80. An Schiller

Carlsbad, den 8. Juli 1795

Die Gelegenheit Ihnen durch Fräulein von Göchhausen diesen Brief zu übersenden versäume ich nicht. Nach überstandenen leidlichen und bösen Wegen bin ich am vierten Abends angelangt; das Wetter war bis heute äußerst schlecht, und der erste Sonnenblick scheint nur vorübergehend zu seyn. Die Gesellschaft ist zahlreich und gut; man beklagt sich, wie immer, über den Mangel an Harmonie, und jeder lebt auf seine Weise. Ich habe nur gesehen und geschwätzt; was sonst werden und gedeihen wird muß abgewartet werden. Auf alle Fälle habe ich gleich einen kleinen Roman aus dem Stegreife angeknüpft, der höchst nöthig ist um einen Morgens um fünf Uhr aus dem Bette zu locken. Hoffentlich werden wir die Gesinnungen dergestalt mäßigen und die Begebenheiten so zu leiten wissen, daß er vierzehn Tage aushalten kann.

Als berühmter Schriftsteller bin ich übrigens recht gut aufgenommen worden, wo bei es doch nicht an wunderlichen Demüthigungen gefehlt hat; z. B. sagte mir ein allerliebstes Weibchen: sie habe meine letzten Schriften mit dem größten Vergnügen gelesen, besonders habe sie Ardinghello über alle Maßen interessirt. Sie können denken, daß ich mit der größten Bescheidenheit, mich in Freund Heinse’s Mantel einhüllte, und so meiner Gönnerin mich schon vertraulicher zu nähern wagen durfte. Und ich darf nicht fürchten daß sie in diesen drei Wochen aus ihrem Irrthum gerissen wird.

Die vielen Menschen, unter denen sehr interessante sind, lerne ich nach und nach kennen und werde Ihnen manches zu erzählen haben.

Indem ich auf meiner Herreise einige alte Mährchen durchdachte, ist mir verschiedenes über die Behandlungsart derselben durch den Kopf gegangen. Ich will eh’stens eins schreiben, damit wir einen Text vor uns haben. Leben Sie recht wohl mit den Ihrigen und denken mein.

G.

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