882. An Goethe
Weimer, am 6. Juli 1802
Es war zu meinem Glück, daß ich Ihnen nicht nach Lauchstedt folgte, denn ich hätte nur den Samen eines Katarrhfiebers mitgenommen, das an dem nämlichen Sonnabend, wo Sie in L. zum erstenmal spielten, bei mir zum Ausbruch kam. Seit dieser Zeit bis gestern habe ich mit meiner ganzen Familie in den schlechtesten Zuständen befunden, denn wir alle litten an einer Art von Krampfhusten, der besonders meinen kleinen Ernst sehr hart mitnahm. Dabei lebten wir entfernt von allem menschlichen Umgang, weil ich jede Gelegenheit zu sprechen sorgfältig meiden mußte. Deßwegen habe ich auch den Hofkammerrath noch nicht über die Lauchstedter Ereignisse vernehmen können, und weiß weiter nichts davon als was Ihre Briefe mir meldeten.
Sie haben also neun Tage hinter einander gespielt, das will viel sagen, und ist eine große Anstrengung von Seiten der Schauspieler; aber aus der Leere des Hauses in den Vorstellungen während der Woche sehe ich doch, daß Sie die reichliche Gabe nicht allzulang werden fortsetzen dürfen.
Auch zu Lauchstedt sind es also, wie Ihr Repertorium sagt, die Opern, die das Haus füllen. So herrscht das Stoffartige überall, und wer sich dem Theaterteufel einmal verschrieben hat, der muß sich auf dieses Organ verstehen.
Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, daß ich mich bei meinen Stücken auf das Dramatischwirkende mehr concentriren sollte. Dieses ist überhaupt schon, ohne alle Rücksicht auf Theater und Publicum, eine poetische Forderung, aber auch nur in so fern es eine solche ist, kann ich mich darum bemühen. Soll mir jemals ein gutes Theaterstück gelingen, so kann es nur auf poetischem Wege seyn, denn eine Wirkung ad extra, wie sie zuweilen auch einem gemeinen Talent und einer bloßen Geschicklichkeit gelingt, kann ich mir nie zum Ziele machen, noch, wenn ich es auch wollte, erreichen. Es ist also hier nur von der höchsten Aufgabe selbst die Rede, und nur die erfüllte Kunst wird meine individuelle Tendenz ad intra überwinden können, wenn sie zu überwinden ist.
Ich glaube selbst, daß unsre Dramen nur kraftvolle und treffend gezeichnete Skizzen seyn sollten, aber dazu gehörte dann freilich eine ganz andre Fülle der Erfindung, um die sinnlichen Kräfte ununterbrochen zu reizen und zu beschäftigen. Mir möchte dieses Problem schwerer zu lösen seyn als einem andern, denn ohne eine gewisse Innigkeit vermag ich nichts, und diese hält mich gewöhnlich bei meinem Gegenstande fester, als billig ist.
Ich wünschte daß Sie von Wolf eine lateinische Übersetzung der Poetik des Aristoteles, die der verstorbene Reitz in Manuscript zurück gelassen, sich verschaffen möchten. Auch diese Schrift würde uns ein interessantes Thema zu künftigen Conferenzen über das Drama abgeben.
In der Schrift von Brandes habe ich geblättert, aber es wird mir unmöglich durch diese Manier mich hindurch zu arbeiten. Man mußte Göttingen noch frisch im Gedächtniß haben, wie Sie, um dabei aushalten zu können.
Eine Schrift gegen Kotzebue von dem Herrn von Massow ist dieser Tage erschienen, worin er ganz niederträchtig, aber nach Würden und Verdienst behandelt wird. Sie ist für ein Werk der Indignation und für eine Parteischrift nicht schlecht geschrieben.
Leben Sie recht wohl und lassen sich’s in Halle nicht zu gut gefallen. Ich sehne mich herzlich nach Ihrer Zurückkunft, da ich vergeblich gehofft habe, mir die Zeit Ihrer Abwesenheit durch meine Thätigkeit zu verkürzen.
Meyern grüße ich herzlich und wünsche ihm Geduld zu seiner harten Prüfung; nächsten Posttag schreibe ich ihm.
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen beiden auf’s beste.
Sch.