663. Schiller an den Herzog Karl August

Jena, 1. September 1799

Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Fürst und Herr,

Die wenigen Wochen meines Aufenthalts zu Weimar und in der größern Nähe Eurer Durchlaucht im letzten Winter und Frühjahr haben einen so belebenden Einfluß auf meine Geistesstimmung geäußert, daß ich die Leere und den Mangel jedes Kunstgenusses und jeder Mittheilung, die hier in Jena mein Loos sind, doppelt lebhaft empfinde. So lange ich mich mit Philosophie beschäftigte, fand ich mich hier vollkommen an meinem Platz; nunmehr aber, da meine Neigung und meine verbesserte Gesundheit mich mit neuem Eifer zur Poesie zurückgeführt haben finde ich mich hier wie in eine Wüste versetzt. Ein Platz, wo nur die Gelehrsamkeit und vorzüglich die metaphysische im Schwange geht, ist den Dichtern nicht günstig; diese haben von jeher nur unter dem Einfluß der Künste und eines geistreichen Umgangs gedeihen können. Da zugleich meine dramatischen Beschäftigungen mir die Anschauung des Theaters zum nächsten Bedürfniß machen und ich von dem glücklichen Einfluß desselben auf meine Arbeiten vollkommen überzeugt bin, so hat alles dieß ein lebhaftes Verlangen in mir erweckt, künftighin die Wintermonate in Weimar zuzubringen.

Indem ich aber dieses Vorhaben mit meinen ökonomischen Mitteln vergleiche, finde ich, daß es über meine Kräfte geht die Kosten einer doppelten Einrichtung, und den erhöhten Preis der meisten Nothwendigkeiten in Weimar zu erschwingen. In dieser Verlegenheit wage ich es, meine Zuflucht unmittelbar zu der Gnade Eurer Durchlaucht zu nehmen, und ich wage es mit um so größerem Vertrauen, da ich mich, in Ansehung der Gründe die mich zu dieser Ortveränderung antreiben, Ihrer höchst eigenen gnädigsten Beistimmung versichert halten darf. Es ist der Wunsch der mich antreibt, Ihnen Selbst, gnädigster Herr, und den Durchlauchtigsten Herzoginnen näher zu seyn, und mich durch das lebhafte Streben nach Ihrem Beifall, in meiner Kunst selbst vollkommener zu machen, ja vielleicht etwas Weniges zu Ihrer eigenen Erheiterung dadurch beizutragen.

Da ich mich in der Hauptsache auf die Früchte meines Fleißes verlassen kann und meine Absicht keineswegs ist, darin nachzulassen, sondern meine Thätigkeit vielmehr zu verdoppeln, so wage ich die unterthänigste Bitte an Eure Durchlaucht mir die Kostenvermehrung, welche mir durch die Translocation nach Weimar und eine zweifache Einrichtung jährlich zuwächst, durch eine Vermehrung meines Gehaltes gnädigst zu erleichtern.

Der ich in tiefster Devotion ersterbe
Eurer Herzoglichen Durchlaucht, meines gnädigsten Herrn
unterthänigst treu gehorsamster
Fr. Schiller.

H 655 | S – | B –

662. An Goethe

Jena, den 28. August 1799

Charlotte Kalb hat nun auch geschrieben und erklärt, daß das Quartier zu unserer Disposition sey, wenn wir in ihren Contract treten wollten. Sie hat Scherern noch nichts zugesagt.

Leider kann ich wegen Zahnweh und geschwollenen Backen nicht sogleich hinüber kommen, dieß hat indessen des Quartiers wegen nichts auf sich. Meine Frau hat das ganze Quartier schon einmal gemustert, und die vordern Zimmer des Herrn und der Dame kenne ich auch. Die Einrichtung ist ganz nach unserm Bedürfniß, und ich nehme keinen Anstand gleich zuzusagen. Wollen Sie also die Gütigkeit haben und Müllern sagen, daß er nur den Contract aufsetzt. Wenn er nur auf zwei Jahre geht, ist es mir freilich lieber als auf längere Zeit; doch ein Jahr auf oder ab macht nichts, da das Quartier immer Liebhaber finden wird. Übrigens setze ich voraus, daß die Miethe bleibt wie bei der Frau von Kalb, 122 Reichsthaler, den Laubthaler à 1 Reichsthaler 14 Groschen.

Wenn ich alsdann hinüber komme, so werden Sie mir erlauben Ihnen meine Wünsche und Calculus in Absicht dieser neune Einrichtung vorzutragen.

Meine Zahnübel sollte mich nicht abhalten, gleich morgen zu kommen, wenn es nicht unglücklicherweise beim Sprechen und Lesen zunähme, denn sonst ist es wohl zu ertragen.

Ich bin recht verlangend auf das was Sie mir zu zeigen und zu sagen haben, und überhaupt sehne ich mich herzlich nach dieser so lang entbehrten Communication.

Die Frau wird sich nicht abhalten lassen mitzukommen. Ich nehme die Erlaubniß bei Ihnen zu logiren mit großem Vergnügen an, und wenn es irgend möglich komme ich auf den Sonnabends.

Leben Sie recht wohl.

Sch.

H 654 | S 652 | B 655

661. An Schiller

Weimar, den 28. August 1799

Mein gestriger Brief hat Sie, hoffe ich, determinirt auf einige Tage herüber zu kommen, und ich dictire daher diese Zeilen nur um Sie darin zu bestärken. Sie sollen mancherlei erfahren von den Wallensteinischen Aufführungen und was dem anhängig ist.

Sie sollen auch die Preisstücke sehen und sich über die Helena in mancher Gestalt verwunden. Es sind ihrer doch nun neun zusammengekommen.

Wegen dem Almanach und manchen andern Dingen alsdann auch mündlich das mehrere. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau, die Sie doch auch wohl mitbringen.

G.

H 653 | S 651 | B 654

660. An Goethe

Jena, den 27. August 1799

Ich bin heute früh bei meinem Aufstehen durch ein schweres Paket vom Herrn Hofkammerrath sehr angenehm überrascht worden und wiederhole Ihnen meinen besten Dank dafür, daß Sie diesen Geldstrom in meine Besitzungen geleitet haben. Der Geist des alten Feldherrn führt sich nun als ein würdiges Gespenst auf, er hilft Schätze heben. Auch in Rudolstadt, schreibt man mir, ist viel Zulauf zum Wallenstein gewesen. Ich wünschte zu wissen, wie sich das artige Weibchen, die Vohs, aus dem Handel gezogen hat.

Meinen zweiten Act habe ich gestern geendigt, aber nach einem wohlgemeinten und dennoch vergeblichen Bemühen, mir eine lyrische Stimmung für den Almanach zu verschaffen, habe ich heute den dritten angefangen. Das einzige Mittel mich jetzt von der Maria weg und zu einer lyrischen Arbeit zu bringen ist, daß ich mir eine äußere Zerstreuung mache. Dazu ist die achttägige Reise nach Rudolstadt gut. Sobald ich von Ihnen bestimmt weiß, ob ich Sie hier oder in Weimar sehen kann und wann, so werde ich meinen Plan machen. Vor dem achten September aber gehe ich nicht, weil die fremden Gäste dort nicht früher wegreisen.

Über dem vielen Nachdenken, welche neue Form von Beiträgen man zu dem Almanach brauchen könnte, ist mir der Gedanke an eine neue Art Xenien, für Freunde und würdige Zeitgenossen, gekommen. Der Jahrhundertswechsel gäbe einen nicht unschicklichen Anlaß allen denen, mit welchen man gewandelt und sich verbessert gefühlt hat und auch denen, die man nicht von Person kennt, aber deren Einfluß man auf eine nützliche Art empfunden, ein Denkmal zu setzen. Freilich vestigia terrent. Das Tadeln ist immer ein dankbarerer Stoff als das Loben, das wiedergefundene Paradies ist nicht so gut gerathen als das verlorne, und Dante’s Himmel ist auch viel langweiliger als seine Hölle. Außerdem ist der Termin gar zu kurz für einen so lobenswürdigen Vorsatz.

Leben sie für heute wohl. Ich habe mich bei meinem Geschäfte verspätet. Die Frau grüßt Sie auf’s beste. Alles wartet auf Sie, auch die Kinder.

Sch.

H 652 | S 650 | B 653

659. An Schiller

Weimar, den 27. August 1799

Nach Überlegung und Berechnung aller Umstände fühle ich mich gedrungen Ihnen zu melden, daß ich in den nächsten Tagen nicht kommen kann, um so mehr aber wünschte ich Sie hier zu sehen, besonders wegen des Quartiers.

Es verhält sich damit folgendermaßen: Frau von Kalb scheint mit Bergrath Scherer abgeschlossen zu haben, daß er in ihre Miethe treten solle; wenigstens lassen es die Umstände vermuthen. Der Hausherr aber, Perückenmacher Müller, braucht sich, wenn er nicht will, diese Sublocation nicht gefallen zu lassen und will auf mein Zureden Ihnen das Quartier geben, jedoch wünscht er daß Sie es auf ein paar Jahre nähmen, welches man gar wohl thun kann, weil man immer wieder jemanden hier findet der es wieder abnimmt. Die Hauptsache wäre nun daß Sie das Quartier sähen, daß man sich bespräche und entschlösse. Sie brächten Ihr Stück mit, und ich hätte von meiner Seite wohl auch was mitzutheilen. Ich wohne noch im Garten, und Sie könnten nur gerade bei mir anfahren; Meyer wird schon für Ihr Unterkommen sorgen. Es ist das Nöthige deßhalb bestellt; das Übrige wird sich finden.

Ich schicke diesen Brief mit der Post, und sage heute nichts mehr. Leben Sie recht wohl.

G.

H 651 | S 649 | B 652

658. An Schiller

Weimar, den 24. August 1799

Da es uns mit dem Sommerplane nicht nach Wunsch gegangen ist, so müssen wir hoffen daß uns der Winter das Bessere bringen wird. Sobald Sie wegen Ihres Quartiers einig sind, wollen wir für Holz sorgen, ein Artikel an den man in Zeiten denken muß.

Es vergeht mir kein Tag ohne einen gewissen Vortheil, wenn er auch klein ist, und so kommt denn doch immer eins zum andern und es gibt am Ende etwas aus, da man sich doch immer nur mit würdigen Dingen beschäftigt.

Lassen Sie uns noch acht Tage zusehen, alsdann wird sich entscheiden, ob ich kommen kann und wie bald.

Leider sind von Ihren Büchern, die Sie in die Auction gegeben haben, viele zurückgeblieben. Sie war im Ganzen nicht ergiebig, obgleich einzelne Werke theuer genug verkauft wurden. Die Auszüge werden nunmehr gemacht und das Geld eincassirt.

Von Zeit zu Zeit werden Conferenzen wegen der Schwestern von Lesbos gehalten, die denn, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, die Hoffnung bald vermindern bald beleben.

Ich freue mich auf Ihre Arbeit und auf einige ruhige Wochen in Ihrer Nähe. Heute sage ich aber nichts mehr, denn ein Morgenbesuch im Schloß hat mich zerstreut, und ich fühle mich nicht fähig mich auf irgend einen Gegenstand zu concentriren.

Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.

G.

H 649 | S 648 | B 651

657. An Goethe

Jena, den 24. [23.] August 1799

Aus allen Umständen fange ich an zu schließen, daß wir vor Eintritt des Herbstes kaum auf Ihre Hieherkunft hoffen können. So geht dieser Sommer ganz anders hin als ich mir versprochen hatte, und ob ich mich gleich ernstlich zu meinem Geschäft halte und darin vorwärts komme, so fühle ich doch im Ganzen meines innern Zustands diese Beraubung sehr, und sie verstärkt mein Verlangen nicht wenig, den Winter in Weimar zuzubringen. Zwar verberge ich mir nicht, daß sich von dem Einfluß der dortigen Societät eben nicht viel Ersprießliches erwarten läßt, aber der Umgang mit Ihnen, einige Berührungen mit Meyern, das Theater und eine gewisse Lebenswirklichkeit, welche die übrige Menschenmasse mir vor die Augen bringen muß, werden gut auf mich und meine Beschäftigung wirken. Meine hiesige Existenz ist eine absolute Einsamkeit und das ist doch zu viel.

Ich erwarte mit jedem Tag Antwort von der Frau von Kalb des Quartiers wegen, das ich, wenn es zu haben, ohne Anstand gleich von Michaelis an auf ein Jahr miethen werde. Kann ich es machen mit meiner Familie bequem zusammen zu wohnen, so werde ich das immer vorziehen; ging es nicht an, so ist mir das Anerbieten wegen des Thouretschen Logis willkommen. Wenn meine Frau mit ihren Wochen glücklich ist, so wäre ich geneigt Ende Novembers hinüber zu gehen, anfangs allein, bis die Familie nachkommen kann. Es läge mir auch deßwegen viel daran, daß ich die zwei letzten Acte meines Stücks unter dem Einfluß der theatralischen Anschauungen ausarbeiten könnte.

Wenn Sie binnen zehn Tagen nicht, wenigstens auf einige Tage hierher kommen können, so hätte ich große Lust auf einen Tag zu Ihnen hinüber zu kommen und meine zwei Acte mitzubringen. Denn jetzt wünschte ich doch Ihr Urtheil darüber, daß ich mich überzeugt halten kann, ob ich auf dem rechten Wege bin.

An Ihren Mondbetrachtungen wünschte ich wohl auch Theil zu nehmen. Mir hat dieser Gegenstand immer einen gewissen Respect abgenöthigt, und mich nie ohne eine sehr ernste Stimmung entlassen. Bei einem guten Teleskop wird das Körperliche der Oberfläche sehr deutlich, und es hatte mir immer etwas Furchtbares, daß ich diesen entfernten Fremdling auch mit einem andern Sinn als dem Aug zu erfassen glaubte. Es sind auch schon einige Distichen darüber entstanden, die vielleicht das Bedürfniß für den Almanach zur Reife bringen hilft.

Gelegentlich wünscht’ ich doch zu wissen, ob mir von den zur Auction geschickten Büchern viele liegen geblieben, denn es sagte neulich jemand in Weimar, daß ich so viele Bücher erstanden hätte, welches kein gutes Zeichen wäre.

Leben Sie recht wohl in Ihrer geschäftlichen Einsamkeit. Ihre Genauigkeit in der Metrik wird die von der strikten Observanz nicht wenig erbauen.

Die Frau grüßt Sie freundlich und hat auch ein groß Verlangen Sie wieder zu sehen.

An Meyern viele Grüße.

Sch.

H 650 | S 647 | B 650

Bei S auf den 24. August 1799 datiert.

656. An Schiller

Weimar, den 21. August 1799

Mein stilles Leben im Garten trägt immerfort wo nicht viele doch gute Früchte.

Ich habe diese Zeit fleißig Winckelmanns Leben und Schriften studirt. Ich muß mir das Verdienst und die Einwirkung dieses wackern Mannes im Einzelnen deutlich zu machen suchen.

An meinen kleinen Gedichten habe ich fortgefahren zusammen zu stellen und zu corrigiren. Man sieht auch hier daß alles auf das Princip ankommt woraus man etwas thut. Jetzt da ich den Grundsatz eines strengeren Sylbenmaßes anerkenne, so bin ich dadurch eher gefördert als gehindert. Es bleiben freilich manche Punkte, über welche man in’s Klare kommen muß. Voß hätte uns schon vor zehn Jahren einen großen Dienst gethan, wenn er in seiner Einleitung zu den Georgiken über diesen Punkt etwas weniger mystisch geschrieben hätte.

Diese Woche bin ich, wider meine Gewohnheit, meist bis Mitternacht aufgeblieben, um den Mond zu erwarten, den ich durch das Auchische Teleskop mit vielem Interesse betrachtete. Es ist eine sehr angenehme Empfindung einen so bedeutenden Gegenstand, von dem man vor kurzer Zeit so gut als gar nichts gewußt, um so viel näher und genauer kennen zu lernen. Das schöne Schröterische Werk, die Selenotopographie, ist freilich eine Anleitung durch welche der Weg sehr verkürzt wird. Die große nächtliche Stille hier außen im Garten hat auch viel Reiz, besonders da man Morgens durch kein Geräusch geweckt wird, und es dürfte einige Gewohnheit dazu kommen, so könnte ich verdienen in die Gesellschaft der würdigen Lucifugen aufgenommen zu werden.

So eben wird mir Ihr Brief gebracht. Der neue tragische Gegenstand den Sie angeben, hat auf den ersten Anblick viel Gutes, und ich will weiter darüber nachdenken. Es ist gar keine Frage daß wenn die Geschichte das simple Factum, den nackten Gegenstand, hergibt und der Dichter Stoff und Behandlung, so ist man besser und bequemer dran, als wenn man sich des Ausführlichern und Umständlichern der Geschichte bedienen soll; denn da wird man immer genöthigt das Besondere des Zustands mit aufzunehmen, man entfernt sich von rein Menschlichen und die Poesie kommt ins Gedränge.

Von Preiszeichnungen ist erst Eine eingegangen, welche in Betrachtung kommt und lobenswürdige Seiten hat; einige andere sind unter aller Kritik, und es fällt einem der durch jenes Räthsel aufgeregte deutsche Pöbel ein.

Wegen des Almanachs müssen wir nun einen Tag nach dem andern hinleben und das Mögliche thun. Der dritte Gesang, den ich mit den Frauenzimmern durchgegangen, ist nun in der Druckerei, und wir wollen nun dem vierten nachzuhelfen suchen. Es ist immer keine Frage daß das Gedicht viel Anlage und viel Gutes hat, nur bleibt es in der Ausführung zu weit hinter dem zurück was es seyn sollte, obgleich inzwischen daß Sie es nicht gesehen haben viel daran geschehen ist.

Frau von Kalb läßt wirklich ihre Sachen wegschaffen, und das Quartier wird also leer. Freilich wird es nur an jemand gegeben werden können, der es auf’s ganze Jahr miethet. Indessen müßte man einen Entschluß fassen, und wir hätten von Seiten des Theaters alle Ursache Ihnen diese Expedition zu erleichtern.

Der Begrath Scherer, der sich zu verheirathen gedenkt, macht, höre ich, Speculation darauf; geschähe diese Veränderung, so würde bei Wolzogen die obere Etage leer, wo Ihre Familie wohnen könnte. Ihnen gäben wird das Thouret’sche und würden, wenn Sie mit diesem hier zusammenträfen, für diesen schon ein ander Quartier zu finden wissen. Das muß man denn alles hin und her bedenken und bereden, bis man zur Entschließung genöthigt wird. Und hiermit leben sie für heute wohl und grüßen sie Ihre liebe Frau.

G.

H 648 | S 646 | B 649

655. An Goethe

Jena, den 20. August 1799

Ich bin dieser Tage auf die Spur einer neuen möglichen Tragödie gerathen, die zwar erst noch ganz zu erfinden ist, aber, wie mir dünkt, aus diesem Stoff erfunden werden kann.

Unter der Regierung Heinrichs VII. in England stand ein Betrüger, Warbeck, auf, der sich für einen der Prinzen Eduard’s V. ausgab, welche Richard III. im Tower hatte ermorden lassen. Er wußte scheinbar Gründe anzuführen, wie er gerettet worden, fand eine Parthie, die ihn anerkannte und auf den Thron setzen wollte. Eine Prinzessin desselben Hauses York, aus dem Eduard abstammte, und welche Heinrich VII. Händel erregen wollte, wußte und unterstützte den Betrug, sie war es vorzüglich, welche den Warbeck auf die Bühne gestellt hatte. Nachdem er als Fürst an ihrem Hof in Burgund gelebt, und seine Rolle eine Zeitlang gespielt hatte, manquirte die Unternehmung, er wurde überwunden, entlarvt und hingerichtet.

Nun ist zwar von der Geschichte selbst so gut als gar nichts zu gebrauchen, aber die Situation im Ganzen ist sehr fruchtbar, und die beiden Figuren des Betrügers und der Herzogin von York können zur Grundlage einer tragischen Handlung dienen, welche mit völliger Freiheit erfunden werden mußte. Überhaupt glaube ich, daß man wohl thun würde, immer nur die allgemeine Situation der Zeit und die Personen aus der Geschichte zu nehmen, und alles übrige poetisch frei zu erfinden, wodurch eine mittlere Gattung von Stoffen entstünde, welche die Vortheile des historischen Dramas mit dem erdichteten vereinigte.

Was die Behandlung des erwähnten Stoffs betrifft, so müßte man, däucht mir, das Gegentheil von dem thun, was der Komödiendichter daraus machen würde. Dieser würde durch den Contrast des Betrügers mit seiner großen Stelle und seine Incompetenz zu derselben das Lächerliche hervorbringen. In der Tragödie müßte er als zu seiner Stelle geboren erscheinen, und er müßte sie sich so sehr zu eigen machen, daß mit denen, die ihn zu ihrem Werkzeug gebrauchen und als ihr Geschöpf behandeln wollten, interessante Kämpfe entstünden. Es müßte ganz so aussehen, daß der Betrug ihm nur den Platz angewiesen, zu dem die Natur selbst ihn bestimmt hatte. Die Katastrophe müßte durch seine Anhänger und Beschützer, nicht durch seine Feinde, und durch Liebeshändel, durch Eifersucht und dergleichen herbeigeführt werden.

Wenn Sie diesem Stoff im Ganzen etwas Gutes absehen und ihn zur Grundlage einer tragischen Fabel brauchbar glauben, so soll er mich bisweilen beschäftigen, denn wenn ich in der Mitte eines Stücks bin, so muß ich in gewissen Stunden an ein neues denken können.

Für den Almanach geben sie mir keine tröstlichen Aussichten. Was die Kupfer betrifft, so habe ich meine Hoffnung nicht auf die Güte des Kupferstichs gebaut, man ist ja hierin gar nicht verwöhnt, und da diese Manier im Ganzen gefällt, die Zeichnung zugleich verständig entworfen ist, so werden wir uns doch damit sehen lassen dürfen. Die Bemerkung, die Sie über das Gedicht selbst machen, ist mir bedenklicher, besonders da mir etwas ähnliches selbst dabei geschwant hat. Noch weiß ich nicht wie Rath geschafft werden soll, denn meine Gedanken wollen sich gar noch nicht auf etwas Lyrisches wenden.

Auch ist es ein schlimmer Umstand, daß wir zu den anzuhängenden kleinen Gedichten einen sehr kleinen Raum übrig behalten, der also nothwendig mit bedeutenden Sachen muß ausgefüllt werden. Sobald ich meinen zweiten Act fertig habe, werde ich ernstlich an diese Sache denken.

Leben Sie wohl, meine Frau grüßt Sie auf’s beste.

Sch.

H 647 | S 645 | B 648

654. An Schiller

Weimar, den 17. August 1799

Wenn ich Ihnen künftig etwas ausführlichere Briefe schreiben will, so muß ich in voraus schreiben, denn wenn ich wie heute abermals früh in die Stadt muß, so kann ich nicht leicht wieder zur Besinnung kommen.

Ich muß Sie ersuchen den Almanach ja etwas mehr von sich auszustatten; ich will das Meinige thun, welches ich so gewiß verspreche, als man dergleichen versprechen kann. Auch von Steigentesch, Matthisson bringen Sie ja das Mögliche bei, damit der Almanach sich der alten Form nähere. Das Gedicht, jemehr man es betrachtet, läßt fürchten daß es nicht in die Breite wirken werde, so angenehm es für Personen ist die einen gewissen Grad von Cultur haben. Die barbarische Sitte als Gegenstand, die zarten Gesinnungen als Stoff und das undulistische Wesen als Behandlung betrachtet, geben dem Ganzen einen eignen Charakter und besondern Reiz, zu dem man gemacht seyn, oder sich erst machen muß. Das allerschlimmste ist, daß ich wegen der Kupfer fürchte. Der Mann ist ein bloßer Punctirer und aus einem Aggregat von Puncten entsteht keine Form. Nächstens sollen Sie hören, wie viel das Ganze betragen wird; die zwei ersten Gesänge machen drei Bogen.

Wegen des Schlegelischen Streifzugs bin ich ganz Ihrer Meinung. Die Elegie hätte er in mehrere trennen sollen, um die Theilnahme und die Übersicht zu erleichtern.

Die übrigen Späße werden Leser genug herbeilocken, und an Effect wird es auch nicht fehlen. Leider mangelt es beiden Brüdern an einem gewissen innern Halt der sie zusammenhalte und festhalte. Ein Jugendfehler ist nicht liebenswürdig, als insofern er hoffen läßt daß er nicht Fehler des Alters seyn werde. Es ist wirklich Schade daß das Freund Böttigern zugedachte Blatt nicht heiterer ist. Einige Einfälle in den andern Rubriken sind sehr gut. Übrigens läßt sich auch im persönlichen Verhältniß keineswegs hoffen daß man gelegentlich ungerupft von ihnen wegkommen werde. Doch will ich es ihnen lieber verzeihen, wenn sie etwas versetzen sollten, als die infame Manier der Meister in der Journalistik.

Böttiger hat die Canaillerie begangen, der Propyläen zweimal auf dem blauen Umschlag des Merkurs zu gedenken, dafür es ihm denn wohl bekommen mag, daß ihm die Gebrüder die Haut über die Ohren ziehen, und es scheint als wenn sie Lust hätten, von vorn anzufangen, wenn sie ihm wieder wachsen sollten.

Die Impietät gegen Wieland hätten sie unterlassen sollen. Doch was will man darüber sagen, hat man sie unter seiner Firma doch auch schlecht tractirt.

Leben Sie wohl, ich bin zerstreut und ohne Stimmung. Grüßen Sie Ihre liebe Frau. Ich wünsche uns auf irgend eine Weise bald ein längeres Zusammenseyn und Ihnen zur Arbeit allen Segen, um mich mit Madame la Roche auszudrücken.

G.

H 646 | S 644 | B 647

653. An Goethe

Jena, den 16. August 1799

Die Schlegels haben, wie ich heute fand, ihr Athenäum mit einer Zugabe von Stacheln vermehrt und suchen durch dieses Mittel, welches nicht übel gewählt ist, ihr Fahrzeug flott zu erhalten. Die Xenien haben ein beliebtes Muster gegeben. Es sind in diesem literarischen Reichsanzeiger gute Einfälle, freilich auch mit solchen die bloß naseweise sind stark versetzt. Bei dem Artikel über Böttigern, sieht man, hat der bittre Ernst den Humor nicht aufkommen lassen. Gegen Humobldt ist der Ausfall unartig und undankbar, da dieser immer ein gutes Verhältniß mit den Schlegeln gehabt hat, und man sieht daraus, daß sie im Grunde doch nichts taugen.

Übrigens ist die, an Sie gerichtete Elegie, ihre große Länge abgerechnet, eine gute Arbeit, worin viel Schönes ist. Ich glaubte auch eine größere Wärme darin zu finden, als man von Schlegels Werken gewohnt ist, und mehreres ist ganz vortrefflich gesagt. Sonst hab’ ich noch nichts in diesem Hefte gelesen. Ich zweifle nicht, daß es auf dem nunmehr eingeschlagenen Weg Leser genug finden wird, aber Freunde werden sich die Herausgeber eben nicht erwerben, und ich fürchte es wird bald auch der Stoff versiegen, wie sie in aphoristischen Sätzen auch auf einmal und für immer ihre Baarschaft ausgegeben haben.

Wenn es möglich wäre daß Sie noch einiges in den Almanach stiften könnten und ich auch meinen Beitrag geben kann, so würde ich auch Matthissons, Steigenteschs und noch einige andre Beiträge darin aufnehmen und so dem Almanach seine gewöhnliche Gestalt verschaffen. Um Cotta’s willen wäre mir’s lieb, daß ihm nicht auch hier ein Unglück begegne, wiewohl ich von den Kupferstichen das beste hoffe.

Bei Gelegenheit Ihrer Gedichtsammlung ist mir eingefallen, ob Sie nicht etwa das Fach didaktischer Gedichte, wozu die Metamorphose der Pflanzen gehört, noch zu bereichern hätten, und vielleicht fände sich zu solchen Gedichten am schnellsten die Stimmung, da die Anregung von dem Verstande kömmt. Wenn Sie hieherkommen und wir uns darüber unterhalten, so entsteht vielleicht schnell etwas, wie das Gedicht von der Metamorphose auch schnell da war. Es gäbe zugleich einen Beitrag für den Almanach.

In meiner dramatischen Arbeit geht es noch immer frisch fort und wenn nichts dazwischen kommt, so kann ich vor Ende Augusts den zweiten Act zurückgelegt haben. Im Brouillon liegt er schon da. Ich hoffe daß in dieser Tragödie alles theatralisch seyn soll, ob ich sie gleich für den Zweck der Repräsentationen in etwas enger zusammen ziehe. Weil es auch historisch betrachtet ein reichhaltiger Stoff ist, so habe ich ihn in historischer Hinsicht auch etwas reicher behandelt und Motive aufgenommen, die den nachdenkenden und instruirten Leser freuen können, die aber bei der Vorstellung, wo ohnehin der Gegenstand sinnlich dasteht, nicht nöthig und, wegen historischer Unkenntniß des großen Haufens, auch ohne Interesse sind. Übrigens ist bei der Arbeit selbst schon auf alles gerechnet was für den theatralischen Gebrauch wegbleibt, und es ist durchaus keine eigne Mühe dazu nöthig wie bei’m Wallenstein.

Leben Sie recht wohl und machen Sie uns bald Hoffnung Sie hier zu sehen. Die Frau grüßt Sie, sie hofft unsre Verpflanzung nach Weimar soll nicht länger als bis in die Mitte Januars aufgehalten werden. Vielleicht kann ich für meine Person früher kommen. Leben Sie recht wohl. Viele Grüße an Meyern.

Sch.

H 645 | S 643 | B 646

652. An Schiller

Weimar, den 14. August 1799

Der erste Bogen des Almanachs ist nun unter der Presse, der Druck nimmt sich ganz artig aus. Der dritte Gesang ist nunmehr in meinen Händen, und ich will auch noch mein Mögliches daran thun. Freilich da ich selbst gegenwärtig an einer strengen Revision meiner eigenen Arbeiten bin, so erscheinen mir die Frauenzimmerlichkeiten unserer lieben kleinen Freundin noch etwas loser und lockerer als vorher, und wir wollen sehen wie wir uns eben durchhelfen. Das Ganze soll überschlagen werden, und es wird sich zeigen daß wir auf alle Fälle noch etwas dazu geben müssen. Lassen Sie sich allenfalls die Glocke nicht reuen, ich will auch mein Mögliches thun einen Beitrag zu schaffen, ob ich gleich bis jetzt weder wüßte was noch wie.

Da die obwaltenden Umstände Ihren Winteraufenthalt in Weimar dießmal sehr zweifelhaft machen, wenigstens in der ersten Zeit nicht daran zu denken ist, so läßt man freilich am besten die Sache vorerst noch auf sich beruhen; denn wäre es möglich gleich mit dem October hier einzutreffen, so sollte es an Moyens Ihren hiesigen Aufenthalt zu erleichtern von keiner Seite fehlen.

Der Aufenthalt im Garten wird von mir auf allerlei Weise so zweckmäßig als möglich benutzt, und ich habe das Vergnügen in manchem Sinne vorwärts zu kommen, wovon mich künftig die Mittheilung herzlich freuen soll.

Lassen Sie es ja an Concentration auf Ihre angefangene Arbeit nicht fehlen. Es ist doch im Grunde nichts wünschenswerther als eine große Masse zu organisiren.

Da ich so eben in das Schloß gehen muß und nicht weiß, ob ich zur rechten Zeit wieder komme, so will ich für dießmal meinen Brief schließen und Ihnen beiderseits recht wohl zu leben wünschen.

G.

H 644 | S 642 | B 645

651. An Goethe

Jena, den 12. August 1799

Sie hätten mich durch Ihre Beschreibung des lebhaften Baugeschäftes bald verführt, auf einen Tag hinüber zur reisen, und die Einförmigkeit meiner bisherigen Lebensweise wieder einmal durch etwas ganz Heterogenes zu unterbrechen. Aber so noth es mir auch vielleicht thäte mir eine Zerstreuung zu machen, so sitze ich doch jetzt zu fest in meiner Arbeit und muß mich doppelt zusammennehmen weit darin vorwärts zu kommen, weil ich nicht weiß, wie viel Zeit und Stimmung das häusliche Evenement im Herbst mir rauben kann. Die Reise welche ich, um meiner Frau und mir selbst eine Veränderung zu machen, nach Rudolstadt vorhatte, bleibt auch auf einige Wochen verschoben, weil das Vogelschießen dort gerade jetzt einfällt und meine Schwiegermutter mit dem Hofe bisher entfernt gewesen. Wenn Sie also jetzt kommen können und wollen, so finden Sie uns zu Ihrem Empfange bereit. Wir haben hier die schönsten Tage recht genossen und benutzt.

Daß ich die Wintermonate künftighin in Weimar zubringe, ist bei mir nun eine beschlossene Sache. Die sinnliche Gegenwart des Theaters muß mir eine Menge faux-frais ersparen, die mir jetzt unvermeidlich sind, weil ich die Vorstellung der lebendigen Masse nicht habe, und auch der Stoff soll mir alsdann reichlicher zufließen. Diesen Winter werde ich zwar später dazu kommen, vielleicht erst mit Ende Januars, wegen der Frau und dem Kleinen. Vor der Hand hoffe ich mit der Charlotten wegen des Logis eine Übereinkunft treffen zu können, will mich aber doch auch wegen des Wertherischen Hauses erkundigen, weil es nicht übel für die Komödie gelegen ist. Auf dem Markte wohnte ich am liebsten, so wär ich Ihnen und meinem Schwager gleich nahe.

Der Herzog hat mir in diesem Frühjahr seinen Wunsch zu erkennen gegeben, daß ich öfters nach Weimar käme und länger da bliebe. Da ich ihm nun zugleich sehr leicht begreiflich machen kann, wie sehr ich mich selbst dabei besser befinden würde, so will ich mich mit geradem Vertrauen an ihn wenden und ihn bitten, daß er mir für die dadurch zuwachsenden größeren Kosten etwas zulegen möchte. Das Versprechen einer Zulage habe ich ohnehin seit fünf Jahren her von ihm und er ist immer gnädig gegen mich gewesen. Könnte ich übrigens durch meine Gegenwart in Weimar dem Theater Nutzen schaffen, wozu ich mich von ganzem Herzen erbiete, so würde die Sache sich noch einfacher abthun lassen.

Ich wünschte nur ein Wort von dem Gange des Drucks den Almanach betreffend zu erfahren, denn die Zeit bis Michaelis geht nun schon klein zusammen. Auch ist Meyer wohl so gut und läßt die Hexameter des ganzen Gedichtes zählen, daß ich bestimmt weiß wie viel Bogen es gibt. Etwas werde ich wohl für den Almanach geben müssen, um Cotta mein Wort zu halten, wenn auch die Glocke daran müßte.

Leben Sie recht wohl. Die Frau grüßt Sie bestens und sehnt sich auf Ihre Wiederkunft so wie ich.

Sch.

H 643 | S 641 | B 644

650. An Schiller

Weimar, den 10. August 1799

Nachdem ich diese Woche ziemlich in der Einsamkeit meines Gartens zugebracht, habe ich mich wieder auf einen Tag in die Stadt begeben und zuerst das Schloß besucht, wo es sehr lebhaft zugeht. Es sind hundert und sechzig Arbeiter angestellt, und ich wünschte, daß Sie einmal die mannigfaltigen Handwerker in so einem kleinen Raume beisammen arbeiten sähen. Wenn man mit einiger Reflexion zusieht, so wird es sehr interessant die verschiedensten Kunstfertigkeiten, von der gröbsten bis zu der feinsten, wirken zu sehen. Jeder thut nach Grundsätzen und aus Übung das Seinige. Wäre nur immer die Vorschrift, wornach gearbeitet wird, die beste! denn leider kann auf diesem Wege ein geschmackvolles Werk so gut als eine barbarische Grille zu Stande kommen.

An den Gedichten wird immer ein wenig weiter gearbeitet und abgeschrieben.

Durch das Steinische Spiegelteleskop habe ich einen Besuch im Monde gemacht. Die Klarheit, mit welcher man die Theile sieht, ist unglaublich; man muß ihn im Wachsen und Abnehmen betrachten, wodurch das Relief sehr deutlich wird. Sonst habe ich noch mancherlei gelesen und getrieben. Denn in einer so absoluten Einsamkeit, wo man durch gar nichts zerstreut und auf sich selbst gestellt ist, fühlt man erst recht und lernt begreifen wie lang ein Tag sey.

Es ist keine Frage daß Sie unendlich gewinnen würden, wenn Sie eine Zeit lang in der Nähe eines Theaters seyn könnten. In der Einsamkeit steckt man diese Zwecke immer zu weit hinaus. Wir wollen gerne das Unsrige dazu beitragen, um das Vorhaben zu erleichtern. Die größte Schwierigkeit ist wegen eines Quartiers. Da Thouret wahrscheinlich erst zu Ende des Septembers kommt, so wird man ihn wohl den Winter über festhalten. Das wegen Gespenster berüchtigte gräflich Wertherische Haus, das für jemanden der das Schauspiel fleißig besuchen will bequem genug liegt, ist so viel ich weiß zu vermiethen; es wäre wohl der Mühe werth das Gebäude zu entzaubern.

Lassen Sie uns der Sache weiter nachdenken. Leben Sie indessen wohl und grüßen Ihre liebe Frau.

G.

H 642 | S 640 | B 643

649. An Goethe

Jena, den 9. August 1799

Zu den prosodischen Verbesserungen in den Gedichten gratulire ich. Zu dem letzten Artikel in unserm Schema, zur Vollendung, gehört unstreitig auch diese Tugend, und der Künstler muß hierin etwas vom Punctirer lernen. Es hat mit der Reinheit des Sylbenmaßes die eigene Bewandtniß daß sie zu einer sinnlichen Darstellung der innern Nothwenigkeit des Gedankens dient, da im Gegentheil eine Licenz gegen das Sylbenmaß eine gewisse Willkürlichkeit fühlbar macht. Aus diesem Gesichtspunct ist sie ein großes Moment und berührt sich mit den innersten Kunstgesetzen.

In Rücksicht auf den jetzigen Zeitmoment muß es jeden der für den guten Geschmack interessirt ist, freuen, daß Gedichte, welche einen entschiedenen Kunstwerth haben, sich auch noch diesem Maßstab unterwerfen. So wird die Mittelmäßigkeit am besten bekämpft, denn sowohl der, welcher kein Talent hat als correcte Verse zu machen und bloß für das Ohr arbeitet, als auch der andre, welcher sich für zu original hält, um auf das Metrum den gehörigen Fleiß zu wenden, werden dadurch zum Schweigen gebracht.

Weil aber die prosodische Gesetzgebung selbst noch nicht durchaus im Klaren ist, so werden immer bei dem besten Willen streitige Puncte in der Ausführung übrig bleiben, und da Sie einmal über die Sache so viel nachgedacht, so thäten Sie vielleicht nicht übel, wenn Sie in einer Vorrede oder wo es schicklich ist, Ihre Grundsätze darüber aussprächen, daß man das für keine bloße Licenz oder Übertretung halte, was aus Principien geschieht.

Der Gedanke einige Kupfer zu dem Werke zu geben, ist recht gut. Sie können gut bezahlt und folglich auch gut gemacht werden; aber ich wäre dafür daß Sie der allgemeinen Neigung so weit nachgäben und keine andere als individuelle Darstellungen wählten. Die Katastrophe der Braut ist sehr passend, auch aus Alexis und Dora, aus den römischen Elegien und den venetianischen Epigrammen ließen sich Gegenstände wählen, wofür unser Freund Meyer vorzüglich berufen wäre.

Ich bin recht verlangend zu erfahren, wie weit Sie, wenn Sie hieher kommen, in diesem Redactionsgeschäfte gelangt sind. Einzelne Streitfragen in Absicht auf das metrische werden uns angenehm und lehrreich beschäftigen.

Nicht weniger verlangend bin ich, Ihnen alsdann auch meine bisherigen Acta vorzulegen, worüber ich selbst noch keine gültige Stimme habe. Lebhaft aber fühle ich mit jedem Tage das Bedürfniß theatralischer Anschauungen und werde mich schlechterdings entschließen müssen, die Wintermonate in Weimar zuzubringen. Die ökonomischen Mittel zu Realisirung dieser Sache sollen mich zunächst beschäftigen.

Leben Sie nun recht wohl in Ihrer Einsamkeit. Ob und wann ich meine kleine Reise antrete, kann ich heut noch nicht bestimmen. Die Frau grüßt Sie auf’s beste.

H 641 | S 639 | B 642

648. An Schiller

Weimar, den 7. August 1799

In meiner Garteneinsamkeit fahre ich an meiner Arbeit recht eifrig fort und die reinliche Abschrift fördert gleichfalls. Noch kann ich selbst nicht sagen wie es mit der Sammlung werden wird, eins fordert das andere. Mein gegenwärtiger Aufenthalt erinnert mich an einfachere und dunklere Zeiten, die Gedichte selbst an mannigfaltige Zustände und Stimmungen. Ich will nur sachtehin immer das nächste thun und eins aus dem andern folgen lassen.

Die Epigramme sind, was das Sylbenmaß betrifft, am liederlichsten gearbeitet und lassen sich glücklicherweise am leichtesten verbessern, wobei oft Ausdruck und Sinn mit gewinnt. Aus den römischen Elegien habe ich manchen prosodischen Fehler, und ich hoffe mit Glück, weggelöscht. Bei passionirten Arbeiten, wie z. B. Alexis und Dora, ist es schon schwerer, doch muß man sehen wie weit man’s bringen kann und am Ende sollen Sie, mein Freund, die Entscheidung haben. Wenn man solche Verbesserungen auch nur theilweise zu Stande bringt, so zeigt man doch immer seine Perfectibilität, so wie auch Respect für die Fortschritte in der Prosodie welche man Vossen und seiner Schule nicht absprechen kann.

Überhaupt müßte diese Sammlung in manchem Sinne wenn es mir gelingt als ein Fortschritt erscheinen.

Meyer will ein halb Dutzend Zeichnungen dazu liefern, etwa nur ein Paar unmittelbaren Bezugs, oder wie man sagen möchte historischen Inhalts, z. B. die Katastrophe der Braut von Corinth. Andere müßten einen entfernteren symbolischen Bezug haben.

Indem ich nun dergestalt aus dem Alten nach dem Neuen zu arbeite, ist mir die Hoffnung gar erfreulich daß mich bei Ihnen etwas ganz Neues erwarte, wovon ich so gut als gar keine Idee habe. Seyn Sie fleißig, wenn es die Umstände erlauben wollen, und vollbringen glücklich Ihre Rudolstädter Fahrt. Lassen Sie August manchmal bei sich gut aufgenommen seyn. Da ich nicht nach Jena entweichen konnte, so mußten die Meinigen entweichen; denn dabei bleibt es nun einmal: daß ich ohne absolute Einsamkeit nicht das mindeste hervorbringen kann. Die Stille des Gartens ist mir auch daher vorzüglich schätzbar.

Nochmals ein Lebewohl und einen Gruß an Ihre liebe Frau.

G.

H 640 | S 638 | B 641

647. An Goethe

Jena, den 6. August 1799

Ich habe mich heut in meiner Arbeit verspätet, und habe nur noch Zeit, Ihnen einen freundlichen Gruß zu sagen. Es freut mich zu hören, daß Sie an Ihre Gedichte gegangen sind, und daß diese Sammlung nun gedruckt wird. Das Fach der Episteln und Balladen ist’s allein, so viel ich weiß, worin Sie noch keine Masse haben, wenn Sie nicht etwa noch die Idyllen zu vermehren wünschen. Die Elegien, Epigramme und Lieder sind aber desto reicher besetzt. Hoffentlich bleiben Sie bei Ihrem Vorsatz, jedes Ihrer Lieder, wo es auch in größern Werken vorkommt, in die Sammlung aufzunehmen. Es wird eine reiche und erfreuliche Sammlung werden, wenn sie auch nicht nach Ihrer eignen höhern Forderung ausgeführt wird, und was jetzt nicht geschieht, kann ein andermal geschehen, da ein solches Werk ohnehin in drei bis vier Jahren vergriffen ist.

Ich hätte gern diesen neuen Almanach auch noch mit einigen Kleinigkeiten begabt, aber es fehlt mir an aller Stimmung dazu, weil die dramatische Arbeit jede andre ableitet. In dieser geht es bis jetzt in seiner Ordnung fort, und wenn meine kleine Reise nach Rudolstadt, die ich projectirt habe, mir keine zu starke Diversion macht, so kann ich den zweiten Act noch in diesem Monat beschließen.

Leben Sie bestens wohl in Ihrer Einsamkeit. August hat vorgestern meinen Kleinen eine recht große Freude mit seinem Besuch gemacht. Die Frau grüßt Sie schönstens. Parny folgt hier mit vielem Dank zurück.

Sch.

H 639 | S 637 | B 640

646. An Schiller

Weimar, den 3. August 1799

Meine Einsamkeit im Garten wende ich vor allen Dingen dazu an, daß ich meine kleinen Gedichte, die Unger nunmehr zum siebenten Band verlangt hat, noch näher zusammenstelle und abschreiben lasse. Zu einer solchen Redaction gehört Sammlung, Fassung und eine gewisse allgemeine Stimmung. Wenn ich noch ein paar Dutzend neue Gedichte dazuthun könnte, um gewisse Lücken auszufüllen und gewisse Rubriken, die sehr mager ausfallen, zu bereichern, so könnte es ein recht interessantes Ganze geben. Doch wenn ich nicht Zeit finde das Publicum zu bedenken, so will ich wenigstens so redlich gegen mich selbst handeln, daß ich mich von dem überzeuge was ich thun sollte, wenn ich es auch gerade jetzt nicht thun kann. Es gibt für die Zukunft leitende Fingerzeige.

Milton’s verlornes Paradies, das ich Nachmittags lese, gibt mir zu vielen Betrachtungen Stoff, die ich Ihnen bald mitzutheilen wünsche. Der Hauptfehler den er begangen hat, nachdem er den Stoff einmal gewählt hatte, ist daß er seine Personen, Götter, Engel, Teufel, Menschen, sämmtlich gewissermaßen unbedingt einführt und sie nachher, um sie handeln zu lassen, von Zeit zu Zeit, in einzelnen Fällen, bedingen muß, wobei er sich denn, zwar auf eine geschickte, doch meistens auf eine witzige Weise zu entschuldigen sucht. Übrigens bleibt’s dabei daß der Dichter ein fürtrefflicher und in jedem Sinne interessanter Mann ist, dessen Geist des Erhabenen fähig ist, und man kann bemerken daß der abgeschmackte Gegenstand ihn bei dieser Richtung oft mehr fördert als hindert, ja dem Gedicht bei Lesern, die nun einmal den Stoff gläubig verschlucken, zum großen Vortheil gereichen muß.

Übrigens hat es noch manches gegeben wovon ich schweige, weil der Brief in die Stadt soll. Wann ich kommen kann, darüber will ich lieber nichts sagen, weil ich es noch nicht genau bestimmen kann. Lassen Sie sich daher von Ihrer kleinen Reise nicht abhalten. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.

G.

H 638 | S 636 | B 639

645. An Goethe

Jena, den 2. August 1799

Ich wünsche Ihnen Glück zum Auszug in den Garten, von dem ich mir gute Folgen für die productive Thätigkeit verspreche. Nach der langen Pause die Sie gemacht, wird es nur der Einsamkeit und ruhigen Sammlung bedürfen, um den Geist zu entbinden.

Indem Sie Milton’s Gedicht vor die Hand genommen, habe ich den Zeitraum in dem es entstanden und durch den es eigentlich wurde, zu durchlaufen Gelegenheit gehabt. So schrecklich die Epoche war, so muß sie doch für das dichterische Genie erweckend gewesen seyn; denn der Geschichtschreiber hat nicht unterlassen mehrere in der englischen Poesie berühmte Namen unter den handelnden Personen aufzuführen. Hierin ist jene Revolutionsepoche fruchtbarer als die französische gewesen, an die sie einen sonst oft erinnert. Die Puritaner spielen so ziemlich die Rolle der Jakobiner, die Hülfsmittel sind oft dieselben und eben so der Ausschlag des Kampfs. Solche Zeiten sind recht dazu gemacht Poesie und Kunst zu verderben, weil sie den Geist aufregen und entzünden, ohne ihm einen Gegenstand zu geben. Er empfängt dann seine Objecte von innen und die Mißgeburten der allegorischen, der spitzfindigen und mystischen Darstellung entstehen.

Ich erinnere mich nicht mehr, wie Milton sich bei der Materie vom freien Willen heraushilft, aber Kant’s Entwicklung ist mir gar zu mönchisch, ich habe nie damit versöhnt werden können. Sein ganzer Entscheidungsgrund beruht darauf, daß der Mensch einen positiven Antrieb zum Guten, so wie zum sinnlichen Wohlseyn habe; er brauche also auch, wenn er das Böse wählt, einen positiven innern Grund zum Bösen, weil das Positive nicht durch etwas bloß Negatives aufgehoben werden könne. Hier sind aber zwei unendlich heterogene Dinge, der Trieb zum Guten und der Trieb zum sinnlichen Wohl völlig als gleiche Potenzen und Quantitäten behandelt, weil die freie Persönlichkeit ganz gleich gegen und zwischen beide Triebe stellt wird.

Gottlob, daß wir nicht berufen sind, das Menschengeschlecht über diese Frage zu beruhigen, und immer im Reich der Erscheinung bleiben dürfen. Übrigens sind diese dunkle Stellen in der Natur des Menschen für den Dichter und den tragischen insbesondre nicht leer, und noch weniger für den Redner, und in der Darstellung der Leidenschaften machen sie kein kleines Moment aus.

Sagen Sie mir doch in Ihrem nächsten Brief, wann man uhngefähr den Herzog in Weimar zurück erwartet und also Ihre eigene Hieherkunft in Jena bestimmen kann. Ich wünschte es darum zu wissen, weil eine kleine Riese davon abhängen könnte, die ich vielleicht mit meiner Frau auf ein paar Tage mache, und um derentwillen ich nicht gern einen Tag Ihres Hierseyns versäumen möchte.

Die Frau dankt Ihnen herzlich für Ihren Antheil.

Leben Sie recht wohl und erfreuen sie mich bald mit der Nachricht, daß die poetische Stunde geschlagen hat.

Sch.

H 637 | S 635 | B 638

644. An Schiller

Weimar, den 31. Juli 1799

Es ist recht hübsch daß ich Ihnen, in dem Augenblick da ich die Production ausschließlich preise und anempfehle, auf eine doppelte Weise dazu Glück wünschen kann. Möge in beiden Fällen alles glücklich von Statten gehen.

Ich konnte voraussehen daß Parny Ihnen Vergnügen machen würde. Er hat aus dem Sujet eine Menge sehr artiger und geistreicher Motive gezogen, und stellt auch recht lebhaft und hübsch dar. Nur ist er, dünkt mich, in Disposition und Gradation der Motive nicht glücklich, daher dem Ganzen die Einheit fehlt. Auch scheint mir der äußere Endzweck, die christkatholische Religion in den Koth zu treten, offenbarer als es ich für einen Poeten schicken will. Es kam mir vor als wenn dieses Büchlein expreß von den Theophilanthropen bestellt seyn könnte.

Allerdings passen diese und ähnliche Gegenstände besser zu komischen als zu ernsthafen Epopöen. Milton’s verlornes Paradies, das ich diese Tage zufällig in die Hand nahm, hat mir zu wunderbaren Betrachtungen Anlaß gegeben. Auch bei diesem Gedichte, wie bei allen modernen Kunstwerken, ist es eigentlich das Individuum das sich dadurch manifestirt, welches das Interesse hervorbringt. Der Gegenstand ist abscheulich, äußerlich scheinbar und innerlich wurmstichig und hohl. Außer den wenigen natürlichen und energischen Motiven ist eine ganze Partie lahme und falsche, die einem wehe machen. Aber freilich ist es ein interessanter Mann der spricht, man kann ihm Charakter, Gefühl, Verstand, Kenntnisse, dichterische und rednerische Anlagen und sonst noch mancherlei Gutes nicht absprechen. Ja der seltsame einzige Fall daß er sich als verunglückter Revolutionair besser in die Rolle des Teufels als des Engels zu schicken weiß, hat einen großen Einfluß auf die Zeichnung und Zusammensetzung des Gedichts, so wie der Umstand daß der Verfasser blind ist auf die Haltung und das Colorit desselben. Das Werk wird daher immer einzig bleiben, und, wie gesagt, so viel ihm auch an Kunst abgehen mag, so sehr wird die Natur dabei triumphiren.

Unter andern Betrachtungen bei diesem Werke war ich auch genöthigt über den freien Willen, über den ich mir sonst nicht leicht den Kopf zerbreche, zu denken; er spielt in dem Gedicht, so wie in der christlichen Religion überhaupt, eine schlechte Rolle. Denn sobald man den Menschen von Haus aus für gut annimmt, so ist der freie Willen das alberne Vermögen aus Wahl vom Guten abzuweichen und sich dadurch schuldig zu machen; nimmt man aber den Menschen natürlich als bös an, oder, eigentlicher zu sprechen, in dem thierischen Falle unbedingt man seinen Neigungen hingezogen zu werden, so ist alsdann der freie Wille freilich eine vornehme Person, die sich anmaßt aus Natur gegen die Natur zu handeln. Man sieht daher auch wie Kant nothwendig auf ein radicales Böse kommen mußte und woher die Philosophen, die den Menschen von Natur so scharmant finden, in Absicht auf die Freiheit desselben so schlecht zu rechte kommen, und warum sie sich so sehr wehren wenn man ihnen das Gute aus Neigung nicht hoch anrechnen will. Doch mag das bis zur mündlichen Unterredung aufgehoben seyn, so wie die Reinholdischen Erklärungen über dne Fichte’schen Atheismus.

Den Brief an Lavatern hierüber habe ich angefangen zu lesen. Reinhold’s Ausführung scheint mir überhaupt psychologisch sehr unterrichtend und läuft wie mir scheint am Ende auf das alte Dictum hinaus: daß sich jeder seine eigne Art von Gott macht und daß man Niemand den seinigen weder nehmen kann noch soll.

Um meiner von allen Seiten geräuschvollen Nachbarschaft zu entgehen, habe ich mich entschlossen in den Garten zu ziehen, um dort die Ankunft des Herzogs und Geheimen Rath Voigt’s zu erwarten, welche mich öffentlich von meinem gegenwärtigen Posten ablösen wird.

Ob die Einsamkeit des Ilmthals zu dem Einzigen was Noth ist viel helfen wird, muß die Zeit lehren.

Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau. Unsere nächste Zusammenkunft wird desto erfreulicher werden, je mehr sie bisher gehindert worden ist; denn wir haben indeß jeder für sich doch wieder manches erfahren dessen Mittheilung interessant genug seyn wird.

G.

H 636 | S 634 | B 637