Vortheil setzt, so macht er dadurch sich selbst das Geschäft desto schwerer: denn wir machen nun alle Anforderungen an ihn, die in der Integrität und in der allseitigen vereinigten Thätigkeit unserer Kräfte gegründet sind. Ganz im Gegentheil raubt uns der tragische Dichter unsre Gemüthsfreiheit, und indem er unsere Thätigkeit nach einer einzigen Seite richtet und concentrirt, so vereinfacht er sich sein Geschäft um vieles, und setzt sich in Vortheil, indem er uns in Nachtheil setzt.
Ihre Idee von dem retardirenden Gange des epischen Gedichts leuchtet mir ganz ein. Doch begreife ich noch nicht ganz, nach dem was ich von Ihrer neuen Epopöe weiß, daß jene Eigenschaft bei dieser fehlen soll.
Ihre weitern Resultate, besonders für das Drama erwarte ich mit großer Begierde. Unterdessen werde ich dem Gesagten reiflicher nachdenken.
Leben Sie recht wohl. Mein kleiner Patient hält sich noch immer recht brav, trotz des schlimmen Wetters. Meine Frau grüßt herzlich.
Sch.
H 301 | S 303 | B 303
Weimar, den 19. April 1797
Ich erfreue mich besonders daß Sie von der Sorge wegen des Kindes befreit sind, und hoffe daß seine Genesung so fortschreiten wird. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau auf’s beste.
Herrn B. habe ich nicht gesehen und bin nicht übel zufrieden, daß diese Herren mich vermeiden.
Ich studire jetzt in großer Eile das alte Testament und Homer, lese zugleich Eichhorns Einleitung in’s erste und Wolf’s Prolegomena zu dem letzten. Es gehen mir dabei die wunderbarsten Lichter auf, worüber wir künftig gar manches werden zu sprechen haben.
Schreiben Sie ja sobald als möglich Ihr Schema zum Wallenstein und theilen mir’s mit. Bei meinen jetzigen Studien wird mir eine solche Überlegung sehr interessant, und auch für Sie zum Nutzen seyn.
Einen Gedanken über das epische Gedicht will ich doch gleich mittheilen. Da es in der größten Ruhe und Behaglichkeit angehört werden soll, so macht der Verstand vielleicht mehr als an andere Dichtarten seine Forderungen, und mich wunderte dießmal bei Durchlesung der Odyssee gerade diese Verstandesforderungen so vollständig befriedigt zu sehen. Betrachtet man nun genau was von den Bemühungen der alten Grammatiker und Kritiker, so wie von ihrem Talent und Charakter erzählt wird, so sieht man deutlich daß es Verstandesmenschen waren, die nicht eher ruhten bis jene große Darstellungen mit ihrer Vorstellungsart überein kamen. Und so sind wir, wie denn auch Wolf sich zu zeigen bemüht, unsern gegenwärtigen Homer den Alexandrinern schuldig, das denn freilich diesen Gedichten ein ganz anderes Ansehen giebt.
Noch eine specielle Bemerkung. Einige Verse im Homer die für völlig falsch und ganz neu ausgegeben werden, sind von der Art wie ich einige selbst in mein Gedicht, nachdem es fertig war, eingeschoben habe, um das Ganze klarer und faßlicher zu machen und künftige Ereignisse bei Zeiten vorzubereiten. Ich bin sehr neugierig was ich an meinem Gedicht, wenn ich mit meinen jetzigen Studien durch bin, zu mehren oder zu mindern werde geneigt seyn: indessen mag die erste Recension in die Welt gehen.
Eine Haupteigenschaft des epischen Gedichts ist daß es immer vor und zurück geht, daher sind alle retardirende Motive episch. Es dürfen aber keine eigentliche Hindernisse seyn, welche eigentlich ins Drama gehören.
Sollte dieses Erforderniß des Retardirens, welches durch die beiden Homerischen Gedichte überschwenglich erfüllt wird, und welches auch in dem Plan des meinigen lag, wirklich wesentlich und nicht zu erlassen seyn, so würden alle Plane, die gerade hin nach dem Ende zu schreiten, völlig zu verwerfen, oder als eine subordinirte historische Gattung anzusehen seyn. Der Plan meines zweiten Gedichtes hat diesen Fehler, wenn es einer ist, und ich werde mich hüten, bis wir hierüber ganz im Klaren sind, auch nur einen Vers davon niederzuschreiben. Mir scheint die Idee außerordentlich fruchtbar. Wenn sie richtig ist, muß sie uns viel weiter bringen und ich will ihr gern alles aufopfern.
Mit dem Drama scheint mir’s umgekehrt zu seyn; doch hievon nächstens mehr. Leben Sie recht wohl.
G.
H 300 | S 302 | B 302
Jena, den 18. April 1797
Ich echappire so eben aus der bleiernen Gegenwart des Herrn B., der mir einige Stunden lang schwer aufgelegen hat. Ich erwartete zum wenigsten einen kurzweiligen Gecken in ihm zu finden, statt dessen aber war’s der seichteste lamentabelste Tropf, der mir lange vorgekommen ist. Er war auch in Weimar, sagte mir aber, daß er Sie nicht gesehen, welches mir sehr begreiflich war. Es ist schrecklich, diese Herren in der Nähe zu sehen, die bei dem Publicum doch auch was gelten, und ihre frühzeitige Impotenz und Nullität unter einer Kennermiene zu verstecken suchen.
Da ist unser Woltmann, dem nichts recht ist, was andre schreiben, dem’s kein Mensch zu Danke machen kann. Jetzt habe ich seine Menschengeschichte, die eben heraus ist, durchblättert. Nein, das ist ein Greuel von einem Geschichtbuch, eine solche Impotenz und Niaiserie zugleich und Tollheit können Sie sich nicht denken. Das Buch macht Fronte gegen Philosophie und Geschichte zugleich, und es ist schwer zu sagen, welcher von beiden es am meisten widerspricht. Ich gäbe aber wirklich etwas drum, wenn dieses Buch nicht geschrieben wäre, denn wenn es einem unrechten in die Hände fällt, so haben wir alle den Spott davon.
In meinen Arbeiten bin ich noch immer nicht viel vorwärts gekommen, die Unruhe bei mir, da wir einander auch nicht ausweichen können, zerstreute mich zu sehr. Indessen geht die Suppuration bei dem Kleinen gut von statten und ohne alle Zufälle, obgleich er sehr viele Blattern hat. Den Garten hoffe ich in vier Tagen beziehen zu können, und dann wird mein erstes Geschäft seyn, ehe ich weiter fortfahre, die poetische Fabel meines Wallensteins mit völliger Ausführlichkeit niederzuschreiben. Nur auf diese Art kann ich mich versichern, daß sie ein stetiges Ganzes ist, daß alles durchgängig bestimmt ist. So lang ich sie blos im Kopfe herumtrage, muß ich fürchten daß Lücken übrig bleiben; die ordentliche Erzählung zwingt zur Rechenschaft. Diese detaillirte Erzählung lege ich Ihnen alsdann vor, so können wir darüber communiciren.
Zur Absendung der vier ersten Musen wünsche ich Glück. Es ist in der That merkwürdig, wie rasch die Natur dieses Werk geboren, und wie sorgfältig und bedächtlich die Kunst es ausgebildet hat.
Leben Sie recht wohl in diesen heitern Tagen. Wie freue ich mich ins künftige jeden schönen Sonnenblick auch gleich im Freien genießen zu können. Vor einigen Tagen wagte ich mich zu Fuß und durch einen ziemlich großen Umweg in meinen Garten.
Meine Frau grüßt Sie auf’s beste.
Sch.
H 299 | S 301 | B 301
Weimar, den 15. April 1797
Schon durch Humboldt habe ich vernommen, daß Ihr Ernst wieder außer Gefahr sey, und mich im stillen darüber gefreut; nun wünsche ich Ihnen herzlich zu dessen Genesung Glück.
Das Oratorium ist gestern recht gut aufgeführt worden und ich habe manche Betrachtung über historische Kunst machen können. Es ist recht schade daß wir dergleichen Erfahrungen nicht gemeinschaftlich erleben, denn wir würden uns doch viel geschwinder in dem Einen was Noth ist bestärken.
Montags gehen die vier ersten Musen ab, indeß ich mich mit den fünf letzteren fleißig beschäftige und nun besonders die prosodischen Bemerkungen Freund Humboldt’s benutze.
Zugleich habe ich noch immer die Kinder Israel in der Wüste begleitet, und kann bei Ihren Grundsätzen hoffen, daß dereinst mein Versuch über Moses Gnade vor Ihren Augen finden soll. Meine kritisch-historisch-poetische Arbeit geht davon aus, daß die vorhandenen Bücher sich selbst widersprechen und sich selbst verrathen, und der ganze Spaß den ich mir mache läuft dahin hinaus, das menschlich Wahrscheinliche von dem Absichtlichen und bloß Imaginirten zu sondern und doch für meine Meinung überall Belege aufzufinden. Alle Hypothesen dieser Art bestechen bloß durch das Natürliche des Gedankens und durch die Mannigfaltigkeit der Phänomene auf die er sich gründet. Es ist mir recht wohl, wieder einmal etwas auf kurze Zeit zu haben, bei dem ich mit Interesse, im eigentlichen Sinne spielen kann. Die Poesie, wie wir sie seit einiger Zeit treiben, ist eine gar zu ernsthafte Beschäftigung. Leben Sei recht wohl und erfreuen sich der schönen Jahreszeit.
G.
H 298 | S 300 | B 300
Jena, den 14. April 1797
Ernstchen befindet sich wieder besser und scheint die Gefahr überstanden zu haben. Die Blattern sind heraus, die Krämpfe haben sich auch verloren. Die schlimmsten Zufälle hat der Zahntrieb gemacht, denn ein Zahn kam gleich mit dem ersten Fieber heraus und ein zweiter ist eben im Ausbrechen. Sie werden mir wohl glauben, daß ich in diesen Tagen, anfangs bei der Gefahr und jetzt, da es besser geht, bei dem Schreien des lieben Kindes nicht viel habe thun können. In den Garten kann ich auch nicht eher, als bis es mit dem Kinde wieder in Ordnung ist.
Ihre Entdeckungen in den fünf Büchern Mosis belustigen mich sehr. Schreiben Sie ja Ihre Gedanken auf, Sie möchten des Weges so bald nicht wieder kommen. So viel ich mich erinnere haben Sie schon vor etlichen und zwanzig Jahren mit dem neuen Testament Krieg gehabt. Ich muß gestehn daß ich in allem was historisch ist, den Unglauben zu jenen Urkunden gleich so entschieden mitbringe, daß mir Ihre Zweifel an einem einzelnen Factum noch sehr raisonnabel vorkommen. Mir ist die Bibel nur wahr wo sie naiv ist; in allem andern, was mit einem eigentlichen Bewußtsein geschrieben ist, fürchte ich einen Zweck und einen späteren Ursprung.
Haben Sie schon von einer mechanischen Nachbildung von Malereien etwas gesehen? Mir ist ein solches Werk kürzlich aus Duisburg zugeschickt worden, eine Clio, nicht gar halb Lebensgröße, steingrau mit Ölfarbe auf hellbraunem Grunde. Das Stück macht einen überaus gefälligen Effect, und zu Zimmerdecorationen würde eine solche Sammlung sehr taugen. Wenn das Stück mir geschenkt seyn sollte, was nicht ausdrücklich in dem Briefe steht, so wäre ich ganz wohl damit zufrieden. Ich kann mir aber von der Verfertigung keinen rechten Begriff machen.
Den Cellini erhielt ich vorgestern nicht frühe genug, um ihn vor dem Absenden noch ganz durchlesen zu können, nur bis zur Hälfte bin ich gekommen; habe mich aber wieder recht daran ergötzt, besonders über die Wallfahrt, die er in seiner Freude über das gelungene und besungene Werk anstellt.
Humboldt sagt mir von einem Chor aus Ihrem Prometheus, den er mitgebracht habe, hat mir ihn aber noch nicht geschickt. Er hat wieder einen Anfall von seinem kalten Fieber, das er vor zwei Jahren gehabt; auch das zweite Kind hat das kalte Fieber, so daß jetzt von der Humboldtischen Familie alles, bis auf das Mädchen, krank ist. Und doch spricht man noch immer von nahen großen Reisen.
Leben Sie recht wohl und machen Sie sich bald von Ihren zerstreuenden Geschäften frei.
Sch.
H 297 | S 299 | B 299
Weimar, den 12. April 1797
Möge doch der kleine Ernst bald die gefährliche Krise überstehen und Sie wieder beruhigen!
Hier folgt Cellini, der nun bald mit einer kleinen Sendung völlig seinen Abschied nehmen wird. Ich bin, indem ich den patriarchalischen Überresten nachspürte, in das alte Testament gerathen und habe mich auf’s neue nicht genug über die Confusion und die Widersprüche der fünf Bücher Mosis verwundern können, die denn freilich, wie bekannt, aus hunderterlei schriftlichen und mündlichen Traditionen zusammen gestellt seyn mögen. Über den Zug der Kinder Israel durch die Wüste habe ich einige artige Bemerkungen gemacht, und es ist der verwegne Gedanke in mir aufgestanden: ob nicht die große Zeit welche sie darin zugebracht haben sollen, erst eine spätere Erfindung sey? Ich will gelegentlich, in einem kleinen Aufsatze, mittheilen was mich auf diesen Gedanken gebracht hat.
Leben Sie recht wohl und grüßen Humboldt’s mit Überreichung beiliegender Berlinischen Monatschrift, und geben mir bald von sich und den Ihrigen gute Nachricht.
G.
H 296 | S 298 | B 298
Jena, den 12. [11.?] April 1797
Ich sage Ihnen nur zwei Worte zum Gruß. Unser kleiner Ernst hat das Blatternfieber sehr stark, und uns heute mit öftern epileptischen Krämpfen sehr erschreckt; wir erwarten eine sehr unruhige Nacht und ich bin nicht ohne Furcht.
Vielleicht kann ich morgen mit erleichtertem Herzen mehr schreiben. Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt Sie auf’s beste. Den Cellini bitte ich ja zu schicken.
Sch.
H 295 | S 297 | B 297
Weimar, den 8. April 1797
Herr von Humboldt, der erst morgen früh abgeht, läßt Sie schönstens grüßen und ersucht Sie beiliegenden Brief sogleich bestellen zu lassen.
Wir haben über die letzten Gesänge ein genaues prosodisches Gericht gehalten und sie so viel als möglich war gereinigt. Die ersten sind nun bald in’s Reine geschrieben und nehmen sich, mit ihren doppelten Inschriften, gar artig aus. Ich hoffe sie die nächste Woche abzusenden.
Auch sollen Sie vor Mittwoch noch ein Stück Cellini zu zwölf geschriebenen Bogen erhalten. Es bleiben alsdann etwa noch sechs für den Schluß.
Übrigens geht es etwas bunt zu und ich werde in den nächsten vierzehn Tagen zu wenigem kommen.
Die astrologischen Verbindungen, die Sie mir mittheilen, sind wunderlich genug; ich verlange zu sehen was Sie für einen Gebrauch von diesem Material machen werden.
Ich wünsche die Materie, die uns beide so sehr interessirt, bald weiter mit Ihnen durchzusprechen. Diejenigen Vortheile, deren ich mich in meinem letzten Gedicht bediente, habe ich alle von der bildenden Kunst gelernt. Denn bei einem gleichzeitigen, sinnlich vor Augen stehenden Werke ist das Überflüssige weit auffallender, als bei einem das in der Succession vor den Augen des Geistes vorbeigeht. Auf dem Theater würde man große Vortheile davon spüren. So fiel mir neulich auf, daß man auf unserm Theater, wenn man an Gruppen denkt, immer nur sentimentale oder pathetische hervorbringt, da doch noch hundert andere denkbar sind. So erschienen mir diese Tage einige Scenen im Aristophanes völlig wie antike Basreliefe, und sind gewiß auch in diesem Sinne vorgestellt worden. Es kommt im Ganzen und im Einzelnen alles darauf an: daß alles von einander abgesondert, daß kein Moment dem andern gleich sey; so wie bei den Charakteren daß sie zwar bedeutend von einander abstehen, aber doch immer unter Ein Geschlecht gehören.
Leben Sie recht wohl und arbeiten Sie fleißig; sobald ich ein wenig Luft habe, denke ich an den Almanach.
G.
H 294 | S 296 | B 296
Jena, den 7. April 1797
Unter einigen cabbalistischen und astrologischen Werken, die ich mir aus der hiesigen Bibliothek habe geben lassen, habe ich auch einen Dialogen über die Liebe, aus dem Hebräischen in’s Lateinische übersetzt, gefunden, der mich nicht nur sehr belustigt, sondern auch in meinen astrologischen Kenntnissen viel weiter gefördert hat. Die Vermischung der chemischen, mythologischen und astronomischen Dinge ist hier recht in’s Große getrieben und liegt wirklich zum poetischen Gebrauche da. Einige verwundersam sinnreiche Vergleichungen der Planeten mit menschlichen Gliedmaßen lasse ich Ihnen herausschreiben. Man aht von dieser barocken Vorstellungsart keinen Begriff, bis man die Leute selbst hört. Indessen bin ich nicht ohne Hoffnung diesem astrologischen Stoff eine poetische Dignität zu geben.
Über die letzthin berührte Materie von Behandlung der Charaktere freue ich mich, wenn wir wieder zusammen kommen, meine Begriffe mit Ihrer Hülfe noch recht in’s Klare zu bringen. Die Sache ruht auf dem innersten Grunde der Kunst, und sicherlich können die Wahrnehmungen, welche man von den bildenden Künsten hernimmt, auch in der Poesie viel aufklären. Auch bei Shakespear ist es mir heute, wie ich den Julius Cäsar mit Schlegeln durchging, recht merkwürdig gewesen, wie er das gemeine Volk mit einer so ungemeinen Großheit behandelt. Hier, bei der Darstellung des Volkscharakters, zwang ihn schon der Stoff, mehr ein poetisches Abstractum als Individuen im Auge zu haben, und darum finde ich ihn hier den Griechen äußerst nah. Wenn man einen zu ängstlichen Begriff von Nachahmung des Wirklichen zu einer solchen Scene mitbringt, so muß einen die Masse und Menge mit ihrer Bedeutungslosigkeit nicht wenig embarrassiren; aber mit einem kühnen Griff nimmt Shakespear ein paar Figuren, ich möchte sagen, nur ein paar Stimmen aus der Masse heraus, läßt sie für das ganze Volk gelten, und sie gelten das wirklich; so glücklich hat er gewählt.
Es geschähe den Poeten und Künstlern schon dadurch ein großer Dienst, wenn man nur erst in’s Klare gebracht hätte, was die Kunst von der Wirklichkeit wegnehmen oder fallen lassen muß. Das Terrain würde lichter und reiner, das Kleine und Unbedeutende verschwände und für das Große würde Platz. Schon in der Behandlung der Geschichte ist dieser Punkt von der größten Wichtigkeit, und ich weiß, wie viel der unbestimmte Begriff darüber mir schon zu schaffen gemacht hat.
Vom Cellini sehen ich mich bald was zu bekommen, wo möglich für das Aprilstück noch, wozu ich es freilich zwischen heut und Mittwoch Abend in Händen haben müßte.
Leben Sie recht wohl. Die Frau grüßt auf’s beste. Ich habe heute einen großen Posttag, sonst würde mehreres schreiben.
Sch.
H 293 | S 295 | B 295
Weimar, den 5. April 1797
Mir ergeht es gerade umgekehrt. Auf die Sammlung unserer Zustände in Jena bin ich in die lebhafte Zerstreuung vielerlei kleiner Geschäfte gerathen, die mich eine Zeit lang hin und her ziehen werden; indessen werde ich allerlei thun, wozu ich nicht die reinste Stimmung brauche.
Sie haben ganz recht daß in den Gestalten der alten Dichtkunst, wie in der Bildhauerkunst, ein Abstractum erscheint, das seine Höhe nur durch das was man Styl nennt, erreichen kann. Es giebt auch Abstracta durch Manier wie bei den Franzosen. Auf dem Glück der Fabel beruht freilich alles, man ist wegen des Hauptaufwandes sicher, die meisten Leser und Zuschauer nehmen denn doch nichts weiter mit davon, und dem Dichter bleibt doch das ganze Verdienst einer lebendigen Ausführung, die desto stetiger seyn kann je besser die Fabel ist. Wir wollen auch deßhalb künftig sorgfältiger als bisher das was zu unternehmen ist, prüfen.
Hier kommt Vieilleville erster Theil, die übrigen kann ich nach und nach schicken.
Grüßen Sie Ihre liebe Frau; ich habe sie leider bei ihrem hiesigen Aufenthalte nicht gesehen.
Zu dem Diplom gratulire ich; dergleichen Erscheinungen sind, als barometrische Anzeigen der öffentlichen Meinung, nicht zu verachten.
Leben Sie recht wohl und schreiben Sie mir öfter, ob ich gleich in der ersten Zeit ein schlechter Correspondent sein werde.
G.
H 292 | S 294 | B 294
Jena, den 4. April 1797
Aus der bisherigen Abwechslung und Geselligkeit bin ich auf einmal in die größte Einsamkeit versetzt und auf mich selbst zurückgeführt. Außer Ihnen und Humboldt hat mich auch alle weibliche Gesellschaft verlassen, und ich wende diese Stille dazu an, über meine tragisch-dramatischen Pflichten nachzudenken. Nebenher entwerfe ich ein detaillirtes Scenarium des ganzen Wallensteins, um mir die Übersicht der Momente und des Zusammenhangs auch durch die Augen mechanisch zu erleichtern.
Ich finde, je mehr ich über mein eigenes Geschäft und über die Behandlungsart der Tragödie bei den Griechen nachdenke, daß der ganze Cardo rei in der Kunst liegt, eine poetische Fabel zu erfinden. Der Neuere schlägt sich mühselig und ängstlich mit Zufälligkeiten und Nebendingen herum, und über dem Bestreben, der Wirklichkeit recht nahe zu kommen, beladet er sich mit dem Leeren und Unbedeutenden, und darüber läuft er Gefahr, die tiefliegende Wahrheit zu verlieren, worin eigentlich alles Poetische liegt. Er möchte gern einen wirklichen Fall vollkommen nachahmen, und bedenkt nicht, daß eine poetische Darstellung mit der Wirklichkeit eben darum, weil sie absolut wahr ist, niemals coincidiren kann.
Ich habe diese Tage den Philoktet und die Trachinierinnen gelesen, und die letztern mit besonders großem Wohlgefallen. Wie trefflich ist der ganze Zustand, das Empfinden, die Existenz der Dejanira gefaßt! Wie ganz ist sie die Hausfrau des Hercules, wie individuell, wie nur für diesen einzigen Fall passend ist dieß Gemälde, und doch wie tief menschlich, wie ewig wahr und allgemein! Auch im Philoktet ist alles aus der Lage geschöpft, was sich nur daraus schöpfen ließ, und bei dieser Eigenthümlichkeit des Falles ruht doch alles wieder auf dem ewigen Grund der menschlichen Natur.
Es ist mir aufgefallen, daß die Charaktere des griechischen Trauerspiels mehr oder weniger idealische Masken und keine eigentliche Individuen sind, wie ich sie in Shakespear und auch in Ihren Stücken finde. So ist z. B. Ulysses im Ajax und im Philoktet offenbar nur das Ideal der listigen, über ihre Mittel nie verlegenen, engherzigen Klugheit; so ist Kreon im Oedip und in der Antigone bloß die kalte Königswürde. Man kommt mit solchen Charakteren in der Tragödie offenbar viel besser aus, sie exponiren sich geschwinder, und ihre Züge sind permanenter und fester. Die Wahrheit leidet dadurch nichts, weil sie bloßen logischen Wesen eben so entgegengesetzt sind als bloßen Individuen.
Ich sende Ihnen hier, pour la bonne bouche, ein allerliebstes Fragment aus dem Aristophanes, welches mir Humboldt dagelassen hat. Es ist köstlich, ich wünschte den Rest auch zu haben.
Dieser Tage bin ich mit einem großen prächtigen Pergamentbogen aus Stockholm überrascht worden. Ich glaubte, wie ich das Diplom mit dem großen wächsernen Siegel aufschlug, es müßte wenigstens eine Pension herausspringen, am Ende war’s aber bloß ein Diplom der Akademie der Wissenschaften. Indessen freut es immer, wenn man seine Wurzeln weiter ausdehnt und seine Existenz in andere eingreifen sieht.
Ich hoffe blad ein neues Stück Cellini von Ihnen zu erhalten.
Leben Sie recht wohl, mein theurer, mir immer theurerer Freund, mich umgeben noch immer die schönsten Geister, die Sie mir hier gelassen haben, und ich hoffe immer vertrauter damit zu werden. Leben Sie recht wohl.
Sch.
H 291 | S 293 | B 293
[Jena, den 4. März 1797]
Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Abend zu einem schönen und, wie ich nicht zweifle, fruchtbaren Tag. Der heitre Himmel an diesem Morgen hat Sie wahrscheinlich auch belebt und erfreut, aber Sie haben recht wohl gethan, noch nicht auszugehen.
Es konnte gar nicht fehlen, daß Ihr Gedicht idyllisch endigte, sobald man dieses Wort in seinem höchsten Gehalte nimmt. Die ganze Handlung war so unmittelbar an die einfache ländliche Natur angebaut, und die enge Beschränkung konnte, wie ich mir’s denke, nur durch die Idylle ganz poetisch werden. Das was man die Peripetie darin nennen muß, wird schon von weitem so zubereitet, daß es die ruhige Einheit des Tons am Ende durch keine starke Passion mehr stören kann.
Vielleicht sehen wir Sie morgen? Es ist mir, ob wir gleich nicht zusammen gekommen, doch eine freundliche Idee, Sie uns so nah und jetzt in so guten Händen zu wissen. Schlafen Sie recht wohl.
Sch.
H 290 | S 292 | B 292
Jena, den 4. März 1797
Die Arbeit rückt zu und fängt schon an Masse zu machen, worüber ich denn sehr erfreut bin und Ihnen als einem treuen Freunde und Nachbar die Freude sogleich mittheile. Es kommt nur noch auf zwei Tage an, so ist der Schatz gehoben, und ist er nur erst einmal über der Erde, so findet sich alsdann das Poliren von selbst. Merkwürdig ist’s wie das Gedicht gegen sein Ende sich ganz zu seinem Idyllischen Ursprung hinneigt.
Wie geht es Ihnen?
G.
H 289 | S 291 | B 291
Jena, den 3. März 1797
Ich kann glücklicherweise vermelden daß das Gedicht im Gange ist und, wenn der Faden nicht abreißt, wahrscheinlich glücklich vollbracht werden wird. So verschmähen also die Musen den asthenischen Zustand nicht, in welchen ich mich durch das Übel versetzt fühle, vielleicht ist er gar ihren Einflüssen günstig; wir wollen nun einige Tage so abwarten.
Daß wir an Voigt wegen der Gartensache schrieben, war sehr gut. Bei der Pupillen-Deputation ist bis Dato noch nichts eingegangen, die Sache muß also bei dem akademischen Syndikat betrieben werden. Ich dächte Sie schrieben Faselius was Sie hier von mir erfahren, und ersuchten ihn bei dem Syndikus Asverus auszuwirken, daß die Sache hinüber komme; drüben soll sie keinen Aufschub erleiden. Ich wünsche sehr, daß die Sache zu Stande komme, auch darum damit ich Ihnen bei meinem Hierseyn noch einigen Rath zur künftigen Einrichtung geben könne. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.
G.
H 288 | S 290 | B 290
Jena, den 1. März 1797
Ich habe gleich an Geheimenrath Voigt geschrieben und schicke Ihnen den Brief um ihn nach Belieben absenden zu können. Zugleich erhalten Sie ein monstroses Manuscript, welches zu beurtheilen keines aller meiner Organe geschickt ist. Möchten Sie es diese Nacht nicht brauchen?
Mein Katarrh ist zwar merklich besser, doch fange ich an die Stube lieb zu gewinnen, und da es ohnedem scheint daß die Musen mir günstig werden wollen, so könnte ich wohl selbst meinen Hausarrest auf einige Tage verlängern, denn der Gewinnst wäre zu groß, wenn man so unversehens an’s Ziel gelangte.
Könnten Sie mir nicht einige Blätter von dem schönen glatten Papier zukommen lassen, und mir zugleich sagen wie groß die Bogen sind und was das Buch kostet? Leben Sie wohl und führen Sie nur auch, wachend oder träumend, Ihre Piccolomini’s auf dem guten Wege weiter.
G.
H 287 | S 289 | B 289